Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Verschulden. Prozessbevollmächtigter. Frist. Versäumung. Geltungsbereich. Wohnsitz. Gewöhnlicher Aufenthalt
Leitsatz (redaktionell)
1. Im Rahmen der Prüfung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist einer Klägerin das Verschulden ihres ehemaligen Bevollmächtigten an der Versäumung der Frist zur Beantragung von Prozesskostenhilfe zuzurechnen.
2. Der Geltungsbereich des Sozialgesetzbuchs ist auf Personen beschränkt, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in dessen Geltungsbereich haben.
Normenkette
SGG § 67 Abs. 1, § 73 Abs. 4, 6 S. 6, § 73a Abs. 1 S. 1, § 160 Abs. 2, § 160a Abs. 4 S. 1, § 169; ZPO § 85 Abs. 2, §§ 114, 121; SGB I § 30 Abs. 1
Verfahrensgang
SG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 14.09.2016; Aktenzeichen S 1 AL 30/14) |
Hessisches LSG (Beschluss vom 18.12.2017; Aktenzeichen L 7 AL 86/16) |
Tenor
Der Antrag der Klägerin, ihr für die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Hessischen Landessozialgerichts vom 18. Dezember 2017 - L 7 AL 86/16 - Prozesskostenhilfe zu bewilligen und einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im bezeichneten Beschluss wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
Dem Antrag der Klägerin auf Bewilligung von PKH kann nicht stattgegeben werden. Nach § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 ZPO kann einem Beteiligten für das Verfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Dies ist hier nicht der Fall.
Es ist nicht zu erkennen, dass ein zugelassener Prozessbevollmächtigter (§ 73 Abs 4 SGG) in der Lage wäre, eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der versäumten Beschwerdefrist zu erreichen. Dies setzt nach § 67 Abs 1 SGG voraus, dass ein Beteiligter ohne Verschulden gehindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten. Die Klägerin trägt hierzu vor, sie habe die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem am 23.1.2018 zugestellten Beschluss bzw ihren Antrag auf Bewilligung von PKH für dieses Verfahren verspätet am 6.5.2019 beim BSG eingereicht, weil sie erstmals am 30.4.2019 "nach massiven und langwierigen Aufforderungen und Mahnungen an die mandatierte Anwaltskanzlei" vom Beschluss des LSG Kenntnis erlangt habe. Jedoch ist ihr das Verschulden ihres ehemaligen Bevollmächtigten an der Versäumung der Frist zur Beantragung von PKH nach § 73 Abs 6 Satz 6 SGG iVm § 85 Abs 2 ZPO zuzurechnen (BAG vom 11.12.2008 - 2 AZR 472/08 - BAGE 129, 32). Die Regelungen zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand schützen den Beteiligten nicht vor einem Verhalten seines Rechtsanwalts (BVerwG vom 5.5.1999 - 4 B 35/99 - NVwZ 2000, 65). Auch vor dem Hintergrund der hier vorliegenden Zeitspanne von fast eineinhalb Jahren zwischen der Zustellung des Beschlusses am 23.1.2018 und der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision mit Antrag auf PKH ist nicht ersichtlich, dass die Erläuterungen des LSG zur PKH für die verspätete Einreichung des Antrags ursächlich gewesen sein könnten.
Unabhängig hiervon ist nicht erkennbar, dass die angestrebte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der bezeichneten Entscheidung erfolgreich begründet werden könnte. Nach § 160 Abs 2 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1), das Urteil des LSG von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr 2) oder wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (Nr 3). Ein solcher Zulassungsgrund ist nicht ersichtlich. Soweit die Klägerin gegen die Aufhebung und Erstattung von Fahrt- und Weiterbildungskosten in Zeiträumen des Jahres 2008 und 2010 nunmehr einwendet, dass die Wohnung in einem anderen EU-Mitgliedstaat einer Leistungserbringung nicht entgegengestanden habe, haben die Vorinstanzen zu Recht auf § 30 Abs 1 SGB I verwiesen, der den Geltungsbereich des Sozialgesetzbuchs auf Personen beschränkt, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in dessen Geltungsbereich haben (vgl hierzu nur BSG vom 12.12.2017 - B 11 AL 21/16 R - SozR 4-6065 Art 65 Nr 1 RdNr 10).
Da kein Anspruch auf Bewilligung von PKH besteht, kann auch keine Beiordnung eines Rechtsanwalts erfolgen (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 ZPO).
Die von der Klägerin privatschriftlich eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde ist ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen, weil die Klägerin nicht durch einen vor dem BSG zugelassenen Prozessbevollmächtigen (§ 73 Abs 4 SGG) vertreten ist (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI13579391 |