Entscheidungsstichwort (Thema)
Rüge der Verletzung der Aufklärungspflicht
Leitsatz (amtlich)
Kann ein Beteiligter nach dem bisherigen Verfahren davon ausgehen, daß das schädigende Ereignis nicht mehr zweifelhaft und nur noch der Ursachenzusammenhang streitig sei, so hat das Gericht bei anderer Würdigung - notfalls nach Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung - darauf hinzuweisen und Gelegenheit zu geben, einen Beweisantrag zu stellen (Ergänzung zu BSG vom 26.11.1975 - 5 BKn 5/75 = SozR 1500 § 160 Nr 13).
Orientierungssatz
Nach der ausdrücklichen Vorschrift des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG, kann eine Verletzung der Aufklärungspflicht nur gerügt werden, wenn ein entsprechender Beweisantrag gestellt worden ist. Diese Beschränkung der Eröffnung der Revisionsinstanz kann auch nicht dadurch umgangen werden, daß statt der Verletzung der Aufklärungspflicht eine Verletzung der Hinweispflicht (§ 106 SGG) gerügt wird, die darin liegen soll, daß das Gericht nicht die Stellung eines Beweisantrages angeregt hat.
Normenkette
GG Art 103 Abs 1; SGG §§ 62, 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2, § 103 S 1, § 106
Verfahrensgang
Hessisches LSG (Entscheidung vom 21.01.1988; Aktenzeichen L 5 V 1326/83) |
SG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 06.09.1983; Aktenzeichen S 12 V 342/81) |
Gründe
1.
Die Klägerin sieht es als Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung an, welche Beweisanforderungen an den Nachweis eines schädigenden Ereignisses iS des § 1 Abs 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) zu stellen sind, wenn im Gerichtsverfahren Widersprüche auftreten, der Beschädigte dann aber verstirbt, so daß er vom Gericht unmittelbar zu diesen Widersprüchen nicht mehr gehört werden kann. Damit hat die Klägerin die Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage nicht hinreichend dargetan. Dazu hätte eine nähere Darlegung gehört, weshalb trotz jahrzehntelanger Rechtsprechung die an den Nachweis einer Schädigung zu stellenden Beweisanforderungen noch ungeklärt sind. Allein der Hinweis darauf, daß sich in jüngerer Zeit die Fälle häufen, in denen durch Versterben der Antragsteller besondere Beweisschwierigkeiten auftreten, ist nicht geeignet, eine neue klärungsbedürftige Rechtsfrage darzutun, weil es im Versorgungsrecht Beweisschwierigkeiten dieser Art seit jeher gegeben hat.
2.
Die Klägerin sieht ferner einen Verfahrensfehler darin, daß das Landessozialgericht (LSG) seine Beurteilung, der Beschädigte habe unterschiedliche Angaben über den Zeitpunkt der Verschüttung gemacht, entscheidend auch auf die in einem Sachverständigengutachten enthaltenen Angaben gestützt habe. Das Gericht habe verkannt, daß es nicht Aufgabe eines Sachverständigen sei, den entscheidungserheblichen Sachverhalt zu ermitteln. Dieses Vorbringen ist schon deshalb nicht schlüssig, weil das LSG die Ermittlung des entscheidungserheblichen Sachverhalts, nämlich die Verschüttung, gerade nicht einem Sachverständigen überlassen hat, was nicht zulässig gewesen wäre (vgl zB Urteil des Senats vom 3. Februar 1988 - 9/9a RV 16/87 -). Es hat lediglich die Angaben des Beschädigten gegenüber der Sachverständigen, wie sie im Gutachten niedergelegt sind, als einen Beleg unter anderen Belegen dafür herangezogen, daß das eigene Vorbringen des Beschädigten wechselhaft und deshalb zum Nachweis einer Verschüttung nicht geeignet war. Da der Beschädigte selbst im Berufungsverfahren nicht mehr angehört werden konnte, was nach § 15 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) erforderlich gewesen wäre, konnten nur noch die sich aus den Akten ergebenden Angaben des Beschädigten verwertet werden. Kein Verfahrensverstoß liegt darin, daß das Gericht es zu Lasten des Beschädigten gewertet hat, daß er erst 1972 die im Jahre 1944 oder 1945 angeblich erlittene Verschüttung erwähnt hat.
3.
Die Beschwerdeführerin rügt außerdem einen Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs, weil das LSG nicht versucht habe, den für die Verschüttung benannten Zeugen ausfindig zu machen. Einen entsprechenden Beweisantrag hätte sie gestellt, wenn sie darauf hingewiesen worden wäre, daß das LSG die Tatsache der Verschüttung noch nicht als nachgewiesen angesehen hat. Soweit mit diesem Vorbringen die Verletzung der Sachaufklärungspflicht des § 103 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gerügt werden soll, kann sie keinen Erfolg haben, weil das nach der ausdrücklichen Vorschrift des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG nur gerügt werden kann, wenn ein entsprechender Beweisantrag gestellt worden ist (ständige Rechtsprechung des BSG - vgl ua BSG SozR 1500 § 160 Nrn 5, 34, 54). Diese Beschränkung der Eröffnung der Revisionsinstanz kann auch nicht dadurch umgangen werden, daß statt der Verletzung der Aufklärungspflicht eine Verletzung der Hinweispflicht (§ 106 SGG) gerügt wird, die darin liegen soll, daß das Gericht nicht die Stellung eines Beweisantrages angeregt hat (BSG SozR 1500 § 160 Nr 13).
Demgegenüber ist es allerdings nicht ausgeschlossen, als Verfahrensfehler geltend zu machen, das Gericht habe einen Beweisantrag unter Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 Grundgesetz -GG-, § 62 SGG) verhindert. Dieser Grundsatz ist vom Gesetzgeber mit dem Rang eines Grundrechts ausgestattet worden; seine Verletzung kann sogar mit der Verfassungsbeschwerde gerügt werden (Art 93 Abs 1 Nr 4a GG). Die Verletzung kann im einzelnen darin liegen, daß ein Beteiligter von einer Rechtsauffassung des Gerichts überrumpelt oder in sonstiger Weise unfair behandelt wird. Das könnte ua dann der Fall sein, wenn aus den schriftlichen Äußerungen des Gerichts oder dem Verlauf einer mündlichen Verhandlung sicher zu entnehmen ist, daß einzig Rechtsfragen bei einem unstreitigen oder vollständig aufgeklärten und festgestellt erscheinenden Sachverhalt, nicht aber noch Beweisfragen zur Entscheidung stehen. Das kommt auch in Betracht, wenn in einem Verfahren wegen sozialer Entschädigung der Schädigungstatbestand, den ein Gericht in erster Linie prüfen muß, als sicher festgestellt erscheint und anschließend ein medizinisches Gutachten über den Ursachenzusammenhang mit bestehenden Gesundheitsstörungen eingeholt wird. Wenn sich dann in der abschließenden Beratung ergibt, daß noch tatsächliche Fragen offen sind, ua über einen behaupteten Schädigungsvorgang, muß unter dem Gesichtspunkt des fairen Verfahrens durch Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung dem beweisbelasteten Beteiligten Gelegenheit gegeben werden, Beweisanträge zu stellen. Zwar ist - insbesondere bei rechtskundig vertretenen Beteiligten - bekannt, daß die Beweise abschließend erst durch das Gericht in voller Besetzung aufgrund der mündlichen Verhandlung gewürdigt werden. Dennoch ist es Sinn jedes Rechtsgesprächs in der mündlichen Verhandlung, die Anträge der Beteiligten auf das dem Streitstand angemessene Maß einzurichten.
Im vorliegenden Fall war die Klägerin nicht in einer solchen Überraschungssituation. Zwar enthielten die Beweisanordnungen des Berichterstatters den Zusatz, daß der Tatbestand der Schädigung unterstellt werden solle. Solche Zusätze mögen im allgemeinen von den Beteiligten auch dahin verstanden werden können, daß weitere Beweisangebote entbehrlich seien, weil die medizinische Beweisaufnahme kostenträchtig und an sich nur geboten ist, wenn allein Kausalitätsfragen noch offen sind. Aber eine medizinische Abklärung, die in erster Linie zur Erhellung von Ursachenzusammenhängen geboten ist, kann zugleich angezeigt sein, um die Glaubhaftigkeit der Angaben über eine Schädigung, zB - wie hier - durch eine Verschüttung, zu überprüfen (vgl zB BSG 8. Oktober 1987 - 9a RV 52/86 -).
Selbst wenn die Klägerin aus der Fassung der Beweisbeschlüsse zu Recht hätte entnehmen können, die Beweislage sei zu ihren Gunsten geklärt, könnte dennoch die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs im vorliegenden Fall keinen Erfolg haben. Denn es fehlt in der Nichtzulassungsbeschwerde der Vortrag, der durch die Verletzung des rechtlichen Gehörs unterblieben sein soll. Auch jetzt wird kein Beweisantrag bezeichnet, sondern lediglich ein Name genannt, mit dem ein möglicherweise noch lebender Zeuge unbekannten Aufenthalts gemeint ist, der vielleicht zum Beweisthema etwas aussagen könnte. Das genügt den an einen unterlassenen Beweisantrag zu stellenden Anforderungen nicht (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 24). Diese bloße Vermutung, daß es noch einen geeigneten Zeugen gebe, hätte das LSG nicht veranlassen können und müssen, weiteren Beweis über den Schädigungstatbestand zu erheben.
4.
Schließlich kann die Klägerin auch nicht mit Erfolg als Verfahrensmangel geltend machen, das LSG hätte dem Antrag, die Sachverständige Dr. W -L ergänzend gutachterlich zu hören, folgen müssen. Die Klägerin will die Sachverständige darüber vernommen wissen, welche Angaben der Beschädigte anläßlich der Untersuchung zur Frage der Verschüttung gemacht habe. Dies hatte sie aber in der mündlichen Verhandlung zur Begründung ihres Beweisantrages nicht vorgetragen. Schon aus diesem Grunde konnte sich das LSG auch nicht gedrängt fühlen, dem Beweisantrag stattzugeben. Der Urteilsbegründung und der Sitzungsniederschrift ist zu entnehmen, daß von der Ärztin ein ergänzendes Gutachten zur Zusammenhangsfrage eingeholt werden solle. Das erübrigt sich angesichts der Feststellung, ein schädigendes Ereignis sei nicht erwiesen.
Fundstellen