Entscheidungsstichwort (Thema)
Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör. Terminsverlegung. anwaltlich vertretener Kläger. Darlegung
Orientierungssatz
Entspricht das Berufungsgericht einem Antrag des anwaltlich vertretenen Klägers auf Terminsverlegung nicht und sieht sich der Kläger hierdurch in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör gemäß Art 103 Abs 1 GG, §§ 62, 128 Abs 2 SGG verletzt, muss er aufzeigen, dass und weshalb seine persönliche Anwesenheit im Termin zur mündlichen Verhandlung - zusätzlich zu der seines Prozessbevollmächtigten - unerlässlich gewesen ist und dass er die Gründe hierfür dem Berufungsgericht substantiiert dargelegt hat (vgl BSG vom 15.5.1991 - 6 BKa 69/90, BVerwG vom 30.8.1982 - 9 C 1/81 = Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr 41, BFH vom 7.12.1990 - III B 102/90 = BFHE 163, 115).
Normenkette
GG Art. 103; SGG §§ 62, 128 Abs. 2, § 202; ZPO § 227 Abs. 1-2
Verfahrensgang
Tatbestand
Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (LSG) hat mit Urteil vom 26. Juni 2003 die Entscheidung des Beklagten und das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig bestätigt, wonach bei dem Kläger das gesundheitliche Merkmal "erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr" (Merkzeichen "G") nicht vorliegt, das Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen ist. Die Revision hat das LSG nicht zugelassen.
Dagegen hat der Kläger beim Bundessozialgericht (BSG) Beschwerde eingelegt. Er macht das Vorliegen von Verfahrensfehlern geltend.
Entscheidungsgründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Ihre Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen.
Die Revision ist nur zuzulassen, wenn einer der drei abschließend in § 160 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) genannten Zulassungsgründe vorliegt. Den von ihm allein geltend gemachten Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), hat der Kläger nicht so bezeichnet, wie es in § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gefordert ist.
Wird - wie hier vom Kläger - gerügt, das LSG habe den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 Grundgesetz, §§ 62, 128 Abs 2 SGG) verletzt, so muss vorgetragen werden, welchen erheblichen Vortrag das Gericht nicht zur Kenntnis genommen oder welches Vorbringen durch die Vorgehensweise des Gerichts verhindert worden ist und inwiefern das Urteil darauf beruhen kann (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 36; BSGE 65, 280, 284 = SozR 3-4100 § 128a Nr 5). Überdies ist darzulegen, dass der Beteiligte seinerseits alles getan hat, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 22). Das ist hier nicht geschehen.
Der Kläger sieht sich in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör zunächst deshalb verletzt, weil das LSG seinem Antrag auf Verlegung des Termin zur mündlichen Verhandlung am 26. Juni 2003 nicht entsprochen hat. Nach § 202 SGG iVm § 227 Abs 1 und 2 Zivilprozessordnung (ZPO) kann das Gericht einen Termin "aus erheblichen Gründen" auf Antrag oder von Amts wegen verlegen. Auch wenn danach kein Anspruch eines Beteiligten auf Verlegung besteht, so darf doch im gerichtlichen Bestreben um ein schleuniges Verfahren dessen rechtliches Gehör nicht verkürzt werden. Das geschieht allerdings, wenn eine Terminsverlegung abgelehnt und es dem verhinderten Beteiligten dadurch unmöglich gemacht wird, sich sachgemäß und erschöpfend zu äußern. Der Kläger hat nicht dargelegt, dass ein solcher Fall hier vorliegt. Da er im Berufungsverfahren anwaltlich vertreten war, hätte er aufzeigen müssen, dass und weshalb seine persönliche Anwesenheit im Termin zur mündlichen Verhandlung am 26. Juni 2003 - zusätzlich zu der seines Prozessbevollmächtigten - unerlässlich gewesen ist und dass er die Gründe dafür dem Berufungsgericht substantiiert dargelegt hat (vgl BSG, Beschluss vom 16. Mai 1991 - 6 BKa 69/90 -; BVerwG DÖV 1983, 247; BFHE 163, 116). Die Beschwerdebegründung macht hierzu keine Angaben. Diese waren auch nicht ausnahmsweise entbehrlich, weil das LSG das persönliche Erscheinen des Klägers angeordnet hatte (vgl dazu BSG SozR 1500 § 62 Nr 8). Denn diese Anordnung hatte das Berufungsgericht zugleich mit der Ablehnung des Verlegungsantrages aufgehoben. In dieser Situation hätte der Kläger versuchen müssen, sich rechtliches Gehör durch einen erneuten, mit der Notwendigkeit seiner persönlichen Anwesenheit begründeten Verlegungsantrag zu verschaffen.
Soweit der in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht am 26. Juni 2003 nicht anwesende Kläger vorbringt, das LSG habe ihm verfahrensfehlerhaft die von seinem Prozessbevollmächtigten im Termin beantragte Frist zur Stellungnahme auf das Gutachten des dort gehörten Sachverständigen Dr. K. nicht gewährt, weist er auf eine mögliche Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör hin. Denn er hatte persönlich keine Gelegenheit und sein in der mündlichen Verhandlung anwesender Prozessbevollmächtigter nicht genügend Zeit, sich mit den von dem Sachverständigen erstmals eingeführten erheblichen Gesichtspunkten einer fehlenden Schmerzverstärkung beim Hackengang und Treppensteigen sowie der Gewichtszunahme als Anzeichen für eine nicht gravierend gestörte Kaufunktion vertraut zu machen, ergänzende Informationen, zB über die Ursachen der festgestellten Gewichtsveränderungen und die Zusammenhänge zwischen Gesichtsschmerzen und bestimmten Körperbewegungen, einzuholen und dazu eine sachgemäße Äußerung abzugeben (vgl dazu BSG, Beschluss vom 23. Oktober 2003 - B 4 RA 37/03 B - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Die gegenteilige Auffassung des Berufungsgerichts geht zu Unrecht davon aus, es habe hier an neuen, die Einräumung einer Frist zur Stellungnahme gebietenden tatsächlichen Erkenntnissen gefehlt, weil Dr. K. sich allein auf die zuvor bereits in das Verfahren eingeführten aktenkundigen Tatsachen bezogen habe. Dabei ist unberücksichtigt geblieben, dass auch für das bis dahin abgelaufene Verfahren neue Erfahrungssätze verfahrensfehlerfrei erst verwertbar sind, wenn die Beteiligten sich dazu haben sachgerecht äußern können. Um solche Erfahrungssätze handelte es sich bei den von Dr. K. angegebenen Zusammenhängen zwischen Gesichtsschmerzempfinden und bestimmten Körperbewegungen sowie zwischen Gewichtszunahme und Schmerzsituation im Kiefer- und Kaubereich.
Der Kläger hat jedoch im Beschwerdeverfahren nicht dargelegt, welches Vorbringen zu den betreffenden Erfahrungssätzen ihm durch dieses verfahrensfehlerhafte Vorgehen des Berufungsgerichts abgeschnitten worden ist. Soweit der Kläger ansonsten Gesichtspunkte anspricht, die er gegen die Beurteilung des Sachverständigen Dr. K. hätte vortragen wollen, hat er nicht dargetan, dass sich das LSG insoweit auf dessen Sachverständigengutachten gestützt hat. Zu näheren Ausführungen bestand insofern Anlass, als das LSG hinsichtlich des Schadensbildes am rechten Kiefergelenk ausdrücklich von dem vom Kläger behaupteten Sachverhalt ausgegangen ist.
Der Kläger macht weiter geltend, das LSG habe den Sachverhalt nicht genügend aufgeklärt und damit gegen § 103 SGG verstoßen. Eine solche Rüge muss zur formgerechten Begründung folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines bis zuletzt aufrechterhaltenen, für das Revisionsgericht ohne weiteres auffindbaren Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, auf Grund deren bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3) Darlegung der von dem betroffenen Beweisantrag berührten Tatumstände, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, (4) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (5) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterlassenen Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätten gelangen können (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 5, 35, 45 und § 160a Nr 24, 34). Diesen Erfordernissen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Zunächst hat der Kläger nur den auf erneute Anhörung des erstinstanzlich nach § 109 SGG gehörten Sachverständigen Dr. E. gerichteten Beweisantrag konkret genug bezeichnet; im Übrigen ist seine Bezugnahme auf Beweisantritte zu unbestimmt (vgl dazu BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 9). Er sieht eine Verletzung des § 411 Abs 3 ZPO darin, dass der Berufungssenat den genannten Sachverständigen nicht zur Erläuterung seiner Äußerung veranlasst hat, beim Kläger seien "messbare Schmerzzustände" zu verzeichnen. Die Erklärungsbedürftigkeit dieser Formulierung folge daraus, dass die Vorinstanz angenommen habe, Dr. E. könne diesen Ausdruck nicht im strengen Sinne verwendet haben, da Schmerzen nicht unmittelbar objektivierbar seien. Damit hat der Kläger nicht hinreichend dargelegt, weshalb das LSG sich hätte gedrängt fühlen müssen, den Sachverhalt durch die beantragte Anhörung weiter aufzuklären (vgl dazu allg BSG, Beschluss vom 3. März 1999 - B 9 VJ 1/98 B - in SGb 2000, 269). Seinem Vortrag ist weder zu entnehmen, dass das Berufungsgericht die fragliche Äußerung des Sachverständigen Dr. E. seiner Entscheidung zu Grunde gelegt hat noch dass diese geeignet gewesen sei, die aus anderen Gutachten sowie herangezogener Fachliteratur gewonnene Auffassung des LSG zu erschüttern, die vom Kläger behaupteten, vom Kiefergelenk ausgehenden Schmerzen beim Gehen seien mit Messungen nicht unmittelbar objektivierbar, sondern nur mittelbar auf Grund von Verhaltensbeobachtungen einzuschätzen. Mit diesem methodischen Ansatz des Berufungssenats hat sich der Kläger nicht auseinander gesetzt.
Die danach nicht formgerecht begründete und mithin unzulässige Beschwerde ist nach § 160a Abs 4 Satz 2 Halbs 2 SGG iVm § 169 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen