Verfahrensgang
SG München (Entscheidung vom 30.01.2019; Aktenzeichen S 33 U 633/13) |
Bayerisches LSG (Urteil vom 08.11.2022; Aktenzeichen L 2 U 74/19) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 8. November 2022 wird als unzulässig verworfen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten in dem der Beschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit über einen Anspruch der Klägerin auf Weitergewährung von Verletztengeld sowie auf Gewährung von Verletztenrente.
Die im Anschluss an ein jeweils erfolgloses Verwaltungsverfahren erhobenen Klagen hat das Sozialgericht (SG) nach Verbindung zur gemeinsamen Entscheidung abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 30.1.2019). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 8.11.2022).
Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG rügt die Klägerin das Vorliegen von Verfahrensfehlern.
II
1. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil sie den geltend gemachten Zulassungsgrund des Vorliegens von Verfahrensmängeln nicht ordnungsgemäß bezeichnet hat (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG), so müssen die diesen vermeintlich begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG, ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht, auf dem Mangel beruhen kann. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Soweit sie im Wesentlichen eine unzutreffende Würdigung der Befundunterlagen sowie der im Verfahren eingeholten Sachverständigengutachten und beratungsärztlichen Stellungnahmen rügt, wendet sie sich gegen die Beweiswürdigung iS von § 128 Abs 1 Satz 1 SGG, die einer Rüge als Verfahrensfehler im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde vollständig entzogen ist (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG). Der Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) beinhaltet sowohl die Befugnis als auch die Pflicht des Tatsachengerichts, nachdem der Sachverhalt vollständig und abschließend ermittelt ist, das Gesamtergebnis des Verfahrens einschließlich der erhobenen Beweise frei nach der inneren Überzeugungskraft der jeweiligen Beweismittel und des Beteiligtenvortrages unter Abwägung aller Umstände darauf zu würdigen, ob die maßgebenden Tatsachen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bzw im Falle geringerer Anforderungen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststehen (zB BSG Beschluss vom 9.6.2023 - B 2 U 7/23 B - juris RdNr 5 mwN; BSG Beschluss vom 29.1.2018 - B 9 V 39/17 B - juris RdNr 12 mwN; BSG Beschluss vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 10). Selbst in einem Revisionsverfahren ist die Beweiswürdigung als Verfahrensfehler (§ 164 Abs 2 Satz 3 SGG) nur eingeschränkt und nur in Grenzen überprüfbar. Dagegen scheidet sie als Zulassungsgrund ausdrücklich aus. Beteiligten obliegt es vielmehr, vor den Tatsachengerichten insbesondere durch Beweisanträge (§ 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 403 ZPO) und Ausübung des Fragerechts (§ 116 Satz 2, § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm §§ 397, 402, 411 Abs 4 ZPO) angenommene Mängel in vorhandenen Gutachten und Stellungnahmen aufklären zu lassen und so auf das Verfahren Einfluss zu nehmen. Verletzungen dieser Verfahrensrechte sind als Verfahrensmängel (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG iVm § 103 SGG, Art 103 Abs 1 GG iVm § 62 SGG) rügefähig (zB BSG Beschluss vom 21.2.2023 - B 2 U 47/22 B - juris RdNr 7).
Soweit die Beschwerdebegründung daher auch vorträgt, das LSG hätte weitere Aufklärungsmöglichkeiten ausschöpfen müssen, ggf durch Einholung weiterer Gutachten oder durch Befragung von Zeugen, legt sie nicht dar, dem LSG weiteren Aufklärungsbedarf rügefähig aufgezeigt zu haben. Um eine Verletzung von § 103 SGG geltend zu machen, hätte es insbesondere der Darlegung eines prozesskonformen Beweisantrags bedurft, der bis zuletzt aufrechterhalten oder im Urteil wiedergegeben worden ist (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG; vgl zB BSG Beschluss vom 21.2.2023 - B 2 U 47/22 B - juris RdNr 8 mwN). Daran fehlt es hier. Die Beschwerdebegründung trägt hierzu zunächst nur vor, weitere Ermittlungen während des Verfahrens dringend angeregt zu haben. Wenn sie am Ende zudem nur andeutet, in der mündlichen Verhandlung einen Beweisantrag zur Einvernahme von Zeugen gestellt zu haben, hätte es entweder der Wiedergabe des Beweisantrags oder der Angabe einer konkreten Aktenfundstelle bedurft. Denn nur so kann das Beschwerdegericht prüfen, ob es sich um einen prozesskonformen Beweisantrag gehandelt hat, der den Erfordernissen des § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 373 ZPO genügt (s auch BSG Beschluss vom 15.6.2023 - B 9 V 37/22 B - juris RdNr 19 mwN). Es liegt dabei in der Verantwortung der vor dem Berufungsverfahren anwaltlich vertretenen Klägerin, durch ihren Prozessbevollmächtigten entsprechende rügefähige Beweisanträge zu formulieren. Das Berufungsgericht trifft insoweit auch im Rahmen von § 106 SGG keine Hinweispflicht, um auf die Formulierung korrekter Beweisanträge hinzuwirken (vgl BSG Beschluss vom 9.6.2023 - B 2 U 7/23 B - juris RdNr 13 mwN; BSG Beschluss vom 4.8.2022 - B 5 R 64/22 B - juris RdNr 11).
Die Beschwerdebegründung bezeichnet auch keinen Verfahrensmangel wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG). Dem Gebot ist Genüge getan, wenn die Beteiligten die maßgeblichen Tatsachen erfahren und ausreichend Gelegenheit haben, sachgemäße Erklärungen innerhalb einer angemessenen Frist vorzubringen. Die Gerichte werden durch Art 103 Abs 1 GG nicht dazu verpflichtet, der Rechtsansicht eines Beteiligten zu folgen (zB BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 30.9.2022 - 2 BvR 2222/21 - juris RdNr 27; BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 9.2.2022 - 2 BvR 613/21 - juris RdNr 4; BSG Beschluss vom 17.5.2022 - B 2 U 91/21 B - juris RdNr 13; jeweils mwN). Soweit die Klägerin rügt, das LSG sei auf ihre im Verfahren vorgebrachten Argumente insbesondere bzgl der Fehlerhaftigkeit der eingeholten Gutachten nicht näher eingegangen, begründet dies keinen Verfahrensfehler. Die Garantie rechtlichen Gehörs verpflichtet die Gerichte, das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in ihre Erwägungen einzubeziehen. Dabei gilt die tatsächliche Vermutung, dass ein Gericht das Vorbringen der Beteiligten und den Akteninhalt zur Kenntnis genommen und erwogen hat. Die Gerichte sind indes nicht gehalten, jedes Vorbringen ausdrücklich zu bescheiden. Sie brauchen auch nicht zu Fragen Stellung zu nehmen, auf die es nach ihrer Auffassung nicht ankommt (vgl zB BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 30.9.2022 - 2 BvR 2222/21 - juris RdNr 27; BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 25.3.2010 - 1 BvR 2446/09 - juris RdNr 11; BSG Beschluss vom 17.5.2022 - B 2 U 91/21 B - juris RdNr 18; BSG Beschluss vom 21.4.2022 - B 5 R 306/21 B - juris RdNr 20; jeweils mwN). Deshalb muss die Beschwerdebegründung "besondere Umstände" des Einzelfalls aufzeigen, aus denen auf das Gegenteil geschlossen werden kann. Dem wird das Vorbringen der Klägerin nicht gerecht. Die Beschwerdebegründung zeigt hierzu selbst auf, dass das LSG auf die von der Klägerin gerügten Aggravationstendenzen eingegangen ist. Damit ist es indes seiner Pflicht zur Kenntnisnahme des Vorbringens der Klägerin nachgekommen. Insoweit vermag auch nicht der Vortrag, die Klägerin sei in der mündlichen Verhandlung vor den Kopf gestoßen worden, Umstände einer Überraschungsentscheidung des LSG aufzuzeigen. Eine Überraschungsentscheidung liegt dann vor, wenn das Gericht seine Entscheidung auf Gesichtspunkte stützt, die bisher nicht erörtert worden sind, und dadurch der Rechtsstreit eine unerwartete Wendung nimmt, mit der auch ein gewissenhafter Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verfahrensverlauf selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen braucht (zB BSG Beschluss vom 12.4.2023 - B 2 U 50/22 B - juris RdNr 20 mwN; BSG Beschluss vom 27.9.2022 - B 2 U 150/21 B - juris RdNr 8 mwN). Solche Umstände zeigt die Klägerin nicht auf, indem sie sich darauf beruft, das LSG habe sie in der mündlichen Verhandlung mit der Aussichtslosigkeit ihres Vorbringens konfrontiert. Sie trägt nichts dazu vor, aus welchen Gründen dies nach dem gesamten Verlauf des Verfahrens für sie überraschend gewesen sein könnte. Die Gerichte werden durch Art 103 Abs 1 GG - wie dargelegt - dagegen nicht dazu verpflichtet, der Rechtsansicht eines Beteiligten zu folgen.
Es liegt auch kein Begründungsmangel vor (§ 128 Abs 1 Satz 2, § 136 Abs 1 Nr 6 SGG). Gerichte müssen nicht jeden Gesichtspunkt, der erwähnt werden könnte, in den Entscheidungsgründen ausdrücklich abhandeln (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 1.12.2020 - B 12 KR 48/20 B - juris RdNr 9 mwN; BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 25.3.2010 - 1 BvR 2446/09 - juris RdNr 11). Hierzu trägt die Klägerin bereits selbst vor, das LSG zitiere aus den Untersuchungen und Gutachten ausführlich. An Entscheidungsgründen fehlt es überdies nicht schon dann, wenn die Gründe sachlich unvollständig, unzureichend, unrichtig oder sonst rechtsfehlerhaft sind (BSG Beschluss vom 24.5.2023 - B 2 U 81/22 B - juris RdNr 16 mwN; BSG Beschluss vom 11.6.2021 - B 13 R 7/21 B - juris RdNr 11 mwN). Soweit die Beschwerdebegründung rügt, das Urteil des LSG baue auf unzutreffenden Äußerungen der Mediziner und Sachverständigen auf, wendet sie sich daher gegen die Richtigkeit der Entscheidung, die indes keinen Zulassungsgrund darstellt (vgl BSG Beschluss vom 9.6.2023 - B 2 U 7/23 B - juris RdNr 14 mwN; BSG Beschluss vom 25.5.2020 - B 9 V 3/20 B - juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 4). Soweit die Klägerin mit ihrem Vorbringen im Kern wiederholt die fehlende Verwertbarkeit der herangezogenen Gutachten rügt, hätte sie weiteren Aufklärungsbedarf (§ 103 SGG) durch die Stellung eines prozesskonformen Beweisantrags geltend machen müssen (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG). Hieran fehlt es indes wie zuvor dargelegt. Die dargestellten Anforderungen an die Sachaufklärungsrüge (§ 103 SGG) können nicht durch die Geltendmachung einer Rüge in anderem Gewand umgangen werden (stRspr; zB BSG Beschluss vom 27.9.2022 - B 2 U 42/22 B - juris RdNr 10 mwN; BSG Beschluss vom 30.8.2022 - B 9 SB 17/22 B - juris RdNr 10 mwN; BSG Beschluss vom 6.2.2007 - 8 KN 16/05 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 12 RdNr 7).
Soweit die Klägerin angibt, das Urteil des LSG fasse den Tatbestand nur einseitig ab, begründet schließlich auch dies keinen rügefähigen Verfahrensmangel. Ein Beteiligter, der Nachteile aus einer Unrichtigkeit im Tatbestand befürchtet, muss statt einer Verfahrensrüge mittels der Nichtzulassungsbeschwerde einen Tatbestandsberichtigungsantrag innerhalb der gesetzlichen Fristen (§ 139 SGG) stellen (zB BSG Beschluss vom 6.1.2016 - B 13 R 411/15 B - juris RdNr 7 mwN; BSG Beschluss vom 2.9.2014 - B 9 V 17/14 B - juris RdNr 7 mwN).
2. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
3. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 169 Satz 2 und 3 SGG).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI16129392 |