Verfahrensgang
LSG für das Saarland (Urteil vom 01.09.2016; Aktenzeichen L 1 R 153/12) |
SG für das Saarland (Entscheidung vom 21.11.2012; Aktenzeichen S 9 R 518/11) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 1. September 2016 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.
Gründe
Mit Urteil vom 1.9.2016 hat das LSG für das Saarland einen Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung verneint und die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des SG für das Saarland vom 21.11.2012 zurückgewiesen.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt. Er macht neben dem Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache, ein Abweichen des LSG-Urteils von einer Entscheidung des BSG sowie Verfahrensmängel geltend (§ 160 Abs 2 Nr 1 bis 3 SGG).
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist.
Die Revision ist nur zuzulassen, wenn
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG),
- das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (aaO Nr 2) oder
- ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (aaO Nr 3).
Derartige Gründe werden in der Beschwerdebegründung nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 S 3 SGG dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.
1. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Diesen Anforderungen wird die vorliegende Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Der Kläger hält die Frage für grundsätzlich bedeutsam,
"ob von einer Verschlossenheit des Arbeitsmarktes deshalb nicht auszugehen ist, weil Arbeitgeber nach der Arbeitsstättenverordnung Toilettenräume und ggf. auch Waschräume in unmittelbarer Nähe des Arbeitsplatzes vorzuhalten haben und die erforderlichen, zusätzlichen Toilettengänge noch im Rahmen der gesetzlich vorgeschriebenen Pausen und während der den Beschäftigten in der Regel eingeräumten persönlichen Verteilzeiten Rechnung zu tragen wäre."
Es gehe dem Kläger "mithin um die Rechtsfrage,
ob ein Versicherter bzgl. des Erfordernisses von zusätzlichen Toilettengängen, die darüber hinaus aus hygienischen und unter pflegerischen Aspekten häufig bis zu einer halben Stunde andauern, auf die Arbeitsstättenverordnung, mithin auf unverbindliche untergesetzliche Regelungen sowie auf eine betriebliche Arbeitszeitregelung verwiesen werden kann, die mit den gesetzlichen Vorgaben und im übrigen auch mit der sozialen Wirklichkeit nicht in Einklang zu bringen sind."
Schließlich erscheine die Frage von grundsätzlicher Bedeutung,
"ob der Versicherte bei 10 bis 12 erforderlichen Toilettengängen am Tag bei einer vollschichtigen Beschäftigung neben der Regelung des Arbeitszeitgesetzes, wonach den Beschäftigten lediglich eine Ruhepause von 30 Minuten, respektive 2 mal 15 Minuten zusteht, auch auf so genannte Verteilzeiten verwiesen werden darf, auf die kein Rechtsanspruch besteht".
Es kann dahinstehen, ob der Kläger damit zumindest eine aus sich heraus verständliche Rechtsfrage zur Auslegung einer revisiblen (Bundes-)Norm formuliert hat, an der das Beschwerdegericht die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen könnte (vgl dazu BSG Beschlüsse vom 2.3.2015 - B 12 KR 60/14 B - Juris RdNr 15 und vom 4.4.2016 - B 13 R 43/16 B - RdNr 6; Becker, SGb 2007, 261, 265; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, Kap IX RdNr 181). Denn es fehlt bereits an ausreichenden Darlegungen, dass diese Fragen klärungsbedürftig sind.
Eine "Rechtsfrage" ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist. Als höchstrichterlich geklärt ist eine Rechtsfrage auch dann anzusehen, wenn das Revisionsgericht bzw das BVerfG diese zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, jedoch schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17). Im Hinblick hierauf muss in der Beschwerdebegründung unter Auswertung der Rechtsprechung des BSG zu dem Problemkreis substantiiert vorgetragen werden, dass das BSG oder das BVerfG zu diesem Fragenbereich noch keine Entscheidung gefällt oder durch die schon vorliegenden Urteile die hier maßgebende Frage von grundsätzlicher Bedeutung noch nicht beantwortet hat (Krasney/Udsching aaO, RdNr 183 mwN).
Hieran fehlt es. Zu den Voraussetzungen einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung, die ausnahmsweise auch für Versicherte, die wie der Kläger erst am 2.1.1961 oder später geboren sind und für die deshalb kein Berufsschutz besteht, die Pflicht des Rentenversicherungsträgers begründet, im Rahmen der Prüfung einer Rente wegen Erwerbsminderung zumindest eine Verweisungstätigkeit zu benennen, existiert bereits eine umfangreiche höchstrichterliche Rechtsprechung (vgl BSG SozR 4-2600 § 43 Nr 18, RdNr 25 ff mwN), auf die jede Bezugnahme in der Beschwerdebegründung fehlt. Allein der Vortrag des Klägers, die von ihm aufgeworfenen Fragen seien "bislang in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht entschieden worden" genügt zur Begründung der Klärungsbedürftigkeit nicht.
2. Mit seinem Vortrag, die Rechtsauffassung des LSG sei mit dem das Urteil des BSG vom 6.6.1986 - 5b RJ 42/85 - (BSG SozR 2200 § 1246 Nr 136) "tragenden Rechtssatz unvereinbar, wonach auch bei Versicherten, bei denen Leistungseinschränkungen für Vollzeittätigkeiten bestehen, die allerdings zusätzlich Arbeitspausen von 2 mal 15 Minuten einlegen müssen, es der konkreten Benennung einer ihnen zugänglichen Verweisungstätigkeit bedarf", bezeichnet der Kläger auch nicht hinreichend einen Zulassungsgrund nach § 160 Abs 2 Nr 2 SGG.
Eine Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG liegt nur vor, wenn die tragenden abstrakten Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zu Grunde gelegt worden sind, nicht übereinstimmen. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat. Eine Abweichung liegt folglich nicht schon dann vor, wenn die Entscheidung des LSG nicht den Kriterien entspricht, die das BSG aufgestellt hat, sondern erst, wenn das LSG diesen Kriterien widersprochen, also eigene rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Abweichung (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 72 mwN).
Es kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger einen tragenden abstrakten Rechtssatz des BSG hinreichend konkret formuliert hat. Jedenfalls benennt er keinen solchen des LSG. In der Sache rügt der Kläger unter Hinweis auf das zitierte Urteil des BSG (BSG SozR 2200 § 1246 Nr 136) vielmehr eine fehlerhafte Rechtsanwendung des LSG, das die festgestellte Erforderlichkeit von einer Vielzahl über den Tag verteilten Toilettengängen des Klägers nicht als schwere spezifische Leistungsminderung gewertet hat. Ob das LSG die Sache richtig entschieden hat, ist jedoch nicht Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7, 67).
3. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
a) Soweit der Kläger zunächst eine Verletzung seines Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs iS von § 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG rügt, hat er einen solchen Verfahrensmangel nicht hinreichend bezeichnet.
Ein solcher Verstoß liegt ua vor, wenn das Gericht seiner Pflicht, das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in seine Erwägungen einzubeziehen, nicht nachgekommen ist (vgl BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 19 S 33 mwN) oder sein Urteil auf Tatsachen und Beweisergebnisse stützt, zu denen sich die Beteiligten nicht haben äußern können (vgl BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 12 S 19). Dementsprechend sind insbesondere Überraschungsentscheidungen verboten (vgl dazu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 62 RdNr 8a, 8b mwN). Zur Begründung eines entsprechenden Revisionszulassungsgrundes ist nicht nur der Verstoß gegen diesen Grundsatz selbst zu bezeichnen, sondern auch darzutun, welches Vorbringen ggf dadurch verhindert worden ist und inwiefern die angefochtene Entscheidung darauf beruhen kann (BSG SozR 1500 § 160a Nr 36). Ferner ist Voraussetzung für den Erfolg einer Gehörsrüge, dass der Beschwerdeführer darlegt, seinerseits alles getan zu haben, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen (BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 22 S 35; vgl auch BSGE 68, 205, 210 = SozR 3-2200 § 667 Nr 1 S 6).
Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung schon im Ansatz nicht gerecht. Der Kläger beschränkt sich auf den Vortrag, das LSG sei der Bewertung der Leistungsfähigkeit als vollschichtig durch die ärztlichen Sachverständigen Dr. H. und Dr. R. gefolgt, nicht aber der des Sachverständigen Dr. S. Dabei habe es nicht erkennen lassen, "in wie weit es dem Umstand Rechnung getragen hat, dass die Feststellungen der Vorgutachter (…) ausschließlich auf Tastbefunden beruhen, während das Gutachten der Universitätskliniken S. auf eine manometrische Untersuchung des Klägers zurückgeht". Einen allgemeinen Verfahrensgrundsatz, der das Gericht verpflichten würde, auf eine beabsichtigte Beweiswürdigung hinzuweisen oder die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gründe vorweg mit den Beteiligten zu erörtern, gibt es jedoch nicht. Besondere Umstände, die auf eine Überraschungsentscheidung hindeuten könnten, sind nicht vorgetragen (vgl exemplarisch BSG vom 9.10.2014 - B 13 R 157/14 B - Juris RdNr 7 mwN). Zudem fehlen weitere Ausführungen dazu, inwieweit die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem geltend gemachten Mangel beruhen kann. Allein die Behauptung, die manometrische Untersuchung durch den Sachverständigen Dr. S. habe den Beschwerdezustand und dessen Beschreibungen durch den Kläger "im wesentlichen bestätigt" genügt dafür nicht.
b) Ein Verfahrensmangel ist auch nicht mit dem weiteren Vortrag des Klägers ausreichend bezeichnet, das LSG sei seinem bereits mit Schriftsatz vom 29.4.2014 gestellten und mit Schreiben an das Gericht vom 11.12.2015 "in leicht abgeänderter Form" wiederholten Beweisantrag auf Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens zum Ausmaß der erforderlichen Arbeitspausen nicht gefolgt und habe dadurch seine Amtsermittlungspflicht verletzt. Der vor dem LSG bereits anwaltlich vertretene Kläger hat es nämlich versäumt darzulegen, dass er einen derartigen Beweisantrag - im hier maßgeblichen Sinn der ZPO (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 iVm § 118 Abs 1 S 1 SGG) - bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem LSG am 1.9.2016 durch einen entsprechenden Hinweis zu Protokoll aufrechterhalten hat. Allein die Bezugnahme des Klägers auf frühere Schriftsätze, in denen Beweisangebote formuliert worden sind, genügt dafür nicht (vgl BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN, stRspr).
4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI10807118 |