Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundwehrdienst in der DDR Beitragszeit?
Orientierungssatz
Der 11. BSG-Senat fragt beim 5b. BSG-Senat an, ob dieser an der in seinem Urteil vom 9.9.1982 - 5b/5 RJ 168/80 - (BSGE 54, 93 = SozSich 1983, 63) vertretenen Ansicht festhält, daß die Zeit des in der DDR abgeleisteten Grundwehrdienstes, die nach dortigem Recht als versicherungspflichtige Tätigkeit gilt beziehungsweise als Versicherungszeit zählt, eine Beitragszeit iS des § 15 Abs 1 S 1 FRG ist.
Normenkette
FRG § 15 Abs 1 S 1
Tatbestand
In der dem 11. Senat vorliegenden Revisionssache 11 RA 40/83 ist streitig, ob der Grundwehrdienst bei der Nationalen Volksarmee (NVA) der DDR als Beitragszeit im Sinne des § 15 Abs 1 Satz 1 Fremdrentengesetz (FRG) bei der Herstellung von Versicherungsunterlagen zu berücksichtigen ist.
Der im Jahre 1946 geborene Kläger ist 1978 in den Geltungsbereich des FRG aus der DDR übergesiedelt. Dort hatte er nach einer versicherungspflichtigen Beschäftigung vom 7. bis 16. Oktober 1966 vom 1. November 1966 bis zum 30. April 1968 seinen Grundwehrdienst bei der NVA abgeleistet. Er begehrt im Verfahren zur Herstellung von Versicherungsunterlagen die Anerkennung des Grundwehrdienstes. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen; das Landessozialgericht (LSG) hat die Beklagte verurteilt, die streitige Zeit als Beitragszeit iS des § 15 FRG zu berücksichtigen. Nach dem Recht der DDR gelte die Dienstzeit als versicherungspflichtige Tätigkeit, die auf die Rente angerechnet werde; der Beitragszahlung stehe es gleich, daß Mittel aus dem Staatshaushalt zur Deckung der Renten aufgebracht würden. Hierzu hat sich das LSG auf das oben bezeichnete Urteil des 5b Senats vom 9. September 1982 bezogen.
Mit der Revision wendet die Beklagte ein, der 11. und 4. Senat des Bundessozialgerichts -BSG- (SozR 5050 § 15 Nrn 14 und 18) hätten bei gleichen Umständen Zeiten des gesetzlichen Grundwehrdienstes in Rumänien nicht als Beitragszeiten anerkannt; es gebe keinen Grund, den Grundwehrdienst der DDR anders zu behandeln.
Hinsichtlich der streitigen Zeit des Grundwehrdienstes hat das LSG festgestellt, daß für den Kläger keine Beiträge zur Sozialversicherung der DDR entrichtet wurden, weil der Wehrsold nicht der Beitragspflicht zur Sozialversicherung unterliege und für die Dauer des Grundwehrdienstes die Beitragszahlung zur Sozialversicherung aus einer vorher begonnenen Beschäftigung ruhe (§§ 1 und 3 der Besoldungsverordnung vom 24. Januar 1962, Gesetzblatt der DDR 1962 Teil II, S 49). Trotz fehlender Beitragszahlung gelte die Dienstzeit als versicherungspflichtige Tätigkeit (§ 2 Abs 2 Buchst b der Verordnung über die Gewährung und Berechnung von Renten der Sozialversicherung - Rentenverordnung - vom 4. April 1974).
Die Feststellung des LSG, für die streitige Dienstzeit seien keine Beiträge zur Sozialversicherung der DDR entrichtet worden - und an anderer Stelle - jedoch würden die Leistungen aus der Rentenversicherung in der DDR durch den Staatshaushalt mitfinanziert, sind dahin zu verstehen, daß für die Dienstzeit weder ein individueller noch ein Pauschalbeitrag entrichtet wurde, der irgendeine Beziehung zur streitigen Dienstzeit hat.
Die Feststellungen des LSG stimmen im Ergebnis - auch unter Einbeziehung weiterer vom LSG nicht angewandter Vorschriften - mit der Rechtslage überein. Auch nach § 1 Abs 3 der Besoldungsverordnung idF der zweiten Änderungsverordnung vom 11. November 1965 (Gesetzblatt der DDR Teil II S 821) unterlag der Wehrsold (einschließlich gezahlter Zuschläge) nicht der Beitragspflicht zur Sozialversicherung, hier: zur Rentenversicherung. Nach § 3 Abs 1 ruhte für die Dauer des Grundwehrdienstes die Beitragszahlung zur Sozialversicherung; die Leistungsansprüche blieben jedoch erhalten (Satz 1). Während dieser Zeit werden durch die Sozialversicherung an die Wehrpflichtigen keine Geldleistungen gewährt (Satz 2), was sich nicht auf den Wehrsold, sondern auf die Beitragspflicht aus einem früheren Arbeitsverhältnis bezog, das nach § 2 Abs 1 der Verordnung über die Förderung der aus dem aktiven Wehrdienst entlassenen Angehörigen der nationalen Volksarmee vom 24. Januar 1962 (Gesetzblatt der DDR 1962 II S 53) für die Dauer des Grundwehrdienstes ruhte. Die Berücksichtigung der streitigen Dienstzeit im Rentenversicherungsrecht der DDR war schon vor der Rentenverordnung vom 4. April 1974 vorgesehen; in dem zur Zeit des hier streitigen Wehrdienstes von November 1966 bis April 1968 geltenden § 3 Abs 1 der ersten Durchführungsbestimmung zur Besoldungsverordnung vom 24. Mai 1962 (Gesetzblatt der DDR 1962 II 355) war bereits bestimmt, daß die Zeit des Grundwehrdienstes für die Rentenberechnung der Sozialversicherung als Versicherungszeit zählt.
Entscheidungsgründe
Der Senat hat die im Tenor bezeichnete Anfrage an den 5b Senat des BSG beschlossen, weil er von der oben bezeichneten Entscheidung dieses Senats abweichen will (§ 42 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Dabei geht er davon aus, daß in dem ihm vorliegenden Fall die Frage, ob "Beitragszeit" auch die Zeit des in der DDR abgeleisteten Grundwehrdienstes ist, die nach dortigem Recht als Versicherungszeit zählte, bzw nach der Rentenverordnung 1974 als versicherungspflichtige Tätigkeit gilt, entscheidungserheblich ist. Der Senat will dem LSG darin folgen, daß auf den Kläger gemäß § 17 Abs 1 Buchst a FRG § 15 FRG Anwendung findet; er sieht jedoch anders als das LSG einen Zuschuß aus dem Staatshaushalt zur Deckung der Renten nicht als Beitragsleistung im Sinne des § 15 Abs 1 FRG an und müßte dann diese allein in Betracht kommende Anspruchsgrundlage verneinen mit der Folge, daß das Berufungsurteil aufzuheben und das klageabweisende Urteil des Sozialgerichts wiederherzustellen wäre.
Das oben bezeichnete Urteil des 5b Senats vom 9. September 1982, mit dem der 5b Senat den Grundwehrdienst der DDR als Beitragszeit anerkannt hat, beantwortet in den tragenden Gründen dieselbe Rechtsfrage im Sinne des § 42 SGG im umgekehrten Sinne. Die Frage, ob der allgemeine Staatszuschuß zur Sozialversicherung hinsichtlich des Grundwehrdienstes als Beitragsleistung im Sinne des § 15 FRG anzuerkennen ist, kann hinsichtlich der vom 11. Senat zu beurteilenden Dienstzeit von November 1966 bis April 1968 nicht anderes beantwortet werden als zu der vom 5b Senat im angeführten Urteil beurteilten Dienstzeit von 1973 bis 1974. Ob es sich bei der Beurteilung des allgemeinen Staatszuschusses auch hinsichtlich des rumänischen Grundwehrdienstes um dieselbe Rechtsfrage handelt, kann offen bleiben, da der Senat insoweit an seiner auch vom 4. Senat geteilten Rechtsansicht festhalten will.
Der 11. Senat meint, daß der Staatszuschuß zur Deckung der Renten es nicht rechtfertigt, als Beitragszeit im Sinne des § 15 FRG die Zeit eines Grundwehrdienstes anzuerkennen, die zwar im Sinne des Leistungsrechts der Sozialversicherung als Versicherungszeit "zählt" oder "gilt", für die aber keine Beiträge entrichtet worden sind. Der Begriff der Beitragszeit in § 15 FRG erfordert eine Beitragsleistung, die in einem allgemeinen Staatszuschuß zur Deckung der Renten nicht erblickt werden kann. Nach § 15 Abs 1 Satz 1 FRG stehen die dort näher bezeichneten "Beitragszeiten" den nach Bundesrecht "zurückgelegten Beitragszeiten gleich". Schon die sich auf diesen Tatbestand beziehende Formulierung im folgenden Satz 2 "Beiträge entrichtet sind" zeigt, daß der Gesetzgeber in erster Linie, wenn nicht überhaupt nur an eine tatsächliche Beitragsentrichtung gedacht hat. Sie ist im Zusammenhang mit § 27 Abs 1 Buchst a des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) zu sehen, der Beitragszeiten definiert als Zeiten, für die nach Bundesrecht oder früheren Vorschriften der reichsgesetzlichen Angestelltenversicherung Beiträge wirksam entrichtet sind oder als entrichtet gelten (ähnlich § 1250 Abs 1 Buchst a der Reichsversicherungsordnung -RVO-). Es muß sich deshalb um Zeiten handeln, die den Beitragszeiten im Sinne von § 27 AVG vergleichbar sind. Hierzu reicht eine Berücksichtigung im Leistungsrecht nicht aus. Diese in der Rechtsprechung anerkannte Einschränkung würde praktisch jede Bedeutung verlieren, wenn die Berücksichtigung im Leistungsfalle zusammen mit einem Staatszuschuß zur Deckung der Renten ausreichend wäre; es müßten zB alle in den Buchstaben b) bis p) des § 2 Abs 2 der DDR-Rentenverordnung 1974 aufgeführten Zeiten als "Beitragszeiten" anerkannt werden. Allgemeine Staatszuschüsse sind nicht nur in der DDR, sondern auch in vielen anderen Staaten üblich. Vielmehr ist ein irgendwie gestaltetes Beitragsaufkommen erforderlich, das nicht nur am Fehlbetrag des Haushalts der Sozialversicherungsträger ausgerichtet ist, sondern sich in irgendeiner Weise auf die Beitragszeit bezieht, wobei ein Anknüpfen an die Lohnsumme des Betriebes genügen kann (vgl BSGE 6, 263). Dabei ist zu berücksichtigen, daß im innerstaatlichen Recht Zeiten, für die Beiträge nicht entrichtet sind, aber als entrichtet gelten, die Ausnahme bilden und auf besondere Fälle (mit bestehender Versicherungspflicht) beschränkt sind. Hierzu gehört nicht der Wehrdienst. Dieser ist nach innerstaatlichem Recht seit dem 1. Januar 1957 gemäß § 2 Abs 1 Nr 8 AVG (§ 1227 Abs 1 Nr 6 RVO) eine Beitragszeit mit tatsächlicher Beitragsentrichtung (vgl § 112 Abs 4 Buchst d AVG = § 1385 Abs 4 Buchst d RVO iVm Abs 5 und der Rentenversicherungs-Pauschalbeitragsverordnung vom 19. März 1974 nunmehr idF vom 10. Mai 1982); zuvor war die Wehrdienst- und Kriegsdienstzeit Ersatzzeit und damit ebenfalls keine Zeit mit fiktiver Beitragsentrichtung.
Der 11. und der 4. Senat haben deshalb den Wehrdienst in Rumänien (für die Zeit von 1957 bis 1959 BSGE 50, 55 = SozR 5050 § 15 Nr 14; für die Zeit von 1952 bis 1955 SozR 5050 § 15 Nr 18) nicht als Beitragszeit angesehen, wobei ein allgemeiner Staatszuschuß zur Rentenversicherung vom LSG weder festgestellt noch verneint war.
Wenn der 1. Senat den Sinn des § 15 FRG darin gesehen hat, eine Entschädigung für eine verlorene und womöglich beitragsunabhängige Anwartschaft auf soziale Leistungen zu geben (BSGE 44, 221, 224), so kann das nur auf Zeiten bezogen werden, die als Beitragszeiten anzusehen sind (wobei es dann keine Rolle spielt, ob sie im Einzelfall die Anwartschaft im Herkunftsland erhöht hatten); im übrigen hatte dieses Urteil zur Dienstzeit eines Angehörigen der Volkspolizei einen Sachverhalt zum Gegenstand, der der sogenannten fiktiven Nachversicherung weitgehend vergleichbar ist. Die vom 5b Senat für seine entgegengesetzte Ansicht angeführte Entscheidung des 11. Senats vom 10. Dezember 1971 (SozR Nr 16 zu § 15 FRG) steht der beabsichtigten Entscheidung nicht entgegen; sie betrifft den Fall, daß eine kleine Gruppe (Vollstipendiaten) von Angehörigen eines Personenkreises, der einer mit einer Beitragsleistung verbundenen Versicherungspflicht unterworfen war, unter bestimmten Voraussetzungen beitragsfrei gestellt war, wobei die ausnahmsweise gewährte Beitragsfreiheit den Betroffenen nicht zum Nachteil gereichen sollte.
Fundstellen