Verfahrensgang
SG Stuttgart (Entscheidung vom 29.04.2022; Aktenzeichen S 15 AS 1032/21) |
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 21.09.2022; Aktenzeichen L 12 AS 1567/22) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 21. September 2022 wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
1. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil weder der ausdrücklich geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) noch der sinngemäß geltend gemachte Verfahrensmangel (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) in der erforderlichen Weise dargelegt bzw bezeichnet worden ist (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Die Beschwerde ist daher ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 SGG, § 169 SGG).
a) Grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) hat eine Rechtssache nur, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Die Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung erfordert, dass eine konkrete Rechtsfrage klar formuliert wird. Weiter muss ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit im jeweiligen Rechtsstreit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) aufgezeigt werden (stRspr; vgl etwa BSG vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN).
In der Beschwerdebegründung ist aufzuzeigen, welche rechtliche Frage sich zu einer bestimmten Norm des Bundesrechts iS des § 162 SGG stellt (zuletzt etwa BSG vom 20.10.2021 - B 12 R 2/21 B - juris RdNr 16; BSG vom 4.1.2022 - B 11 AL 58/21 B - juris RdNr 3). Die Beschwerdebegründung muss daher eine aus sich heraus verständliche abstrakt-generelle Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts mit höherrangigem Recht formulieren (zuletzt BSG vom 12.8.2021 - B 12 R 11/21 B - juris RdNr 8; BSG vom 8.9.2021 - B 11 AL 42/21 B - juris RdNr 3 mwN; BSG vom 18.10.2021 - B 9 V 29/21 B - juris RdNr 7; BSG vom 20.10.2021 - B 5 R 230/21 B - juris RdNr 3; BSG vom 4.1.2022 - B 11 AL 58/21 B - juris RdNr 3).
Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Der Kläger hat vor dem LSG höhere Leistungen aufgrund der Covid-19-Pandemie begehrt, insbesondere um sich FFP2-Masken anschaffen zu können. Der Kläger wirft nun die Frage auf, "ob die vom Gesetzgeber gewährten 150€ einmalig ausreichend gewesen sind, oder ob aus Gründen der Sicherung des Existenzminimums eine gerichtliche Korrektur zumindest hier im Einzelfall erfolgen müsse." Damit ist schon nicht hinreichend dargelegt, welche Norm des Bundesrechts der Kläger für (möglicherweise) verfassungswidrig erachtet. Soweit er sinngemäß die Verfassungswidrigkeit des § 70 SGB II, der eine Einmalzahlung in Höhe von 150 Euro für Mai 2021 vorsieht, wegen einer zu geringen Höhe des Betrags geltend machen will, fehlt es an der Darlegung der Entscheidungserheblichkeit der Rechtsfrage, weil die übrigen als Anspruchsgrundlagen in Betracht kommenden Regelungen des SGB II außer Betracht bleiben. So hat das LSG insbesondere geprüft, ob ein Härtefallmehrbedarf nach § 21 Abs 6 SGB II gegeben ist. Soweit man das klägerische Vorbringen dahingehend versteht, dass er die Verneinung eines Anspruchs aus § 21 Abs 6 SGB II durch das LSG mangels Unabweisbarkeit für fehlerhaft erachtet, ist eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ebenfalls nicht dargetan. Das BSG hat bereits wiederholt entschieden, wann von einem unabweisbaren Bedarf iS von § 21 Abs 6 SGB II auszugehen ist (zusammenfassend BSG vom 12.5.2021 - B 4 AS 88/20 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 35 RdNr 20 mwN). Ob diese Voraussetzungen im Einzelfall vorliegen, ist eine Frage der tatrichterlichen Subsumtion, die nicht zur Zulassung der Revision führen kann.
Was die daneben sinngemäß aufgeworfene Frage angeht, ob der Regelbedarf (§ 20 SGB II) im hier streitigen Zeitraum (März 2020 bis April 2021) verfassungsgemäß war, setzt sich die Beschwerdebegründung nicht hinreichend mit der Rechtsprechung des BVerfG (BVerfG vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09 ua - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12; BVerfG vom 23.7.2014 - 1 BvL 10/12 ua - BVerfGE 137, 34 = SozR 4-4200 § 20 Nr 20) zu den verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Bemessung der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende auseinander.
b) Keine andere Beurteilung ergibt sich aus dem Vorbringen im Schriftsatz des Klägers vom 20.3.2023, mit dem dieser rügt, das LSG habe den Tatbestand nicht korrekt wiedergegeben. Der Kläger zeigt bereits nicht auf, warum er die von ihm angesprochenen vermeintlichen Mängel nicht durch eine Berichtigung des Tatbestands gemäß § 139 SGG hätte beheben lassen können. Er hat nicht dargelegt, einen solchen Antrag gestellt zu haben. Sollte das nicht der Fall sein, kann er nicht erst mit der Nichtzulassungsbeschwerde geltend machen, das im Tatbestand enthaltene tatsächliche Vorbringen sei vom Berufungsgericht nicht zutreffend wiedergegeben worden (BSG vom 20.12.2022 - B 6 KA 23/22 B - juris RdNr 10 mwN).
Entsprechendes gilt für die Rüge, das LSG habe über den vom Weiterbewilligungsantrag erfassten Zeitraum ab dem 1.5.2021 zu Unrecht nicht entschieden. Sofern damit das Übergehen eines Klageantrags als Verfahrensmangel geltend gemacht werden soll, kann der Kläger damit im Beschwerdeverfahren nicht gehört werden. Vielmehr hätte er dies mit einem Antrag auf Urteilsergänzung (§ 140 SGG) geltend machen müssen. Eine Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit der Beschwerdeführer sein Ziel auch mit einem Antrag nach § 140 SGG hätte erreichen können (vgl BSG vom 16.7.2004 - B 2 U 41/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 4 RdNr 4; BSG vom 2.7.2018 - B 14 AS 394/17 B - juris RdNr 6). Im Übrigen entspricht es ständiger Rechtsprechung des BSG, dass ein neuer Leistungsantrag zur Zäsur des streitbefangenen Zeitraums führt (BSG vom 22.3.2012 - B 4 AS 99/11 R - SozR 4-4200 § 12 Nr 18 RdNr 11; BSG vom 26.11.2020 - B 14 AS 13/19 R - BSGE 131, 116 = SozR 4-4200 § 44a Nr 2, RdNr 9; zuletzt BSG vom 6.6.2023 - B 4 AS 4/22 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen) und Bescheide für Folgezeiträume nicht nach § 86 SGG bzw § 96 Abs 1 SGG Gegenstand des Vor- und des Klageverfahrens werden (zu § 86 SGGBSG vom 24.6.2020 - B 4 AS 7/20 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 107 RdNr 20; zu § 96 Abs 1 SGG stRspr seit BSG vom 23.11.2006 - B 11b AS 9/06 R - SozR 4-4300 § 428 Nr 3 RdNr 14).
2. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 Satz 1, Abs 4 SGG.
Söhngen |
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B. Schmidt |
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Burkiczak |
Fundstellen
Dokument-Index HI15858418 |