Entscheidungsstichwort (Thema)

Nichtzulassungsbeschwerde. Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung. Aus- und Bewertung von Tatsachen. Bemessung des GdB. Beweiswürdigung. Rechtsanwendung im Einzelfall

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine im Ergebnis auf die Aus- und Bewertung von Tatsachen abzielende und die Bemessung des GdB, die grundsätzlich tatrichterliche Aufgabe ist, betreffende Fragestellung, die im Kern letztlich Fragen der Beweiswürdigung der gesundheitlichen Einschränkungen und der Rechtsanwendung im Einzelfall beinhaltet, stellt keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung dar.

2. Die Frage der zutreffenden Rechtsanwendung im Einzelfall ist von vornherein nicht Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde.

3. Dass die Entscheidung des LSG inhaltlich für unrichtig gehalten wird, kann als solches nicht zur Zulassung der Revision führen.

 

Normenkette

SGG § 128 Abs. 1 S. 1, § 160 Abs. 2 Nrn. 1, 3, § 160a Abs. 2 S. 3, Abs. 4 S. 2, §§ 162-163, 169 Sätze 2-3

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 12.09.2022; Aktenzeichen L 1 SB 302/18)

SG Detmold (Urteil vom 10.09.2018; Aktenzeichen S 10 SB 1338/16)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 12. September 2022 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Klägerin begehrt in der Hauptsache ab dem 6.5.2016 die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von mindestens 50 anstelle des vom SG zuerkannten GdB von 30 (Urteil vom 10.9.2018). Diesen Anspruch hat das LSG verneint (Urteil vom 12.9.2022).

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Klägerin Beschwerde zum BSG eingelegt. Sie rügt die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache.

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung verfehlt die gesetzlichen Anforderungen, weil der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nicht ordnungsgemäß dargelegt worden ist (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).

1. Grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 8.3.2021 - B 9 BL 3/20 B - juris RdNr 14; BSG Beschluss vom 27.8.2020 - B 9 V 5/20 B - juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 2.5.2017 - B 5 R 401/16 B - juris RdNr 6). Diese Darlegungsanforderungen erfüllt die Beschwerdebegründung nicht.

Die Klägerin misst folgender Frage grundsätzliche Bedeutung zu:

"Ist es zulässig, für die Feststellung des GdB nach der Anlage der Versorgungsmedizin-Verordnung (versorgungsmedizinische Grundsätze - VMG) bezüglich aus Gesundheitsstörungen resultierenden Teilhabebeeinträchtigungen solche Tatsachen zu Grunde zu legen, die für sich ausschließlich ärztlich attestierte Symptome einer nach den ICD-10-Kriterien anerkannten Krankheit darstellen?"

Hierzu führt sie aus, das LSG habe der Begründung der für die Feststellung des GdB maßgeblichen Frage, inwieweit eine aus einer Gesundheitsstörung resultierende Teilhabebeeinträchtigung vorliege, primär solche Tatsachen zu ihren Ungunsten zu Grunde gelegt, die ausschließlich als weitere Symptomatik der ärztlich attestierten posttraumatischen Belastungsstörung zu qualifizieren seien. Bei richtigem Verständnis der höchstrichterlichen Rechtsprechung (Hinweis auf BSG Urteil vom 30.9.2009 - B 9 SB 4/08 R - SozR 4-3250 § 69 Nr 10) hätte das LSG den Umstand, dass sie unter krankhafter Aufrechterhaltung einer Fassade der sozialen Teilhabe ihre Situation objektiv dramatisiere, als Folge einer gegebenen Gesundheitsstörung qualifizieren müssen. Die hieraus resultierenden Einschränkungen der gesellschaftlichen Teilhabemöglichkeiten führten richtigerweise zur Feststellung eines höheren GdB.

Mit der formulierten Frage und den weiteren Ausführungen in der Beschwerdebegründung hat die Klägerin schon keine Rechtsfrage iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG bezeichnet. Eine solche Rechtsfrage muss eine vom Einzelfall losgelöste (abstrakt-generelle) Frage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer bestimmten revisiblen Vorschrift (vgl § 162 SGG) mit höherrangigem Recht aufwerfen (BSG Beschluss vom 25.8.2022 - B 5 R 83/22 B - juris RdNr 11). Tatsächlich zielt die Fragestellung der Klägerin im Ergebnis auf die Aus- und Bewertung von Tatsachen ab; sie beinhaltet im Kern letztlich Fragen der Beweiswürdigung der bei ihr vorliegenden gesundheitlichen Einschränkungen und der Rechtsanwendung in ihrem Einzelfall. Dabei berücksichtigt die Klägerin bereits nicht, dass die Bemessung des GdB nach der ständigen Rechtsprechung des BSG grundsätzlich tatrichterliche Aufgabe ist (vgl BSG Beschluss vom 3.7.2019 - B 9 SB 37/19 B - juris RdNr 5 mwN). Zudem kann die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG nicht mit der Behauptung verlangt werden, das LSG habe gegen den Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung verstoßen. Dies gilt nicht nur für den Fall, dass die Beschwerde ausdrücklich eine Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG geltend macht, sondern auch dann, wenn sie ihre Angriffe gegen die Beweiswürdigung des LSG in das Gewand einer Grundsatzrüge zu kleiden versucht (vgl BSG Beschluss vom 14.2.2020 - B 9 V 41/19 B - juris RdNr 6). Die Frage der zutreffenden Rechtsanwendung in ihrem Einzelfall ist von vornherein nicht Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde (vgl stRspr; zB BSG Beschluss vom 9.5.2022 - B 9 SB 75/21 B - juris RdNr 8; BSG Beschluss vom 26.1.2017 - B 9 V 72/16 B - juris RdNr 14).

Unabhängig davon ist die Grundsatzrüge der Klägerin aber auch schon deshalb unzulässig, weil sie es versäumt hat, den vom LSG festgestellten Sachverhalt (vgl § 163 SGG) und die maßgebliche Verfahrensgeschichte darzustellen. Eine verständliche Sachverhaltsschilderung gehört zu den Mindestanforderungen einer Grundsatzrüge. Es ist nicht Aufgabe des BSG, sich im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren die entscheidungserheblichen Tatsachen aus dem angegriffenen Urteil selbst herauszusuchen (vgl stRspr; zB BSG Beschluss vom 28.9.2021 - B 9 SB 12/21 B - juris RdNr 5; BSG Beschluss vom 14.2.2020 - B 9 V 41/19 B - juris RdNr 5). Vielmehr muss die maßgebliche Sachverhaltsdarstellung der Beschwerdebegründung den Senat in die Lage versetzen, sich ohne Studium der Gerichts- und Verwaltungsakten allein aufgrund des Beschwerdevortrags ein vollständiges Bild über den Streitgegenstand sowie seine tatsächlichen und rechtlichen Streitpunkte zu machen (vgl stRspr; zB BSG Beschluss vom 4.1.2022 - B 9 V 22/21 B - juris RdNr 6 mwN). Ohne die Angabe der vom LSG festgestellten Tatsachen ist der Senat zudem nicht in der Lage, wie erforderlich, allein anhand der Beschwerdebegründung die Entscheidungserheblichkeit einer etwaigen Rechtsfrage zu beurteilen (vgl stRspr; zB BSG Beschluss vom 5.11.2020 - B 10 EG 5/20 B - juris RdNr 5; BSG Beschluss vom 29.7.2019 - B 13 R 250/18 B - juris RdNr 13).

2. Dass die Klägerin die Entscheidung des LSG inhaltlich für unrichtig hält, kann als solches nicht zur Zulassung der Revision führen (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 28.10.2020 - B 10 EG 1/20 BH - juris RdNr 11; BSG Beschluss vom 26.1.2017 - B 9 V 72/16 B - juris RdNr 14).

3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

4. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 169 Satz 2 und 3 SGG).

5. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Kaltenstein

Ch. Mecke

Othmer

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15554569

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