Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. Verfahrensfehler. Verwerfungsbeschluss wegen Versäumung der Berufungsfrist. sozialgerichtliches Verfahren. Einlegung der Berufung beim unzuständigen Gericht. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zurechnung von Rechtsanwaltsverschulden. fehlerhafte Adressierung des Schriftsatzes. Überprüfungspflicht des Rechtsanwalts. Krankenvertretung durch anderen Rechtsanwalt. Weiterleitung durch das unzuständige Gericht
Orientierungssatz
1. Zu den Pflichten eines Prozessbevollmächtigten bei der Unterzeichnung eines fristwahrenden Schriftsatzes - wie der Berufungseinlegung - gehört es, die Adressierung zumindest insoweit zu überprüfen, als das richtige Gericht genannt wird, denn der Prozessbevollmächtigte und nicht das - gut ausgewählte und geschulte - Büropersonal trägt die persönliche Verantwortung dafür, dass ein fristwahrender Schriftsatz bei dem richtigen Gericht eingeht (Anschluss an BSG vom 14.12.2010 - B 10 EG 4/10 R).
2. Dies gilt auch, wenn wegen krankheitsbedingter Abwesenheit des Prozessbevollmächtigten ein hiermit beauftragter Rechtsanwalt derselben Kanzlei die fristgebundene Rechtsmittelschrift unterschrieben hat.
3. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen nicht rechtzeitiger Weiterleitung des Schriftsatzes durch das unzuständige Gericht kommt nur in Betracht, wenn der fristgebundene Schriftsatz selbst so zeitig eingereicht worden ist, dass die fristgerechte Weiterleitung an das Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden kann (vgl BFH vom 18.8.2014 - III B 16/14 = BFH/NV 2015, 42).
Normenkette
SGG §§ 67, 73 Abs. 6 S. 7, § 151 Abs. 1, 2 S. 1, § 160 Abs. 2 Nr. 3 Hs. 1, § 160a Abs. 2 S. 3; ZPO § 85 Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 19. Mai 2015 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I. In der Hauptsache ist die Herabsetzung des bei dem Kläger ursprünglich festgestellten Grades der Behinderung (GdB) von 50 streitig. Die dagegen gerichtete Klage war erfolglos. Gegen das der Prozessbevollmächtigten des Klägers am 22.12.2014 zugestellte Urteil vom 15.12.2014 hat der Kläger am 22.1.2015 um 16.17 Uhr per Fax mit einem auf den 3.12.2014 datierten und an das LSG Nordrhein-Westfalen adressierten Schriftsatz Berufung beim LSG Nordrhein-Westfalen eingelegt. Ebenfalls per Fax am 22.1.2015 erfolgte gegenüber dem LSG Nordrhein-Westfalen die Korrektur des Datums der Berufungsschrift (22.1.2015). Am 23.1.2015 teilte eine Mitarbeiterin des Gerichts in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten telefonisch mit, die Berufung müsse eigentlich an das LSG Rheinland-Pfalz gehen. Sie vernichte den Berufungsschriftsatz. Die Originale gingen am 28.1.2015 und mit korrigiertem Datum am 29.1.2015 über das LSG Nordrhein-Westfalen (dortiger Eingang am 26.1. und 27.1.2015) beim LSG ein. Die vorab übersandten Faxe sind nicht mehr auffindbar. Am 23.2.2015 hat der Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Das LSG hat die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen und zur Begründung ua ausgeführt, der am 28.1.2015 beim erkennenden LSG eingegangene Schriftsatz sei verfristet gewesen. Wiedereinsetzung sei nicht zu gewähren. Der Eingang der Berufung beim LSG Nordrhein-Westfalen am 22.1.2015 sei erst nach 16.00 Uhr erfolgt, so dass nicht mit einer rechtzeitigen Weiterleitung habe gerechnet werden können. Die Prozessbevollmächtigte habe überdies eingeräumt, dass sie lediglich die Anträge, nicht aber den Empfänger überprüft habe als ihr der Schriftsatz von ihrer Mitarbeiterin per Email zugesandt worden sei (Beschluss vom 19.5.2015).
Mit der Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Beschluss.
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil der allein geltend gemachte Zulassungsgrund des Verfahrensmangels nicht ordnungsgemäß dargelegt worden ist (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG).
1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde wie im Fall des Klägers darauf gestützt, es liege ein Verfahrensmangel vor, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Die Beschwerdebegründung hat nicht ausreichend dargelegt, dass das LSG verfahrensfehlerhaft durch Verwerfungsbeschluss statt Zurückweisungsbeschluss entschieden hat (hierzu BSG Beschluss vom 18.6.2014 - B 10 ÜG 1/14 B - RdNr 9). Die Berufung war auch nach dem Vorbringen des Klägers verfristet, Wiedereinsetzung nicht zu gewähren.
Die Berufung ist bei dem LSG innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem SG schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird (§ 151 Abs 1 und Abs 2 S 1 SGG). Die Einlegung bei einem anderen Gericht wahrt die Berufungsfrist nicht (vgl Sommer in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 151 RdNr 5). Die erst am 28.1.2015 beim zuständigen LSG eingegangene Berufung war mithin auch nach dem Vortrag des Klägers nicht fristwahrend. Anhand der Ausführungen in der Beschwerdebegründung war dem Kläger auch nicht Wiedereinsetzung zu gewähren. Denn die Prozessbevollmächtigte, deren Verhalten der Kläger sich zurechnen lassen muss, war nicht ohne Verschulden gehindert, die Frist zur Einlegung der Berufung einzuhalten (§ 67 SGG).
Das Verschulden der Prozessbevollmächtigten liegt darin, dass sie bei der Überprüfung bzw der von ihr beauftragte Rechtsanwalt S. bei der Unterschrift der Original-Berufungsschrift nicht bemerkt haben, dass der Schriftsatz an das unzuständige LSG Nordrhein-Westfalen und nicht an das zuständige LSG Rheinland-Pfalz adressiert war. Zu den Pflichten eines Prozessbevollmächtigten bei der Überprüfung eines fristwahrenden Schriftsatzes - wie der Berufungseinlegung - gehört es, die Adressierung zumindest insoweit zu überprüfen, als das richtige Gericht genannt wird, denn der Prozessbevollmächtigte und nicht das - gut ausgewählte und geschulte - Büropersonal trägt die persönliche Verantwortung dafür, dass ein fristwahrender Schriftsatz bei dem richtigen Gericht eingeht (vgl zur Rechtsmittelschrift BSG Beschluss vom 14.12.2010 - B 10 EG 4/10 R - RdNr 11; BGH NJW-RR 2012, 694, Juris RdNr 11; BFH Beschluss vom 18.8.2014 - III B 16/14 - RdNr 8). Das Vorbringen der Prozessbevollmächtigten, es habe ein Fehler ihrer sonst zuverlässigen Bürokraft vorgelegen, ist deshalb unbeachtlich. Hieran ändert sich nichts dadurch, dass wegen krankheitsbedingter Abwesenheit der Prozessbevollmächtigten ein hiermit beauftragter Rechtsanwalt derselben Kanzlei die fristgebundene Rechtsmittelschrift unterschrieben hat.
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand musste auch nicht wegen eines für die Fristversäumnis kausalen pflichtwidrigen Verhaltens des LSG Nordrhein-Westfalen gewährt werden. Zwar ist anerkannt, dass Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch dann gewährt werden kann, wenn eine (fristwahrende) Rechtsmittelschrift an das unzuständige Gericht übersandt worden ist und infolge pflichtwidrigen Verhaltens dieses Gerichts erst nach Ablauf der Rechtsmittelfrist beim zuständigen Gericht eingeht (BSG Beschluss vom 14.12.2010 - B 10 EG 4/10 R - RdNr 12 mwN). Eine Wiedereinsetzung kommt danach in Betracht, wenn der fristgebundene Schriftsatz so zeitig eingereicht worden ist, dass die fristgerechte Weiterleitung an das Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden kann (BFH Beschluss vom 18.8.2014 - III B 16/14 - RdNr 11). So liegt es hier aber nicht. Denn die an das falsche Gericht adressierte Berufungsschrift ging erst am Tage des Fristablaufs gegen Dienstschluss beim - unzuständigen - Gericht ein, so dass sogar eine Behandlung noch als ordnungsgemäß hätte angesehen werden können, die nicht sogleich am nächsten Tag zu einem klärenden Telefonat, sondern erst zu einer Vorlage an den zuständigen Richter geführt hätte. Für die Mitarbeiter beim LSG Nordrhein-Westfalen war auch nicht erkennbar, dass besonders beschleunigende Maßnahmen geboten gewesen wären. Die Beschwerdebegründung legt insbesondere nicht dar, dass der nahe bevorstehende Fristablauf erkennbar gewesen wäre (vgl hierzu BSG Beschluss vom 23.7.2012 - B 13 R 280/12 B - RdNr 7).
2. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 SGG).
3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen