Entscheidungsstichwort (Thema)
Revisionsnichtzulassungsbeschwerde. Darlegung eines Revisionsgrunds bei LSG-Urteil mit mehreren selbstständig tragenden Urteilsgründen. Darlegung eines Verfahrensmangels mit der Begründung fehlender Gründe bzw. der Verletzung der Amtsermittlungspflicht
Orientierungssatz
1. Ist eine Entscheidung des Berufungsgerichts nebeneinander auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt, so kann eine Nichtzulassungsbeschwerde nur dann zur Zulassung der Revision führen, wenn im Hinblick auf jede dieser Begründungen ein Zulassungsgrund formgerecht dargelegt wird (vgl BSG vom 19.6.1975 - 12 BJ 24/75 = SozR 1500 § 160a Nr 5 und vom 24.9.1980 - 11 BLw 4/80 = SozR 1500 § 160a Nr 38).
2. Mit dem bloßen Hinweis, die Entscheidungsgründe hätten sich auch mit seinem Vorbringen auseinandersetzen müssen, soweit es nicht offensichtlich unerheblich gewesen sei, genügt der Kläger seiner Darlegungspflicht nicht.
3. Wenn der zugestellten Anhörungsmitteilung nach § 153 Abs 4 S 2 SGG zu entnehmen ist, dass das LSG keine weitere Sachaufklärung mehr beabsichtigt und es etwaige schriftsätzlich gestellte Beweisanträge lediglich als Beweisanregungen, nicht aber als förmliche Beweisanträge iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ansieht, so muss der Kläger innerhalb der vom LSG gesetzten Frist diesem ausdrücklich die Aufrechterhaltung dieser Anträge mitteilen oder förmliche Beweisanträge stellen (vgl BSG vom 18.12.2000 - B 2 U 336/00 B = SozR 3-1500 § 160 Nr 31).
Normenkette
SGG §§ 103, 128 Abs. 1 S. 2, §§ 136, 153 Abs. 4 S. 2, § 160 Abs. 2 Nr. 3, § 160a Abs. 2 S. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen. Der beklagte Rentenversicherungsträger stellte mit einem nicht personenbezogenen Bescheid (Summenbescheid) Gesamtsozialversicherungsbeiträge und Säumniszuschläge fest. Widerspruch und Klage blieben erfolglos. Nachdem der Kläger einen während des Berufungsverfahrens geschlossenen Vergleich widerrufen hatte, wies das Landessozialgericht (LSG) Berlin seine Berufung mit Beschluss vom 12. Januar 2005 zurück.
Der Kläger hat gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Beschluss Beschwerde eingelegt.
Entscheidungsgründe
1. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist abzulehnen. Nach § 73a des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) iVm § 114 der Zivilprozessordnung (ZPO) kann einem Beteiligten für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundessozialgericht (BSG) nur dann Prozesskostenhilfe bewilligt und ein Rechtsanwalt beigeordnet werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. - Hieran fehlt es, weil die Nichtzulassungsbeschwerde unzulässig ist.
2. Die Beschwerde des Klägers genügt nicht den Begründungserfordernissen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG. Sie ist deshalb in entsprechender Anwendung von § 169 Satz 2 und 3 SGG als unzulässig zu verwerfen.
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Der Kläger hält für grundsätzlich bedeutsam, ob |
"es Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens gemäß § 28f Abs 2 Satz 5 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV) ist, ob ein Beschäftigungsverhältnis vorliegt, oder ob sich das Nachprüfungsverfahren auf die Frage der Höhe der Beiträge und auf die Frage der Versicherungs- oder Beitragspflicht beschränkt". |
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Er stellt weiter die Frage, ob |
"es bei der Anfechtung eines Summenbeitragsbescheides nach § 28f Abs 2 SGB IV Sache des Gerichtsverfahrens ist festzustellen, ob eine Aufzeichnungspflicht bestand oder verletzt wurde, oder dies Sache des Widerspruchs- und später des Nachprüfungsverfahrens nach § 28f Abs 2 Satz 5 SGB IV ist mit der Folge, dass die Frage im gerichtlichen Verfahren nicht mehr erörtert wird". |
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Hieran schließt er die Frage, ob |
"es Sache der Einzugsstelle ist, im gerichtlichen Verfahren nachzuweisen, dass eine Aufzeichnungspflicht iS von § 28f Abs 1 SGB IV bestand, oder der Arbeitgeber nachweisen muss, dass er Personen, die nur mit einem Vornamen benannt sind, nicht gegen Entgelt oder sonstwie beschäftigt hat". |
Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob der Kläger mit diesen Fragen und seiner hierzu gegebenen Begründung den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG erforderlichen Weise dargelegt hat. Denn das LSG hat seinen Beschluss nicht nur darauf gestützt, dass die Frage, ob "überhaupt eine Person bei einem Arbeitgeber gegen Entgelt beschäftigt" war, nach Abschluss des dem Erlass des Summenbescheides folgenden Widerspruchsverfahrens im Widerrufsverfahren nach § 28f Abs 2 Satz 5 SGB IV zu klären sei und nicht (mehr) in dem um den Summenbescheid geführten Gerichtsverfahren. Das Berufungsgericht hat diese Begründung zwar, wie sich dem Umfang seiner Ausführungen hierzu in den Entscheidungsgründen des Beschlusses entnehmen lässt, als Hauptbegründung betrachtet. Der Beschluss enthält jedoch eine doppelte Begründung, weil die Zurückweisung der Berufung selbständig tragend auch auf dem Ergebnis einer vom LSG hilfsweise angestellten Prüfung der - zunächst offen gelassenen - Frage beruht. Das LSG ist auf Seite 7 seines Beschlusses auf das Berufungsvorbringen des Klägers eingegangen und nach dessen Würdigung unter Hinweis auf die im Strafverfahren getroffenen Feststellungen zu der gerichtlichen Überzeugung gelangt, dass der in den angefochtenen Bescheiden zu Grunde gelegte Sachverhalt zutrifft, wonach die dort aufgeführten Personen vom Kläger gegen Entgelt beschäftigt wurden. Ist eine Entscheidung des Berufungsgerichts nebeneinander auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt, so kann eine Nichtzulassungsbeschwerde nur dann zur Zulassung der Revision führen, wenn im Hinblick auf jede dieser Begründungen ein Zulassungsgrund formgerecht dargelegt wird (grundlegend BSG SozR 1500 § 160a Nr 5 und 38; ferner BVerwG Buchholz 310 § 132 Nr 158, 176, § 132 Abs 2 Ziff 1 Nr 4, § 153 Nr 22; vgl auch BAG NJW 1999, 1419). Das hat der Kläger nicht getan. Soweit er sich in seiner Beschwerdebegründung auch mit der Hilfsbegründung des Berufungsgerichts auseinandersetzt, hat er die insoweit einzig geltend gemachten Verfahrensmängel (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht ausreichend bezeichnet.
a) Der Kläger legt in seiner Beschwerdebegründung zunächst dar, dass der Beschluss des LSG nicht die erforderliche Begründung enthalte und das Erkenntnis des Berufungsgerichts deshalb unter Verstoß gegen §§ 128 Abs 1 Satz 2, 136 SGG zu Stande gekommen sei. Er führt hierzu im Wesentlichen aus, dass sich das LSG in den Entscheidungsgründen des Beschlusses nicht mit seinen im Berufungsverfahren dafür vorgetragenen einzelnen Argumenten auseinandergesetzt habe, dass die "Beschäftigung 13 weiterer namenloser Personen" zweifelhaft sei und entgegen der von der Beklagten vertretenen Auffassung nicht als feststehend angesehen werden dürfe. - Mit diesem Vorbringen wird ein möglicherweise erheblicher Verfahrensmangel nicht bezeichnet. "Entscheidungsgründe" iS des § 136 Abs 1 Nr 6 SGG enthält ein Urteil nur dann, wenn in der Begründung selbst mindestens diejenigen Erwägungen zusammengefasst sind, auf denen die Entscheidung über jeden einzelnen für den Urteilsausspruch rechtserheblichen Streitpunkt in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht beruht (grundlegend BSG SozR Nr 9 zu § 136 SGG; SozR 1500 § 136 Nr 10). § 128 SGG konkretisiert den Umfang des in der Entscheidung zu erörternden Streitstoffes in der Weise, dass das Gericht jedenfalls die Gründe anzugeben hat, die für seine Überzeugung leitend gewesen sind (BSG SozR Nr 9 zu § 136 SGG). Der Kläger legt nicht dar, warum das Berufungsgericht, das das unter Würdigung seines Berufungsvorbringens erreichte Ergebnis richterlicher Überzeugungsbildung auf Seite 7 des Beschlusses mitgeteilt und damit begründet hat, "warum es davon ausgeht, dass es weitere Beschäftigte gab", noch auf einzelne seiner Tatsachenbehauptungen und Zweifel hätte eingehen müssen. Mit dem bloßen Hinweis, die Entscheidungsgründe hätten sich auch mit seinem Vorbringen auseinandersetzen müssen, soweit es nicht offensichtlich unerheblich gewesen sei, hat der Kläger seiner Darlegungspflicht nicht genügt.
b) Der Kläger macht weiter geltend, das LSG habe den Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 des Grundgesetzes ≪GG≫, §§ 62, 128 Abs 2 SGG) verletzt, weil es sein Berufungsvorbringen dazu, dass er die in den angefochtenen Bescheiden aufgeführten Personen nicht beschäftigt habe, nicht zur Kenntnis genommen habe. Er sieht einen solchen Verfahrensmangel "indiziert", weil die Entscheidungsgründe des Beschlusses eine Auseinandersetzung mit seinen Argumenten nicht enthalten. - Auch hiermit genügt der Kläger seiner Darlegungspflicht nicht. Soll gerügt werden, dass das LSG Ausführungen eines Prozessbeteiligten nicht zur Kenntnis genommen und nicht in Erwägung gezogen hat, so reicht es nicht aus vorzutragen, dass die fehlende Auseinandersetzung mit diesen Ausführungen in den Gründen der Entscheidung als "Indiz" hierfür gelte, wenn andererseits - wie hier - im Tatbestand und in den Entscheidungsgründen das Vorbringen des Beteiligten dargestellt und hinsichtlich weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes explizit auf seine Schriftsätze Bezug genommen wird.
c) Soweit der Kläger ferner rügt, der Beschluss des LSG beruhe auf mangelhafter Sachaufklärung (§ 103 SGG), weil im Berufungsverfahren gestellte Anträge auf Einholung eines Sachverständigengutachtens und Zeugenvernehmung nicht berücksichtigt worden seien, ist ein Verfahrensmangel des Berufungsgerichts ebenfalls nicht iS von § 160a Abs 2 Satz 3 SGG bezeichnet. Die Verletzung der Amtsermittlungspflicht eröffnet den Revisionsrechtszug nur, wenn geltend gemacht wird, das LSG sei einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt. Dabei muss der Beweisantrag im schriftlichen Verfahren im letzten Schriftsatz vor der Entscheidung ausdrücklich aufrechterhalten sein und deutlich machen, welche Tatsachen der Beschwerdeführer geklärt wissen will und welcher Beweismittel sich das LSG dazu bedienen soll (BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 9 und 29). Die Beschwerdebegründung muss dabei aufzeigen, dass ein solcher Beweisantrag gestellt und bis zur Entscheidung des Berufungsgerichts aufrechterhalten geblieben ist (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 9 mwN). - Der Kläger hat schon nicht aufgezeigt, dass etwa gestellte Beweisanträge aufrechterhalten geblieben sind. Als rechtskundig Vertretener musste der Kläger der zugestellten Anhörungsmitteilung nach § 153 Abs 4 Satz 2 SGG entnehmen, dass das LSG keine weitere Sachaufklärung mehr beabsichtigt und es etwaige schriftsätzlich gestellte Beweisanträge lediglich als Beweisanregungen, nicht aber als förmliche Beweisanträge iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ansieht. Nach Zugang der Anhörungsmitteilung musste daher der Kläger innerhalb der vom LSG gesetzten Frist diesem ausdrücklich die Aufrechterhaltung dieser Anträge mitteilen oder förmliche Beweisanträge stellen (BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 31 mwN). Entsprechende Darlegungen enthält die Beschwerdebegründung nicht. Der Kläger trägt lediglich vor, dass er mit Schriftsatz vom 16. Juli 2004 einer Entscheidung durch Beschluss widersprochen und mit einem Schriftsatz vom 30. August 2004 noch einmal auf die Zweifel an den tatsächlichen Grundlagen des Bescheides hingewiesen habe.
d) Der Kläger legt in seiner Beschwerdebegründung schließlich dar, das Berufungsgericht habe unausgesprochen den Rechtssatz zu Grunde gelegt, die tatsächlichen Feststellungen eines rechtskräftigen Strafbefehls könnten zur Grundlage eines Urteils eines Sozialgerichts gemacht werden; eine entsprechende Rechtsfrage sei noch nicht durch das BSG beantwortet und von grundsätzlicher Bedeutung. - Der Kläger hat hiermit schon keine konkrete Rechtsfrage gestellt, von der erwartet werden kann, dass sie in einer die Interessen der Allgemeinheit berührenden Weise das Recht oder die Rechtsanwendung fortentwickeln oder vereinheitlichen wird. Soweit er damit sinngemäß rügen will, das Berufungsgericht habe seine Pflicht zur Amtsermittlung (§ 103 SGG) verletzt oder seine Beweiswürdigung in rechtlich angreifbarer Weise vorgenommen (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG), sind derartige Rügen im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde durch § 160 Abs 2 Nr 3 SGG von vornherein ausgeschlossen.
Von einer weiteren Begründung wird in entsprechender Anwendung von § 160a Abs 4 Satz 3 Halbs 2 SGG abgesehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Fundstellen