Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 23.11.1988; Aktenzeichen L 12 Ar 152/85)

 

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Feststellung, daß seine Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 23. November 1988 – L 12 Ar 152/85 – derzeit weiterhin bei dem erkennenden Senat rechtshängig sei, und der Hilfsantrag, die Sache an das Landessozialgericht zurückzuverweisen, werden als unzulässig zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten dieses Verfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Mit Beschluß vom 9. Juni 1992 – 7 RAr 24/89 – hat der Senat die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen vom 23. November 1988 – L 12 Ar 152/85 – gemäß § 169 Sozialgerichtsgesetz (SGG) als unzulässig verworfen. Der Beschluß ist dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers am 29. Juni 1992 zugestellt worden.

Mit einem von seinem Prozeßbevollmächtigten unterzeichneten Schriftsatz vom 23. Juli 1992, beim Bundessozialgericht (BSG) eingegangen am 27. Juli 1992, hat der Kläger die Feststellung beantragt, daß die Revision derzeit weiterhin bei dem erkennenden Senat rechtshängig sei, und hilfsweise die Zurückverweisung der Sache an die Berufungsinstanz.

 

Entscheidungsgründe

II

Der Antrag des Klägers ist unzulässig. Eine Feststellung, wie sie der Kläger begehrt, ist im Gesetz nicht vorgesehen. Einer solchen Feststellung bedarf es auch nicht, weil sich aus dem nach § 169 SGG ergangenen Beschluß des Senats vom 9. Juni 1992 das Gegenteil ergibt. Die begehrte Feststellung träfe daher auch inhaltlich nicht zu. Denn Beschlüsse nach § 169 SGG beenden – nicht anders als gleichlautende Urteile – das Revisionsverfahren grundsätzlich endgültig.

Der Beschluß des Senats vom 9. Juni 1992 kann auf Grund des Vorbringens des Klägers vom BSG auch nicht aufgehoben werden. Es handelt sich nicht um eine Wiederaufnahmeklage iS von § 179 SGG, §§ 579, 580 Zivilprozeßordnung (ZPO), für die das Revisionsgericht zuständig wäre; denn der Kläger hat keine Wiederaufnahmegründe im Sinne der vorgenannten Vorschriften vorgetragen und sein Vorbringen hilfsweise nur als Gegenvorstellung bezeichnet. Eine Gegenvorstellung ist hier jedoch ebenfalls nicht gegeben.

Gemäß § 202 SGG iVm § 318 ZPO, die zusammen mit § 179 SGG, §§ 579, 580 ZPO eine abschließende gesetzliche Abwägung zwischen den Anforderungen der Rechtssicherheit und im öffentlichen Interesse an der Korrektur inhaltlich unrichtiger Gerichtsentscheidungen enthalten, ist ein Gericht, hier also das BSG, an die Entscheidung, die in den von ihm erlassenen Endurteilen enthalten ist, gebunden. Zwar ist im vorliegenden Falle kein Urteil, sondern ein Beschluß ergangen. Indessen tritt im Falle des § 169 SGG der dort in Satz 3 vorgesehene Beschluß lediglich an die Stelle des Urteils; er enthält eine uneingeschränkte Entscheidung über das vom Revisionsführer eingelegte Rechtsmittel. Die Bindung des Gerichts an seine Entscheidung kann indes nicht davon abhängen, ob – bei gleichem Inhalt – ein Urteil oder Beschluß ergangen ist (BSG SozR Nr 5 zu § 169 SGG; BFHE 89, 332; BGH Betrieb 1974, 1766). Die Vorschrift des § 318 ZPO greift hier also Platz. In der Rechtsprechung des BSG besteht allerdings Übereinstimmung dahin, das ungeachtet der Bindungswirkung ein Beschluß, durch den eine Revision wegen Fristversäumnis verworfen wurde, der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen unverschuldeter Fristversäumnis nicht entgegensteht (BSG SozR Nrn 6 und 31 zu § 67 SGG), es sei denn, daß über die Wiedereinsetzung schon zum Nachteil des Rechtsmittelführers entschieden worden ist (vgl BFHE 89, 332; 90, 454; BAG AP Nr 1 zu § 238 ZPO).

Ob ausnahmsweise in besonderen Fallgestaltungen Gegenvorstellungen gegen mit Rechtsmitteln nicht mehr anfechtbare Entscheidungen der Gerichte statthaft sind, braucht hier nicht entschieden zu werden. Wenn schlüssig gerügt wird, die Entscheidung des Gerichts beruhe tragend auf einem offenkundigen Verstoß gegen ein Verfahrensgrundrecht oder gegen die verfahrensrechtlichen Garantien eines anderen Grundrechts, liegt es von Verfassungs wegen zwar nahe, Gegenvorstellungen allgemein zuzulassen (vgl BVerfGE 73, 322, 327 ff mwN). Die Ausgestaltung des Prozeßrechts ist indes vor allem Aufgabe des Gesetzgebers. Daher bestehen erhebliche Bedenken, den Fachgerichten die Befugnis zuzuerkennen, sie bindende Urteile und Beschlüsse auf Gegenvorstellung abzuändern oder aufzuheben, ohne daß zuvor § 318 ZPO geändert worden ist oder eine iS von § 31 Abs 1 Bundesverfassungsgerichtsgesetz bindende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ergangen wäre (BSG SozR 3-1750 § 318 Nr 1).

Im vorliegenden Falle ist hierauf nicht näher einzugehen, weil der Kläger nicht dargelegt hat, daß der Beschluß des Senats vom 9. Juni 1992 auf einen offenkundigen Verstoß gegen verfassungsrechtlich gewährleistete Verfahrensgarantien verstößt.

Zu Unrecht beruft sich der Kläger auf einen Verstoß gegen die Gewährleistung des rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 Grundgesetz ≪GG≫), weil ihm nicht mitgeteilt worden sei, daß und welche Bedenken im einzelnen gegen die Zulässigkeit der Revision bestünden. Denn aus Art 103 Abs 1 GG folgt weder ein Anspruch auf ein Rechtsgespräch zwischen Beteiligten und Gericht noch eine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht des Richters (vgl BVerfGE 66, 116, 147; 67, 90, 96; 74, 1, 5 f). Daß er keine Gelegenheit hatte, zu dem die Entscheidung des Senats tragenden Gesichtspunkt Stellung zu nehmen, daß die Revisionsbegründung nicht von einer nach § 166 SGG vor dem BSG postulationsfähigen Person stammt, behauptet der Kläger nicht. Eine solche Behauptung hätte der Kläger wahrheitsgemäß auch nicht aufstellen können. Denn die Beklagte hatte in ihrer Revisionserwiderung vom 13. November 1989 schon auf diesen Gesichtspunkt breit hingewiesen und folgerichtig in erster Linie beantragt, die Revision deshalb als unzulässig zu verwerfen. Die durch Art 103 Abs 1 GG gewährleistete Möglichkeit, sich zu dem der gerichtlichen Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt vor dem Erlaß der Entscheidung zu äußern (BVerfGE 1, 418, 429; 19, 198, 201; 60, 1, 5), war damit gegeben. Der Kläger hat diese Möglichkeit auch wahrgenommen; denn er ist, wie in dem Beschluß vom 9. Juni 1992 erwähnt worden ist, den Ausführungen der Beklagten entgegengetreten. Die Entscheidung des Senats hat dem Rechtsstreit damit nicht eine neue Wendung gegeben, mit der die Beteiligten nicht zu rechnen brauchten.

Von einer Auseinandersetzung mit den übrigen vom Kläger vorgetragenen Einwendungen wird in entsprechender Anwendung des § 160a Abs 4 Satz 3 und des § 170 Abs 3 Satz 1 SGG abgesehen.

Ist die Gegenvorstellung hiernach nicht statthaft, verbleibt es bei der durch den Beschluß vom 9. Juni 1992 ausgesprochenen Verwerfung der Revision. Entsprechend ist die vom Kläger hilfsweise beantragte Zurückverweisung der Sache an das LSG ebenfalls unzulässig. Sind die Anträge des Klägers schon deshalb zu verwerfen, kann dahingestellt bleiben, ob die Anträge diesmal von dem postulationsfähigen Prozeßbevollmächtigten stammen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1174500

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