Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 28. Februar 2023 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.
Gründe
I
Die im Jahr 1969 geborene Klägerin begehrt eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bzw die Weitergewährung der ihr vom beklagten Rentenversicherungsträger ab dem 20.11.2008 bis zum 31.8.2014 befristet bewilligten Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung. Die Beklagte lehnte dies ab, weil die Klägerin nach einem Gutachten des Internisten und Sozialmediziners J nach mittlerweile anhaltend kompletter Remission einer medikamentös behandelten chronisch lymphatischen Leukämie wieder in der Lage sei, leichte bis mittelschwere Arbeiten mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten (Bescheide vom 18.6.2014 und vom 25.8.2014, Widerspruchsbescheid vom 9.11.2015). Im Klageverfahren hat das SG ein weiteres internistisches (W) sowie ein psychiatrisch-psychotherapeutisches Gutachten (M) anfertigen lassen. Auch diese Sachverständigen gelangten jeweils zu der Einschätzung, der Klägerin seien leichte Tätigkeiten im Umfang von täglich sechs Stunden zumutbar. Nachdem M ihr Gutachten in der mündlichen Verhandlung näher erläutert hatte, hat das SG die Klage abgewiesen (Urteil vom 12.4.2018).
Das LSG hat im Berufungsverfahren noch ein orthopädisches Gutachten eingeholt. Der Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie (mit Zusatzbezeichnungen Rheumatologie und Schmerztherapie) H1 ist nach ambulanter Untersuchung der Klägerin am 7.1.2019 in seinem Gutachten vom 1.2.2019 ebenfalls zu dem Ergebnis gekommen, dass die Klägerin bei Beachtung gewisser qualitativer Einschränkungen noch in der Lage sei, leichte bis mittelschwere Tätigkeiten mehr als sechs Stunden arbeitstäglich zu verrichten. Hingegen hat das nach § 109 SGG auf Kosten der Klägerin erstellte Gutachten des Psychiaters und Psychotherapeuten H2 vom 22.7.2019 ausgeführt, die Klägerin könne jedenfalls seit Januar 2019 leichte bis mittelschwere Arbeiten nur noch weniger als drei Stunden täglich ausüben, da sie aufgrund einer neurotischen Störung und psychischen Fehlhaltung ohne Therapie unfähig sei, Hemmungen gegenüber einer Arbeitsleistung zu überwinden. Das LSG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 28.2.2023). Bis zum Zeitpunkt des letztmaligen Vorliegens der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit im April 2015 sei eine volle oder teilweise Erwerbsminderung nach dem Ergebnis der sozialmedizinischen Ermittlungen nicht nachgewiesen. Das Erfordernis der sog "Drei-Fünftel-Belegung" verletze weder einfaches Bundesrecht noch Verfassungsrecht, Unionsrecht oder das Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13.12.2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK).
Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG hat die Klägerin Beschwerde beim BSG eingelegt. Sie beruft sich auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Ihre Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen. Die Klägerin hat eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Revisionszulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG) nicht in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG erforderlichen Weise dargelegt. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.
Eine Rechtssache hat nur dann iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage zu revisiblem Recht (§ 162 SGG) aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Zur ordnungsgemäßen Bezeichnung dieses Revisionszulassungsgrundes (vgl § 160a Abs 2 Satz 3 SGG) muss der Beschwerdeführer daher eine Rechtsfrage benennen und zudem deren (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 4 mwN; BSG Beschluss vom 22.12.2022 - B 5 R 119/22 B - juris RdNr 5, zur Veröffentlichung in SozR 4-1500 § 160a Nr 42 vorgesehen). Diesen Anforderungen wird die für die Klägerin vorgelegte Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Die Klägerin führt als grundsätzlich bedeutsam folgende Frage an:
"Ist der Zeitraum von 5 Jahren i.S.d. § 43 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI um Zeiten einer Schwerbehinderung zu verlängern, wenn in dieser Zeit behinderungsbedingt nicht die erforderlichen Pflichtbeiträge von 3 Jahren für eine versicherte Tätigkeit erworben werden konnten?"
Sie führt näher aus, das LSG habe es abgelehnt, die in § 43 Abs 4 SGB VI normierten Tatbestände, die zu einer Verlängerung des Fünf-Jahres-Zeitraums führen, im Rahmen einer Analogie auszudehnen, weil keine Regelungslücke vorliege. Mit der nach dem Wortlaut gesetzeskonform erscheinenden Anwendung der Regelung zur Drei-Fünftel-Belegung werde jedoch eine mittelbare Benachteiligung der Klägerin wegen ihrer Behinderung iS von Art 3 Abs 3 Satz 2 GG verwirklicht. Die Vergleichsgruppen seien danach zu bilden, wie sich die Vorschrift des § 43 Abs 3 SGB VI "einerseits auf Menschen mit Schwerbehinderungen" und "andererseits auf Menschen ohne Behinderungen bzw. auf Menschen mit nur einfachen Behinderungen auswirken". Da Menschen mit Behinderungen länger als sechs Monate an Teilhabeeinschränkungen und Barrieren litten, bestünden dann, wenn sie eine Erwerbsminderungsrente beantragen müssten, naturgemäß gravierende Teilhabeeinschränkungen. In einer solchen Situation seien sie faktisch häufiger vom Erfordernis der Drei-Fünftel-Belegung betroffen als Menschen ohne Behinderungen. Das gelte erst recht für die schwerbehinderte Klägerin, die nicht habe beeinflussen können, dass sie die Versicherungszeiten nicht erfüllen könne. Eine Versagung der Rentenleistung wegen fehlender versicherungsrechtlicher Zeiten bewirke bei ihr daher eine mittelbar behinderungsbedingte Benachteiligung. Die Klägerin habe eine bestehende Teilerwerbsminderungsrente aufstocken müssen, weil sie nicht mehr erwerbsfähig gewesen sei; aus diesem Grund habe sie die Drei-Fünftel-Belegung nicht erfüllen können. Da dies nach der Lebenserfahrung typischerweise so sei, bedürfe es hierfür keines empirischen Belegs. Das LSG wäre im Lichte von Art 3 Abs 3 Satz 2 GG und von Art 5 Abs 3 UN-BRK verpflichtet gewesen, das sich bei der Klägerin realisierende behinderungsbedingte Risiko durch angemessene Vorkehrungen abzuwenden. Hierzu hätte der Fünf-Jahres-Zeitraum um Zeiten der Schwerbehinderung verlängert werden müssen. Aus alledem folge, dass bei historischer, systematischer und teleologischer Auslegung eine planwidrige Regelungslücke vorliege, die im Wege der Analogie in dem Sinne zu schließen sei, dass Zeiten der Schwerbehinderung wie Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (§ 43 Abs 4 Nr 1 SGB VI) zu behandeln seien.
Es kann offenbleiben, ob die Klägerin mit diesen Ausführungen eine sich ernsthaft stellende abstrakt-generelle Rechtsfrage aufzeigt. Das erscheint insbesondere deshalb zweifelhaft, weil sie mehrfach auf ihre spezifischen persönlichen Umstände Bezug nimmt. Darüber hinaus fehlt es der Beschwerdebegründung an jeder Auseinandersetzung mit der ausführlichen Begründung des LSG sowie der einschlägigen Rechtsprechung des BVerfG und des BSG zu Art 3 GG und zu § 43 SGB VI. Die Klägerin räumt ua selbst ein, dass aus einer Behinderung nicht auf das Vorliegen einer Erwerbsminderung geschlossen werden kann. Auf die Rechtsprechung, wonach ein bestimmter Grad der Behinderung mit der Frage, ob bei dem behinderten Menschen volle Erwerbsminderung besteht, in keinerlei Wechselwirkung steht, weil die jeweiligen gesetzlichen Voraussetzungen völlig unterschiedlich sind (vgl etwa BSG Beschluss vom 24.8.2017 - B 9 SB 24/17 B - juris RdNr 13 mwN; BSG Beschluss vom 17.9.2015 - B 13 R 290/15 B - juris RdNr 5; s auch BVerfG Beschluss vom 11.1.2011 - 1 BvR 3588/08 ua - BVerfGE 128, 138, 156 f = SozR 4-2600 § 77 Nr 9 RdNr 55), geht sie nicht ein. Was "Menschen mit Schwerbehinderungen" in diesem Zusammenhang von "Menschen mit nur einfachen Behinderungen" unterscheidet und inwiefern dies rechtlich relevant sein soll, bleibt offen.
Ungeachtet dessen hat die Klägerin jedenfalls auch die Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) der von ihr formulierten Rechtsfrage in dem erstrebten Revisionsverfahren nicht nachvollziehbar erläutert. Sie behauptet lediglich pauschal, die Frage sei klärungsfähig, "weil es auf sie für die Entscheidung ankommt". Aus ihrer Beschwerdebegründung ergibt sich jedoch schon nicht, in welchem Zeitraum bei ihr eine Schwerbehinderung vorgelegen habe. Das LSG hat in seiner Entscheidung keinerlei Feststellungen dazu getroffen, dass die Klägerin als schwerbehinderter Mensch anerkannt gewesen sei. Die Klägerin führt allerdings in der Beschwerdebegründung an, bei ihr sei "bereits zu diesem Zeitpunkt" ein GdB von 70 festgestellt worden, wobei sie auf den gesamten Zeitraum der bewilligten Teilerwerbsminderungsrente (20.11.2008 bis 31.8.2014) Bezug nimmt. Selbst wenn das als zutreffend unterstellt würde, ergibt sich daraus nicht, dass für einen Anspruch der Klägerin auf "eine Erwerbsminderungsrente ab Januar 2019" das Erfordernis der Drei-Fünftel-Belegung (vgl § 43 Abs 2 Satz 1 Nr 2 SGB VI) erfüllt wäre, wenn analog zur Regelung in § 43 Abs 4 Nr 1 SGB VI auch der Zeitraum des Vorliegens einer Schwerbehinderung berücksichtigt würde. Der Zeitraum des Bezugs der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung wird nach der genannten Vorschrift bei der Klägerin ohnehin als Verlängerungstatbestand behandelt.
Soweit die Klägerin vorträgt, sie habe "behinderungsbedingt nicht die erforderlichen Pflichtbeiträge von 3 Jahren" erwerben können, ist dies für die Zeit bis zum 31.5.2014 bereits deshalb nicht nachvollziehbar, weil sie seit 1999 mit einer Gebäudereinigungsfirma selbstständig erwerbstätig war. Aufgrund der Einkünfte aus diesem Gewerbebetrieb kam die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nach Einkommensanrechnung (vgl § 96a SGB VI) teilweise nicht zur Auszahlung. Da das LSG für die Folgezeit die gesundheitlichen Voraussetzungen für die weitere Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung nicht für gegeben hält, ist nicht nachvollziehbar, dass die Klägerin behinderungsbedingt daran gehindert gewesen wäre, weitere Pflichtbeitragszeiten zurückzulegen. Dass sie selbst anderer Auffassung ist, vermag eine klärungsfähige Rechtsfrage nicht zu begründen.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 183 Satz 1 iVm § 193 Abs 1 und 4 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI15796763 |