Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde im sozialgerichtlichen Verfahren: Anforderungen an die Darlegungen bei Rüge eines Verfahrensmangels
Orientierungssatz
Eine verständliche Sachverhaltsschilderung gehört zu den Mindestanforderungen der Darlegungen bzw. Bezeichnung eines Revisionszulassungsgrundes; denn es ist nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, sich im Rahmen des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens die maßgeblichen Tatsachen aus dem angegriffenen Urteil selbst herauszusuchen (vgl. ua BSG 9. April 2015, B 12 KR 106/14 B). Ohne Sachverhaltswiedergabe kann das BSG nicht beurteilen, ob die Entscheidung des LSG auf dessen vermeintlich verfahrensfehlerhaftem Verhalten beruht.
Normenkette
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3, § 160a Abs. 2 S. 3
Verfahrensgang
Thüringer LSG (Urteil vom 26.10.2016; Aktenzeichen L 3 R 481/14) |
SG Nordhausen (Aktenzeichen S 35 R 2832/10) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 26. Oktober 2016 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I
Im Streit stehen weitere Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben für den Kläger, der zum Qualitätsfachmann in der Metallindustrie umgeschult worden ist. Das Thüringer LSG hat in seinem Urteil vom 26.10.2016 diesen Anspruch verneint. Nach den Ausführungen des Klägers hat sich das LSG im Rahmen seiner Begründung auf ein psychosomatisches Sachverständigengutachten des Dr. B. vom 4.4.2012, eine arbeitsmedizinische Stellungnahme vom 17.6.2004 einen Entlassungsbericht des Therapiezentrums R. vom 5.9.2005, ein Praktikumszeugnis der S. AG, eine Arbeitgeberauskunft der Firma Sch. GmbH vom 17.6.2010, eine Arbeitgeberauskunft der Firma P. vom 25.6.2010 und einen Umschulungsabschluss vom 28.9.2009 gestützt.
Das LSG hat die Revision in seinem Urteil nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde an das BSG und rügt einen Verfahrensfehler (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) in der Gestalt eines Sachaufklärungsmangels (§ 103 SGG). Das LSG sei seinen in der Berufungsschrift vom 20.6.2014 in Verbindung mit der ergänzenden Stellungnahme vom 26.9.2016 gestellten Beweisanträgen 1. ein berufskundliches Gutachten "betreffend die körperlichen Anforderungen an die Tätigkeit als Qualitätsfachmann in der Metallindustrie" und 2. ein chirurgisches Gutachten "betreffend die gesundheitliche Zumutbarkeit der Tätigkeit Qualitätsfachmann" einzuholen, nicht gefolgt. Zur Begründung führt der Kläger aus, die vom LSG herangezogenen Auskünfte seien als Grundlage für die ablehnende Entscheidung nicht hinreichend. Vielmehr indi zierten eine Tätigkeitsbeschreibung als "Qualitätsfachmann" des Berufsförderungswerks Sch. und die Tätigkeitsbeschreibung der Arbeitsagentur "Werkstück in die Messvorrichtung einspannen", dass die Tätigkeit als Qualitätsfachmann unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes nicht ausschließlich körperlich leicht sei. Das berufskundliche Gutachten hätte ergeben, dass die Tätigkeit als Qualitätsfachmann in der Metallindustrie unte den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes das Handhaben von Lasten von mehr als 5 kg und das häufige Einspannen von Werkstücken erfordere. Mit einem chirurgischen Gutachten wäre festgestellt worden, dass dem Kläger aufgrund der Bauchwandschwäche die Tätigkeit als Qualitätsfachmann in der Metallindustrie gesundheitlich unzumutbar sei wegen de zu handhabenden Werkstücke und des erforderlichen häufigen Einspannens von Werkstücken Hieraus folge, dass der Kläger nicht auf den Umschulungsberuf des Qualitätsfachmanns in der Metallindustrie verwiesen werden könne und damit die persönlichen Voraussetzungen für weitere Leistungen zur Teilhabe erfülle.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig. Die Beschwerdebegründung des Klägers vom 6.1.2017 genügt nicht der vorgeschriebenen Form, denn der geltend gemachte Verfahrensmangel wird nicht formgerecht bezeichnet (§ 160a Abs 2 S 3 SGG).
Für die Rüge eines Verfahrensmangels müssen die tatsächlichen Umstände, welche den geltend gemachten Verfahrensverstoß begründen sollen, substantiiert und schlüssig dargelegt und darüber hinaus aufgezeigt werden, inwiefern die angefochtene Entscheidung auf diesem Verfahrensmangel beruhen kann (vgl BSG Senatsbeschluss vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 4; BSG Beschluss vom 19.11.2007 - B 5a/5 R 382/06 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 21 RdNr 4; Krasney in Krasney/Udsching/Groth, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, Kap IX, RdNr 202 ff). Dabei ist zu beachten, dass der Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG gestützt werden kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 Teils 3 SGG) und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden kann, wenn er sich auf einen bis zuletzt aufrechterhaltenen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
Der Kläger versäumt es bereits, den Sachverhalt (im Sinne einer Gesamtheit rechtlich maßgeblicher Umstände) mitzuteilen, der dem Urteil des LSG zugrunde liegt; seinen Schilderungen können allenfalls Fragmente der entscheidungserheblichen Tatsachen entnommen werden. Eine verständliche Sachverhaltsschilderung gehört jedoch zu den Mindestanforderungen der Darlegungen bzw Bezeichnung eines Revisionszulassungsgrundes; denn es ist nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, sich im Rahmen des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens die maßgeblichen Tatsachen aus dem angegriffenen Urteil selbst herauszusuchen (BSG Beschluss vom 9.4.2015 - B 12 KR 106/14 B - Juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 20.6.2013 - B 5 R 462/12 B - BeckRS 2013, 70651 RdNr 12). Ohne Sachverhaltswiedergabe kann das BSG nicht beurteilen, ob die Entscheidung des LSG auf dessen vermeintlich verfahrensfehlerhaftem Verhalten beruht.
Selbst wenn dies dahingestellt bliebe, fehlt es an der Bezeichnung eines prozessordnungsgerechten Beweisantrags im Hinblick auf das Begehren der Einholung eines chirurgischen Gutachtens. Der Beweisantrag muss sich möglichst präzise mit den Folgen dauerhafter Gesundheitsbeeinträchtigungen auf das verbliebene berufliche Leistungsvermögen befassen. Je mehr Aussagen von Sachverständigen zum Beweisthema bereits vorliegen, desto genauer muss der Beweisantragsteller von ihm behauptete Unterschiede zum Gegenstand des Beweisthemas machen (vgl Senatsbeschluss vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5 mwN). Allein das Verlangen nach einem chirurgischen Gutachten genügt deshalb nicht, wenn - wie der Kläger selbst vorträgt - im Verlaufe des Verfahrens internistisch befunden worden sei, die Narbenhernie schränke ihn qualitativ, aber nicht quantitativ in seiner Leistungsfähigkeit ein.
Ungeachtet dessen mangelt es auch daran, dass der bereits im Berufungsverfahren rechtskundig vertretene Kläger nicht dargebracht hat, dass er beide Beweisanträge bei der Zustimmung zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung aufrechterhalten habe. Er bringt insoweit nur vor, mit welchem Schriftsatz er sie gestellt und - wohl - in einer ergänzenden Stellungnahme vom 26.9.2016 wiederholt habe. Ein Kläger, der bereits im Berufungsverfahren durch einen zur Prozessführung befugten Rentenberater vertreten gewesen ist, kann mit der Rüge des Übergehens eines Beweisantrags jedoch nur dann gehört werden, wenn er diesen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung durch entsprechenden Hinweis zu Protokoll aufrechterhalten hat oder das Gericht den Beweisantrag im Urteil wiedergibt. Nur dann hätte nach Sinn und Zweck des § 160 Abs 2 Nr 3 Teils 3 SGG ein Beweisantrag seine Warnfunktion dahingehend erfüllt, dass ein Beteiligter die Sachaufklärungspflicht des Gerichts noch nicht als erfüllt ansieht. Wird der Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung entschieden, tritt an die Stelle des Schlusses der mündlichen Verhandlung der Zeitpunkt der Zustimmung zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs 2 SGG (stRspr, vgl BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN; BSG Beschluss vom 1.9.1999 - B 9 V 42/99 B - SozR 3-1500 § 124 Nr 3 S 4 f).
Auch zum Beruhen der Entscheidung des LSG auf dem Übergehen der Beweisanträge fehlt es an Darlegungen des Klägers. Unabhängig davon, ob eine weitere Beweiserhebung ergeben hätte, dass der Kläger gesundheitlich nicht mehr in der Lage ist den Beruf des Qualitätsprüfers in der Metallindustrie auszuüben, er also die persönlichen Voraussetzungen für eine Teilhabeleistung erfüllte, mangelt es in der Beschwerdebegründung an Ausführungen dazu, dass der Kläger auch die weiteren Voraussetzungen für die Gewährung einer weiteren Maßnahme der Teilhabe am Arbeitsleben erfüllt. Zur Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen gemäß § 11 SGB VI legt er nichts dar.
Soweit der Kläger mit der Auswertung und Würdigung der im Verfahren eingeholten Sachverständigengutachten und beigezogenen Unterlagen durch das Berufungsgericht nicht einverstanden ist, wendet er sich gegen dessen Beweiswürdigung. Nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG kann aber eine Nichtzulassungsbeschwerde von vornherein nicht auf die Verletzung des § 128 Abs 1 S 1 SGG gestützt werden. Ebenso unerheblich ist, dass der Kläger die Entscheidung des LSG für "unrichtig" oder "falsch" hält. Denn die - vermeintliche - inhaltliche Unrichtigkeit der angefochtenen Entscheidung kann nicht mit einer Nichtzulassungsbeschwerde gerügt werden.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt nach § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI10644142 |