Leitsatz (amtlich)
Zu den Kosten, die einem Beteiligten wegen Mutwillens auferlegt werden können (SGG § 192), gehört auch die Gebühr, die nach SGG § 184 Abs 1 von den Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechts zu entrichten ist.
Leitsatz (redaktionell)
Unverständige Rechtsmitteleinlegung als Mutwillen.
Normenkette
SGG § 184 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03, § 192 Fassung: 1953-09-03, § 193 Abs. 4 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Die Klägerin hat der Beklagten die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
Der auf § 192 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) gestützte Antrag der Beklagten ist begründet. Nach § 192 SGG können einem Beteiligten Kosten auferlegt werden, die er oder sein Bevollmächtigter mutwillig oder durch Verschleppung oder Irreführung verursacht hat. Die Prozeßbevollmächtigten der Klägerin haben in ein und derselben Sache sowohl Berufung bei dem Landessozialgericht als auch - unter Übergehung des Berufungsverfahrens - die Revision unmittelbar bei dem Bundessozialgericht (BSG) - Sprungrevision - eingelegt. Der Revisionsschrift war jedoch nicht die nach § 161 Abs. 1 SGG erforderliche Einwilligungserklärung des Rechtsmittelgegners beigefügt. Vielmehr tragen die Revisionsschrift und das Schreiben, mit dem die Bevollmächtigten die Beklagte darum baten, mit einer Übergehung der Berufungsinstanz einverstanden zu sein, dasselbe Datum. Den Bevollmächtigten war also zur Zeit der Revisionseinlegung klar, daß ihrem Rechtsmittel ein wesentliches Erfordernis fehlte. Auch war nicht vorauszusehen, daß die Beklagte ihre Zustimmung zur Umgehung des zweitinstanzlichen Verfahrens geben werde. Im Augenblick der Rechtsmitteleinlegung wußten die Bevollmächtigten also - wie sie selbst auch in ihren Ausführungen zu erkennen geben -, daß ihr Rechtsmittel aus formellen Gründen aussichtslos war, ja sie hielten es sogar für möglich, nahmen also in Kauf, daß dieser Mangel nicht behoben werden würde. Sie handelten mit hin vorsätzlich.
Dieses Prozeßverhalten erfüllt die Tatbestandsmerkmale des Mutwillens; denn die Prozeßbevollmächtigten der Klägerin machten von den Rechtsschutzeinrichtungen einen Gebrauch, der - auch unter dem Blickwinkel ihrer eigenen Betrachtungsweise - nicht mehr sachangemessen war. Verständigerweise hätten sie, bevor sie die Sprungrevision einlegten, die Einwilligungserklärung der Rechtsmittelgegnerin abgewartet - dazu stand noch bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist eine Zeit von mehreren Wochen zur Verfügung -. Oder sie hätten sich vernünftigerweise wenigstens vergewissert, daß diese Einwilligungserklärung dem BSG noch rechtzeitig vorgelegt werden würde. Wären sie in dieser Weise verfahren, dann hätten sie noch vor der Revisionseinlegung das erfahren, was sie als Rechtsberater sowieso hätten wissen müssen, daß die Beklagte aus gutem Grunde die Einwilligung versagen mußte. Denn die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für eine Sprungrevision waren nicht gegeben. Die Berufung war ohne weiteres gemäß § 143 SGG zulässig. Die Sprungrevision findet aber nur in den Fällen statt, in denen die Streitsache an sich berufungsunfähig ist und lediglich kraft Zulassung oder aus einem sonstigen Grunde (§ 150 SGG) statthaft ist.
Daß die Bevollmächtigten durch ihr Vorgehen unnütze Kosten verursachen würden, war ihnen vielleicht nicht unmittelbar bewußt. Sie hätten diese Folge aber erkennen und bedenken müssen.
Die Beklagte verfolgt mir ihrem Kostenerstattungsbegehren eine Übernahme der von ihr gemäß § 184 Abs, 1 SGG zu entrichtenden Gebühr durch die Klägerin. Diese Gebühr stellt einen Beitrag der beteiligten Körperschaft des öffentlichen Rechts zu den allgemeinen Kosten der Gerichtshaltung dar. Für diese Aufwendungen können die öffentlich-rechtlichen Körperschaften, auch in Falle ihres Obsiegens, regelmäßig keinen Ersatz verlangen (§ 195 Abs. 4 SGG). Hier von macht jedoch § 192 SGG eine Ausnahme. Nach dieser Vorschrift ist allein maßgebend, daß durch das unsachliche Prozeßverhalten eines Beteiligten oder seines Bevollmächtigten dem Gericht oder einem anderen Beteiligten Kosten entstanden sind. Welcher Art die so Kosten sind, fragt das Gesetz nicht. Insofern unterscheidet sich die Vorschrift des § 182 SGG von § 1802 der Reichsversicherungsordnung (RVO), aus dem sie hervorgegangen ist. Dort war lediglich davon die Rode, daß die durch Mutwillen usw. veranlaßten "Kosten des Verfahrens" auferlegt werden konnten. Unter "Kosten dos Verfahrens" verstand man nicht auch die von einem Beteiligten zu tragenden Gerichtsgebühren. Eine solche Einschränkung rechtfertigt indessen § 192 SGG nicht. Diese Gesetzesbestimmung spricht ganz allgemein von "Kosten", die einem mutwillig handelnden Beteiligten aufgebürdet werden können. Zu den Kosten gehören aber, wie die Überschrift des vierten Abschnitts des SGG und § 183 SGG ergeben, auch die Gerichtsgebühren. Deshalb ist dem Antrag der Beklagten zu folgen.
Über den Antrag der Klägerin, die der Beklagten entstandene Gerichtsgebühr gemäß § 190 SGG niederzuschlagen, kann im gegenwärtigen Verfahren nicht entschieden werden. Darüber zu befinden, ist Sache Präsidenten des BSG. Diesem wird das Gesuch der Klägerin nach Abschluß des Verfahrens vorgelegt werden.
Fundstellen