Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 4. März 1992 wird als unzulässig verworfen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten um die Kürzung der Altersrente des Klägers aus einem Zusatzversorgungssystem der ehemaligen DDR.
Mit dem, der Beklagten am 23. März 1992 zugestellten Urteil vom 4. März 1992 hat das Sozialgericht (SG) die Beklagte verurteilt, dem Kläger Altersrenten aus der Sozialversicherung und der Zusatzversorgung bzw aus der gesetzlichen Rentenversicherung mindestens in Höhe des Gesamtzahlbetrages zu gewähren; im übrigen hat das SG die Klage abgewiesen und die Sprungrevision zugelassen.
Mit Schriftsatz vom 6. April 1992, eingegangen bei dem Bundessozialgericht (BSG) am 7. April 1992, hat die Beklagte (Sprung-)Revision eingelegt und – so wörtlich -: „die Zustimmungserklärung des Klägers nach § 161 SGG vom 4. März 1992 in Form der uns übersandten Sitzungsniederschrift vom 4. März 1992 und einer Ablichtung von Blatt 15 des angefochtenen Urteils” beigefügt. Die Ablichtung der Sitzungsniederschrift, die nach dem Eingangsstempel bei der Beklagten am 6. März 1992 eingegangen war, enthält ebenso wie die übersandte Seite des Urteils keinen Beglaubigungsvermerk; sie trägt auch keine Unterschrift des Richters; auf S 2 der Sitzungsniederschrift werden unter den Urteilstenor maschinenschriftlich die Namen des Richters und der Urkundsbeamtin vermerkt, darunter steht: „Der Kläger erklärt seine Zustimmung zur Revisionseinlegung durch Beklagte. v.u.g.”. Unterschriften und/oder die Namen des Richters und der Protokollführerin fehlten unter diesem Vermerk. Am 27. April 1992 gingen die Akten des SG Berlin beim BSG ein.
Die Beklagte trägt zur Zulässigkeit der Sprungrevision vor:
Die von ihr übersandte Zustimmungserklärung sei formgerecht. Der Große Senat habe in seiner Entscheidung vom 30. Juni 1960 (BSGE 12, 230 ff) betont, daß im sozialgerichtlichen Verfahren keine übertriebene Formstrenge gelten solle. Darüber hinaus habe der 3. Senat am 13. Februar 1964 (BSGE 20, 154 ff) entschieden, daß dem Formerfordernis auch durch Überreichung einer unbeglaubigten Kopie der Sitzungsniederschrift genüge getan sei. Zudem sei § 126 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB), auf den der Große Senat (aaO) verwiesen habe, geändert worden. Nunmehr sei allein maßgebend, welcher Grad von Formstrenge nach den verfahrensrechtlichen Vorschriften zu fordern sei (BVerfGE 15, 288, 292). Dementsprechend habe der 5. Senat des BSG 1989 entschieden (SozR 2200 § 1268 Nr 33), daß dem gerichtlichen Protokoll ein hoher Beweiswert zukomme, da der Richter mit seiner Unterschrift die Gewähr für die Richtigkeit des Protokolls übernehme. Wenn nach der Entscheidung des 5. Senats des BSG (5b RJ 84/85) für das Schrifterfordernis des § 161 Abs 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) eine unbeglaubigte Fotokopie ausreichend sei, müsse dies um so mehr für eine vom SG übersandte Ausfertigung der Sitzungsniederschrift gelten, und zwar unabhängig davon, ob sie beglaubigt sei oder nicht, zumal Täuschungsmöglichkeiten in diesem Falle so gut wie ausgeschlossen seien.
Im übrigen sei für die fehlerhafte Sitzungsniederschrift das SG verantwortlich; für dessen Fehler hätten die Beteiligten nicht einzustehen. Dies sei für den Fall fehlerhafter Gerichtsentscheidungen, etwa bei der falschen Wahl der Entscheidungsform (Beschluß statt Urteil), entschieden worden. Anerkannt sei, daß der Rechtsweg weder ausgeschlossen noch in unzumutbarer Weise erschwert werden dürfe. Art 19 Abs 4 Grundgesetz (GG) garantiere – wie das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mehrfach entschieden habe (BVerfGE 35, 263, 274) –, nicht nur das formelle Recht und die theoretische Möglichkeit, die Gerichte anzurufen, sondern auch die Effektivität des Rechtsschutzes. Im vorliegenden Fall werde der Zugang zum BSG unnötigerweise durch die Formstrenge erschwert angesichts der Unwahrscheinlichkeit eines Mißbrauchs. Im übrigen könne eine fehlende Unterschrift jederzeit nachgeholt werden.
Der Kläger ist der Auffasung, die Revision sei unzulässig.
Entscheidungsgründe
II
Die vom SG zugelassene (Sprung-)Revision der Beklagten ist gemäß § 169 SGG als unzulässig zu verwerfen.
Die Beklagte hat das Rechtsmittel nicht in der gesetzlichen Form eingelegt. Dies wäre nur der Fall gewesen, wenn sie ihrer am 7. April 1992 bei dem BSG eingegangenen Revisionsschrift – bzw innerhalb der Revisionsfrist – eine den Erfordernissen des § 161 Abs 1 Satz 3 SGG genügende Zustimmung des Klägers zur Einlegung der Sprungrevision beigefügt hätte. Hierauf ist die Beklagte in der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Urteils hingewiesen worden. Die von der Beklagten übermittelte nicht beglaubigte Niederschrift der öffentlichen Sitzung vom 4. März 1992, die zudem lediglich einen nicht durch die Unterschrift des Richters gedeckten Vermerk über die Zustimmungserklärung enthält, entspricht nicht den Formerfordernissen.
Der Senat stützt sich auf die Entscheidung des Großen Senats vom 30. Juni 1960 (BSGE 12, 230, 233 ff, SozR Nr 14 zu § 161 SGG). Darin ist klargestellt, daß dem Erfordernis des § 161 Abs 1 Satz 1 SGG auch genügt ist, wenn der Revisionskläger innerhalb der Revisionsfrist eine beglaubigte Abschrift des Protokolls der mündlichen Verhandlung vorlegt, aus der sich ergibt, daß der Revisionsbeklagte der Einlegung der Sprungrevision zugestimmt hat. Wie das BSG (aa0) ausgeführt hat, ist alleiniger Zweck der Schriftform bei der Einwilligungserklärung, dem Revisionsgericht innerhalb der Revisionsfrist die notwendige Zustimmung des Rechtsmittelgegners zur Einlegung der Sprungrevision mit Sicherheit kundzutun; eine gerichtlich oder notariell beurkundete Erklärung biete – sogar – eine stärkere Sicherheit dafür, daß sie tatsächlich von dem Erklärenden stamme. Es trifft zwar zu, daß diese Entscheidung auf den durch das Beurkundungsgesetz vom 28. August 1969 (BGBl I, 1513) aufgehobenen § 126 Abs 3 BGB gestützt war, der den Ersatz der Schriftform durch gerichtliche Protokollierung vorgesehen hat; ferner trifft es zu, daß mittlerweile eine gefestigte Rechtsauffassung dahingehend besteht, daß § 126 BGB weder unmittelbar noch entsprechend auf Prozeßerklärungen angewendet werden kann (Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes ≪GmSOGB≫ SozR 1500 § 164 Nr 14). Dennoch hat die genannte Entscheidung des Großen Senats von 1960 weiterhin Gültigkeit (vgl Beschluß des Senats vom 9. November 1992 – 4 RA 19/92 –). Denn sie steht im Einklang mit der Entscheidung des GmSOGB (aa0) sowie den Ausführungen des BVerfG (BVerfGE 15, 288, 291) zur Formstrenge. Danach sind Verfahrensvorschriften nicht Selbstzweck; sie sollen vielmehr die einwandfreie Durchführung des Rechtsstreits unter Wahrung der Rechte aller Beteiligten sicherstellen und nicht behindern; die Schriftlichkeit soll demgemäß gewährleisten, daß aus dem Schriftstück der Inhalt der Erklärung, die abgegeben werden soll, und die Person, von der sie ausgeht, hinreichend zuverlässig entnommen werden können; außerdem soll die Schriftform gewährleisten, daß es sich bei dem Schriftstück nicht nur um einen Entwurf handelt, sondern daß es mit Wissen und Willen des Berechtigten dem Gericht zugeleitet worden ist. Somit gebietet die Rechtssicherheit, soweit möglich, jedem Zweifel bei der Feststellung vorzubeugen, ob eine für den Gang des Verfahrens wesentliche Prozeßerklärung, von der nach dem Gesetz dazu befugten Person auch tatsächlich abgegeben worden ist (vgl hierzu entsprechend BGHZ 92, 76, 77 f). Dies gilt auch für die Zustimmungserklärung, die Voraussetzung für die Zulässigkeit der Sprungrevision ist. Denn mit ihr verzichten die Beteiligten auf das Rechtsmittel der Berufung, also auf eine weitere Tatsacheninstanz (§ 161 Abs 5 SGG) und auf die Möglichkeit, Verfahrensmängel zu rügen (§ 161 Abs 4 SGG). Daher muß durch die Unterzeichnung Klarheit geschaffen werden, daß die Zustimmung innerhalb der Revisionseinlegungsfrist wirksam erklärt worden ist. Vom Eintritt späterer Umstände (wie etwa der Nachholung der Unterschrift oder einer Protokollberichtigung) darf dieser Nachweis nicht abhängig sein, sonst hätte das Erfordernis, die Zustimmung der fristgebundenen Revision beizufügen, keinen Sinn. Ein ordnungsgemäß nach § 122 SGG, §§ 159 f der Zivilprozeßordnung (ZPO) gefertigtes Protokoll dokumentiert in gleicher Weise wie eine handschriftliche Erklärung die Abgabe der Zustimmungserklärung (vgl § 415 ZPO). Die Vorlage kann auch in beglaubigter Abschrift erfolgen, wobei der Beglaubigungsvermerk seinerseits den Erfordernissen einer öffentlichen Urkunde entsprechen muß (§ 435 ZPO). Ohne diesen Beglaubigungsvermerk liegt keine öffentliche Urkunde vor, die nach § 415 Abs 1 ZPO den vollen Beweis für den beurkundeten Vorgang erbringt. Die Beklagte hat hier lediglich einen Durchschlag des Protokolls – ohne Unterschriften und ohne Beglaubigungsvermerk – vorgelegt. Es könnte sich dabei zB ebenso gut um einen nicht unterzeichneten und später verworfenen Entwurf des Protokolls handeln, der in die Hände der Beklagten gelangt ist. Da trotz Anforderung der Gerichtsakten die Akten des SG Berlin erst nach Ablauf der Revisionsfrist bei dem BSG eingegangen sind, ist bereits aus diesem Grunde – fristgerecht – der Nachweis einer ordnungsgemäßen Zustimmungserklärung nicht erbracht (vgl hierzu BSG SozR 1500 § 161 Nr 2).
Keinesfalls ist es ausreichend, die unbeglaubigte Kopie einer Seite des Urteils vorzulegen, auf der vermerkt ist, die Beteiligten hätten ihre Zustimmung zur Einlegung der Sprungrevision erklärt. Abgesehen vom eingeschränkten Beweis bei der unbeglaubigten Kopie ist es erforderlich, die Erklärung selbst vorzulegen (vgl Beschluß des 4. Senats in SozR 1500 § 161 Nr 8).
Einer Anrufung des Großen Senats bedarf es nicht, da der Senat nicht von einer Entscheidung anderer Senate abweicht. Soweit sich die Beklagte auf das Urteil des 3. Senats (BSGE 20, 154 ff = SozR Nr 17 zu § 161 SGG) sowie auf das Urteil des 5. Senats vom 9. September 1986 – 5b RJ 84/85 – beruft, liegt diesen Entscheidungen ein anderer Sachverhalt zugrunde. In diesen Fällen wurde die Zustimmungserklärung nicht – wie von der Beklagten angenommen – als Kopie der unbeglaubigten Sitzungsniederschrift vorgelegt, sondern als Kopie einer privatschriftlichen Erklärung (vgl Beschluß des Senats vom 9. November 1992, aaO). Schließlich weicht der Senat auch nicht vom Urteil des 5. Senats (SozR 2200 § 1268 Nr 33) ab. Die Rechtsfrage, ob auch eine unbeglaubigte Kopie der Sitzungsniederschrift als Beweis für die Zustimmungserklärung ausreicht, wurde vom 5. Senat ausdrücklich offengelassen.
Eine von der Beklagten nicht beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 67 SGG) ist in den Fällen, in denen die Zustimmungserklärung erst nach Ablauf der Revisionsfrist bei dem BSG eingeht, nicht zulässig (BSG SozR 1500 § 67 Nr 11). Ein derartiger Antrag wäre – andere Bedenken zurückgestellt – im übrigen auch deshalb abzulehnen, weil nicht festgestellt werden kann, daß die Beklagte ohne Verschulden gehindert war, eine formgerechte Zustimmungserklärung innerhalb der Revisionsfrist vorzulegen. Denn die Sitzungsniederschrift des SG Berlin ging – nach dem Eingangsstempel – bereits am 6. März 1992 bei ihr ein. Ihr stand somit ausreichend Zeit zur Verfügung, zu überprüfen, ob die Sitzungsniederschrift den Anforderungen des § 161 Abs 1 Satz 3 SGG entsprach. Der Beklagten hätte dabei auffallen müssen, daß weder ein Beglaubigungsvermerk angebracht war noch die Unterschrift des Richters sich unter dem Vermerk über die Zustimmung zur Einlegung der Sprungrevision befand. Sie hätte noch ausreichend Zeit gehabt, die fehlenden Unterschriften nachholen zu lassen und sodann – darüber hinaus -eine beglaubigte Abschrift der Sitzungsniederschrift anzufordern und dem BSG zuzuleiten.
Das gleiche gilt für eine schriftliche Zustimmung des Gegners.
Im Hinblick auf die mit der Zustimmungserklärung des Revisionsbeklagten verbundenen Prozeßerklärungen (Verzicht auf das Rechtsmittel der Berufung und auf die Möglichkeit, Verfahrensmängel zu rügen) kann von einer einengenden, den Zugang zum Revisionsgericht erschwerenden unfairen und unzumutbaren Auslegung des § 161 Abs 1 SGG (vgl hierzu BVerfG NJW 1992 S 1496) nicht ausgegangen werden, zumal im Interesse des Revisionsklägers die og Rechtsprechung des BSG bereits Abweichungen von der strengen Schriftform zugelassen hat.
Nach alledem ist die Sprungrevision der Beklagten zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen