Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensfehler. Unterlassener Vorlegungsbeschluß
Orientierungssatz
Aus einer unterlassenen Einholung einer Entscheidung des BVerfG gemäß Art 100 GG läßt sich kein Verfahrensfehler herleiten, wenn das SG die beanstandete Gesetzesregelung nicht für verfassungswidrig hält.
Normenkette
GG Art 100 Abs 1; SGG § 150 Nr 2
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Entscheidung vom 13.05.1993; Aktenzeichen L 4 Kr 21/91) |
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Aufhebung bzw Rücknahme einer Kindergeldbewilligung für den Zeitraum Januar 1988 bis Oktober 1989 und eine sich daraus ergebende Rückforderung. Das Landessozialgericht (LSG) hat seine Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts (SG) Nürnberg vom 6. August 1991 verworfen, soweit sie die Aufhebung bzw Rücknahme der Kindergeldbewilligung betraf, und im übrigen zurückgewiesen. Hinsichtlich der Kindergeldberechtigung in der Zeit von Januar 1988 bis Oktober 1989 sei die Berufung unstatthaft, weil dieser Streit einen abgeschlossenen und abgelaufenen Zeitraum betreffe (§ 27 Abs 2 erster Halbsatz Bundeskindergeldgesetz <BKGG> in der bis zum 28. Februar 1993 geltenden Fassung). Verfahrensrügen (§ 150 Nr 2 Sozialgerichtsgesetz alter Fassung <SGG aF>) habe der Kläger nicht vorgebracht. Soweit sich die Berufung gegen den Erstattungsanspruch richte, sei sie zulässig, aber unbegründet. Die Beklagte habe die Rückforderungsvorschrift des § 50 des Sozialgesetzbuchs - Zehntes Buch - (SGB X) richtig angewandt.
Mit der Nichtzulassungsbeschwerde macht der Kläger eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend. Diese sei darin zu sehen, daß § 1 Abs 1 Nr 2c BKGG Ruheständler des öffentlichen Dienstes einerseits und sonstige Ruheständler andererseits unter Verstoß gegen Art 3 Abs 1 sowie Art 6 Abs 1 Grundgesetz (GG) ungleich behandele. Der Kläger vertritt ferner die Auffassung, das LSG hätte überprüfen müssen, ob das SG die Berufung nach § 150 Nr 1 erste Alternative SGG aF hätte zulassen müssen. Er rügt ferner, daß das LSG sich hinsichtlich des berufungsfähigen Teils des erstinstanzlichen Urteils darauf beschränkt habe, festzustellen, der Aufhebungsbescheid sei wegen der Unzulässigkeit der Berufung unanfechtbar, so daß eine Grundlage für die Rückforderung der Geldsumme bestehe. Diese formale Denkweise sei unzulässig, wenn feststehe, daß die zugrundeliegende Entscheidung grundgesetzwidrig sei. Schließlich liege ein Verfahrensfehler des SG wie des LSG darin, daß diese nicht gemäß Art 100 GG das Verfahren ausgesetzt und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) eingeholt hätten. Der Kläger habe von Anfang an die Grundgesetzwidrigkeit von § 1 BKGG vorgetragen.
Entscheidungsgründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist als unzulässig zu verwerfen.
Der vom Beschwerdeführer geltend gemachte Zulassungsgrund einer grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) ist iS des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG nicht hinreichend dargelegt.
Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache zu, wenn von der erstrebten Revisionsentscheidung erwartet werden kann, daß sie in bisher nicht geschehener, die Interessen der Allgemeinheit berührender Weise, das Recht oder die Rechtsanwendung fortentwickeln und vereinheitlichen wird. Die Rechtssache muß daher eine Rechtsfrage enthalten, die über den Einzelfall hinaus allgemeine Bedeutung hat; die Rechtsfrage muß also klärungsbedürftig, darüber hinaus klärungsfähig und im gegebenen Einzelfalle entscheidungserheblich sein. Daß und warum diese Voraussetzungen gegeben sind, muß der Beschwerdeführer in der Beschwerdebegründung dartun (ständige Rechtsprechung, vgl BSG vom 25. Oktober 1978, SozR 1500 § 160a Nr 31). Das ist hier nicht geschehen.
Zur Begründung der Beschwerde macht der Kläger geltend, die Revision sei wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage zuzulassen, ob der Ausschluß im Ausland lebender Ruheständler, soweit sie nicht dem öffentlichen Dienst angehört hätten, von den Kindergeldleistungen grundgesetzwidrig sei. Er führt hierzu Näheres aus.
Das Vorbringen des Klägers ergibt den von ihm bezeichneten Zulassungsgrund nicht. Insbesondere hat er nicht hinreichend dargelegt, daß und weshalb das Bundessozialgericht (BSG) nach einer Zulassung der Revision über die von ihm bezeichnete Rechtsfrage zu entscheiden haben wird, diese Rechtsfrage im Revisionsverfahren mithin der Klärung bedürftig und fähig ist. Hierzu bestand besonderer Anlaß; denn das LSG hat über diese materielle Rechtsfrage selbst nicht befunden, sondern insoweit eine Prozeßentscheidung getroffen. Es hat die Berufung des Klägers hinsichtlich der Aufhebung bzw Rücknahme der Kindergeldbewilligung als unzulässig verworfen. Dann aber muß der Kläger substantiiert vortragen, weshalb das BSG angesichts dieser Prozeßlage überhaupt zu einer Beurteilung der von ihm aufgeworfenen materiell-rechtlichen Frage gelangen müsse. Dies wäre dann keineswegs der Fall, wenn das BSG die Rechtsauffassung des LSG über die Unzulässigkeit der Berufung insoweit teilt; denn dies müßte auch nach Zulassung der Revision ohne jede materiell-rechtliche Prüfung zur Zurückweisung der Revision führen.
Der Vortrag des Klägers, warum das LSG in vollem Umfang sachlich über die Berufung hätte entscheiden müssen, genügt diesen Anforderungen nicht. Er steht im Gegensatz zur ständigen Rechtsprechung des BSG. Hiernach kann das LSG die Nichtzulassung der Berufung durch das SG nicht nachprüfen (vgl BSG vom 10. Juli 1979 und 18. Dezember 1985, SozR 1500 § 150 Nrn 17 und 27 mwN). Selbst in einer unrichtigen Nichtzulassung der Berufung liegt kein wesentlicher Mangel des Verfahrens iS des § 150 Nr 2 SGG aF. Ist aber das LSG an die Nichtzulassung der Berufung durch das SG gebunden, kann diese Bindung auch nicht im Beschwerdeverfahren vor dem BSG beseitigt werden. Daß die Nichtzulassung durch das SG auf Willkür beruhe (hierzu BSG SozR aa0 Nr 27), trägt der Kläger nicht vor.
Der Kläger hat in der Begründung seiner Nichtzulassungsbeschwerde auch nicht vorgetragen, das LSG hätte die Berufung nach § 150 Nr 2 SGG aF wegen eines von ihm gerügten und auch vorliegenden Verfahrensmangels des SG zulassen müssen. Er führt vielmehr insoweit ausdrücklich aus, ein Verfahrensmangel der ersten Instanz sei "zugegebenermaßen nicht vorhanden" gewesen.
Dem ist auch unter Berücksichtigung des zusätzlichen Vortrags zuzustimmen, ein Verfahrensfehler des SG liege darin, daß dieses nicht gemäß Art 100 GG die Entscheidung des BVerfG eingeholt habe. Hieraus läßt sich schon deshalb kein Verfahrensfehler herleiten, weil das SG die vom Kläger beanstandete Gesetzesregelung nicht für verfassungswidrig gehalten hat. Auf dieser Grundlage kann schließlich auch ein Fehler des Berufungsverfahrens nicht darin gesehen werden, daß das LSG seinerseits eine Vorlage nach Art 100 GG unterlassen hat. Denn über die Kindergeldberechtigung des Klägers hatte es nicht zu entscheiden.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen