Verfahrensgang

LSG Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 14.05.2018; Aktenzeichen L 12 R 100/17)

SG Oldenburg (Entscheidung vom 03.05.2017; Aktenzeichen S 82 R 505/14)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 14. Mai 2018 wird als unzulässig verworfen.

Der Antrag der Klägerin, ihr für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im vorbezeichneten Urteil Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt A., S. W. zu bewilligen, wird abgelehnt.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

 

Gründe

Mit Urteil vom 14.5.2018 hat das LSG Niedersachsen-Bremen einen Anspruch der Klägerin auf Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit verneint und ihre Berufung gegen das Urteil des SG Oldenburg vom 3.5.2017 zurückgewiesen.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin Beschwerde beim BSG eingelegt und zugleich einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) gestellt. Sie macht als Zulassungsgrund eine Divergenz sowie Verfahrensmängel geltend (§ 160 Abs 2 Nr 2 und 3 SGG).

1. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist.

Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG),

- das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (aaO Nr 2) oder

- ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (aaO Nr 3).

Derartige Gründe werden in der Beschwerdebegründung nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 S 3 SGG dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.

a) Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG liegt vor, wenn die tragenden abstrakten Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zugrunde gelegt worden sind, nicht übereinstimmen. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem abstrakten Rechtssatz des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat. Eine Abweichung liegt folglich nicht schon dann vor, wenn die Entscheidung des LSG nicht den Kriterien entspricht, die das BSG aufgestellt hat, sondern erst, wenn das LSG diesen Kriterien widersprochen, also eigene rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Abweichung. Darüber hinaus verlangt der Zulassungsgrund der Divergenz, dass das angefochtene Urteil auf der Abweichung beruht. Bezogen auf die Darlegungspflicht bedeutet das vorstehend Gesagte, dass die Beschwerdebegründung erkennen lassen muss, welcher abstrakte Rechtssatz in der höchstrichterlichen Entscheidung enthalten ist und welcher im Urteil des LSG enthaltene Rechtssatz dazu im Widerspruch steht; ferner muss aufgezeigt werden, dass auch das Revisionsgericht die oberstgerichtliche Rechtsprechung in einem künftigen Revisionsverfahren seiner Entscheidung zugrunde zu legen haben wird (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 72 mwN). Diesen Darlegungserfordernissen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.

Die Klägerin trägt dazu vor, das LSG habe einen Anspruch auf eine volle Erwerbsminderungsrente ausgeschlossen, weil die Klägerin unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes noch täglich mindestens sechs Stunden erwerbstätig sein könne und dazu ausgeführt, es gebe auch keine Anhaltspunkte für eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine spezifische Leistungsbehinderung, eine in relevantem Maße eingeschränkte Wegefähigkeit oder eine Verschlossenheit des allgemeinen Arbeitsmarktes aus sonstigen Gründen. Demgegenüber habe das BSG (Beschluss des Großen Senats vom 11.12.1969 - GS 4/69) zunächst entschieden:

"…'Erwerbsfähigkeit' ist, wie aus der Wortfassung hervorgeht, die Fähigkeit, etwas zu erwerben. Gemeint ist der Erwerb durch Ausübung einer Tätigkeit. Denn aus Satz 2 ist zu entnehmen, daß es auf die Fähigkeit zur Ausübung einer 'Tätigkeit' - d.h. einer 'Erwerbstätigkeit' - ankommt, weil die Erwerbsfähigkeit an der Fähigkeit zur Ausübung bestimmter 'Tätigkeiten' gemessen wird. Da den in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherten Beschäftigten in aller Regel nur das durch die Ausübung einer Erwerbstätigkeit erworbene Entgelt zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts zur Verfügung steht, kann auch nicht zweifelhaft sein, daß nur eine Erwerbstätigkeit gemeint sein kann, durch deren Ausübung dem Lebensunterhalt dienendes Entgelt erworben wird ..."

Das LSG hätte deshalb prüfen müssen, ob die Klägerin tatsächlich aufgrund der zahlreichen qualitativen Leistungseinschränkungen in der Lage ist, körperlich leichte Tätigkeiten unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes zu verrichten und mithin erwerbstätig zu sein oder ob nicht der Arbeitsmarkt für sie verschlossen ist.

Es kann dahin gestellt bleiben, ob die Klägerin mit ihrem Vorbringen einen tragenden abstrakten Rechtssatz des BSG hinreichend konkret formuliert. Jedenfalls stellt die Klägerin den zitierten Ausführungen des BSG keinen abstrakten Rechtssatz des LSG gegenüber. Wie ihre weiteren Ausführungen in der Beschwerdebegründung zeigen, das LSG hätte die Rechtsprechung des BSG berücksichtigen müssen, "um das materielle Recht, § 43 SGB VI nicht zu verletzen", rügt die Klägerin in der Sache unter Hinweis auf den zitierten Beschluss des Großen Senats eine fehlerhafte Rechtsanwendung des LSG, das irrtümlich die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit verneint habe. Ob das LSG die Sache richtig entschieden hat, ist jedoch nicht Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7, 67).

Auch soweit die Klägerin ein Abweichen des LSG vom Beschluss des Großen Senats vom 19.12.1996 (GS 2/95) rügt, mehrere Seiten dieser Entscheidung wörtlich wiedergibt und den Leitsatz zitiert

"Für die Beurteilung der Erwerbsunfähigkeit ist die konkrete Benennung von Verweisungstätigkeiten auch dann nicht erforderlich, wenn der Versicherte körperlich leichte Tätigkeiten vollschichtig nur mit weiteren Einschränkungen verrichten kann; die konkrete Bezeichnung von Verweisungstätigkeiten ist erforderlich, wenn eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt".

fehlt es an einer den Anforderungen des § 160a Abs 2 S 3 SGG genügenden Begründung. Die Klägerin stellt den Ausführungen des BSG wiederum keinen abstrakten Rechtssatz des LSG gegenüber. Mit ihrem Vorbringen, das LSG hätte die Voraussetzungen für das Benennen einer Verweisungstätigkeit zu prüfen gehabt, sich nicht darauf beschränken dürfen, pauschal diese zu verneinen ("wie vorliegend geschehen") sowie sich nicht auf die "im Ergebnis nicht zutreffende Beurteilung von Dr. K." berufen dürfen, rügt die Klägerin erneut lediglich eine fehlerhafte Rechtsanwendung des LSG im Einzelfall. Dies gilt auch, soweit die Klägerin jeweils über mehrere Seiten hinweg aus den Urteilen des BSG vom 19.10.2011 (B 11 R 78/09 R - richtiges Aktenzeichen: B 13 R 78/09 R) und vom 9.5.2012 (B 5 R 68/11 R) zitiert und dazu ausführt, das LSG habe die darin vorgegebenen Prüfungen "nicht einmal ansatzweise vorgenommen", wenn es lediglich pauschal im Schluss der Entscheidungsgründe erkläre, es seien keine Anhaltspunkte für eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen gegeben. Der Vortrag, das LSG habe die gesetzlichen Voraussetzungen für den Ausschluss einer Erwerbsminderung "verkannt", es hätte zumindest eine Verweisungstätigkeit benennen müssen und die Entscheidung des LSG sei "materiell fehlerhaft" ist - wie bereits ausgeführt - nicht geeignet, eine Divergenzrüge hinreichend zu begründen. Ein Abweichen vom Urteil des BSG vom 3.7.2002 (B 5 RJ 18/01 R) wird ebenfalls unzureichend damit begründet, die Ausführungen des LSG seien "rechtsfehlerhaft und verletzen die Klägerin in ihren Rechten". Wie auch der weitere Vortrag der Klägerin, das LSG hätte sich im Einklang mit dieser BSG-Rechtsprechung gedrängt fühlen müssen, eine Begutachtung durch einen Sachverständigen mit fachübergreifenden Erfahrungen hinsichtlich der Diagnostik und der Beurteilung des Krankheitsbildes der Fibromyalgie durchzuführen, wendet sich die Klägerin wiederum gegen die Rechtsanwendung im Einzelfall. Dies kann - wie bereits ausgeführt - jedoch nicht Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde sein (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7, 67).

b) Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

Die Klägerin rügt einen Verfahrensmangel nach § 103 SGG und trägt dazu vor, "bei Beachtung der Prüfvorgaben des Bundessozialgerichts hätte das Landessozialgericht sowohl die Frage der Verschlossenheit des Arbeitsmarktes und die Verpflichtung zur Benennung einer Verweisungstätigkeit als aber auch die Auswirkungen der Fibromyalgie auf die Leistungsfähigkeit der Klägerin zutreffend bewertet". An früherer Stelle in der Beschwerdebegründung führt die Klägerin dazu aus, das LSG habe die bereits aus den Akten bekannte, schwerwiegende Erkrankung mit einer Fibromyalgie nicht weiter aufgeklärt und keine Begutachtung durch einen Sachverständigen mit "fachübergreifenden" Erfahrungen durchgeführt. Zur hinreichenden Bezeichnung einer Verletzung der Aufklärungspflicht als Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG benennt die bereits vor dem LSG anwaltlich vertretene Klägerin schon keinen Beweisantrag, den sie bis zur Entscheidung des LSG am 14.5.2018 aufrechterhalten hat.

Soweit die Klägerin mit ihrem weiteren Vortrag, das LSG habe die vom Sachverständigen Dr. K. aufgeführten zahlreichen und "auch, in Bezug auf reine leichte Tätigkeiten, ungewöhnlichen qualitativen Leistungseinschränkungen" nicht vollständig zusammengefasst, die einzelnen Leistungseinschränkungen nicht darauf überprüft, ob diese ungewöhnlich sind und zudem verschiedene Aspekte nicht zutreffend "bewertet", eine Verletzung des § 128 Abs 1 S 1 SGG rügt, kann darauf eine Nichtzulassungsbeschwerde nach dem Wortlaut des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG ausdrücklich nicht gestützt werden. Dies gilt im Übrigen auch hinsichtlich des Vorbringens der Klägerin, das LSG habe weder in die Gesamtschau miteinbezogen, dass die Klägerin bereits seit 2011 nicht mehr erwerbstätig ist noch dass die behandelnden Ärzte die Klägerin für leistungsunfähig befunden hätten.

2. Der Klägerin kann für das Beschwerdeverfahren vor dem BSG PKH unter Beiordnung eines Rechtsanwalts nicht gewährt werden (vgl § 73a Abs 1 S 1 SGG iVm § 114 ZPO), weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung - wie bereits ausgeführt - keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.

Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 und 4 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI12151541

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