Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches LSG (Urteil vom 29.01.1998) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 29. Januar 1998 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
Das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht (LSG) hat in seinem Urteil vom 29. Januar 1998 einen Anspruch der Klägerin auf Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit im wesentlichen mit folgender Begründung verneint: Die Klägerin genieße zwar als Friseurin den Berufsschutz einer Facharbeiterin, sei jedoch angesichts ihres Restleistungsvermögens sozial zumutbar auf die Tätigkeit einer Rezeptionistin in größeren Friseurbetrieben zu verweisen. Insoweit gebe es Arbeitsplätze in nennenswerter Zahl. Denn die Anzahl solcher Arbeitsplätze im Bundesgebiet sei auf 500 bis 600 zu schätzen. Dabei sei berücksichtigt, daß in vielen größeren Betrieben der Meister selbst den Empfang der Kunden und die Arbeitseinteilung übernehme.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin Beschwerde eingelegt. Sie macht eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, Divergenz sowie das Vorliegen von Verfahrensmängeln geltend.
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet. Die Rechtssache hat in dem von der Klägerin dargelegten Sinne keine grundsätzliche Bedeutung. Im übrigen genügt die Beschwerdebegründung nicht den gesetzlichen Anforderungen.
Gemäß § 160 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ist die Revision durch das Bundessozialgericht (BSG) nur zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1), wenn das Urteil des LSG von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr 2) oder wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (Nr 3). In der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil des LSG abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden (vgl § 160a Abs 2 Satz 3 SGG).
Eine Zulassung der Revision kann nicht auf § 160 Abs 2 Nr 1 SGG gestützt werden. Grundsätzliche Bedeutung iS dieser Vorschrift hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besitzt (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nrn 11, 39). Diese Frage muß außerdem klärungsbedürftig sein. Das ist grundsätzlich nicht der Fall, wenn die Antwort darauf von vornherein außer Zweifel steht (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 4) oder bereits höchstrichterlich entschieden ist (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nrn 13, 65).
Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die von ihr angeführte Frage, ob das Kriterium der Zugänglichkeit zu einem Verweisungsberuf, nämlich das Vorhandensein von Arbeitsplätzen in nennenswerter Zahl, generell als erfüllt anzusehen ist, wenn unabhängig vom jeweiligen Arbeitsbereich mehr als 300 Arbeitsplätze vorhanden sind, oder ob dies je nach Berufsbereich unterschiedlich zu bewerten ist, es somit auch Arbeitsbereiche geben kann, in denen zum Beispiel 350 oder aber auch 500 bis 600 Arbeitsplätze keine nennenswerte Zahl darstellen, nicht klärungsbedürftig. Aus dem von der Klägerin diskutierten Urteil des BSG vom 14. Mai 1996 (- 4 RA 104/94 – ;vgl auch die Parallelentscheidung gleichen Datums – 4 RA 60/94 – in BSGE 78, 207 = SozR 3-2600 § 43 Nr 13) geht nämlich mit hinreichender Deutlichkeit hervor, daß 350 zugängliche, dh nicht nur betriebsintern vergebene, Arbeitsplätze jedenfalls keine nur ganz geringe, also eine nennenswerte Zahl darstellen.
Dabei ist zu berücksichtigen, daß der 4. Senat des BSG diesen Rechtssatz im Rahmen der (auf S 21 des Urteilsabdrucks 4 RA 104/94 beginnenden) Prüfung aufgestellt hat, ob ein sog Katalogfall (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nr 137 S 440) im Sinne eines Seltenheitsfalles vorliegt. Ein solcher wird nach den Ausführungen des BSG angenommen, wenn die Arbeitsplätze, an denen der in Betracht gezogene Verweisungsberuf verrichtet wird, generell nur an Betriebsangehörige vergeben werden, somit als Eingangsstellen für Betriebsfremde nicht zur Verfügung stehen, oder wenn sie nur in ganz geringer Zahl vorkommen. Dazu hat das BSG sodann die Feststellung des LSG wiedergegeben, daß die 350 Arbeitsplätze für Kassiererinnen an Sammelkassen bei der Firma K. … AG nicht den Betriebsangehörigen vorbehalten, insbesondere keine „Schonarbeitsplätze” seien, also nicht nur betriebsintern vergeben würden.
Aufbauend darauf hat das BSG weiter dargelegt: Der beschriebene Vergleichsberuf werde nicht nur an Arbeitsplätzen ausgeübt, die nur in ganz geringer Zahl vorkämen. Im zu entscheidenden Fall sei die Vorinstanz schon deshalb zu Recht nicht näher darauf eingegangen, wie niedrig die „Mindestzahl” der Arbeitsplätze für den Vergleichsberuf der Kassiererin an einer Sammelkasse der von der Firma K. … AG eingerichteten Art sein müßte, um iS der Rechtsprechung des BSG „ganz gering”, „nicht ins Gewicht fallend”, „nicht nennenswert” oder „unbedeutend” zu sein. Einer Beweiswürdigung hierzu habe es schon deshalb nicht bedurft, weil eine Zahl von mehr als 300 Arbeitsplätzen in einem Vergleichsberuf von vornherein nicht ganz gering sein könne. Denn eine derart große Zahl reiche stets aus, das Ausmaß der krankheits- bzw behinderungsbedingten Minderung der Berufsfähigkeit an einer im Arbeitsleben wirklich nachgefragten Berufskompetenz und Belastbarkeit zu prüfen.
Zur formgerechten Rüge eines Zulassungsgrundes der Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG, welchen die Klägerin ebenfalls geltend macht, ist in der Beschwerdebegründung die Entscheidung, von der das Urteil des LSG abweichen soll, zumindest so zu bezeichnen, daß sie ohne Schwierigkeiten auffindbar ist. Ferner ist deutlich zu machen, worin eine Abweichung zu sehen sein soll. Der Beschwerdeführer muß darlegen, zu welcher konkreten Rechtsfrage eine das Berufungsurteil tragende Abweichung in dessen rechtlichen Ausführungen enthalten ist. Er muß einen abstrakten Rechtssatz aus dem vorinstanzlichen Urteil und einen abstrakten Rechtssatz aus der höchstrichterlichen Entscheidung so bezeichnen, daß die Divergenz erkennbar wird. Es reicht hingegen nicht aus, auf eine bestimmte höchstrichterliche Entscheidung mit der Behauptung hinzuweisen, das angegriffene Urteil weiche hiervon ab. Schließlich ist darzulegen, daß die berufungsgerichtliche Entscheidung auf der gerügten Divergenz beruhe (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nrn 14, 21, 29).
Diesen Kriterien wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Zwar hat die Klägerin unter Heranziehung des Senatsurteils vom 12. Oktober 1993 – 13 RJ 41/92 – abstrakte Rechtssätze des BSG benannt, es jedoch unterlassen, aus den Entscheidungsgründen des LSG ebenfalls abstrakte Rechtssätze herauszuarbeiten, die der zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung widersprechen würden. Die Behauptung der Klägerin, das LSG habe bei seiner Entscheidung im konkreten Einzelfall Rechtsprechungsgrundsätze des BSG verkannt, genügt insoweit nicht.
Zur Begründung eines mit der Nichtzulassungsbeschwerde geltend gemachten Verfahrensmangels (vgl § 160 Abs 2 Nr 3 SGG) ist eine genaue Angabe der Tatsachen erforderlich, die den Mangel ergeben sollen (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nrn 14, 36). Die daraus folgenden Begründungserfordernisse hat die Klägerin nicht erfüllt.
Soweit die Klägerin die Auffassung vertritt, das Urteil des LSG sei iS von § 202 SGG iVm § 551 Nr 7 der Zivilprozeßordnung nicht mit Gründen versehen, weil es nicht rechtzeitig abgesetzt worden sei (vgl den Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 27. April 1993, in SozR 3-1750 § 551 Nr 4), hat sie einen derartigen Verfahrensmangel nicht ausreichend bezeichnet. Denn in der Beschwerdebegründung ist weder der Zeitpunkt der Niederlegung des unterschriebenen Urteils auf der Geschäftsstelle angegeben noch dargelegt worden, daß sich die Klägerin vergeblich um die Aufklärung dieses gerichtsinternen Vorgangs bemüht habe (vgl BSG SozR 3-1500 § 164 Nr 5). Rückschlüsse von dem in der Beschwerdebegründung genannten Zeitpunkt der Absendung der Urteilsausfertigungen an die Beteiligten auf den Zeitpunkt, an dem das Urteil in vollständiger Schriftform zur Geschäftsstelle gelangt ist, sind schon deshalb nicht möglich, weil es bei der Herstellung der Ausfertigungen zu erheblichen Kanzleiverzögerungen gekommen sein kann.
Sollte die Klägerin mit ihrem Vorbringen, das LSG habe wesentliche Tatsachenfeststellungen unterlassen, eine unzureichende berufungsgerichtliche Aufklärung des Sachverhalts rügen wollen, hat sie unberücksichtigt gelassen, daß eine Verletzung des insoweit einschlägigen § 103 SGG nur dann zur Revisionszulassung führen kann, wenn das LSG einem diesbezüglichen Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist (vgl § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG). Jedenfalls hat sie einen zweitinstanzlichen Beweisantrag, den das LSG übergangen haben könnte, nicht bezeichnet.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen