Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Urteil vom 07.09.2021; Aktenzeichen L 20 KR 286/19)

 

Tenor

Das Ablehnungsgesuch des Klägers wird als offensichtlich unzulässig verworfen.

Die Revision und die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 22. September 2022 werden als unzulässig verworfen.

Die Anträge des Klägers, ihm für die genannten Verfahren vor dem Bundessozialgericht Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwalt J aus B beizuordnen, werden abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Revisions- und Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Revisions- und Beschwerdeverfahren wird auf 1100 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I

Mit Urteil vom 22.9.2022 hat das LSG als Entschädigungsgericht festgestellt, dass das vor dem LSG Berlin-Brandenburg unter den Aktenzeichen L 10 AS 1092/16, L 20 AS 1092/16 und zuletzt L 5 AS 1092/16 geführte Verfahren (Ausgangsverfahren), welches erst nach Verwerfung von Rechtsmitteln durch das BSG endete, eine unangemessene Dauer hatte. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen, weil der allein durch die Verfahrensdauer eingetretene immaterielle Nachteil durch die Feststellung der Überlänge hinreichend kompensiert sei.

Bezogen auf dieses Urteil hat der Kläger selbst beim BSG "Nichtzulassungsbeschwerde bezüglich der Revision bzw. Revision (Prozesskostenhilfeantrag)" eingelegt.

II

1. Der Senat kann in der aus dem Rubrum ersichtlichen geschäftsverteilungsplanmäßigen Besetzung entscheiden, weil das Ablehnungsgesuch des Klägers offensichtlich unzulässig ist.

Wie in der Rechtsprechung der obersten Bundesgerichtshöfe und des BVerfG anerkannt ist, dürfen rechtsmissbräuchliche oder gänzlich untaugliche Ablehnungsgesuche ausnahmsweise im vereinfachten Ablehnungsverfahren in der geschäftsplanmäßigen Besetzung des Gerichts unter Beteiligung der abgelehnten Richter behandelt werden, wenn für die Verwerfung als unzulässig jedes Eingehen auf den Gegenstand des Verfahrens entbehrlich ist. Dies ist der Fall, wenn das Gericht einen offensichtlichen Missbrauch des Ablehnungsrechts für sachfremde Zwecke verhindern will oder lediglich eine bloße Formalentscheidung über ein offensichtlich unzulässiges Gesuch trifft, die keine Beurteilung des eigenen Verhaltens durch die entscheidenden Richter und kein Eingehen auf den Verfahrensgegenstand erfordert (stRspr; zB BSG Beschluss vom 23.2.2022 - B 9 SB 74/21 B - juris RdNr 13 mwN). Ein Ablehnungsgesuch kann ua dann als unzulässig abgelehnt werden, wenn es keinen oder nur einen von vornherein völlig ungeeigneten Ablehnungsgrund nennt (§ 60 Abs 1 SGG iVm § 44 Abs 2 Satz 1 ZPO), zB wenn keine substantiierten Tatsachen vorgetragen werden oder nur Tatsachen, die eine Befangenheit unter keinem denkbaren Gesichtspunkt begründen lassen (BSG Beschluss vom 7.11.2017 - B 10 ÜG 21/17 C - juris RdNr 5 mwN).

Mehr als eine solche bloße Formalentscheidung braucht der Senat vorliegend über das Ablehnungsgesuch des Klägers nicht zu treffen. Es beschränkt sich auf die Behauptung einer globalen Befangenheit aller Rechtsprechungsorgane und den Hinweis, dass der Kläger den einzelnen Richtern nie ein Mandat erteilt habe. Irgendwelchen substantiierten und individualisierten Tatsachenvortrag zu einer möglichen Befangenheit einzelner Richter enthält das Gesuch nicht und ist im Übrigen auch sonst nicht erkennbar.

2. Die vom Kläger selbst ausdrücklich eingelegte Revision ("es ist auch Revision beantragt und hiermit erhoben") und Nichtzulassungsbeschwerde ("erhebt […] Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision als Rechtsmittel") entsprechen nicht den zwingenden gesetzlichen Formvorschriften und sind deshalb ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen (vgl § 169 Satz 2 und 3 SGG).

3. Dem hilfsweise gestellten Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) ist nicht stattzugeben. Nach § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Abs 1 Satz 1 ZPO kann einem Beteiligten für das Verfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Das ist hier nicht der Fall. Es ist nicht zu erkennen, dass ein zugelassener Prozessbevollmächtigter (§ 73 Abs 4 SGG) in der Lage wäre, die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in der angegriffenen Entscheidung erfolgreich zu begründen.

Hinreichende Erfolgsaussicht hätte die Nichtzulassungsbeschwerde nur, wenn einer der in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe mit Erfolg geltend gemacht werden könnte. Die Revision darf danach nur zugelassen werden, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG), das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG).

Nach Durchsicht der Akten und unter Berücksichtigung der seitenmäßig umfangreichen Rechtsmittelschrift des Klägers vom 25.10.2022 fehlen nach der im PKH-Verfahren gebotenen summarischen Prüfung hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass ein vor dem BSG zugelassener Prozessbevollmächtigter einen der in § 160 Abs 2 Nr 1 bis 3 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe mit Erfolg darlegen oder bezeichnen könnte.

a) Die Sache bietet keine Hinweise für eine über den Einzelfall des Klägers hinausgehende grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG). Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Solche Rechtsfragen stellen sich hier nicht in entscheidungserheblicher Weise.

Die Frage, wie die einer Instanz zur Verfügung stehende, im Ausgangsverfahren vom BSG nicht ausgeschöpfte Vorbereitungs- und Bedenkzeit entschädigungsmindernd auf die vorhergehenden Instanzen zu übertragen ist (vgl zur grundsätzlichen Kompensationsmöglichkeit BSG Urteil vom 24.3.2022 - B 10 ÜG 4/21 R - BSGE 134, 32 = SozR 4-1720 § 198 Nr 21, RdNr 33 ff ≪vorgesehen≫), hat das Entschädigungsgericht durch die vollständige Verrechnung dieser Zeit mit Zeiten der Inaktivität allein des SG beantwortet. Die Inaktivitätszeiten während dieses Verfahrens in der Berufungsinstanz wurden hierdurch nicht gemindert. Da der Kläger im Entschädigungsverfahren ausschließlich einen Ausgleich wegen der Dauer des Ausgangsverfahrens in der Berufungsinstanz eingeklagt hat, ist er hierdurch nicht belastet und die genannte Frage für das angestrebte Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich.

Demgegenüber ist die Frage, unter welchen Voraussetzungen von einer Entschädigung in Geld abgesehen werden kann und eine Wiedergutmachung in sonstiger Weise ausreicht (§ 198 Abs 2 Satz 2 GVG), durch die im angegriffenen Urteil zitierte Rechtsprechung des BSG (zB BSG Urteil vom 12.12.2019 - B 10 ÜG 3/19 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 18 RdNr 40 mwN) bereits umfassend geklärt. Mit dem Vortrag, entgegen den Ausführungen in der angegriffenen Entscheidung habe das Ausgangsverfahren für ihn eine sehr hohe Bedeutung gehabt, wendet sich der Kläger gegen die Anwendung dieser Grundsätze auf seinen Einzelfall. Hierauf kann aber eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ebenso wenig gestützt werden, wie darauf, dass der Kläger die Entscheidung des LSG inhaltlich für unrichtig hält (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 6.7.2022 - B 10 EG 2/22 B - juris RdNr 10; BSG Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 4).

b) Es ist zudem nicht ersichtlich, dass das Entschädigungsgericht entscheidungstragend von der Rechtsprechung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abgewichen sein könnte (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) oder dass ein die Revisionszulassung rechtfertigender Verfahrensfehler des Entschädigungsgerichts vorliegen könnte. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG (Anhörung eines bestimmten Arztes) und § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG (hier als Entschädigungsgericht) ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Solche Verfahrensmängel lassen sich weder den Verfahrensakten noch dem Vorbringen des Klägers entnehmen.

Insbesondere der vom Kläger ausdrücklich gerügte Umstand, dass das Entschädigungsgericht "keine Entscheidung über das Ablehnungsgesuch vom 12. August 2022" getroffen hat, ist nicht geeignet, eine Nichtzulassungsbeschwerde erfolgreich zu begründen. Der erkennende Senat müsste auf eine solche Beschwerde hin selbst über den Antrag auf Ablehnung entscheiden und das Ablehnungsgesuch als offensichtlich unzulässig ansehen. Wenn eine Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch fehlt und - wie hier - die Tatsachenfeststellungen ausreichen, kann das Beschwerdegericht die Ablehnungsgründe prüfen und darüber entscheiden. Dem steht nicht entgegen, dass die abgelehnten Richter sich zum Inhalt des Ablehnungsgesuchs nicht geäußert haben (vgl BSG Beschluss vom 27.6.2019 - B 5 R 1/19 B - juris RdNr 9 f; BSG Beschluss vom 18.11.2009 - B 1 KR 74/08 B - SozR 4-1500 § 10 Nr 3 RdNr 20). Unzulässig ist ein Ablehnungsgesuch ua, wenn ein Beteiligter pauschal alle Mitglieder eines Spruchkörpers ablehnt, ohne konkrete Anhaltspunkte für eine Befangenheit der einzelnen Richter vorzutragen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 1.2.2022 - B 9 SB 62/21 B - juris RdNr 7; BSG Beschluss vom 19.1.2010 - B 11 AL 13/09 C - SozR 4-1500 § 60 Nr 7 RdNr 11). Dies gilt umso mehr, wenn ein Beteiligter - wie vorliegend - ein Gericht (als Ganzes) "im Allgemeinen und auch Speziellen grundsätzlich nicht mehr als unbefangen" ansieht und hierfür keine Gründe anführt, die einen konkreten Bezug zu einem einzelnen Richter des zur Entscheidung berufenen Spruchkörpers aufweisen.

c) Die Bewilligung von PKH für die bereits eingelegte Revision gegen das Urteil des LSG kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil die Revision vom LSG nicht zugelassen worden ist (vgl § 160 Abs 1 Alt 1 SGG).

d) Da dem Kläger keine PKH zusteht, kann er auch die Beiordnung eines Rechtsanwalts nicht beanspruchen (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO).

4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO.

5. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 47 Abs 1 Satz 2 und Abs 3, § 52 Abs 3 Satz 1, § 63 Abs 2 Satz 1 GKG. Insoweit war zu berücksichtigen, dass der Kläger vor dem LSG eine Entschädigung in Geld von 1100 Euro beantragt hat.

Kaltenstein

Othmer

Ch. Mecke

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15741831

Dieser Inhalt ist unter anderem im SGB Office Professional enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge