Verfahrensgang
SG München (Entscheidung vom 12.12.2019; Aktenzeichen S 31 R 989/18) |
Bayerisches LSG (Urteil vom 06.10.2020; Aktenzeichen L 14 R 38/20) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 6. Oktober 2020 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.
Gründe
I
Der Kläger begehrt die Feststellung, dass er, solange er als Rechtsanwalt zugelassen ist, aufgrund des Befreiungsbescheids der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, der Rechtsvorgängerin der Beklagten (nachfolgend einheitlich: Beklagte), vom 27.12.1999 weiterhin von der Versicherungspflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung befreit ist.
Das SG München hat die Feststellungsklage des Klägers abgewiesen (Urteil vom 12.12.2019). Das Bayerische LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 6.10.2020). Der Befreiungsbescheid der Beklagten vom 27.12.1999 beschränke sich auf die von ihm ab dem 18.1.1999 bei der W GmbH ausgeübte Tätigkeit, für die er die Befreiung beantragt habe. Mit dem Arbeitgeberwechsel wohl im Jahr 2000 habe der Bescheid vom 27.12.1999 seine Regelungswirkung verloren und sich gemäß § 39 Abs 2 SGB X erledigt. Der Kläger könne sich auch nicht auf Vertrauensschutz berufen. Eine ggf erfolgte falsche Auskunft, die ein Vertrauen begründet haben könnte, wäre spätestens beim Wechsel ab dem 1.1.2015 zur F AöR entfallen.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt. Er beruft sich auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, Divergenz sowie einen Verfahrensmangel (Revisionszulassungsgründe gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 bis 3 SGG).
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist. Keiner der in § 160 Abs 2 SGG genannten Gründe wird in der Beschwerdebegründung nach Maßgabe des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.
1. Der Kläger hat den Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsache nicht hinreichend dargelegt.
Eine Rechtssache hat nur dann iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Zur ordnungsgemäßen Bezeichnung dieses Revisionszulassungsgrunds muss der Beschwerdeführer daher eine Rechtsfrage benennen und zudem deren (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 4 mwN; s auch Fichte in Fichte/Jüttner, SGG, 3. Aufl 2020, § 160a RdNr 32 ff). Diesen Anforderungen wird das Vorbringen des Klägers nicht gerecht.
Der Kläger formuliert als Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung:
1. |
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"Ist eine Auslegung ggf. nach § 133 BGB analog geboten, wenn der wahre Wille des Erklärenden feststeht und in einem Rechtsstreit geäußert wurde?" |
2. |
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"Besteht die Möglichkeit einer Auslegung eines Verwaltungsaktes/Willenserklärung auch dann, wenn der Wille bei Abgabe der Willenserklärung/Erlass eines Verwaltungsaktes feststeht?" |
Insoweit fehlt es an einer den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG genügenden Darlegung der Klärungsbedürftigkeit. Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist (vgl zB BSG Beschluss vom 28.10.2015 - B 6 KA 12/15 B - SozR 4-2500 § 116 Nr 11 RdNr 5 mwN). In der Beschwerdebegründung muss deshalb unter Auswertung der Rechtsprechung des BSG und - soweit einschlägig - der anderen obersten Bundesgerichte bzw des BVerfG zu dem Problemkreis substantiiert vorgebracht werden, dass zu diesem Fragenbereich noch keine Entscheidung gefällt oder durch die schon vorliegenden Urteile und Beschlüsse die hier maßgebende Frage von grundsätzlicher Bedeutung noch nicht beantwortet worden ist (vgl BSG Beschluss vom 15.12.2020 - B 5 RE 11/20 B - juris RdNr 11).
Der Kläger trägt zu Rechtsfrage (1) lediglich vor, sie betreffe eine Vielzahl von Fällen, da sie grundsätzlicher Natur sei. Das BSG habe bei der "Auslegung der vorgenannten Normen" bisher § 133 BGB nicht direkt oder analog, sondern nur dem Rechtsgedanken nach angewendet. Dazu nimmt er ausschließlich auf das Urteil des Senats vom 13.12.2018 (B 5 RE 1/18 R - BSGE 127, 147 = SozR 4-2600 § 6 Nr 18, RdNr 49) Bezug. Die Entscheidung betont in Übereinstimmung mit dem Schrifttum (zB Siewert in Diering/Timme/Stähler, SGB X, 5. Aufl 2019, § 31 RdNr 30; Engelmann in Schütze, SGB X, 9. Aufl 2020, § 31 RdNr 42 ff; s auch Singer in Staudinger, § 133 BGB RdNr 8, Neubearbeitung 2017), dass es bei der Auslegung eines Verwaltungsakts entsprechend dem in § 133 BGB ausgedrückten allgemeinen Rechtsgedanken nicht auf den Buchstaben, sondern auf den wirklichen Willen der Behörde bzw des Verwaltungsträgers ankommt, "soweit er im Bescheid greifbar seinen Niederschlag gefunden hat" (BSG Urteil vom 13.12.2018 aaO). Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dieser und weiteren einschlägigen Entscheidungen enthält die Beschwerdebegründung nicht im Ansatz. Dass der Kläger das Ergebnis der Auslegung des LSG in seinem Fall für falsch hält, kann nicht zur Zulassung der Revision führen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 15.12.2020 - B 5 RE 11/20 B - juris RdNr 7 mwN).
Zu Frage (2) führt der Kläger aus, es komme hierbei nicht darauf an, ob das LSG "falsch" entschieden habe. Es stehe außer Frage, dass nachgelagerte Fragestellungen wie zB der Antrag oder Ähnliches für eine Auslegung herangezogen werden könnten, doch habe das mit der Ermittlung des wirklichen Willens nichts zu tun; dies habe das LSG verkannt. Eine im Lichte bereits vorhandener höchstrichterlicher Rechtsprechung weiterhin klärungsbedürftige Rechtsfrage lässt sich dem nicht entnehmen.
2. Der Kläger hat auch das Vorliegen einer Rechtsprechungsabweichung nicht hinreichend bezeichnet.
Eine Divergenz iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG liegt vor, wenn das angefochtene Urteil seiner Entscheidung einen abstrakten Rechtssatz zugrunde legt, der von einem zu derselben Rechtsfrage entwickelten abstrakten Rechtssatz in einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht. Dass diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist in der Beschwerdebegründung im Einzelnen darzulegen (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Hierzu sind die betreffenden Rechtssätze einander gegenüberzustellen; zudem ist näher zu begründen, weshalb diese nicht miteinander vereinbar sind und inwiefern die Entscheidung des LSG auf der Abweichung beruht (stRspr; vgl BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 17; BSG Beschluss vom 19.7.2012 - B 1 KR 65/11 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 32 RdNr 21). Nicht ausreichend ist hingegen, wenn die fehlerhafte Anwendung eines als solchen nicht in Frage gestellten höchstrichterlichen Rechtssatzes durch das Berufungsgericht geltend gemacht wird (bloße Subsumtionsrüge), denn nicht die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall, sondern nur eine Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen ermöglicht die Zulassung der Revision wegen Divergenz (stRspr; zB BSG Beschluss vom 7.5.2020 - B 5 R 46/20 B - juris RdNr 4 mwN). Diesen Darlegungserfordernissen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
a) Eine Divergenz sieht der Kläger zunächst darin begründet, dass das LSG Vertrauensschutz zu seinen Gunsten im Hinblick auf eine "gegebenenfalls bestehende falsche Auskunft" der Beklagten im Jahr 2000 verneint hat, weil ein solches Vertrauen spätestens beim Wechsel zur F AöR zum 1.1.2015 entfallen sei. Der Kläger hält diese Begründung für "nicht tragfähig" und meint, das LSG weiche damit auch vom Urteil des BSG vom 31.10.2012 ("B 12 R/11 R" - gemeint ist wohl das Urteil zum Az B 12 R 3/11 R - BSGE 112, 108 = SozR 4-2600 § 6 Nr 9, RdNr 32 ff) ab. Er entnimmt dem genannten BSG-Urteil den Rechtssatz, dass es unerheblich sei, ob eine Auskunft mündlich oder schriftlich erteilt worden sei. Einen abstrakten Rechtssatz des LSG, mit dem es von dem genannten Rechtssatz des BSG abweicht, benennt er aber nicht. Vielmehr legt er ausdrücklich dar, das LSG habe den Nachweis der von ihm behaupteten Auskunft der Beklagten nicht als entscheidend angesehen, weil Vertrauen, das gegebenenfalls aufgrund einer falschen Auskunft begründet worden sein könnte, spätestens beim Wechsel zur F AöR wieder entfallen wäre. Daraus wird nicht ersichtlich, dass das LSG der Aussage zur schriftlichen oder auch mündlichen Erteilung einer Auskunft widersprochen hätte.
b) Weiterhin rügt der Kläger, das LSG habe verkannt, dass sich sein Beweisangebot "nicht auf die Frage einer Antragstellung, sondern auf die Bestätigung des Gewollten bei Abgabe der Erklärung durch die Beklagte" bezogen habe. Auch insoweit bezeichnet er jedoch keinen Rechtssatz, den das LSG abweichend von einem Rechtssatz des BSG aufgestellt hat, sondern rügt lediglich eine fehlerhafte Rechtsanwendung des LSG in seinem Einzelfall.
c) Auch der Vortrag zu einer Abweichung von der Rechtsprechung des BSG bezüglich der Auslegung von Bescheiden und Willenserklärungen enthält nur eine unbeachtliche Subsumtionsrüge. Der Kläger führt zwar verschiedene Aussagen des BSG zur Auslegung von Formularbescheiden an (Urteile vom 22.3.2018 - B 5 RE 5/16 R - SozR 4-2600 § 6 Nr 16, vom 13.12.2018 - B 5 RE 1/18 R - BSGE 127, 147 = SozR 4-2600 § 6 Nr 18 und vom 23.9.2020 - B 5 RE 6/19 R - zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen), benennt aber keinen vom LSG aufgestellten abstrakten Rechtssatz, mit dem es von der Rechtsprechung des BSG abweicht. Der Kläger trägt vielmehr selbst vor, das LSG habe die Rechtsprechung des BSG "unrichtig dergestalt angewendet, dass die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts in Bezug auf gänzlich andere Sachverhalt(e) unrichtig auf einen divergierenden Sachverhalt angewendet wurde". Die darin enthaltene Behauptung, das Berufungsurteil sei aufgrund einer unrichtigen Ausführung der Vorgaben der höchstrichterlichen Rechtsprechung fehlerhaft, kann jedoch nicht zur Zulassung der Revision wegen Divergenz führen (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 27.3.2020 - B 10 ÜG 17/19 B - juris RdNr 15 mwN).
d) Mit seinem Vorbringen unter Ziffer III Nr 1 der Beschwerdebegründung legt der Kläger ebenfalls keine Rechtsprechungsabweichung iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG dar. Sein Vorhalt, das LSG habe in mehrfacher Hinsicht gegen die Rechtsprechung des BSG verstoßen, zeigt keine abstrakt-generellen Rechtssätze auf, mit denen das Berufungsgericht entsprechenden Rechtssätzen des BSG im Grundsätzlichen widersprochen habe. Der Vortrag geht über den Vorwurf einer unrichtigen Rechtsanwendung im Einzelfall nicht hinaus.
3. Auch einen Verfahrensmangel hat der Kläger nicht hinreichend bezeichnet.
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG), so müssen zur Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
a) Der Kläger rügt zunächst, das LSG sei ohne tragfähige Begründung seinem Beweisangebot zu einer im Jahr 2000 durch die Beklagte erteilten Auskunft nicht nachgegangen. Wird ein Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG) gerügt, muss die Beschwerdebegründung hierzu jeweils folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Beschwerdegericht ohne Weiteres auffindbaren und bis zum Schluss aufrechterhaltenen prozessordnungsgemäßen Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3) Darlegung der von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, (4) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (5) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterlassenen Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (stRspr; vgl BSG Beschluss vom 22.9.2020 - B 5 R 161/20 B - juris RdNr 6 mwN).
Der Kläger benennt schon keinen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag, den er vor dem LSG gestellt und bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung zu Protokoll aufrechterhalten hat (zu diesem Erfordernis vgl BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN; BSG Beschluss vom 18.11.2020 - B 13 R 88/19 B - juris RdNr 13 mwN). Er verweist (auf Seite 2 der Beschwerdebegründung) lediglich auf seine Schriftsätze "nebst Beweisantritte vom 02.01.2019" bzw vom "28.09.2019". Soweit er damit den Schriftsatz vom 28.9.2020 im Berufungsverfahren in Bezug nimmt, wird dort ausgeführt, was die Beklagte bei Erlass des Bescheids vom 27.12.1999 mit der ausgesprochenen Befreiung beabsichtigt habe; ein Beweismittel hierfür ist nicht benannt (zum notwendigen Inhalt eines prozessordnungsgemäßen Beweisantrags vgl BSG Beschluss vom 26.9.2019 - B 5 R 268/18 B - juris RdNr 9). Im Schriftsatz vom 2.1.2019 an das SG wird die Ehefrau des Klägers vorsorglich als Zeugin dafür benannt, dass der Kläger im Jahr 2000 anlässlich eines Arbeitgeberwechsels bei der Beklagten angerufen und die Auskunft erhalten habe, "dass kein neuer Antrag erforderlich sei". Selbst wenn insoweit die Voraussetzungen eines Beweisantrags erfüllt sein sollten (vgl § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 373 ZPO), ist dem Vortrag des Klägers nicht zu entnehmen, dass er diesen Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG zu Protokoll aufrechterhalten habe. Auch mit der Rüge (auf Seite 14 der Beschwerdebegründung), das LSG hätte den Willen der Beklagten bei Erlass des Bescheids ermitteln und dabei die Angaben der Vertreterin der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem SG berücksichtigen müssen, wird kein prozessordnungsgemäßer und bis zum Schluss zu Protokoll aufrechterhaltener Beweisantrag benannt. Im Kern wendet sich der Kläger wiederum gegen die rechtliche Bewertung des LSG im Einzelfall, die mit der Nichtzulassungsbeschwerde nicht angegriffen werden kann.
b) Der Kläger bezeichnet auch den Verfahrensmangel einer Überraschungsentscheidung nicht in der erforderlichen Weise. Dabei ist ohne Bedeutung, dass er als verletzte Verfahrensnorm nicht § 62 SGG anführt, sondern "§ 139 Abs. 2 BGB i.V.m. § 202 SGG" bzw "§ 139 ZPO". Eine auch nach § 62 SGG unzulässige Überraschungsentscheidung liegt vor, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine unerwartete Wende gibt, mit der auch ein gewissenhafter Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verfahrensverlauf selbst unter Berücksichtigung mehrerer vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen brauchte (vgl zu den Darlegungsanforderung etwa BSG Beschluss vom 21.1.2020 - B 13 R 287/18 B - juris RdNr 11 ff mwN).
Der Kläger erachtet es als überraschend, dass das LSG seinem Vortrag im Klage- und Berufungsverfahren, die Reichweite der am 27.12.1999 erteilten Befreiung sei ausschließlich danach zu bestimmen, was die Beklagte bei Erlass des Bescheids wirklich gewollt habe, nicht gefolgt sei. Das Berufungsgericht sei verpflichtet gewesen, ihm einen rechtlichen Hinweis zu geben, bevor es eine Entscheidung treffe, die von seiner Rechtsauffassung abweiche oder einen rechtlichen Gesichtspunkt anders beurteile als beide Beteiligten. Einen allgemeinen Verfahrensgrundsatz, der das Gericht verpflichtet, die Beteiligten vor einer Entscheidung auf eine in Aussicht genommene Beweiswürdigung hinzuweisen oder die für die richterliche Überzeugungsbildung leitenden Gesichtspunkte vorab mit den Beteiligten zu erörtern, gibt es nicht (vgl BSG Beschluss vom 4.7.2013 - B 2 U 79/13 B - SozR 4-1500 § 62 Nr 15 RdNr 5). Warum hier ausnahmsweise anderes gelten sollte, legt der Kläger nicht dar. Er zeigt auch eine übereinstimmende Rechtsauffassung der Beteiligten iS des § 139 Abs 2 Satz 2 ZPO nicht nachvollziehbar auf. Zwar behauptet er pauschal, dass das bei Erlass des genannten Bescheids Gewollte für Kläger und Beklagte "unstreitig" gewesen sei, macht dazu aber keine näheren Angaben. Insbesondere gibt er das Schreiben der Beklagten vom 19.6.2020, aus dem er schlussfolgert, dass der entscheidungserhebliche Sachverhalt zwischen den Beteiligten "unstreitig feststehe", nicht wieder. Schließlich ist nach seinem Vortrag bereits vor dem SG die Auslegung des Befreiungsbescheids durch die Beteiligten erörtert worden. Inwiefern die Bewertung des LSG für den Kläger dennoch völlig unerwartet gewesen sein konnte, ist nicht nachvollziehbar dargelegt. Darauf, dass das LSG der Rechtsauffassung des Klägers nicht gefolgt ist, kann die Gehörsrüge nicht zulässig gestützt werden. Das Recht auf rechtliches Gehör gebietet nur, dass die Gerichte die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis nehmen und in Erwägung ziehen; es verpflichtet sie aber nicht, der Rechtsansicht eines Beteiligten zu folgen (BVerfG Beschluss vom 8.4.2014 - 1 BvR 2933/13 - NZS 2014, 539 RdNr 13 mwN).
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 und 4 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI14423909 |