Entscheidungsstichwort (Thema)
Verletzung des rechtlichen Gehörs. Terminverlegungsgrund. Vertagung. Krankheitsbedingte Gründe. Medizinisch begründeten Reise- und Verhandlungsunfähigkeit
Leitsatz (redaktionell)
1. Zur Geltendmachung der Verletzung des rechtlichen Gehörs muss ausreichend dargelegt werden, dass objektiv Umstände vorlagen, aus denen sich ein Terminverlegungsgrund ergab.
2. Es hätte dazu vorgetragen werden müssen, welche krankheitsbedingten Gründe im Einzelnen vorgelegen haben, die eine Vertagung notwendig gemacht hätten.
3. Allein die in früheren Jahren gestellten Diagnosen soziale Phobie, Angststörung, depressive Störung, Intelligenzminderung und Zwangsstörungen ersetzen Darlegungen zu einer medizinisch begründeten Reise- und Verhandlungsunfähigkeit nicht.
4. Selbst wenn noch Gelegenheit bestanden haben sollte, den Kläger rechtzeitig vor dem Termin zur Glaubhaftmachung seines Vortrags zu einer Reise- und Verhandlungsunfähigkeit aufzufordern, hätte jedenfalls mit der Beschwerdebegründung das Vorliegen einer solchen Erkrankung im Einzelnen nachvollziehbar gemacht werden müssen.
Normenkette
SGG §§ 62, 103, 109, 124, 128 Abs. 1 S. 1, § 160 Abs. 2 Nr. 3, § 160a Abs. 2 S. 3, Abs. 4 S. 1, § 169 S. 3; GG Art. 103 Abs. 1
Verfahrensgang
SG Karlsruhe (Entscheidung vom 10.02.2016; Aktenzeichen S 4 SO 3726/15, S 4 SO 3732/15) |
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 18.07.2018; Aktenzeichen L 7 SO 711/16) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 18. Juli 2018 wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Im Streit ist die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Grundsicherungsleistungen) nach dem Vierten Kapitel des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) als Zuschuss.
Der Kläger bezog vom beklagten Sozialhilfeträger laufend Grundsicherungsleistungen. Die zuletzt für das erste Halbjahr 2015 ergangene Bewilligungsentscheidung (Bescheid vom 8.1.2015) hob der Beklagte auf, weil der Kläger über Vermögen in Höhe von 11 400 Euro verfügt habe, das er verschwiegen habe (Bescheid vom 11.3.2015; Widerspruchsbescheid vom 25.3.2015). In der Folge bewilligte er Leistungen vom 1.7.2015 bis zum 30.9.2015 und vom 1.10.2015 bis zum 31.12.2015 als Vorschuss (Bescheide vom 29.6.2015 und 18.9.2015; Widerspruchsbescheide vom 6.11.2015). Die Klagen, mit denen sich der Kläger gegen die Bewilligung für die Zeit vom 1.7.2015 bis 31.12.2015 nur als befristeten Vorschuss wandte, haben keinen Erfolg gehabt (Gerichtsbescheide des Sozialgerichts ≪SG≫ Karlsruhe vom 10.2.2016). Im Berufungsverfahren hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg die Berufungen miteinander verbunden. Der Kläger hat auf Anfrage mitgeteilt, er stimme einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nicht zu; daraufhin hat der Vorsitzende Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 18.7.2018 bestimmt. Am 13.7.2018 hat der Kläger telefonisch in der Geschäftsstelle des LSG mitgeteilt, er sei aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage, den Termin wahrzunehmen. Das LSG hat in Abwesenheit der Beteiligten verhandelt und die Berufungen zurückgewiesen (Urteil vom 18.7.2018).
Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im bezeichneten Urteil macht der Kläger einen Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs geltend. Das LSG habe nicht in seiner Abwesenheit entscheiden dürfen, sondern den Termin verlegen müssen. Dies habe schon von Amts wegen geschehen müssen; ohnehin sei aber in seinem Vorbringen, er verzichte nicht auf eine mündliche Verhandlung, verbunden mit dem späteren telefonischen Hinweis, er sei krankheitsbedingt nicht in der Lage, an der Verhandlung teilzunehmen, ein Antrag auf Verlegung zu sehen.
II
Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Bezeichnung eines Verfahrensfehlers.
Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Um einen Verfahrensmangel in diesem Sinne geltend zu machen, müssen die Umstände bezeichnet werden, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (vgl zB Bundessozialgericht ≪BSG≫ vom 29.9.1975 - 8 BU 64/75 - SozR 1500 § 160a Nr 14, BSG vom 24.3.1976 - 9 BV 214/75 - SozR 1500 § 160a Nr 24 und BSG vom 18.2.1980 - 10 BV 109/79 - SozR 1500 § 160a Nr 36). Diesen Anforderungen genügt das Vorbringen des Klägers nicht.
Der Kläger behauptet zwar eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 Grundgesetz ≪GG≫, § 62 SGG) iVm dem Grundsatz der Mündlichkeit (§ 124 Abs 1 SGG); er bezeichnet aber die Tatsachen, aus denen sich der gerügte Verfahrensmangel ergeben soll, nicht ausreichend. Zwar legt er dar, es habe sich für das LSG - zumindest nachdem er einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren nicht zugestimmt habe - aus seinem Anruf die Notwendigkeit ergeben, über einen Antrag auf Verlegung des Termins zu entscheiden und diesen zu verlegen. Es kann jedoch dahin stehen, ob aus den geschilderten Umständen ein Antrag auf Verlegung des Termins deutlich geworden ist. Jedenfalls legt der Kläger (nunmehr anwaltlich vertreten) nicht ausreichend dar, dass objektiv Umstände vorlagen, aus denen sich ein Terminverlegungsgrund ergab. Es hätte dazu vorgetragen werden müssen, welche krankheitsbedingten Gründe im Einzelnen im Juli 2018 vorgelegen haben, die eine Vertagung notwendig gemacht hätten. Dazu hätte in jedem Fall weitergehend Anlass bestanden; denn die aktenkundigen Gutachten aus den Jahren 2004 und 2009 und der Aktenvermerk über die telefonische Mitteilung des Klägers am 13.7.2018, er "habe Pflegestufe 1 und sei herzkrank", auf die er in seiner Begründung Bezug nimmt, lassen solche Einschränkungen im Einzelnen nicht erkennen. Allein die in den Jahren 2004 und 2009 gestellten Diagnosen (soziale Phobie, Angststörung, depressive Störung, Intelligenzminderung und Zwangsstörungen) ersetzen Darlegungen zu einer medizinisch begründeten Reise- und Verhandlungsunfähigkeit nicht. Selbst wenn für das LSG noch Gelegenheit bestanden haben sollte, den Kläger rechtzeitig vor dem Termin zur Glaubhaftmachung seines Vortrags zu einer Reise- und Verhandlungsunfähigkeit aufzufordern (vgl zuletzt BSG vom 10.12.2019 - B 12 KR 69/19 B - NJW 2020, 423 RdNr 11) - wozu Vortrag ebenfalls fehlt -, hätte jedenfalls mit der Beschwerdebegründung das Vorliegen einer solchen Erkrankung im Einzelnen nachvollziehbar gemacht werden müssen. Damit ist zugleich nicht ausreichend dargelegt, dass das LSG von Amts wegen den Termin hätte aufheben müssen.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI13855518 |