Entscheidungsstichwort (Thema)

Nichtzulassungsbeschwerde. Vertragsärztliche Versorgung. Praxisbudget. Honorarbegrenzungsmaßnahmen. Psychotherapie. Psychologische Psychotherapeuten

 

Leitsatz (redaktionell)

1. § 87 Abs. 2 S. 1 i.V.m. Abs. 2a S. 1, 2 und 8 SGB V sind die gesetzliche Grundlage für die Einführung von Praxisbudgets und stehen mit höherrangigem Recht in Einklang stehen.

2. Die Vorschriften im EBM-Ä über die Ermittlung der für die Berechnung der Praxisbudgets der einzelnen Arztgruppen relevanten Kostensätze sind im Grundsatz zu billigen; sie dürfen zumindest bis zum 31.12.2002 der Honorierung der vertragsärztlichen Leistungen zugrunde gelegt werden.

3. Die mit Honorarbegrenzungsmaßnahmen wie der Beschränkung des Fallzahlzuwachses verbundenen wirtschaftlichen Auswirkungen auf die Höhe des vertragsärztlichen Honoraranspruchs lassen sich nicht vordergründig durch die Höhe des konkreten Kürzungsbetrags bzw. der Summe der im Ergebnis nicht vergüteten Punkte bestimmen.

4. Die vom BSG entwickelten Grundsätze zur Honorierung der genehmigungsbedürftigen und zeitgebundenen Leistungen der großen Psychotherapie, die von Psychologischen Psychotherapeuten oder ausschließlich psychotherapeutisch tätigen Vertragsärzten erbracht werden, können nicht auf den Honoraranspruch anderer Arztgruppen übertragen werden.

 

Normenkette

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1, § 160a Abs. 2 Nr. 3; SGB V § 85 Abs. 4, § 87 Abs. 2 S. 1, Abs. 2a Sätze 1-2, 8; EBM-Ä Kap. A Abschn. I Teil B Nr. 1; EBM-Ä Kap. G Abschn. IV

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 25.09.2002; Aktenzeichen L 8 RA 37/02)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 25. September 2002 wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die außergerichtlichen Kosten der Beklagten auch für das Beschwerdeverfahren zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Der Kläger, ein Arzt für Orthopädie, wendet sich gegen die Anwendung der Vorschriften über die Praxisbudgets im Einheitlichen Bewertungsmaßstab für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä) in der ab 1. Juli 1997 geltenden Fassung auf seine Honorarabrechnung in den Quartalen III und IV/1997 sowie III/1998. In den streitbefangenen Quartalen hat er zusammen mit einem anderen Arzt eine orthopädische Gemeinschaftspraxis geführt. Er hält die Praxisbudgets für eine rechts- bzw verfassungswidrige Maßnahme zur Steuerung des ärztlichen Behandlungsverhaltens.

In den beiden letzten Quartalen vor Einführung der Praxisbudgets (I/1997 und II/1997) wurden in der Gemeinschaftspraxis 2.955 bzw 3.140 Versicherte der Krankenkassen behandelt. Die Praxis rechnete 4.030.000 bzw 4.200.000 Punkte ab und erhielt bei einem durchschnittlichen Punktwert von 6,25 Pfennigen Quartalshonorare von ca 280.000 DM bzw 265.000 DM. In den drei streitbefangenen Quartalen nach Einführung der Praxisbudgets rechnete sie 3.060, 2.681 und 2.769 Behandlungsfälle mit einer Gesamtpunktzahl von 4.388.000, 3.654.000 und 3.877.000 Punkten ab. Sie erzielte Quartalshonorare von 305.687 DM, 276.061 DM und 290.075 DM. Dabei ist berücksichtigt, dass infolge der Überschreitung des Praxisbudgets in den drei streitbefangenen Quartalen 537.000 Punkte, 303.000 Punkte und 292.000 Punkte rein rechnerisch nicht honoriert werden konnten. Unter Verweis auf die dargestellten Abrechnungswerte machte die Beklagte gegenüber dem Widerspruch des Klägers geltend, seine Praxis sei durch die Vorschriften über die Praxisbudgets in Verbindung mit der dadurch bewirkten Stabilisierung bzw deutlichen Erhöhung des Punktwertes begünstigt. Trotz eines Rückgangs der Zahl der Behandlungsfälle und der abgerechneten Punkte sei das Quartalshonorar unter Geltung der Vorschriften über das Praxisbudget angestiegen.

Klage und Berufung sind erfolglos geblieben. Das Landessozialgericht (LSG) hat unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) die Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der Einführung der Praxisbudgets und gegen die Rechtmäßigkeit ihrer Ausgestaltung im EBM-Ä zurückgewiesen (Urteil vom 25. September 2002).

Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision macht der Kläger geltend, im Rechtsstreit seien Fragen von grundsätzlicher Bedeutung (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) zu entscheiden.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Beschwerde ist zulässig. Erörterungsbedürftig ist insoweit nur die Beschwer des Klägers, die auch für das Rechtsmittel der Nichtzulassungsbeschwerde gegeben sein muss (Meyer-Ladewig, SGG, 7. Aufl., 2002, § 160a RdNr 2b, Vor § 143 RdNr 5a; Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 1990, RdNr 62). Insoweit ist allerdings eine formelle Beschwer ausreichend. Diese ist gegeben, weil das Berufungsurteil den vom Kläger in der Sache geltend gemachten Anspruch auf Honorierung aller abgerechneten Punkte verneint hat. Dass der Kläger – wie noch darzulegen ist – durch die von ihm bekämpften Praxisbudgets wirtschaftlich nicht belastet, sondern erheblich begünstigt wird, schließt eine formelle Beschwer durch das angefochtene Urteil nicht aus.

In der Sache hat die Beschwerde keinen Erfolg. Den im Rechtsstreit zu entscheidenden Fragen kommt keine grundsätzliche Bedeutung iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG zu, weil sie in der Rechtsprechung des BSG hinreichend geklärt sind.

Die Beschwerde beanstandet im Wesentlichen die Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Grundlagen über die Praxisbudgets in § 87 Abs 2 und 2a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Der Parlamentsvorbehalt sei insoweit nicht gewahrt, weil der Gesetzgeber die wesentlichen Ziel- und Inhaltsbestimmungen von Leistungsmengensteuerungen dem Satzungsrecht der Selbstverwaltungsorgane überlassen habe, ohne selbst die wesentlichen, diese Organe bindenden Zielvorgaben zu treffen. Die untergesetzlichen Budgetierungsregelungen seien zudem intransparent. Das gelte insbesondere für die Ermittlung der Kostensätze der einzelnen Arztgruppen, die das BSG selbst beanstandet habe. Gerade weil der Vertragsarzt unabhängig von der Höhe des ihm zufließenden Honorars nach der Rechtsprechung des BSG gehalten sei, alle wesentlichen Leistungen seines Fachgebiets zu erbringen, müsse umgekehrt der Gesetzgeber die Grundlagen der ärztlichen Vergütung in ihren wesentlichen Grundzügen selbst festlegen und dürfe dies nicht den Organen der gemeinsamen Selbstverwaltung von Ärzten und Krankenkassen überlassen.

Diese Gesichtspunkte stellen die gefestigte Rechtsprechung des BSG zur Rechts- und Verfassungsmäßigkeit der seit dem 1. Juli 1997 eingeführten Praxisbudgets im EBM-Ä nicht in der Weise in Frage, dass die erneute Durchführung eines Revisionsverfahrens erforderlich wäre. Der Senat hat in seinem vom LSG ausführlich wieder gegebenen Urteil vom 8. März 2000 (BSGE 86, 16 = SozR 3-2500 § 87 Nr 23) die Rechtmäßigkeit der Praxisbudgets bejaht. Er hat in diesem Urteil eingehend dargelegt, dass § 87 Abs 2 Satz 1 iVm Abs 2a Sätze 1, 2 und 8 SGB V die gesetzliche Grundlage für die Einführung von Praxisbudgets sind und diese Vorschriften mit höherrangigem Recht in Einklang stehen. Der Senat hat ausgeführt, dass die gesetzlichen Vorgaben des § 87 Abs 2a SGB V „eine verfassungskonforme Berufsausübungsregelung im Sinne des Art 12 Abs 1 Satz 2 Grundgesetz” darstellen (BSGE 86, 16, 21 = SozR 3-2500 § 87 Nr 23 S 120). An dieser Bewertung hat der Senat in seinen Urteilen vom 16. Mai 2001 – B 6 KA 47/00 R – (BSG SozR 3-2500 § 87 Nr 30) sowie – B 6 KA 53/00 R – (BSG SozR 3-2500 § 87 Nr 31) festgehalten. Auch in seinem Urteil vom 15. Mai 2002 – B 6 KA 33/01 R – (zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen), das sich in erster Linie mit der Festsetzung des Kostensatzes als Faktor zur Ermittlung des Praxisbudgets für die einzelnen Arztgruppen befasst, hat der Senat zu erkennen gegeben, dass er die Praxisbudgets weiterhin als gesetzes- und verfassungskonforme Regelung zur Berechnung der vertragsärztlichen Vergütung ansieht.

In dem zuletzt genannten Urteil vom 15. Mai 2002 – B 6 KA 33/01 R – hat der Senat im Übrigen entgegen der Darstellung der Nichtzulassungsbeschwerde die Vorschriften im EBM-Ä über die Ermittlung der für die Berechnung der Praxisbudgets der einzelnen Arztgruppen relevanten Kostensätze im Grundsatz gebilligt und betont, dass sie zumindest bis zum 31. Dezember 2002 der Honorierung der vertragsärztlichen Leistungen zugrundegelegt werden dürfen. Wegen der Auswirkungen der Kostensätze auf die Honoraranteile der einzelnen Arztgruppen hat der Senat dem Bewertungsausschuss lediglich aufgegeben, sie für die Zukunft zu überprüfen und – im Hinblick auf die Arztgruppe der Dermatologen – den deutlich gewordenen Verwerfungen nachzugehen. Wenn der Erweiterte Bewertungsausschuss nach § 87 Abs 4 SGB V daraus im Beschluss vom 19. Dezember 2002 die Konsequenz gezogen hat, die Praxisbudgets mit Wirkung zum 1. Juli 2003 abzuschaffen und den Bewertungsmaßstab insgesamt neu zu gestalten, können daraus keine Schlüsse auf die Rechtmäßigkeit der Vorschriften über die Praxisbudgets in den hier betroffenen Quartalen gezogen werden.

Im Übrigen hat der Senat bereits in anderem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass die (auch) dem Vorbringen des Klägers in den Vorinstanzen zu Grunde liegende Vorstellung, die Praxisbudgets führten notwendig zu einer Reduzierung des Honorars des einzelnen Vertragsarztes, in dieser Allgemeinheit unzutreffend ist. In seinem zu Regelungen in einem Honorarverteilungsmaßstab (HVM) über die Begrenzung des Fallzahlzuwachses und über Honorarkürzungen bei Überschreiten der Zuwachsgrenzen ergangenen Urteil vom 13. März 2002 (B 6 KA 1/01 R = BSGE 89, 173 = SozR 3-2500 § 85 Nr 45) hat der Senat ausgeführt, dass sich die mit Honorarbegrenzungsmaßnahmen wie der Beschränkung des Fallzahlzuwachses verbundenen wirtschaftlichen Auswirkungen auf die Höhe des vertragsärztlichen Honoraranspruchs nicht vordergründig durch die Höhe des konkreten Kürzungsbetrages bzw der Summe der im Ergebnis nicht vergüteten Punkte bestimmen lassen. Die Vorschriften über die Praxisbudgets sowie die von den Kassenärztlichen Vereinigungen zu ihrer Absicherung im HVM vorgegebenen Beschränkungen des Fallzahlzuwachses haben ua zum Ziel, den Punktwert für die große Mehrzahl der vertragsärztlichen Leistungen zu stabilisieren und damit einem seit Jahren zu beobachtenden Punktwertrückgang infolge eines Anstiegs der Menge der abgerechneten Punktwerte und eines nur geringfügigen Anstiegs der zur Verteilung zur Verfügung stehenden Gesamtvergütung entgegen zu wirken. Dass dieser Effekt durch die Praxisbudgets weitgehend erreicht worden ist, verdeutlicht gerade die Situation in der Gemeinschaftspraxis des Klägers in den streitbefangenen Quartalen.

Diese Praxis hat in den drei streitbefangenen Quartalen unter Geltung der Praxisbudgets weniger Fälle behandelt und weniger Punkte abgerechnet als in den beiden ersten Quartalen des Jahres 1997. Trotzdem hat sich das Quartalshonorar in DM erhöht. Besonders deutlich wird dies im Quartal III/1998. Die Praxis hat in diesem Quartal 371 Fälle und ca 323.000 Punkte weniger als im Quartal II/1997 abgerechnet und doch ein um ca 29.000 DM höheres Quartalshonorar erhalten. Dieser Effekt beruht – soweit ersichtlich – allein auf einer Erhöhung des Punktwertes von 6,25 Pfennig im Zeitraum vor der Einführung der Praxisbudgets auf schließlich 9,0 bzw 9,2 Pfennig im streitbefangenen Quartal III/1998. Infolge der Einführung der Praxisbudgets bzw der sie begleitenden und absichernden Regelungen im HVM der Beklagten ist der Punktwert zwischen den Quartalen I/1997 und II/1997 zum streitbefangenen Quartal III/1998 um fast 50% gestiegen. Dies ist für die Höhe des Honoraranspruchs des Klägers von erheblich größerer Auswirkung als der Umstand, dass etwa im Quartal III/1998 292.000 Punkte wegen Überschreitung der Grenzen des Praxisbudgets rechnerisch von der Honorierung haben ausgenommen werden müssen.

Der Kläger macht deshalb eine wirtschaftliche Beschwer durch die von ihm für verfassungswidrig gehaltenen Praxisbudgets auch nur auf dem Hintergrund eines von ihm unterstellten Anspruchs geltend, sämtliche von ihm abgerechnete Leistungen in den streitbefangenen Quartalen „zumindest in dem Punktwertrahmen, der in der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 25. August 1999 – B 6 KA 14/98 R – vorgegeben wurde”, vergütet zu erhalten. Dass ein solcher Anspruch nicht besteht, bedarf ebenfalls nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren. Die vom Senat in diesem Urteil entwickelten Grundsätze zur Honorierung der genehmigungsbedürftigen und zeitgebundenen Leistungen der großen Psychotherapie, die von Psychologischen Psychotherapeuten oder ausschließlich psychotherapeutisch tätigen Vertragsärzten erbracht werden (BSGE 83, 205 = SozR 3-2500 § 85 Nr 29; BSGE 84, 235 = SozR 3-2500 § 85 Nr 33; BSG SozR 3-2500 § 85 Nr 35; BSGE 89, 1 = SozR 3-2500 § 85 Nr 41), können nicht auf den Honoraranspruch anderer Arztgruppen übertragen werden. Das ergibt sich mit hinreichender Deutlichkeit aus den Ausführungen in den genannten Urteilen, in denen mehrfach eingehend auf die Umstände hingewiesen worden ist, die die genehmigungsbedürftigen und zeitabhängigen psychotherapeutischen Leistungen, die von ausschließlich psychotherapeutisch tätigen Ärzten bzw Psychologischen Psychotherapeuten erbracht werden, von allen anderen vertragsärztlichen Leistungen unterscheiden. Der Kläger hätte daher allenfalls beanspruchen können, dass alle von seiner Gemeinschaftspraxis abgerechneten Leistungen mit dem (fiktiven) Punktwert vergütet werden, der sich ergeben hätte, wenn alle von den Vertragsärzten gegenüber der Beklagten abgerechneten Leistungen ohne mengenbegrenzende Maßnahmen hätten vergütet werden müssen. Nichts spricht dafür, dass dieser (fiktive) Punktwert höher als der durchschnittliche Verteilungspunktwert in den letzten Quartalen vor Einführung der Praxisbudgets gewesen wäre. Nach den vom Kläger nicht angegriffenen Feststellungen des LSG wäre das Honorar der Praxis in diesem Fall niedriger ausgefallen als das ihm von der Beklagten tatsächlich bewilligte Honorar.

Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 Absätze 1 und 4 in der bis zum 1. Januar 2002 geltenden und hier noch anwendbaren Fassung (vgl BSG SozR 3-2500 § 116 Nr 24 S 115 ff).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1176699

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