Verfahrensgang

LSG Sachsen-Anhalt (Urteil vom 13.10.2022; Aktenzeichen L 3 R 316/21)

SG Dessau-Roßlau (Entscheidung vom 05.10.2021; Aktenzeichen S 12 R 310/19)

 

Tenor

Der Antrag des Klägers, ihm für eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 13. Oktober 2022 vor dem Bundessozialgericht Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wird abgelehnt.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im genannten Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt wird verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

 

Gründe

I

Der 1956 geborene Kläger bezieht seit dem 1.2.2005 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit von der Beklagten. Es wird ein abgesenkter Zugangsfaktor berücksichtigt (Bescheid vom 6.3.2007). Daneben bezieht der Kläger eine Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung. Die Beklagte berechnete die Erwerbminderungsrente des Klägers ab dem 1.7.2019 neu, weil nicht nur die turnusmäßige Rentenanpassung durchzuführen war, sondern auch eine Anrechnung der Verletztenrente erneut geprüft - und verneint - wurde. Die persönlichen Entgeltpunkte wurden nicht neu ermittelt (Bescheid vom 17.5.2019; Widerspruchsbescheid vom 20.11.2019).

Das SG hat die Klage als unzulässig abgewiesen, mit der der Kläger ua die Gewährung einer abschlagsfreien Rente begehrt hatte (Gerichtsbescheid vom 5.10.2021). Die dagegen vom Kläger eingelegte Berufung hat das LSG mit Urteil vom 13.10.2022 zurückgewiesen. Die Rentenneuberechnung sei nicht zu beanstanden. Soweit der Kläger sich gegen die Abschläge wende, sei die Klage bereits unzulässig. Der Neuberechnung lägen in unveränderter Höhe die persönlichen Entgeltpunkte zugrunde, die im Rentenbescheid vom 6.3.2007 bestandskräftig festgestellt worden seien.

Das Berufungsurteil ist dem Kläger am 19.10.2022 zugestellt worden. Am 31.10.2022 hat er beim BSG Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt, Prozesskostenhilfe (PKH) für das Beschwerdeverfahren beantragt und eine Erklärung zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen vorgelegt. Im Weiteren hat er ausgeführt, die Nichtzulassungsbeschwerde solle "vorläufig für den Fall der Gewährung von Prozesskostenhilfe" eingelegt werden.

II

1. Der PKH-Antrag des Klägers ist abzulehnen. Nach § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Abs 1 Satz 1 ZPO kann einem bedürftigen Beteiligten für ein Verfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt und ein Rechtsanwalt beigeordnet werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Das ist hier nicht der Fall. Die Revision darf gemäß § 160 Abs 2 SGG nur zugelassen werden, wenn einer der dort abschließend genannten Revisionszulassungsgründe vorliegt. Nach Prüfung des Streitstoffs anhand der beigezogenen Gerichtsakten ist auch unter Würdigung des Vorbringens des Klägers nicht ersichtlich, dass ein vor dem BSG zugelassener Bevollmächtigter (§ 73 Abs 4 SGG) das Vorliegen eines Zulassungsgrundes erfolgreich geltend machen könnte.

a) Es ist nach Aktenlage nicht ersichtlich, dass eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Zulassungsgrund nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG) erfolgreich geltend gemacht werden könnte. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Es sei dahingestellt, ob im angestrebten Revisionsverfahren über den abgesenkten Zugangsfaktor zu befinden wäre, den die Beklagte bei der Neuberechnung der Erwerbsminderungsrente des Klägers ab dem 1.7.2019 in unveränderter Höhe zugrunde legte. Insoweit sind jedenfalls keine klärungsbedürftigen Rechtsfragen erkennbar.

Bei Beginn der Rente des Klägers am 1.2.2005 galt § 77 Abs 2 Satz 1 Nr 3 SGB VI in der Fassung der Neubekanntmachung vom 19.2.2002 (BGBl I 754 - im Folgenden: SGB VI aF). In der Vorschrift ist geregelt, dass bei Erwerbsminderungsrenten, die vor Vollendung des 63. Lebensjahres in Anspruch genommen werden, der Zugangsfaktor für jeden Kalendermonat der vorzeitigen Inanspruchnahme um 0,003 (0,3 Prozent) abgesenkt wird. Aus § 77 Abs 2 Satz 2 und 3 SGB VI aF ergibt sich, dass der Abschlag für diese Renten höchstens 0,108 (10,8 Prozent) beträgt. Die gesetzlichen Regelungen gelten schon nach ihrem Wortlaut für alle Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, mithin auch für Renten wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach § 240 Abs 1 SGB VI, die vor dem 2.1.1961 geborenen Versicherten mit Berufsschutz gewährt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits entschieden, dass die Kürzung des Zugangsfaktors bei Erwerbsminderungsrenten mit dem Grundgesetz vereinbar ist (vgl BVerfG Beschluss vom 11.1.2011 - 1 BvR 3588/08ua - BVerfGE 128, 138 = SozR 4-2600 § 77 Nr 9; vgl auch BSG Beschluss vom 17.4.2019 - B 5 R 312/18 B - juris RdNr 11).

b) Es ist nicht ersichtlich, dass der Zulassungsgrund der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) vorliegt. Das LSG ist mit der angefochtenen Entscheidung nicht von höchstrichterlicher Rechtsprechung abgewichen.

c) Schließlich ist nicht zu erkennen, dass sich ein Verfahrensmangel geltend machen ließe, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Indem das LSG ohne mündliche Verhandlung über die Berufung entschieden hat, hat es von der in § 124 Abs 2 SGG vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht. Das erforderliche Einverständnis mit dieser Verfahrensweise hat der Kläger mit Schreiben vom 21.5.2022 erklärt. Umstände, unter denen die Einverständniserklärung des Klägers in der Folgezeit unwirksam geworden sein könnte (vgl hierzu zB BSG Beschluss vom 6.10.2016 - B 5 R 45/16 B - juris RdNr 18 mwN; BSG Beschluss vom 2.7.2019 - B 2 U 156/18 B - juris RdNr 8; BSG Beschluss vom 16.7.2019 - B 12 KR 102/18 B - juris RdNr 6), sind nicht ersichtlich.

Es ließe sich auch nicht als entscheidungserheblicher Verfahrensmangel geltend machen, über die Klage sei durch Prozessurteil anstelle eines Sachurteils entschieden worden. Der Erlass eines Prozessurteils statt eines Sachurteils durch das erstinstanzliche Gericht kann zwar als fortwirkender Verfahrensmangel gerügt werden, wenn das Berufungsgericht das Prozessurteil der ersten Instanz bestätigt (vgl hierzu zB BSG Beschluss vom 22.6.2022 - B 1 KR 23/22 B - juris RdNr 8). SG und LSG haben hier die Klage als unzulässig angesehen, soweit sie sich gegen den Abschlag bei der Rentenberechnung richtet, wobei offenbleibt, welches Zulässigkeitskriterium nicht erfüllt sein soll. Es ist jedoch nicht zu erkennen, inwiefern ein darin möglicherweise liegender Verfahrensfehler ursächlich für die Zurückweisung der Berufung geworden sein könnte (vgl dazu, dass die Darlegung des Beruhen-Könnens auch bei einer Rüge "Prozessurteil statt Sachurteil" oder umgekehrt zur anforderungsgerechten Bezeichnung des Verfahrensmangels gehört, BSG Beschluss vom 23.6.2021 - B 13 R 197/20 B - juris RdNr 7 unter Bezugnahme auf Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 2. Aufl 2010, RdNr 661). Beide Instanzen sind erkennbar der Auffassung gewesen, dass die Beklagte zur Fortschreibung des abgesenkten Zugangsfaktors berechtigt gewesen sei. Mit dieser Rechtsposition, die im Ergebnis auch nicht zu beanstanden ist, hätte das LSG die Berufung selbst bei unterstellter Zulässigkeit der Klage zurückgewiesen.

2. Der Senat wertet das Gesamtvorbringen des Klägers insbesondere im Hinblick auf den Wortlaut seiner Anträge dahin, dass er eine unbedingte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angegriffenen Entscheidung des LSG eingelegt hat und lediglich die weitere Durchführung der Beschwerde von einer PKH-Bewilligung abhängig machen wollte (vgl zu Auslegung von Rechtsmittelschriften als unbedingtes oder unzulässigerweise bedingtes Rechtsmittel zB BSG Urteil vom 13.10.1992 - 4 RA 36/92 - SozR 3-1500 § 67 Nr 5 S 13 f; vgl auch BGH Beschluss vom 14.3.2007 - XII ZB 235/05 - juris RdNr 10). Die vom Kläger selbst eingelegte Beschwerde ist unzulässig und deshalb durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (vgl § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 SGG). Sie entspricht nicht der gesetzlich vorgegebenen Form, weil sich die Beteiligten im Beschwerdefahren vor dem BSG durch einen zugelassenen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen müssen (§ 73 Abs 4 Satz 1 SGG). Der Kläger ist auch nicht zur Selbstvertretung (§ 73 Abs 4 Satz 5 SGG) berechtigt.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und 4 SGG.

Düring

Hahn

Hannes

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15635427

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