Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. bayerisches Landeserziehungsgeld. Anrechnung von Einkommen des Partners einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft. Intensität der Beziehung. Verantwortungs- undEinstehungsgemeinschaft. gegenseitiger Einstandswille bezüglich eigenem Einkommen und Vermögen. Divergenz. Rechtsprechung des BVerfG. sozialgerichtliches Verfahren. Verfahrensfehler. rechtliches Gehör
Orientierungssatz
1. Eine Divergenz liegt nicht vor, wenn das LSG den Kriterien des anderen Gerichts (hier: des BVerfG zur erforderlichen Intensität der Beziehung für das Bestehen einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft) nicht widersprochen hat und keine eigene Kriterien entwickeln wollte.
2. Zur Geltendmachung einer Verletzung des rechtlichen Gehörs im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde.
3. Die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss wurde nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG 1. Senat 1. Kammer vom 14.9.2015 - 1 BvR 1699/15)
Normenkette
LErzGG BY Art. 5 Abs. 1 S. 2; LErzGG BY 1995 Art. 5 Abs. 1 S. 2; LErzGG BY Art. 6 Abs. 3 S. 2; LErzGG BY 2007 Art. 6 Abs. 3 S. 2; SGG § § 160a, 160 Abs. 2 Nrn. 2, 3 Hs. 1, § 160 Abs. 2 Nr. 3 Hs. 2, § 62; GG Art. 103 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 29. Oktober 2014 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I. Das Bayerische LSG hat mit Urteil vom 29.10.2014 einen Anspruch der Klägerin auf Landeserziehungsgeld nach dem Bayerischen Landeserziehungsgeldgesetz für das zweite Lebensjahr ihres am 27.6.1998 geborenen Kindes P abgelehnt. Bereits das SG München - so das LSG - sei mit Gerichtsbescheid vom 19.7.2013 (S 33 EG 18/11) zutreffend zu der Überzeugung gelangt, dass die Klägerin und der beigeladene Vater des Kindes im maßgeblichen Zeitraum eine eheähnliche Gemeinschaft im Sinne des Gesetzes gebildet hätten, sodass dessen Einkommen bei der Berechnung des Landeserziehungsgeldes anzurechnen sei mit dem Ergebnis, dass der Klägerin kein Landeserziehungsgeld zustehe. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Anrechnung des Einkommens des Partners einer eheähnlichen Gemeinschaft bei der Berechnung des Landeserziehungsgeldes bestünden nicht, da im Sozialrecht dem Gesetzgeber im Anwendungsbereich des Art 3 Abs 1 GG generell ein besonders großer Gestaltungsspielraum zukomme (BVerfGE 113, 167, 215; 122, 151, 174 ff; 126, 369, 397 f). Seien die Bindungen zwischen den Partnern wie im Rahmen einer eheähnlichen Gemeinschaft so eng, dass von ihnen erwartet werden könne, dass sie zunächst den gemeinsamen Lebensunterhalt sicherstellten, bevor sie ihr Einkommen zur Befriedigung eigener Bedürfnisse verwendeten, so sei ihre Lage im Hinblick auf die Berücksichtigung des gemeinschaftlichen Einkommens bei der Gewährung von Landeserziehungsgeld mit derjenigen nicht dauernd getrennt lebender Ehegatten vergleichbar (vgl BVerfGE 87, 234, 264 f).
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin beim BSG Beschwerde eingelegt. Sie macht geltend, die Rechtssache weiche von der Rechtsprechung des BVerfG ab und das Urteil des LSG beruhe auf einem Verfahrensmangel.
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hat keinen Erfolg. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Klägerin alle von ihr aufgegriffenen Punkten in einer den Zulässigkeitserfordernissen einer Nichtzulassungsbeschwerde genügenden Weise dargestellt hat und ihre Nichtzulassungsbeschwerde in allen Punkten zulässig ist. Die Beschwerde ist jedenfalls unbegründet. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) sowie von Verfahrensfehlern (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) liegen nicht vor.
Eine Abweichung (Divergenz) iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG liegt nur dann vor, wenn das LSG mit einem genau bestimmten entscheidungserheblichen Rechtssatz in seinem angegriffenen Urteil von einer genau bestimmten rechtlichen Aussage des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 21, 29, 54). Dazu genügt es nicht darzulegen, dass die angefochtene Entscheidung nicht den Kriterien entspricht, die etwa das BSG oder das BVerfG aufgestellt hat, sondern es ist aufzuzeigen, inwiefern das LSG diesen Kriterien ausdrücklich widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat (vgl dazu BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 21, 29, 67; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 26). Zudem ist anzugeben, inwiefern die Entscheidung des LSG auf der Abweichung beruhen kann (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 21, 29, 54, 67).
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Diesen Anforderungen hat die Klägerin bereits nicht hinreichend Rechnung getragen. Zwar behauptet sie eine Abweichung des LSG von dem Urteil des BVerfG vom 17.11.1992 (1 BvL 8/87, BVerfGE 87, 234), denn das Urteil des LSG vom 29.10.2014 beruhe auf dem Rechtssatz: |
"eine eheähnliche Gemeinschaft liegt immer dann vor, wenn |
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in ihr ein Mann mit einer Frau verbunden ist, |
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diese auf Dauer angelegt ist, |
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die daneben keine weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art zulässt und |
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sich durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander begründet, also |
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über die Beziehungen einer reinen Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgeht." |
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Diese Rechtsauffassung sei mit dem das genannte Urteil des BVerfG tragenden Rechtssatz unvereinbar, "dass eine eheähnliche Gemeinschaft nur dann vorliegt, wenn neben den vom LSG angeführten Merkmalen |
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zwischen den Partnern so enge Beziehungen bestehen, dass von ihnen ein gegenseitiges Einstehen in den Not- und Wechselfällen des Lebens erwartet werden kann (Verantwortungs- und Einstehungsgemeinschaft) - amtlicher Leitsatz Ziff. 2 zum o.a. Urteil des BVerfG - also |
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sich so sehr füreinander verantwortlich fühlen, dass sie zunächst den gemeinsamen Lebensunterhalt sicherstellen, bevor sie ihr persönliches Einkommen zur Befriedigung eigener Bedürfnisse verwenden (a.a.O, Begründung Abschn. II Ziff. 3)." |
Die Abweichung bestehe somit darin, dass das LSG bereits dann eine eheähnliche Lebensgemeinschaft als gegeben ansehe, wenn die Bindungen zwischen den Partnern keineswegs so eng seien, dass sie auch in den Not- und Wechselfällen des Lebens füreinander mit ihrem Einkommen und Vermögen einstehen würden.
Mit diesem Vorbringen kritisiert die Klägerin die Rechtsanwendung des LSG im konkreten Einzelfall und unterstellt dem LSG lediglich eine Abweichung von der Rechtsprechung des BVerfG. Die Klägerin legt gerade nicht dar, dass das LSG eine eigene, die Entscheidung tragende Rechtsansicht bewusst in Abweichung von der des BVerfG getroffen hat. Tatsächlich hat sich das LSG gerade die Rechtsprechung des BVerfG auf Seite 16 und 17 seines Urteils vom 29.10.2014 ausdrücklich zu eigen gemacht und auf die dort hervorgehobenen Kriterien abgestellt. Damit hat das LSG zu keinem Zeitpunkt den Kriterien des BVerfG zur eheähnlichen Lebensgemeinschaft widersprochen oder wollte gar eigene Kriterien für deren Definition entwickeln. Ob das LSG im Einzelfall richtig entschieden hat, ist darüber hinaus nicht zulässiger Gegenstand einer Nichtzulassungsbeschwerde (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7 S 10).
Soweit die Klägerin als weiteren Zulassungsgrund zur Revision einen Verfahrensfehler gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG rügt aufgrund einer Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG; Art 103 Abs 1 GG), so liegt dieser Zulassungsgrund jedenfalls nicht vor.
Die Klägerin kritisiert, das LSG habe ihren Vortrag mit Schriftsatz vom 16.8.2013 nicht berücksichtigt, dass sie in keiner Weise an dem Einkommen des Beigeladenen teilgehabt habe. Anders als bei der Ehe handele es sich eben gerade nicht um eine Erwerbsgemeinschaft, bei der das Einkommen grundsätzlich beiden Partnern zukomme, auch wenn keine Notlage gegeben sei. Das LSG setze sich erkennbar mit ihrem Einwand nicht auseinander, dass sie zum einen keinerlei Teilhabe am Einkommen des Beigeladenen hatte und zum anderen auch nicht haben konnte, weil die von ihr mit dem Beigeladenen unterhaltene Gemeinschaft, im Gegensatz zur Ehe, keine Erwerbsgemeinschaft sei, in der das Einkommen grundsätzlich beiden Partnern zukomme, auch wenn keine Notlage gegeben sei. Dieses Vorbringen der Klägerin begründet allerdings keine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör. Tatsächlich rügt sie die Sachverhaltswürdigung durch das LSG, die sie für unzutreffend hält. Dabei hat sie § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG unberücksichtigt gelassen, wonach der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung des insoweit einschlägigen § 128 Abs 1 S 1 SGG gestützt werden kann.
Zudem begründet das Vorbringen der Klägerin, ihr rechtliches Gehör sei dadurch verletzt, dass ein bestimmter Vortrag vom LSG nicht berücksichtigt worden sei, eine entsprechende Gehörsverletzung nicht. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass das Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen eines Beteiligten auch zur Kenntnis genommen und in seine Erwägungen miteinbezogen hat. Das Gericht ist aber nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen auch in der Begründung seiner Entscheidung ausdrücklich zu befassen. Insbesondere ist es nicht verpflichtet, auf sämtliche Tatsachen und Rechtsansichten einzugehen, die im Laufe des Verfahrens von der einen oder der anderen Seite zur Sprache gebracht worden sind (BVerfGE 96, 205, 216 f). Deshalb kann ein Verstoß gegen das rechtliche Gehör nicht bereits angenommen werden, wenn das Gericht Ausführungen eines Beteiligten unerwähnt lässt, die nach seinem Rechtsstandpunkt unerheblich oder offensichtlich haltlos sind (BVerfGE 70, 288, 293 f). Tatsächlich hat das LSG das Vorbringen der Klägerin in seinem Urteil vom 29.10.2014 auf Seite 12 ff benannt und dieses somit zur Kenntnis genommen. Art 103 Abs 1 GG schützt jedoch nicht davor, dass ein Gericht die Rechtsansicht eines Beteiligten nicht teilt (BVerfGE 64, 1, 12; 76, 93, 98). Die Beschwerde ist daher insgesamt zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen