Verfahrensgang
SG Dresden (Urteil vom 18.05.1993) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 18. Mai 1993 wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist ein Erstattungsanspruch des Klägers nach § 10 des Lohnfortzahlungsgesetzes (LFZG).
Der Kläger, der als Rechtsanwalt eine Kanzlei in Pirna unterhält, beschäftigt ua die Angestellte B. als Sekretärin. Dieser wurde während einer Erkrankung vom 1. bis 17. Juni 1992 das Gehalt fortgezahlt. Im Juli 1992 forderte der Kläger von der Beklagten Erstattung der ihm entstandenen Kosten iHv 80% nach dem LFZG. Dies lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, daß B. Angestellte und nicht Arbeiterin sei. Widerspruch und Klage hatten keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 25. November 1992; Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ Dresden vom 18. Mai 1993). Das Urteil des SG, in dem die Sprungrevision zugelassen war, wurde am 27. September 1993 durch einen Postbediensteten in Abwesenheit des Klägers in seinen Kanzleiräumen einer Auszubildenden ausgehändigt und eine Postzustellungsurkunde ausgefertigt.
Mit Schriftsatz vom 26. Oktober 1993, der am gleichen Tag beim Bundessozialgericht (BSG) einging, legte der Kläger Sprungrevision ein, die er mit dem weiteren Schriftsatz vom 28. Oktober 1993, eingegangen beim BSG am 2. November 1993, begründete. Nachdem das BSG mit Schreiben vom 15. November 1993 auf das Fehlen der Zustimmungserklärung der Revisionsbeklagten hingewiesen hatte, reichte der Kläger mit Schriftsatz vom 2. Dezember 1993, eingegangen am 6. Dezember 1993, eine unter dem 30. November 1993 gefertigte Zustimmungserklärung der Beklagten nach. Er trägt vor, die Revisionsfrist sei nicht in Lauf gesetzt worden, weil die Zustellung des Urteils nicht wirksam gewesen sei. Die ihm zugegangene Urteilsfassung sei keine wirksame Ausfertigung, weil sie keine Unterschrift des Richters, sondern lediglich die – maschinenschriftliche – Bezeichnung „Gähr, Richter am Sozialgericht” enthalte. Dem hätte noch der Zusatz „gez” beigefügt werden müssen, denn die reine Erwähnung eines Namens reiche als ordnungsgemäße Unterschrift nicht aus. Außerdem sei die Ausfertigung entgegen § 137 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) auch nicht mit dem Prägesiegel des Gerichts versehen. Schließlich sei die Zustellung auch insoweit nicht ordnungsgemäß erfolgt, als das Schreiben in seiner Abwesenheit einer Auszubildenden ausgehändigt worden sei, die zum damaligen Zeitpunkt keine Empfangsbevollmächtigung für Schreiben gehabt habe, die mit Zustellungsurkunde zugestellt werden. Es fehle außerdem an der Bezeichnung der Person, an die zugestellt worden sei und an der Angabe des Grundes, warum dieser Person das Schriftstück übergeben worden sei.
Der Kläger beantragt (sinngemäß),
das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 18. Mai 1993 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 15. Juli 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. November 1992 zu verurteilen, ihm das für seine Angestellte B. für die Zeit vom 1. bis zum 17. Juni 1992 fortgezahlte Gehalt in Höhe von 80% zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die Sprungrevision des Klägers ist unzulässig. Sie entspricht nicht den gesetzlichen Anforderungen der §§ 161, 164 SGG. Nach § 161 Abs 1 Satz 1 SGG steht den Beteiligten gegen das Urteil eines SG die Revision unter Übergehung der Berufungsinstanz dann zu, wenn der Gegner schriftlich zustimmt und wenn sie vom SG im Urteil oder auf Antrag durch Beschluß zugelassen wird. Ist – wie im vorliegenden Fall – die Revision im Urteil zugelassen, ist die Zustimmung des Gegners der Revisionsschrift beizufügen (§ 161 Abs 1 Satz 3 SGG). Der Kläger hat zwar nach § 164 Abs 1 Satz 1 SGG fristgerecht, nämlich innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils am 27. September 1993, eine Revisionsschrift eingereicht. Er hat jedoch entgegen § 161 Abs 1 Satz 3 SGG weder der Revisionsschrift die schriftliche Zustimmungserklärung des Gegners beigefügt noch diese Erklärung – was zulässig ist (BSGE 20, 154) – innerhalb der Revisionsfrist nachgereicht. Die Zustimmungserklärung ist vielmehr erst unter dem 30. November 1993 vom Revisionsgegner gefertigt und vom Kläger am 6. Dezember 1993, also verspätet, dem BSG übersandt worden. Damit ist die Revision iS von § 169 SGG unzulässig, weil sie nicht innerhalb der vorgesehenen Frist eingelegt worden ist.
Zwar ist die Zustimmungserklärung eine selbständige – weil vom Prozeßgegner abzugebende – Erklärung; gleichwohl ist sie Bestandteil einer wirksamen Revisionseinlegung und damit Teil einer Prozeßhandlung, die innerhalb einer gesetzlichen Verfahrensfrist vorzunehmen ist und gegen deren Versäumung – auch soweit sie nur die Zustimmungserklärung betrifft – Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden kann (Aufgabe der Entscheidung des erkennenden Senats vom 15. März 1978 – 1 RA 33/77 – SozR 1500 § 67 Nr 11). Im vorliegenden Fall hat der Kläger weder Wiedereinsetzung beantragt, noch sind Gründe erkennbar, die eine solche rechtfertigen.
Den Anforderungen des § 161 Abs 1 Satz 1 iVm Satz 3 SGG und § 164 Abs 1 Satz 1 SGG ist auch nicht deshalb genügt, weil die Zustellung des angefochtenen Urteils unwirksam gewesen wäre und deshalb die Revisionsfrist noch nicht zu laufen begonnen hätte. Die am 27. September 1993 erfolgte Zustellung des Urteils ist vielmehr wirksam gewesen. Entgegen der Ansicht der Revision bestehen durchgreifende Bedenken weder gegen die Ordnungsmäßigkeit der zugestellten Ausfertigung noch gegen die Durchführung der Zustellung.
§ 135 SGG schreibt für verkündete Urteile der SGe vor, daß sie den Beteiligten zuzustellen sind. Die Zustellung erfolgt gem § 63 Abs 2 SGG nach den §§ 2 bis 15 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG), wobei gem § 2 Abs 1 VwZG iVm § 137 SGG die Zustellung eines Urteils in der Form der Übergabe einer Ausfertigung erfolgt. Die Rüge, daß die übergebene Ausfertigung unwirksam sei, weil die Wiedergabe des Namens des an der Entscheidung beteiligten Richters ohne den Zusatz „gez” unvollständig sei, geht fehl. Zwar müssen die Unterschriften der Richter mit dem Namen oder zumindest so wiedergegeben werden, daß über ihre Identität kein Zweifel aufkommen kann (BSG SozR 1500 § 151 Nr 9). Insoweit ist es nicht für ausreichend angesehen worden, wenn die Namen der Richter in Klammern angegeben sind und kein weiterer Zusatz „gez”) angegeben ist (BGH FamRZ 1990, 1227 mwN). Ist jedoch – wie im vorliegenden Fall – der Name des Richters ohne Klammern in Maschinenschrift wiedergegeben, bedarf es des genannten Zusatzes nicht, sofern dadurch keine Unklarheiten entstehen (BGH VersR 1981, 61, 62 und 576, jeweils mwN). Urteile der SGe werden nach § 134 SGG vom Vorsitzenden der Kammer unterschrieben; der Unterschriften der ehrenamtlichen Richter bedarf es nicht. Die dem Kläger zugestellte Ausfertigung des Urteils enthält den maschinenschriftlich wiedergegebenen Namen des Richters „Gähr, Richter am Sozialgericht”, wobei sich aus dem Rubrum des Urteils ergibt, daß dieser Richter der Vorsitzende Richter war. Ein Zweifel hinsichtlich seiner Identität konnte insoweit nicht auftreten.
Auch die Rüge, die lediglich mit dem Gerichtsstempel versehene Urteilsabschrift entspreche nicht der Form des § 137 SGG und sei daher keine wirksame Ausfertigung, geht fehl. Zwar ist die Ausfertigung nach § 137 SGG von dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu unterschreiben und mit dem Gerichtssiegel in der Form des Prägesiegels zu versehen. Ist – wie im vorliegenden Fall – kein Prägesiegel, sondern nur der Gerichtsstempel verwandt worden, berührt dies die Wirksamkeit der Ausfertigung und damit auch der Zustellung nicht (Meyer-Ladewig, Komm zum SGG, 5. Aufl, § 137 RdNr 2). Denn dieser besonderen Form kommt hinsichtlich der Wirksamkeit der Ausfertigung kein besonderes Gewicht zu. In der Begründung zum Entwurf einer Sozialgerichtsordnung heißt es dazu lediglich, die Vorschrift trage der Tatsache Rechnung, daß ein Urteil ein staatlicher Hoheitsakt sei (vgl die Begründung zu § 85 SGO, der unverändert in § 137 SGG übernommen worden ist, in BR-Drucks Nr 117/53, S 30). Daraus kann – insbesondere im Vergleich zu anderen Prozeßordnungen und auch zum Beurkundungsgesetz vom 28. August 1969 (BGBl I S 1513 ≪BeurkG≫) – nicht entnommen werden, daß die Ersetzung des Prägesiegels durch einen Gerichtsstempel einen schwerwiegenden Mangel begründet, der die Ausfertigung bzw die Zustellung unwirksam macht (zur Unwirksamkeit der Ausfertigung, wenn ein Siegel gänzlich fehlt, vgl Peters/Sautter/Wolff, Komm zum SGG, § 137 Anm 16; Bley in: Gesamtkomm zum SGG, § 137 Anm 5). Auch § 317 Abs 3 der Zivilprozeßordnung (ZPO), der in der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) entsprechende Anwendung findet, schreibt für die Ausfertigung die Verwendung des Gerichtssiegels (allerdings nicht ausdrücklich in der Form des Prägesiegels) vor, ohne daß jedoch der Verwendung eines Gerichtsstempels anstelle des Siegels eine maßgebliche, die Wirksamkeit der Ausfertigung ausschließende Bedeutung beigemessen würde. Bereits im Jahre 1900 hat das Reichsgericht (RG) den Aufdruck des Gerichtsstempels anstelle des Gerichtssiegels als ausreichend für § 317 Abs 3 ZPO bezeichnet (RGZ 46, 364). Dem ist die zivilrechtliche Rechtsprechung und Literatur bis heute gefolgt (BGH VersR 1985, 551 mwN; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO 51. Aufl, § 317 RdNr 15). Auch das – später als das SGG erlassene – BeurkG, das zwar für die von Gerichten im Rahmen ihrer Zuständigkeit auszustellenden Ausfertigungen ungeachtet des § 1 Abs 2 und des § 48 BeurkG weder unmittelbar noch entsprechend gilt, jedoch hinsichtlich der für Ausfertigungen vorgeschriebenen Form zur Auslegung herangezogen werden kann, schreibt in § 49 ua vor, daß der Ausfertigungsvermerk zu unterschreiben und mit dem Siegel der erteilenden Stelle zu versehen ist (Abs 2 Satz 2). Dabei ist unter „Siegel” iS dieses Gesetzes – anders als nach früherem Beurkundungsrecht – sowohl das Prägesiegel als auch der Stempel (Farbdruckstempel) zu verstehen; die Verwendung des Stempels ist nur dann ausgeschlossen, wenn das BeurkG ausdrücklich das Prägesiegel fordert (vgl zur historischen Entwicklung Jansen, FGG, 2. Aufl, § 39 BeurkG Anm 13). Soweit § 44 BeurkG vorschreibt, daß eine Urkunde – also auch eine Ausfertigung –, die aus mehreren Blättern besteht, mit Schnur und Prägesiegel verbunden werden soll, haben jedenfalls Verstöße gegen diese Formvorschrift, auch wenn sie entgegen ihren Wortlaut als zwingend angesehen wird (Jansen, aaO, § 44 BeurkG Anm 1), auf die Wirksamkeit der Urkunde keinen Einfluß (Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, Teil B, 12. Aufl, § 44 BeurkG Anm 10; Riedel/Feil, BeurkG, § 44 Anm 7). Auch für § 137 SGG kann insoweit nichts anderes gelten. Da Ausfertigungen allgemein dazu bestimmt sind, im Rechtsverkehr die (in den Akten verbleibende) Urschrift zu ersetzen, und auch in der Sozialgerichtsbarkeit die Ausfertigung keine weitergehende Bedeutung hat, ist auch hier davon auszugehen, daß die Ersetzung der Verwendung eines Gerichtssiegels in der Form des Prägesiegels durch den Gerichtsstempel jedenfalls nicht zur Unwirksamkeit der Ausfertigung führt; denn hinsichtlich der vom Urkundsbeamten durch seine Unterschrift bestätigten Übereinstimmung der Ausfertigung mit der Urschrift vermag die Verwendung des Prägesiegels lediglich eine zusätzliche Sicherheit für diese Bestätigung zu bieten, ist aber nicht Essentiale der Ausfertigung.
Schließlich bestehen auch keine durchgreifenden Bedenken, soweit die Revision die Durchführung der Zustellung beanstandet. Insbesondere sind die nach § 63 Abs 2 SGG iVm § 3 Abs 3 VwZG für die Zustellung mittels Postzustellungsurkunde geltenden Regelungen der §§ 180 bis 186 und 195 Abs 2 ZPO nicht verletzt. Nach § 195 Abs 2 iVm § 191 Nr 4 ZPO ist über die Zustellung von dem Postbediensteten eine Urkunde aufzunehmen, in der ua die Bezeichnung der Person, der zugestellt ist, und in den Fällen der Ersatzzustellung nach § 183 ZPO die Angabe des Grundes, durch den die Zustellung an die bezeichnete Person gerechtfertigt wird, enthalten sein muß. Diesen Anforderungen genügt die vorliegende Postzustellungsurkunde. Sie enthält den Vermerk: „Ich habe den Empfänger im Geschäftslokal nicht angetroffen. Daher habe ich die Sendung dort dem Bediensteten P. … W. … übergeben.” Damit ist nicht nur die Person der zugestellt ist, ausreichend bezeichnet, sondern auch ein hinreichender Grund iS von § 183 Abs 2 ZPO angegeben. Nach dieser Vorschrift kann für den Fall, daß ua ein Rechtsanwalt in seinem Geschäftslokal nicht angetroffen wird, die Zustellung an einen darin anwesenden Gehilfen oder Schreiber erfolgen. Dazu gehören auch Auszubildende, selbst wenn sie minderjährig sind (BVerwG NJW 1962, 70).
Da mithin die Zustellung des angefochtenen Urteils am 27. September 1993 wirksam erfolgt war, war die Sprungrevision des Klägers mangels rechtzeitiger Einreichung der Zustimmungserklärung unzulässig und dementsprechend gem § 169 Satz 1 SGG – nach dessen Satz 2 durch Beschluß ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter – als unzulässig zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 4 SGG.
Fundstellen