Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 10. März 2022 wird als unzulässig verworfen.
Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 10. März 2022 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwältin T als Prozessbevollmächtigte beizuordnen, wird abgelehnt.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.
Gründe
I
Der im Jahr 1966 geborene Kläger war bis 2010 als Baumaler und Maler berufstätig. Derzeit bezieht er Leistungen nach dem SGB II. Sein erster Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung von Oktober 2013 blieb auch im sozialgerichtlichen Verfahren ohne Erfolg (Urteil des SG Dessau-Roßlau vom 26.5.2016 - S 25 R 472/14). Der beklagte Rentenversicherungsträger lehnte den erneuten Antrag vom 30.1.2019 ebenfalls ab (Bescheid vom 15.5.2019; Widerspruchsbescheid vom 8.10.2019). Das SG hat von der Fachärztin für Orthopädie K ein Sachverständigengutachten anfertigen lassen. Diese gelangte nach ambulanter Untersuchung des Klägers zu dem Ergebnis, dass er trotz bestehender Gesundheitsstörungen (chronisches Zervikalsyndrom mit mäßiger Spinalkanalstenose C3/C4 sowie Neuroforaminalstenosen C3-C7, chronisch rezidivierendes Lumbalsyndrom und Rundrücken) bei Beachtung gewisser qualitativer Einschränkungen körperlich leichte bis mittelschwere Arbeiten noch mindestens sechs Stunden täglich verrichten könne. Insbesondere hierauf gestützt hat das SG die Klage abgewiesen (Urteil vom 9.9.2021). Das LSG hat ohne weitere Sachverhaltsaufklärung die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Beschluss vom 10.3.2022).
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dem ihm am 17.3.2022 zugestellten Beschluss des LSG hat der Kläger beim BSG Beschwerde eingelegt. Zudem hat er Prozesskostenhilfe (PKH) für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung seiner Rechtsanwältin beantragt. Diese hat mit Schriftsatz vom 9.5.2022 die Beschwerde begründet und sich auf Divergenz sowie einen Verfahrensmangel berufen. Die Erklärung des Klägers über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vom 30.5.2022 hat sie dem Gericht mit Schriftsatz vom 30.6.2022 übermittelt.
II
1. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Ihre Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen. Der Kläger hat weder eine Divergenz noch einen Verfahrensmangel in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG erforderlichen Weise bezeichnet. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.
a) Der Revisionszulassungsgrund einer Rechtsprechungsabweichung (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) ist nicht ausreichend dargetan.
Eine Divergenz liegt vor, wenn das angefochtene Urteil seiner Entscheidung einen abstrakten Rechtssatz zugrunde legt, der von einem zu derselben Rechtsfrage entwickelten abstrakten Rechtssatz in einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht. Darüber hinaus erfordert der Zulassungsgrund der Divergenz, dass die angefochtene Entscheidung auf dieser Abweichung beruht. Dass diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist in der Beschwerdebegründung im Einzelnen darzulegen (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Hierzu sind die betreffenden Rechtssätze einander gegenüberzustellen; zudem ist näher zu begründen, weshalb diese nicht miteinander vereinbar sind und inwiefern die Entscheidung des LSG auf der Abweichung beruht (stRspr; vgl BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 17; BSG Beschluss vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 13). Nicht ausreichend ist hingegen, wenn die fehlerhafte Anwendung eines als solchen nicht in Frage gestellten höchstrichterlichen Rechtssatzes durch das Berufungsgericht geltend gemacht wird (bloße Subsumtionsrüge), denn nicht die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall, sondern nur eine Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen ermöglicht die Zulassung der Revision wegen Divergenz (stRspr; zB BSG Beschluss vom 31.3.2022 - B 5 R 320/21 B - juris RdNr 9 mwN). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
aa) Der Kläger führt zunächst aus, nach dem Urteil des BSG vom 30.1.2002 (B 5 RJ 36/01 R - juris RdNr 12) gehöre zur Erwerbsfähigkeit auch die ausreichende Fähigkeit, einen Arbeitsplatz aufzusuchen. Die sog Wegefähigkeit spiele bei der Frage der Erwerbsminderung daher eine zentrale Rolle; sie müsse konkret geprüft werden. Demgegenüber ließen die tatsächlichen Feststellungen des LSG eine Beurteilung seiner - des Klägers - Wegefähigkeit nicht zu. Die Sachverständige K habe die Wegefähigkeit lediglich anhand der anamnestischen Angaben des Klägers unterstellt und keinen Lauftest gemacht, obwohl die Angaben auf S 5 des Gutachtens ungenau seien ("Die Gehfähigkeit sei nicht reduziert. Gehen könne der Kläger gut. Er könne jedoch keine genaue Angabe zur Gehstrecke machen, da er nicht häufig laufe. ≪…≫ Im Winterhalbjahr gehe er 2-3 x täglich mit dem Hund 10 min raus. Eine Gehstrecke von 2 km traue sich der Kläger zu."). Hierauf beruhe die Entscheidung des Berufungsgerichts.
Diese Ausführungen lassen nicht erkennen, dass das LSG zur Frage der Wegefähigkeit einen von einer Entscheidung des BSG abweichenden abstrakt-generellen Rechtssatz aufgestellt und seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat. Vielmehr greift die Beschwerdebegründung die tatsächlichen Feststellungen des LSG zu einer nicht eingeschränkten Wegefähigkeit des Klägers an (vgl LSG-Beschluss S 10: "Die medizinischen Ermittlungen haben keinen belastbaren Hinweis auf eine dermaßen eingeschränkte Wegefähigkeit ergeben …"). Das geht über eine unbeachtliche Subsumtionsrüge nicht hinaus. Das Ergebnis der Beweiswürdigung des LSG zur Frage der Wegefähigkeit kann auch nicht mit einer Verfahrensrüge angegriffen werden (s den Ausschluss einer Rüge der Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG in § 160 Abs 2 Nr 3 Teilsatz 2 SGG).
bb) Eine weitere Divergenz sieht der Kläger zum Urteil des BSG vom 11.12.2019 (B 13 R 7/18 R - BSGE 129, 274 = SozR 4-2600 § 43 Nr 22). Das LSG habe verkannt, dass seine erheblichen Schmerzen und die erheblich eingeschränkte Funktionsfähigkeit der linken Hand seine Einsatzfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auch für leichte Tätigkeiten nahezu ausschlössen. Auch diesem Vortrag kann nicht entnommen werden, dass das LSG der genannten Entscheidung des BSG vom 11.12.2019 rechtsgrundsätzlich widersprochen und abweichende Maßstäbe entwickelt hat (vgl die ausdrückliche Bezugnahme auf dieses Urteil auf S 9 des LSG-Beschlusses).
b) Der Kläger hat auch einen Verfahrensmangel (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht ordnungsgemäß bezeichnet.
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde damit begründet, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), so müssen zur Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) zunächst die Umstände, aus denen sich der Verfahrensfehler ergeben soll, substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist es erforderlich darzulegen, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
Diesen Anforderungen genügt die für den Kläger vorgelegte Beschwerdebegründung nicht. Dort wird ausgeführt, ein Verfahrensfehler liege in der Ablehnung des Befangenheitsgesuchs gegen die Sachverständige K durch das SG. Die Ablehnung sei berechtigt, weil die Sachverständige bereits mit der Sache vorbefasst gewesen sei, die Befundberichte des Neurochirurgen nicht verwertet und die Wegefähigkeit nicht überprüft habe. Die genannten Umstände gäben Anlass, an ihrer Unparteilichkeit zu zweifeln. Auch die Entscheidung des LSG beruhe auf diesem Verfahrensmangel.
Diese pauschale Behauptung reicht nicht aus, um den geltend gemachten Verfahrensmangel schlüssig aufzuzeigen. Wie der Kläger selbst vorträgt, hat bereits das SG das gegenüber der Sachverständigen angebrachte Befangenheitsgesuch mit Beschluss vom 9.9.2021 zurückgewiesen, weil es nicht fristgerecht gestellt wurde und auch inhaltlich nicht begründet sei. Das LSG habe die hiergegen eingelegte Beschwerde mit Beschluss vom 27.9.2021 als unzulässig verworfen (vgl § 172 Abs 2 SGG). Unter diesen Umständen hätte der Kläger aufzeigen müssen, weshalb die von ihm als fehlerhaft gerügte Entscheidung des SG über das Befangenheitsgesuch zugleich ein Mangel des Verfahrens vor dem LSG sein kann (vgl BSG Beschluss vom 6.2.2017 - B 4 AS 47/16 BH - juris RdNr 10 mwN; Meßling in Krasney/Udsching/Groth/Meßling, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 8. Aufl 2022, Kap IX RdNr 120). Weiterhin wäre darzulegen gewesen, inwiefern ein solcher Mangel trotz des gesetzlichen Ausschlusses einer Überprüfung unanfechtbarer Vorentscheidungen im Revisionsverfahren (vgl § 202 Satz 1 SGG iVm § 557 Abs 2 ZPO) beachtlich sein könnte (vgl BSG Beschluss vom 24.5.2013 - B 1 KR 50/12 B - juris RdNr 5; BSG Beschluss vom 7.6.2018 - B 9 V 69/17 B - juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 9.9.2021 - B 5 R 149/21 B - juris RdNr 12; BSG Beschluss vom 6.4.2022 - B 5 R 6/22 B - juris RdNr 7). Dass die Behandlung des Ablehnungsgesuchs durch das SG auf willkürlichen oder manipulativen Erwägungen beruht haben könnte, lässt sich der Beschwerdebegründung nicht entnehmen (s dazu auch Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 160 RdNr 17).
2. Der Antrag auf Bewilligung von PKH für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung der Prozessbevollmächtigten ist abzulehnen.
Offenbleiben kann, ob eine Bewilligung von PKH überhaupt noch in Betracht kommt, wenn zum Zeitpunkt der Bewilligungsreife - also dem Zeitpunkt, zu dem sowohl ein formgerechter Antrag als auch eine ordnungsgemäße Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorliegen (vgl Schultzky in Zöller, ZPO, 34. Aufl 2022, § 119 RdNr 4) - die unbedingt eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde bereits anwaltlich begründet und die Beschwerdebegründungsfrist abgelaufen ist. Ein Prozessbevollmächtigter kann in diesem Fall nach seiner Beiordnung nichts weiter unternehmen; die bis dahin angefallene Anwaltsvergütung könnte von der Staatskasse nicht übernommen werden (vgl Schultzky aaO RdNr 6).
Jedenfalls hat die Rechtsverfolgung des Klägers, wie oben näher ausgeführt wurde, keine Aussicht auf Erfolg (vgl § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Abs 1 Satz 1 ZPO). Damit entfällt zugleich die Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen der PKH (vgl § 121 Abs 1 ZPO).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI15291945 |