Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiederholung von Zeugenvernehmungen
Leitsatz (amtlich)
Zur Notwendigkeit der wiederholten Vernehmung eines Zeugen durch das Berufungsgericht.
Orientierungssatz
Die Wiederholung von Zeugenvernehmungen liegt grundsätzlich im Ermessen des Berufungsgerichts (§ 153 Abs 1, § 118 Abs 1 SGG iVm § 398 Abs 1 ZPO). Sie ist ausnahmsweise dann notwendig, wenn die erste Vernehmung verfahrensrechtlich fehlerhaft war oder wenn das Berufungsgericht von der Würdigung der persönlichen Glaubwürdigkeit durch das Erstgericht abweichen, insbesondere die bejahte Glaubwürdigkeit in Zweifel ziehen, oder eine protokollierte Aussage anders als das Erstgericht verstehen oder die Aussage des Zeugen hinsichtlich seiner Erinnerungsfähigkeit sowie des Inhalts und der Tragweite seiner Bekundungen anders würdigen will (vgl BSG vom 18.2.1988 6 RKa 24/87 = BSGE 63, 43).
Normenkette
SGG § 153 Abs 1, § 118 Abs 1 S 1; ZPO § 398 Abs 1
Verfahrensgang
LSG für das Saarland (Entscheidung vom 01.12.1988; Aktenzeichen L 1 J 61/88) |
SG für das Saarland (Entscheidung vom 16.05.1988; Aktenzeichen S 12 J 139/87) |
Gründe
Die Beschwerde ist unzulässig.
Die Klägerin stützt ihre Beschwerde auf den Revisionszulassungsgrund des Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-). Sie trägt vor, das Landessozialgericht (LSG) habe nicht zu der für die Klägerin ungünstigen Beweiswürdigung kommen dürfen, ohne zuvor den in der ersten Instanz vernommenen Zeugen B. zu vernehmen und die Klägerin persönlich anzuhören. Damit habe das LSG gegen § 128 Abs 2 SGG verstoßen.
Das Vorbringen der Klägerin genügt nicht den Formerfordernissen für die Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Mit der Rüge, das LSG habe nicht ohne vorherige nochmalige Vernehmung des Zeugen und Anhörung der Klägerin entscheiden dürfen, hat die Klägerin keinen Verstoß gegen Verfahrensvorschriften aufgezeigt. Die Wiederholung von Zeugenvernehmungen liegt grundsätzlich im Ermessen des Berufungsgerichts (§ 153 Abs 1, § 118 Abs 1 SGG iVm § 398 Abs 1 Zivilprozeßordnung -ZPO-). Sie ist ausnahmsweise dann notwendig, wenn die erste Vernehmung verfahrensrechtlich fehlerhaft war oder wenn das Berufungsgericht von der Würdigung der persönlichen Glaubwürdigkeit durch das Erstgericht abweichen, insbesondere die bejahte Glaubwürdigkeit in Zweifel ziehen, oder eine protokollierte Aussage anders als das Erstgericht verstehen oder die Aussage des Zeugen hinsichtlich seiner Erinnerungsfähigkeit sowie des Inhalts und der Tragweite seiner Bekundungen anders würdigen will (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 47. Aufl, § 398 Anm 2; Urteil des 6. Senats des BSG vom 18. Februar 1988 - BSGE 63, 43 - mit Besprechung von Behn - SGb 89, 144 mwN; BGH NJW 84, 2629). Wenn - wie im vorliegenden Fall - Zeugenaussagen so unbestimmt gehalten sind, daß aus ihnen Schlüsse nur teilweise oder mittelbar gezogen werden können, sind Abweichungen bei der Beweiswürdigung möglich, ohne daß eine Wiederholung der Zeugenaussage in der zweiten Instanz erforderlich wäre (Behn aaO S 151 Nr 7b). Um gleichwohl die Notwendigkeit einer derartigen Wiederholung zu begründen, hätte die Klägerin substantiiert vortragen müssen, daß mindestens einer der oben genannten Ausnahmefälle vorliegt. Daran fehlt es; insbesondere hat die Klägerin keine Zweifel daran geltend gemacht, daß Sozialgericht (SG) und LSG die Glaubwürdigkeit des Zeugen und den Inhalt seiner Aussage gleich bewerten.
Soweit die Klägerin vorträgt, ihr persönliches Erscheinen in der mündlichen Verhandlung des LSG hätte zum Zwecke der Anhörung angeordnet werden müssen, ist weder dargetan noch sonst ersichtlich, gegen welche Vorschrift das Unterlassen einer solchen Anordnung verstoßen könnte. Das persönliche Erscheinen eines Beteiligten und die damit verbundene Anhörung kann das Gericht nämlich nach seinem Ermessen anordnen (§ 111 Abs 1 SGG).
Ein Verstoß gegen § 128 Abs 2 SGG ist ebenfalls nicht dargelegt. Mit dieser Vorschrift, nach der das Urteil nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden darf, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten, soll verhindert werden, daß die Beteiligten durch ein Urteil überrascht werden, mit dem sie nicht zu rechnen brauchten. Ein unzulässiger Überraschungseffekt iS von § 128 Abs 2 SGG kann nicht darin gesehen werden, daß das LSG entgegen den Erwartungen der Klägerin aus den Zeugenaussagen und der persönlichen Anhörung der Klägerin in der ersten Instanz andere Schlüsse als das SG zog. Mit einem solchen Ergebnis mußte die Klägerin rechnen, weil die Berufungsbegründung gerade hierauf abzielte, die Klägerin in ihrer Berufungserwiderung diese Frage behandelte und sie in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG keine Beweisanträge stellte. Zur Begründung eines Verstoßes gegen § 128 Abs 2 SGG hätte die Klägerin im einzelnen darlegen müssen, daß sich das Berufungsurteil auf Tatsachen oder Beweisergebnisse stützt, über die sie nicht unterrichtet war oder die sie so spät erfahren hat, daß sie keine ausreichende Zeit zur Stellungnahme hatte. Derartiges hat die Klägerin nicht vorgetragen. Im übrigen richtet sich ihre Beschwerde in erster Linie gegen die Beweiswürdigung des LSG (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG); dabei beachtet sie nicht, daß auf eine Verletzung der genannten Vorschrift eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht gestützt werden kann (§§ 160 Abs 2 Nr 3, 160a Abs 2 Satz 3 SGG).
Die damit unzulässige Beschwerde war entsprechend § 169 SGG als unzulässig zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen