Leitsatz (amtlich)
Im sozialgerichtlichen Verfahren können - ebenso wie im zivilgerichtlichen Verfahren - nur natürliche Personen zu Sachverständigen bestellt werden. Wird von einem Gericht der Sozialgerichtsbarkeit "eine Klinik" (ein Krankenhaus, eine Heilanstalt) ohne einen weiteren Hinweis auf die Person des Gutachters um ein Gutachten ersucht, so wird damit von dem Gericht der Leiter der Klinik zum Sachverständigen bestellt, für den Fall seiner Verhinderung wird damit an seiner Stelle der Arzt zum Sachverständigen bestellt, der zur Vertretung des Leiters der Klinik befugt ist. Nur ein Gutachten, das erkennen läßt, das der bestellte Sachverständige durch seine Unterschrift die volle Verantwortung für das Gutachten übernimmt, entspricht nach der ZPO und nach dem SGG den Anforderungen eines Sachverständigengutachtens; nur ein solches Gutachten darf auch als Gutachten "der Klinik" gewürdigt werden, mögen auch andere Ärzte der Klinik bei der Erstattung des Gutachtens mitgewirkt und das Gutachten mitunterzeichnet haben (Fortführung BSG 1964-12-01 11 RA 146/64 = SozR Nr 71 zu § 128 SGG).
Normenkette
ZPO § 404; SGG § 106 Abs. 3 Fassung: 1953-09-03, § 128 Fassung: 1953-09-03; ZPO § 406; SGG § 103 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 10. November 1964 wird als unzulässig verworfen.
Kosten sind dem Kläger auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.
Gründe
Das Landessozialgericht (LSG) hat die Revision nicht zugelassen (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Die Revision ist deshalb nur statthaft, wenn der Kläger mit Erfolg rügt, das Verfahren des LSG leide an einem wesentlichen Mangel (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG; BSG 1, 150); insoweit muß die Revisionsbegründung nicht nur die verletzte Rechtsnorm, sondern auch die Tatsachen und Beweismittel bezeichnen, die den Mangel in dem Verfahren des LSG ergeben (§ 164 Abs. 2 Satz 2 SGG).
1. Der Kläger rügt, das LSG habe die Vorschriften über die Beweisaufnahme (§§ 153, 188 SGG - gemeint ist offenbar: § 118 SGG - in Verbindung mit den §§ 392 ff der Zivilprozeßordnung - ZPO -) fehlerhaft angewandt, es habe insbesondere gegen § 404 ZPO verstoßen, weil es die ärztlichen Sachverständigen nicht selbst bestellt, sondern zwei Universitätskliniken in Tübingen mit der Erstattung der Gutachten beauftragt und es den Kliniken überlassen habe, die Ärzte für die Erstattung der Gutachten zu bestimmen. Diese Rüge greift nicht durch. Es ist zwar richtig, daß nach den Vorschriften der ZPO über den Sachverständigenbeweis (§§ 402 ff), auf die § 118 Abs. 1 SGG verweist, nur natürliche Personen zu Sachverständigen ernannt und mit der Erstattung von Sachverständigengutachten beauftragt werden können (ebenso Baumbach/Lauterbach, ZPO, 24. Aufl., Übersicht 1 B vor § 402 ZPO); nach den für andere Rechtsgebiete maßgebenden Verfahrensvorschriften (vgl. z. B. § 83 Abs. 3 der Strafprozeßordnung, § 23 Abs. 2 des Patentgesetzes, § 14 des Gesetzes über Warenbezeichnungen, § 49 des Gesetzes über das literarische Urheberrecht, §§ 136 ff des Bundesbaugesetzes) können zwar von den Gerichten auch Gutachten von "Fachbehörden", Gutachterausschüssen herangezogen werden, für das zivilgerichtliche Verfahren und damit auch für das sozialgerichtliche Verfahren ist dies aber nicht vorgesehen (vgl. hierzu auch Beschluß des LG Berlin vom 16. September 1963, NJW 1964, 672). Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit können zwar "Auskünfte jeder Art" (§ 106 Abs. 3 SGG), also auch Auskünfte von Behörden, z. B. Gesundheitsämtern, ferner z. B. von Medizinalkollegien, von Universitäten oder Universitätsinstituten, von Kliniken einholen; die Personen, die solche Auskünfte für diese Stellen erteilen, sind aber auch dann, wenn sie sich in Form eines "Gutachtens" zu medizinischen Fragen äußern, nicht Sachverständige im Sinne der ZPO und des SGG; die Gerichte können solche Äußerungen, ebenso wie schriftliche "Gutachten" von nicht zu Sachverständigen ernannten Personen, nur im Wege des Urkundenbeweises benutzen (vgl. auch Stein/Jonas, ZPO, 18. Aufl., III 2 vor § 402 ZPO). Da nur natürliche Personen ein Sachverständigengutachten im Sinne der für das sozialgerichtliche Verfahren maßgebenden Vorschriften der ZPO abgeben können, muß deshalb aus dem Beweisbeschluß des Gerichts erkennbar sein, welche Person das Gericht zum Sachverständigen ernennt. Dieser vom Gericht ernannte Sachverständige kann den Auftrag zur Erstattung des Gutachtens nicht - sei es mit, sei es ohne Ermächtigung durch das Gericht - weitergeben; er kann zwar zur Erfüllung der ihm als Sachverständigen obliegenden Pflichten andere Personen heranziehen (ebenso Stein/Jonas aaO IV), diese anderen Personen werden aber nicht als "Sachverständige" im Sinne der Vorschriften der ZPO und des SG tätig, und zwar auch dann nicht, wenn sie selbst sachkundig sind. Ist ein Leiter einer Klinik (einer Heilanstalt, eines Krankenhauses) vom Gericht zum Sachverständigen ernannt, so ist er deshalb nicht befugt, das Gutachten durch andere Ärzte der Klinik erstatten zu lassen; geschieht dies trotzdem, so ist die Äußerung dieser anderen Ärzte nicht ein Gutachten des vom Gericht ernannten Sachverständigen. Allerdings muß das Gericht den Sachverständigen nicht in jedem Falle namentlich bezeichnen. Wird von einem Gericht der Sozialgerichtsbarkeit "eine Klinik" (ein Krankenhaus, eine Heilanstalt) ohne einen weiteren Hinweis auf die Person des Gutachters um ein Gutachten ersucht, so wird damit von dem Gericht der Leiter der Klinik zum Sachverständigen bestellt, für den Fall seiner Verhinderung wird damit an seiner Stelle der Arzt zum Sachverständigen bestellt, der zu seiner Vertretung befugt ist. Nur ein Gutachten, das erkennen läßt, daß der bestellte Sachverständige durch seine Unterschrift die volle Verantwortung für das Gutachten übernimmt, entspricht nach der ZPO und nach dem SGG den Anforderungen eines Sachverständigengutachtens, nur ein solches Gutachten darf auch als das Gutachten "der Klinik" gewürdigt werden, mögen auch andere Ärzte der Klinik bei der Erstattung des Gutachtens mitgewirkt und das Gutachten mitunterzeichnet haben (vgl. auch das Urteil des erkennenden Senats vom 1. Dezember 1964, SozR Nr. 71 zu § 128 SGG = NJW 1965, 368 ff mit Anmerkung von Friederichs in NJW 1965, 1100, 1101).
Im vorliegenden Fall hat nach den Akten das LSG am 19. Juni 1963 ein Gutachten bei der "Universitätsnervenklinik Tübingen" angefordert, es hat am 29. November 1963 diesen Auftrag "noch dahin erweitert", daß "die Klinik" ein orthopädisches Teilgutachten "unmittelbar von dort aus beiziehen und bei der Abgabe (des) Hauptgutachtens mitverwerten" solle. Damit sind der Leiter der Universitätsnervenklinik und der Leiter der Orthopädischen Universitätsklinik und Poliklinik Tübingen, der im Auftrag des Gerichts von dem Leiter der Universitätsnervenklinik für das orthopädische Teil- oder Zusatzgutachten herangezogen worden ist, von dem Gericht zu Sachverständigen bestellt gewesen; für den Fall der Verhinderung der Leiter dieser Kliniken sind ihre Vertreter die vom Gericht ernannten Sachverständigen gewesen. Soweit der Kläger mit der Revision geltend macht, daß das Gutachten der Orthopädischen Universitätsklinik "von dort beschäftigten Ärzten auf Grund der Untersuchung des Klägers erstattet" worden sei, "wobei die betreffenden Ärzte von dem Leiter der Klinik und nicht von dem Gericht ausgesucht wurden", trifft seine Rüge nicht zu; dieses Gutachten ist von dem Leiter der Klinik - nach dem für die Erstattung des Gutachtens verwendeten Kopfbogen Prof. Dr. M - unterzeichnet; dieser Arzt ist der vom LSG bestellte Sachverständige gewesen, er hat mit seiner Unterschrift dem Gericht gegenüber die volle Verantwortung für den Inhalt des Gutachtens übernommen, das LSG hat das Gutachten deshalb auch als "Universitätsgutachten" würdigen dürfen; es ist unerheblich, daß an der Erstattung des Gutachtens, etwa durch Vornahme der erforderlichen Untersuchungen oder auch durch den Entwurf des Gutachtens, andere Ärzte mitgewirkt haben und daß dieses Gutachten auch von einem Arzt (Dr. B), der nicht der vom Gericht bestellte Sachverständige gewesen ist, unterzeichnet ist; ein Verstoß des LSG gegen die §§ 402 ff ZPO, insbesondere gegen die §§ 404, 406 ZPO, und gegen § 128 SGG, liegt insoweit nicht vor; der Kläger hat auch nicht dargelegt, warum und inwieweit der Sachverhalt auf orthopädischem Gebiet durch dieses Gutachten nicht vollständig aufgeklärt sei, ein Verstoß des LSG gegen § 103 SGG ist nicht in der durch § 164 Abs. 2 Satz 2 SGG gebotenen Form dargetan.
Soweit sich der Kläger gegen das Gutachten der Universitätsnervenklinik Tübingen wendet, entsprechen die von ihm erhobenen Rügen eines Verstoßes des LSG gegen die §§ 402 ff ZPO, 128 SGG ebenfalls nicht der durch § 164 Abs. 2 Satz 2 SGG gebotenen Form. Dieses Gutachten ist zwar nicht von dem Leiter der Universitätsnervenklinik - nach dem für die Erstattung des Gutachtens verwendeten Kopfbogen Prof. Dr. Sch - unterzeichnet; es trägt (links) unter dem Vermerk "Einverstanden auf Grund eigener Untersuchung und persönlicher Urteilsbildung Direktion i. A." die Unterschrift "I" mit dem Zusatz "(Privatdozent Dr. I) Oberarzt der Klinik" und (rechts) die Unterschrift "Dr. T". Ob Dr. T, wie der Kläger behauptet, "in der Hierarchie der Universitätsnervenklinik nur eine untergeordnete Rolle spielt", ist unerheblich; zwar ist er, wenn das Vorbringen des Klägers zutrifft, nicht der vom LSG ernannte Sachverständige gewesen, dies hat aber seine Mitwirkung bei der Erstattung des Gutachtens nicht ausgeschlossen; die Verantwortung für das Gutachten trägt allein Oberarzt Dr. I, der das Gutachten "im Auftrag der Direktion", d. h. des vom LSG zum Sachverständigen ernannten Leiters der Klinik, Prof. Dr. Sch, erstattet hat. Oberarzt Dr. I ist zwar auch nur dann der vom LSG ernannte Sachverständige gewesen, wenn Prof. Dr. Sch an der Erstattung des Gutachtens verhindert und Oberarzt Dr. I zu seiner Vertretung befugt gewesen ist; nur unter diesen Voraussetzungen hat das LSG das Gutachten auch als ein "Universitätsgutachten" würdigen dürfen. Der Kläger hat aber mit der Revision keine Tatsachen und Beweismittel dafür vorgetragen, daß diese Voraussetzungen hier nicht vorgelegen haben, er hat insbesondere nicht substantiiert gerügt, Oberarzt Dr. I sei für den Fall der Verhinderung des Leiters der Klinik nicht zu dessen Vertretung befugt gewesen. Damit ist aber auch ein Verstoß des LSG gegen § 128 SGG nicht in der gesetzlich gebotenen Form gerügt. Es ist nicht dargetan, daß das LSG zu Unrecht das Gutachten als ein Gutachten des-für den Fall der Verhinderung des Leiters der Klinik - vom Gericht zum Sachverständigen bestellten Vertreters angesehen und dieses Gutachten als "Universitätsgutachten" gewürdigt hat.
2. Auch soweit der Kläger rügt, das LSG habe den Sachverhalt hinsichtlich den neurotischen Störungen des Klägers und ihres "Krankheitswerts" noch weiter klären müssen, es habe insoweit gegen § 103 SGG verstoßen, greift die Rüge nicht durch. Es trifft nicht zu, daß die Ärzte beider Kliniken und ihnen folgend das LSG die Bemühungen des Klägers um eine Überwindung seiner neurotischen Störungen, die er durch seinen Aufenthalt in der Privatklinik Ch in G und in der Naturheilanstalt V unternommen habe, nicht beachtet haben; den Gutachtern beider Kliniken sind, wie sich aus den Gutachten ergibt, diese Aufenthalte und das Ergebnis der dortigen Behandlungen bekannt gewesen; auch das LSG hat sich insbesondere mit der ärztlichen Meinung von Dr. K (Ch in G) befaßt, zu einer verfahrensrechtlich einwandfreien Beweiswürdigung hat nicht gehört, daß das LSG sich im einzelnen mit allen ärztlichen Befunden auseinandersetzt (vgl. Urteil des BSG vom 17. Juli 1958, SozR Nr. 33 zu § 128 SGG); das LSG hat nicht die Grenzen seines Rechts, das Gesamtergebnis des Verfahrens frei zu würdigen (§ 128 SGG; Urteil des BSG vom 1. März 1956, BSG 2, 236 ff), überschritten, wenn es im wesentlichen den Gutachten der Universitätskliniken gefolgt und zu der Überzeugung gelangt ist, wegen der "Simulationsnähe" der Neurose des Klägers lasse sich nicht feststellen, daß bei dem Kläger für ihn unüberwindbare seelische Störungen und insoweit eine "Krankheit" vorliege, die seine Erwerbsfähigkeit bei Berücksichtigung der sonstigen organischen Befunde in dem nach § 23 Abs. 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) für die Annahme der Berufsunfähigkeit gebotenen Ausmaß herabmindern. Der Kläger hat im übrigen auch nicht dargelegt, welche weiteren vom LSG nicht gewürdigten medizinischen Tatsachen noch hätten festgestellt werden müssen und inwiefern das LSG, wenn es zu den bereits vorhandenen zahlreichen ärztlichen Gutachten und Äußerungen noch ein weiteres Gutachten eingeholt hätte, zu einem anderen Ergebnis bei der Beweiswürdigung habe kommen müssen. In Wirklichkeit wendet sich der Kläger mit diesem Vorbringen nicht gegen das Verfahren des LSG bei der Erforschung des medizinischen Sachverhalts (§ 103 SGG) und der Würdigung der Beweise (§ 128 SGG), sondern gegen die sachlich-rechtliche Entscheidung, zu der das LSG in verfahrensrechtlich einwandfreier Weise gelangt ist. Verstöße des LSG gegen § 103 und § 128 SGG sind nicht dargetan.
3. Der Kläger rügt schließlich noch, das LSG habe die von ihm gestellten Anträge "auf Ablehnung eines Richters" formell unzutreffend beschieden. Auch insoweit liegt keine im Sinn von § 164 Abs. 2 Satz 2 SGG substantiierte Verfahrensrüge vor; der Kläger hat mit der Revision nicht dargelegt, welchen Richter er "abgelehnt" hat. Er hat in dem Schreiben vom 25. Oktober 1964 an das LSG ausgeführt: "Da bei den Sozialgerichten Arbeitgebervertreter und auch Bürgermeister als Beisitzer tätig sind, erklärt er (der Kläger) diese für befangen". Der Berichterstatter des LSG hat den Kläger in dem Schreiben vom 28. Oktober 1964, auf das die Revision verweist, darauf hingewiesen, eine Ablehnung könne immer nur einen bestimmten Richter persönlich betreffen, nicht aber einen unbestimmten Kreis von Richtern. Wenn das LSG daraus, daß der Kläger sich auf dieses Schreiben hin nicht mehr geäußert hat, den Schluß gezogen hat, der Kläger halte an dieser schon wegen ihrer Unbestimmtheit unzulässigen und nicht ernst zu nehmenden "Richterablehnung" nicht fest, so ist dies nicht zu beanstanden, es hat dann eine förmliche Entscheidung über diese "Richterablehnung" auch nicht treffen müssen. Deshalb kann dahinstehen, ob das LSG zu Recht angenommen hat, der Kläger habe sein Ablehnungsrecht nach § 43 ZPO verloren gehabt.
Da die gerügten Verfahrensmängel nicht durchgreifen, ist die Revision nicht nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG statthaft.
Sie ist deshalb als unzulässig zu verwerfen (§ 169 Satz 2 SGG).
Die Entscheidung über die Kosten ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen