Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Nichtzulassungsbeschwerde. Verfahrensfehler. Untersuchungsmaxime. Einholung eines orthopädischen Sachverständigengutachtens zur Feststellung einer weiteren Arbeitsunfähigkeit bzw des Leistungsvermögens des Versicherten. kein Vorliegen einer hinreichend geklärten Tatsachenbasis. Zurückverweisung
Orientierungssatz
Wenn das Landessozialgericht die Einholung eines zur Aufklärung des Sachverhalts geeigneten und erforderlichen Sachverständigengutachtens ablehnt, obwohl dieses notwendig ist, weil keine hinreichende Tatsachenbasis vorliegt, ist dies verfahrensfehlerhaft.
Normenkette
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3, § 160a Abs. 5, 2 S. 3, § 103
Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 06.09.2012; Aktenzeichen L 5 KR 246/11) |
SG Trier (Urteil vom 08.09.2011; Aktenzeichen S 1 KR 134/10) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 6. September 2012 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
I. Der bei der beklagten Krankenkasse versicherte Kläger ist mit seinem Begehren auf Zahlung von Krankengeld (Krg) für die Zeit vom 19.10.2009 bis 2.2.2010 bei der Beklagten ohne Erfolg geblieben. Das SG hat die Beklagte zur Gewährung von Krg verurteilt (Urteil vom 8.9.2011). Das LSG hat auf die Berufung der Beklagten die Klage abgewiesen und zur Begründung ua ausgeführt, abzustellen sei auf die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Schaltanlagenmechatroniker oder eine gleichartige Tätigkeit. Nach der Arbeitsplatzbeschreibung des Klägers wie auch des Beschäftigungsbetriebs habe es sich hierbei um eine leichte bis mittelschwere Arbeit gehandelt, zu der der Kläger nach den erhobenen medizinischen Befunden, insbesondere dem Untersuchungsbefund der Gutachterin H., in der Lage gewesen sei (Urteil vom 6.9.2012).
Mit seiner Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil und macht eine Verletzung des § 103 SGG geltend.
II. Die zulässige Beschwerde der Klägerin ist begründet.
1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil ist zulässig. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Nach § 160a Abs 2 S 3 SGG muss der Verfahrensfehler bezeichnet werden.
Wer sich auf eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht des § 103 SGG stützt, muss danach in der Beschwerdebegründung einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen, dem das LSG nicht gefolgt ist. Er muss die Rechtsauffassung des LSG wiedergeben, aufgrund deren bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen und die von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände darlegen, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten. Zudem muss die Beschwerdebegründung das voraussichtliche Ergebnis der unterbliebenen Beweisaufnahme angeben und schildern, dass und warum die Entscheidung des LSG auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (BSG SozR 1500 § 160 Nr 5, 35, 45 und § 160a Nr 24, 34; BSG Beschluss vom 19.2.2008 - B 13 R 391/07 B - Juris RdNr 5 mwN).
Die Beschwerdebegründung genügt diesen Darlegungserfordernissen. Insbesondere legt der Kläger dar, dass der in dem vorbereitenden Schriftsatz vom 30.8.2012 gestellte Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung vom 6.9.2012 aufrecht erhalten worden ist. Zwar hat er dort ohne ausdrückliche Bezugnahme auf den früher gestellten Antrag vom 30.8.2012 nur "hilfsweise die Einholung eines orthopädischen Sachverständigengutachtens" beantragt und damit nicht ausdrücklich kenntlich gemacht, dass der schriftsätzliche Beweisantrag wiederholt werde (dazu BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 35; BSG Beschluss vom 3.3.1999 - B 9 VJ 1/98 B - Juris; BSG Beschluss vom 23.6.1998 - B 9 V 31/98 B - Juris); den näheren Umständen ist aber zu entnehmen, dass er den Antrag vom 30.8.2012 in der maßgebenden mündlichen Verhandlung weiter verfolgt hat. Der Antrag vom 30.8.2012 ist unmittelbar vor der mündlichen Verhandlung beim LSG eingegangen. Der ausweislich der Niederschrift vom 6.9.2012 hilfsweise gestellte Antrag auf Einholung eines orthopädischen Sachverständigengutachtens konnte deshalb auch ohne konkrete Bezugnahme nur als Wiederholung des zuvor gestellten schriftsätzlichen Beweisantrags verstanden werden.
2. Die Beschwerde ist auch begründet. Der Kläger beruft sich zu Recht darauf, dass sich das LSG verfahrensfehlerhaft nicht veranlasst gesehen hat, antragsgemäß Beweis durch einen Orthopäden darüber zu erheben, dass er "in der Zeit vom 19.10.2009 bis zum 2.2.2010 wegen Krankheit außerstande war, eine Tätigkeit zu verrichten, welche überwiegend im Stehen ausgeführt und gelegentlich eine gebückte Haltung erfordert und welche ein häufiges Heben und Tragen von Lasten bis zu sieben Kilogramm notwendig macht".
Das LSG durfte sich - nachdem es selbst bei der Fa N. und dem Kläger jeweils eine Arbeitsplatzbeschreibung eingeholt hatte - nicht allein darauf stützen, dass das Leistungsvermögen des Klägers durch das chirurgisch-sozialmedizinische Gutachten der Ärztin H. ausreichend geklärt sei, welches die Deutsche Rentenversicherung Rheinland-Pfalz anlässlich eines Antrags auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben eingeholt hatte. Das Gutachten bildet keine hinreichende Grundlage für eine richterliche Überzeugungsbildung. Denn die Ärztin H. hat in ihrem Gutachten Arbeitsfähigkeit des Klägers unter der Prämisse bejaht, dass der Kläger einer durchschnittlichen Belastung beim Heben und Tragen von Lasten von einem bis zwei Kilo ausgesetzt war und die Tätigkeit keine gebückte Arbeitshaltung erforderte. Demgegenüber hat das LSG die Arbeitsplatzbeschreibung des Klägers wie auch des Beschäftigungsbetriebs zugrunde gelegt. Hierzu gibt die Fa N. in der Arbeitsplatzbeschreibung an, dass ein häufiges Heben und Tragen von Lasten bis zu sieben Kilogramm sowie ab und an eine gebückte Haltung notwendig gewesen sei, um die Arbeit zu verrichten. Angesichts der unterschiedlichen Bewertung der Belastung am Arbeitsplatz hätte das LSG ein orthopädisches Sachverständigengutachten einholen müssen, um seine Entscheidung auf eine ausreichend geklärte Tatsachenbasis stützen zu können. Dieses ist auch im Übrigen geeignet, zur Klärung der Arbeitsunfähigkeit in der Zeit vom 19.10.2009 bis 2.2.2010 beizutragen. Wenn das LSG die Einholung eines zur Aufklärung des Sachverhalts geeigneten und erforderlichen Sachverständigengutachtens dennoch ablehnte, ist dies verfahrensfehlerhaft. Gegebenenfalls sind ergänzend weitere Behandlungsunterlagen beizuziehen und die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen zu befragen.
3. Nach § 160a Abs 5 SGG kann das BSG in dem Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverweisen, wenn die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliegen, was - wie ausgeführt - hier der Fall ist. Der Senat macht von dieser Möglichkeit Gebrauch.
4. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der Entscheidung des LSG vorbehalten.
Fundstellen