Entscheidungsstichwort (Thema)

sozialgerichtliches Verfahren. neues Gutachten. keine Begründungspflicht

 

Orientierungssatz

Das Gericht kann im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht die Begutachtung durch einen anderen Sachverständigen anordnen, wenn es ein bereits eingeholtes Gutachten "für unschlüssig" hält. Es braucht in einem solchen Fall nicht eine Stellungnahme desjenigen Sachverständigen einzuholen, der das - aus der Sicht des LSG - ungenügende Gutachten erstattet hat. Ebensowenig gibt es einen Verfahrensgrundsatz, der das Gericht verpflichten würde, "eine mit Begründung zu versehende Klarstellung, daß und warum ein vorliegendes Gutachten ungenügend ist und mithin ein weiteres Gutachten gem § 412 Abs 1 ZPO durchgeführt", den Beteiligten zu übermitteln. Dies gilt auch, soweit das Gericht ein Gutachten nach § 109 SGG eingeholt hat.

 

Normenkette

SGG § 118 Abs. 1; ZPO § 412 Abs. 1; SGG § 109

 

Verfahrensgang

SG Bremen (Entscheidung vom 23.09.1996; Aktenzeichen S 18 U 55/95)

LSG Bremen (Entscheidung vom 02.07.1998; Aktenzeichen L 2 U 66/96)

 

Gründe

Die gegen die Nichtzulassung der Revision im angefochtenen Urteil des Landessozialgerichts (LSG) gerichtete Beschwerde, mit der der Beschwerdeführer Verfahrensmängel rügt und Divergenz behauptet, ist unzulässig. Die dazu gegebene Begründung entspricht nicht der in § 160 Abs 2 und § 160a Abs 2 Satz 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) festgelegten Form. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) erfordern diese Vorschriften, daß zumindest ein Zulassungsgrund schlüssig dargetan wird (BSG SozR 1500 § 160a Nrn 34, 47 und 58; vgl hierzu auch Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 2. Aufl, 1997, IX, RdNrn 177 und 179 mwN). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.

Soweit der Beschwerdeführer zunächst als die Zulassung der Revision rechtfertigenden Verfahrensmangel eine Verletzung des § 412 der Zivilprozeßordnung (ZPO) iVm § 118 Abs 1 SGG rügt, ist dies nicht nachvollziehbar. Wie das LSG in der angefochtenen Entscheidung zutreffend ausgeführt hat, kann das Gericht im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht die Begutachtung durch einen anderen Sachverständigen anordnen, wenn es ein bereits eingeholtes Gutachten - wie hier - "für unschlüssig" hält. Es braucht in einem solchen Fall nicht eine Stellungnahme desjenigen Sachverständigen einzuholen, der das - aus der Sicht des LSG - ungenügende Gutachten erstattet hat. Ebensowenig gibt es einen Verfahrensgrundsatz, der das Gericht verpflichten würde, "eine mit Begründung zu versehende Klarstellung, daß und warum ein vorliegendes Gutachten ungenügend ist und mithin ein weiteres Gutachten gemäß § 412 Abs 1 ZPO durchgeführt wird", den Beteiligten zu übermitteln, wie der Beschwerdeführer meint. Dies gilt auch, soweit das Gericht ein Gutachten nach § 109 SGG eingeholt hat.

Ebensowenig nachvollziehbar ist die Rüge des Beschwerdeführers, er - der Kläger - sei "wie ein Verfahrensobjekt behandelt" worden, "weil ohne nähere Begründung die ihm gewährte Verfahrensgarantie des § 109 SGG zerschlagen wird, ohne daß er die Gründe hierfür erfährt". Bei der Sonderregelung in § 109 SGG handelt es sich um eine Beweiserhebung durch das Gericht ebenso wie bei der Beweiserhebung durch Sachverständigengutachten von Amts wegen nach § 103 SGG (BSG SozR Nr 22 zu § 109 SGG). Das Gutachten wird wie ein Gutachten von Amts wegen gewürdigt und hat nicht von vornherein einen anderen Beweiswert (vgl Meyer-Ladewig, SGG, 6. Aufl, § 109 RdNr 19).

Auch die weitere Rüge des Beschwerdeführers, das LSG sei verfahrensfehlerhaft seinem im Termin am 2. Juli 1998 gestellten Beweisantrag nicht gefolgt, eine Stellungnahme von Dr. H. zum Gutachten von Dr. E. anzufordern, ist nicht hinreichend dargelegt. Das LSG hat eingehend erörtert, warum es das Gutachten von Dr. H. für unschlüssig und nicht nachvollziehbar hält. Mit dieser Begründung setzt sich der Beschwerdeführer nicht genügend auseinander. Er trägt vielmehr pauschal vor, im Hinblick darauf, daß es sich um ein Gutachten nach § 109 SGG gehandelt habe, hätte das LSG den Sachverständigen in den Stand setzen müssen, "eine eigene Auffassung zur vorhandenen Ursächlichkeit der unstreitig vorhandenen Lärmschwerhörigkeit für den von ihm festgestellten neurologischen Grad der MdE von 20 zu konkretisieren und näher darzulegen". Auch in den weiteren Ausführungen geht der Beschwerdeführer nicht auf die Begründung des LSG ein, warum es eine erneute Befragung des Sachverständigen Dr. H. für nicht geboten gehalten hat; vielmehr führt der Beschwerdeführer eine eigene Würdigung des Gutachtens von Dr. E. durch, ohne auf die hier maßgebende Begründung des LSG einzugehen.

Die auf Divergenz gestützte Beschwerde ist ebenfalls unzulässig. Soweit sich der Beschwerdeführer auf ein Urteil des BSG "E 113/176" stützt (s Seite 7 seiner Beschwerdebegründung), fehlt es bereits an der genauen Bezeichnung der nach seiner Auffassung abweichenden Entscheidung des BSG.

Sollte der Beschwerdeführer - wie aus den nachfolgenden Ausführungen zu entnehmen ist - die Entscheidung des BSG vom 18. Dezember 1962 ( BSGE 18, 173 ff ) meinen, bezeichnet er keinen konkreten von dieser Entscheidung abweichenden abstrakten Rechtssatz im Urteil des LSG. Der Beschwerdeführer macht vielmehr geltend, das LSG "hätte vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vielmehr der Frage nachgehen müssen, ob die psychische Fehlreaktion des Klägers auf die Berufskrankheit durch einen Willensakt von ihm überwunden hätte werden können oder ob dies nicht möglich ist". Damit erhebt der Beschwerdeführer im Kern die Rüge, das LSG habe die in der bezeichneten Entscheidung des BSG entwickelten Grundsätze unzutreffend angewandt und dadurch den Rechtsstreit - wie er meint - falsch entschieden. Eine hierauf gestützte Rüge kann jedoch nicht zur Zulassung der Revision führen (BSG SozR 1500 § 160a Nr 7 sowie Beschluß des Senats vom 21. Oktober 1997 - 2 BU 234/97 - mwN). Davon abgesehen hat das LSG ausdrücklich mehrfach auf die Entscheidung des BSG vom 18. Dezember 1962 Bezug genommen. Unter Anwendung der darin enthaltenen Grundsätze ist es im Rahmen seiner freien richterlichen Beweiswürdigung iS des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG zu dem Ergebnis gelangt, daß dem Kläger keine Verletztenrente wegen der mit Bescheid vom 2. November 1994 anerkannten Innenohrschädigung zusteht.

Entsprechendes gilt für die vom Beschwerdeführer angezogene Entscheidung des BSG vom 5. August 1987 (BSG SozR 2200 § 581 Nr 26).

Die Beschwerde war daher als unzulässig zu verwerfen ( § 169 SGG ).

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG .

 

Fundstellen

Haufe-Index 1175455

RegNr, 24108 (BSG-Intern)

HVBG-INFO, 1371-1372 (red. Leitsatz und Gründe)

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