Verfahrensgang

SG Altenburg (Entscheidung vom 11.09.2017; Aktenzeichen S 49 AS 342/15)

Thüringer LSG (Urteil vom 25.11.2021; Aktenzeichen L 7 AS 146/18)

 

Tenor

Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 25. November 2021 wird als unzulässig verworfen.

Der Beklagte hat den Klägern die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil der Beklagte die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) und des Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht in der gebotenen Weise dargelegt bzw bezeichnet hat. Die Beschwerde ist daher ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 SGG, § 169 SGG).

1. Grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) hat eine Rechtssache nur, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Die Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung erfordert, dass eine konkrete Rechtsfrage klar formuliert wird. Weiter muss ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit im jeweiligen Rechtsstreit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) aufgezeigt werden (stRspr; vgl etwa BSG vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Klärungsfähig ist eine Rechtsfrage dann, wenn sie für den zu entscheidenden Fall rechtserheblich ist (BSG vom 25.10.1978 - 8/3 BK 28/77 - SozR 1500 § 160a Nr 31). Über die aufgeworfene Rechtsfrage müsste das Revisionsgericht also - in Ergänzung zur abstrakten Klärungsbedürftigkeit - konkretindividuell sachlich entscheiden müssen (BSG vom 25.6.1980 - 1 BA 23/80 - SozR 1500 § 160 Nr 39 und BSG vom 25.10.1978 - 8/3 BK 28/77 - SozR 1500 § 160a Nr 31). Dies erfordert es, dass der Beschwerdeführer den nach seiner Auffassung vom Revisionsgericht einzuschlagenden Weg der Nachprüfung des angefochtenen Urteils und damit insbesondere den Schritt darlegt, der die Entscheidung der als grundsätzlich bezeichneten Rechtsfrage notwendig macht (BSG vom 25.10.1978 - 8/3 BK 28/77 - SozR 1500 § 160a Nr 31). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.

Die Beteiligten streiten um die Höhe der Bedarfe für Kosten der Unterkunft und Heizung (KdU) nach dem SGB II, insbesondere darüber, ob ein schlüssiges Konzept des Beklagten vorliegt. Der Beklagte formuliert folgende Rechtsfragen, denen nach seiner Auffassung grundsätzliche Bedeutung zukommt:

"1. Wie ist der Begriff des Großvermieters im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum schlüssigen Konzept zu definieren, wenn der Umstand der Anzahl der Wohnungen von Großvermietern im Verhältnis zu anderen Vermietern verteilt über den gesamten homogenen Vergleichsraum entscheidungserheblich sein soll? Welches Verhältnis von Großvermietern zu Kleinvermietern führt dazu, dass in einem homogenen Vergleichsraum die Großvermieter überrepräsentiert wären?

2. Wie kann die Repräsentativität der Datenerhebung für die Grundsicherungsträger im Sinne der Rechtsprechung des schlüssigen Konzeptes gewährleistet werden, wenn weder die Kleinvermieter noch die Mieter aufgrund der Freiwilligkeit der Teilnahme an der Bestandserhebung zwingend zur Datenabgabe herangezogen werden können und der Grundsicherungsleistungsträger somit keinen Einfluss auf die Rücklaufquote bei der Datenerhebung hat?

3. Wie erheblich bei der Datenerhebung ist die Größe des Wohnungsbestandes von Großvermietern, wenn der Wohnungsmarkt zur Hälfte auch von anderen Vermietern bestimmt wird?"

Damit formuliert die Beschwerdebegründung indes keine aus sich heraus verständlichen abstrakt-generellen Rechtsfragen zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts mit höherrangigem Recht (siehe zu diesem Maßstab Senatsbeschluss vom 4.1.2022 - B 11 AL 58/21 B RdNr 3 mwN). Die Beschwerdebegründung benennt außerhalb der Zitate keine einzige Vorschrift des materiellen Rechts. Die aufgeworfenen Fragen werden wesentlich von den tatsächlichen Umständen des Einzelfalls geprägt.

Darüber hinaus ist auch die Klärungsbedürftigkeit der Fragen nicht aufgezeigt. Die Beschwerdebegründung lässt nicht erkennen, warum sie durch die umfangreiche und teilweise auch zitierte Rechtsprechung des BSG zur Angemessenheit der Kosten der Unterkunft (vgl zB - die bisherige Rechtsprechung zusammenfassend - BSG vom 30.1.2019 - B 14 AS 24/18 R - BSGE 127, 214 = SozR 4-4200 § 22 Nr 101; Senatsurteil vom 5.8.2021 - B 4 AS 82/20 R - für SozR vorgesehen - NJW 2022, 803 ff) nicht zu klären bzw nicht schon geklärt sind (in diesem Sinne bereits BSG vom 28.1.2019 - B 8 SO 41/18 B - RdNr 6; Senatsbeschluss vom 12.4.2022 - B 4 AS 326/21 B - juris RdNr 4). Es wird nicht ausgeführt, welche weitere revisionsgerichtliche Klärung der Anforderungen an ein schlüssiges Konzept erforderlich und möglich ist. Der Senat hat bereits entschieden, dass die Anwendung dieser Grundsätze im Einzelfall, also die Prüfung, ob ein bestimmtes Konzept die methodischen Voraussetzungen (insbesondere hinsichtlich der vom Beklagten angesprochenen Repräsentativität und Validität der Datenerhebung) erfüllt und nachvollziehbar ist, eine Frage tatrichterlicher Beweiswürdigung (§ 163 SGG) darstellt (Senatsbeschluss vom 20.5.2022 - B 4 AS 282/21 B - juris RdNr 4). Vor diesem Hintergrund rügt der Beklagte, der dem LSG vorhält, von in der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannten Maßstäben abgewichen zu sein, im Kern nur eine unrichtige Rechtsanwendung bzw fehlerhafte Tatsachenwürdigung, was aber nicht zur Zulassung der Revision führen kann.

2. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision auch zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung des § 109 (Anhörung eines bestimmten Arztes) und § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (freie richterliche Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Wer eine Nichtzulassungsbeschwerde auf diesen Zulassungsgrund stützt, muss zu seiner Bezeichnung (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) die diesen Verfahrensmangel des LSG (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dartun, also die Umstände schlüssig darlegen, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (stRspr; siehe bereits BSG vom 29.9.1975 - 8 BU 64/75 - SozR 1500 § 160a Nr 14; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 160a RdNr 16 mwN). Darüber hinaus ist aufzuzeigen, dass und warum die Entscheidung - ausgehend von der Rechtsansicht des LSG - auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit der Beeinflussung des Urteils besteht (stRspr; vgl bereits BSG vom 18.2.1980 - 10 BV 109/79 - SozR 1500 § 160a Nr 36).

Der Vortrag, das LSG habe den Beklagten zu spät - nämlich erst knapp sechs Wochen vor der mündlichen Verhandlung - auf seine Bedenken gegen die Schlüssigkeit des Konzepts hingewiesen und entsprechende Fragen zur Datenerhebung gestellt, vermag den Verfahrensfehler der Verletzung des rechtlichen Gehörs bzw der Überraschungsentscheidung nicht schlüssig zu begründen. Denn der Beschwerdebegründung lässt sich nicht entnehmen, was der Beklagte in dieser Situation seinerseits unternommen hat, um sich noch im Berufungsverfahren rechtliches Gehör zu verschaffen (vgl zu dieser Obliegenheit etwa BVerfG vom 18.8.2010 - 1 BvR 3268/07; Senatsurteil vom 26.7.2016 - B 4 AS 47/15 R - BSGE 122, 25 = SozR 4-1500 § 114 Nr 2, RdNr 36). Hier wäre an einen Antrag auf Vertagung der mündlichen Verhandlung oder Schriftsatznachlass zu denken gewesen. Unabhängig hiervon ist die Beschwerde im Hinblick auf die gerügte Verletzung rechtlichen Gehörs auch deshalb unzulässig, weil die Beschwerdebegründung keine Angaben dazu enthält, was der Beklagte vorgetragen hätte, wenn das LSG ihm früher Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hätte (vgl zu dieser Voraussetzung nur BSG vom 22.12.2021 - B 9 SB 42/21 B - juris RdNr 20).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 Satz 1, Abs 4 SGG.

Meßling

B. Schmidt

Söhngen

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15459349

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