Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Nichtzulassungsbeschwerde. Anforderungen an Revisionsbegründung
Orientierungssatz
Wendet sich die Revision gegen die Verletzung einer Vorschrift des materiellen Rechts, ist in der Begründung sorgfältig und nach Umfang und Zweck zweifelsfrei darzulegen, weshalb die Norm in der angefochtenen Entscheidung bezogen auf den festgestellten Sachverhalt nicht oder nicht richtig angewandt worden ist (vgl BSG vom 23.11.2005 - B 12 RA 10/04 R = juris RdNr 10, vom 6.3.2006 - B 13 RJ 46/05 R = juris RdNr 6 und 9). Dies setzt voraus, dass sich die Begründung mit dem vorinstanzlichen Urteil auseinandersetzt. "Auseinandersetzung" bedeutet, auf den Gedankengang des Vordergerichts einzugehen (vgl BSG vom 30.1.2001 - B 2 U 42/00 R = juris RdNr 10 und vom 16.12.1981 - 11 RA 86/80 = SozR 1500 § 164 Nr 20). Dazu muss der Revisionsführer zumindest kurz rechtlich auf die Gründe der Vorinstanz eingehen; er muss mithin erkennen lassen, dass er sich mit der angefochtenen Entscheidung befasst hat und inwieweit er bei der Auslegung der angewandten Rechtsvorschriften anderer Auffassung ist (vgl BSG vom 2.1.1979 - 11 RA 54/78 = SozR 1500 § 164 Nr 12, vom 16.12.1981 - 11 RA 86/80 aaO und vom 11.6.2003 - B 5 RJ 52/02 R = juris RdNr 12 ff).
Normenkette
SGG § 160 Abs. 2 Nrn. 1, 3, § 164 Abs. 2 Sätze 1, 3, § 160a Abs. 2 S. 3
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 11. Februar 2014 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Gründe
I. Mit Urteil vom 11.2.2014 hat das LSG Rheinland-Pfalz einen Anspruch des Klägers auf Gewährung höherer Regelaltersrente und höherer Beitragszuschüsse zur Krankenversicherung unter Berücksichtigung von Kindererziehungs- und Kinderberücksichtigungszeiten für die Kinder H. und B. verneint. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Nach dem Wortlaut des § 249 Abs 6 SGB VI habe der Kläger zwar einen Anspruch auf Anerkennung der begehrten Zeiten auch ohne eigene Erziehungsleistung. Der Geltendmachung dieser formalen Rechtsposition stehe jedoch der Einwand unzulässiger Rechtsausübung gemäß § 242 BGB entgegen. Hierbei handele es sich um einen Rechtsgrundsatz, der in der vom GG konstituierten Rechtsordnung alle positiven Rechtsnormen des Bundes oder der Länder und alle unterstaatlichen Rechtsnormen sowie deren Inhalt als Wirksamkeits-, Auslegungs-, Anwendungs- und Durchsetzbarkeitsvoraussetzung mitbestimme, soweit diese Normen oder ihre konkrete Anwendung übermäßig von ihm abwichen. In diesem Sinn sei der Grundsatz von Treu und Glauben eine allen subjektiven Rechten, Rechtsverhältnissen, Rechtslagen und Rechtsnormen immanente Inhaltsbegrenzung. Dass der Anspruch wegen unzulässiger Rechtsausübung nicht geltend gemacht werden könne, ergebe zudem eine teleologische Auslegung der gesetzlichen Vorschrift des § 249 Abs 6 SGB VI. Wenn gemäß § 105 SGB VI derjenige, der eine Tötungshandlung begangen habe, keinen Anspruch auf eine Rente wegen Todes habe, die sich als materieller Vorteil jener Tötungshandlung darstelle, könne ihm auch die im Verhältnis hierzu als ein Minus anzusehende Sozialleistung der Erhöhung der Rente wegen Berücksichtigung von Kindererziehungs- und Berücksichtigungszeiten als materieller Vorteil einer Tötung nicht zustehen. Mit dem Ausschluss von Sozialleistungen werde bei vorsätzlicher Tötung eines Angehörigen ein grober Verstoß gegen das die gesamte gesetzliche Rentenversicherung beherrschende Solidarprinzip sanktioniert. Wegen der Schwere und der Verwerflichkeit der Tötungshandlung solle der vorsätzlich handelnde Hinterbliebene nicht noch einen materiellen Vorteil aus seiner Tat ziehen können. Eine Gewährung von Hinterbliebenenrente wäre als "Lohn der Existenzvernichtung" ein Verstoß gegen die Menschenwürde der Versicherten. Nichts anderes könne für eine im Verhältnis hierzu als Minus anzusehende Sozialleistung gelten. Im vorliegenden Fall liege gerade eine solche verwerfliche vorsätzliche rechtswidrige Tötung der Ehefrau durch den Kläger vor, die als besonders schwerer Verstoß gegen das die Rentenversicherung beherrschende Solidarprinzip zu werten sei.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision macht der Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG und Verfahrensmängel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG geltend.
II. Die Revision ist unzulässig. Ihre Begründung entspricht nicht den gesetzlichen Anforderungen.
Gemäß § 164 Abs 2 S 1 SGG ist die Revision fristgerecht zu begründen. Nach S 3 der Vorschrift muss die Begründung "einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben." Diese gesetzlichen Anforderungen hat das BSG in ständiger Rechtsprechung präzisiert (vgl nur BSG SozR 4-1500 § 164 Nr 3; BSG SozR 3-1500 § 164 Nr 12 S 22, jeweils mwN; zustimmend: BVerfG SozR 1500 § 164 Nr 17).
Zwar rügt der Kläger sinngemäß eine Verletzung des § 249 Abs 6 SGB VI. Er legt aber nicht in der gebotenen Weise dar, worin die Rechtsverletzung liegen soll. Hierzu wäre unter Wiedergabe des entscheidungserheblichen Sachverhalts die Darstellung erforderlich gewesen, weshalb eine revisible Rechtsvorschrift auf den festgestellten Sachverhalt nicht oder nicht richtig angewandt worden ist (vgl BSG Beschluss vom 17.3.2003 - B 3 KR 12/02 R - Juris RdNr 14 und Urteil vom 23.11.2005 - B 12 RA 10/04 R - Juris RdNr 11; BSG Beschluss vom 27.2.2008 - B 12 P 1/07 R - Juris RdNr 16). Hieran fehlt es.
Wendet sich die Revision gegen die Verletzung einer Vorschrift des materiellen Rechts, ist in der Begründung sorgfältig und nach Umfang und Zweck zweifelsfrei darzulegen, weshalb die Norm in der angefochtenen Entscheidung - bezogen auf den festgestellten Sachverhalt - nicht oder nicht richtig angewandt worden ist (vgl zusammenfassend: BSG Urteil vom 23.11.2005 - B 12 RA 10/04 R - Juris RdNr 10 mit zahlreichen Nachweisen aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung; BSG Beschluss vom 6.3.2006 - B 13 RJ 46/05 R - Juris RdNr 6 und 9). Dies setzt voraus, dass sich die Begründung mit dem vorinstanzlichen Urteil auseinandersetzt. "Auseinandersetzung" bedeutet, auf den Gedankengang des Vordergerichts einzugehen (BSG Beschluss vom 30.1.2001 - B 2 U 42/00 R - Juris RdNr 10 und BSG SozR 1500 § 164 Nr 20). Dazu muss der Revisionsführer - zumindest kurz - rechtlich auf die Gründe der Vorinstanz eingehen; er muss mithin erkennen lassen, dass er sich mit der angefochtenen Entscheidung befasst hat und inwieweit er bei der Auslegung der angewandten Rechtsvorschriften anderer Auffassung ist (BSG SozR 1500 § 164 Nr 12 S 17 und Nr 20 S 33 f mwN; Senatsurteil vom 11.6.2003 - B 5 RJ 52/02 R - Juris RdNr 12 ff).
Diesen Anforderungen genügt die vorliegende Revisionsbegründung nicht.
Der Kläger versäumt es bereits, den vom LSG festgestellten entscheidungserheblichen Sachverhalt darzustellen. Soweit die Revisionsbegründungsschrift einen Sachverhalt schildert, ist ihr nicht zu entnehmen, ob die angeführten Tatsachen auf Feststellungen des Berufungsgerichts beruhen. Die Hinweise auf Blattzahlen in der Verwaltungs- und Gerichtsakte deuten vielmehr darauf hin, dass sich der Kläger anhand dieser Akten einen Sachverhalt selbst zusammengestellt hat. Für das Revisionsgericht sind aber die im Berufungsurteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen maßgeblich (vgl § 163 SGG). Fehlen diesbezügliche Ausführungen, wird das Revisionsgericht nicht in die Lage versetzt, allein anhand der Revisionsbegründung zu prüfen, ob die in Streit stehende revisible Rechtsvorschrift auf den festgestellten Sacherhalt nicht oder nicht richtig angewendet worden ist. Es ist nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, die entscheidungserheblichen Tatsachen selbst zusammenzutragen.
Darüber hinaus ist der Kläger nicht ausreichend auf die Gründe des Berufungsurteils eingegangen. So fehlt jede Auseinandersetzung mit den Ausführungen des LSG zur immanenten Inhaltsbegrenzung aller subjektiven Rechte, Rechtsverhältnisse, Rechtslagen und Rechtsnormen durch den Grundsatz von Treu und Glauben, zur teleologischen Auslegung des § 249 Abs 6 SGB VI(Argument a maiore ad minus unter Berücksichtigung des § 105 SGB VI) und zu dem Gedanken, dass in einer vorsätzlichen Tötung eines Angehörigen ein grober Verstoß gegen das die gesamte gesetzliche Rentenversicherung beherrschende Solidarprinzip liege, der mit dem Ausschluss von Sozialleistungen sanktioniert werde. Der Kläger begnügt sich vielmehr damit, der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts seine eigene Rechtsansicht entgegenzusetzen, nach der § 105 SGB VI die Vorschrift des § 249 Abs 6 SGB VI nicht einschränke und die ihm zustehenden Kindererziehungszeiten unter den Schutzbereich des Art 14 Abs 1 GG fielen, wobei weder § 105 SGB VI noch § 242 BGB eine wirksame Schrankenbestimmung iS des Art 14 Abs 1 S 2 GG darstellten.
Ebenso wenig hat der Kläger einen entscheidungserheblichen Verfahrensmangel des LSG schlüssig dargelegt.
Der Kläger sieht seinen Anspruch auf rechtliches Gehör iS von §§ 62, 128 Abs 2 SGG, Art 103 Abs 1 GG als verletzt an, weil das Berufungsgericht das Strafurteil des Landgerichts Bad Kreuznach vom 24.10.1986 beigezogen habe, ohne ihm vor Erlass des angefochtenen Urteils ausreichend Gelegenheit gegeben zu haben, sich hierzu zu äußern. Ohne diesen Verfahrensfehler hätte er vorgetragen, dass der sozialrechtlich relevante Sachverhalt entsprechend seinen Ausführungen zu Punkt II der Revisionsbegründungsschrift unter gänzlich anderen Kriterien hätte geprüft werden müssen.
Das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs hat zwar zum Inhalt, dass die Beteiligten ausreichend Gelegenheit zur Abgabe sachgemäßer Erklärungen haben müssen und ihnen dazu eine angemessene Zeit eingeräumt wird (BSG SozR 4-1500 § 62 Nr 1 RdNr 6 mwN). Warum der Kläger erst nach Übersendung des Strafurteils durch das LSG und Einräumung einer Erklärungsfrist insbesondere zur Entstehungsgeschichte und Bedeutung des § 249 Abs 6 SGB VI sowie des Schutzbereichs des Art 14 Abs 1 GG und seiner Schranken sachgemäß hätte Stellung nehmen können, zeigt die Revisionsbegründung aber nicht auf. Hierzu hätte umso mehr Anlass bestanden, als der Kläger schon im Widerspruchsbescheid vom 31.5.2011 und im erstinstanzlichen Urteil vom 22.8.2013 mit der Rechtsauffassung konfrontiert worden ist, dass eine Anwendung des § 249 Abs 6 SGB VI bei (vorsätzlicher) Tötung der Kindesmutter durch den Kindesvater unter Berücksichtigung von § 105 SGB VI oder § 242 BGB nicht in Betracht komme, eine Tat, die er während des gesamten Verfahrens nicht in Abrede gestellt hat.
Soweit der Kläger im Zusammenhang mit der Beiziehung des Strafurteils weitere Verfahrensmängel rügt (insbesondere Verletzung von §§ 117, 118 Abs 1 S 1 SGG iVm §§ 415 ff ZPO), hat er nicht dargelegt, dass die angefochtene Entscheidung auf diesen beruhen kann. Allein die Behauptung, das Berufungsurteil beruhe auf einem überraschenden Urkundenbeweis (zur Feststellung welcher bisher ungeklärten Tatsache?), der Verwertung einer vom Gericht in den Prozess nicht eingeführten Urkunde, reicht für die Darlegung der möglichen Kausalität zwischen dem angeblichen Verfahrensmangel und dem angefochtenen Urteil nicht aus.
Die nicht formgerecht begründete Revision ist nach § 169 SGG als unzulässig zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und 4 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI14285336 |