Entscheidungsstichwort (Thema)

Nichtzulassungsbeschwerde. Zahlbarmachung von Ghettorenten. rentenversicherungspflichtiges Arbeits-/Beschäftigungsverhältnis. grundsätzliche Bedeutung

 

Orientierungssatz

Nach § 1 Abs 1 S 1 Nr 1 Buchst b ZRBG reicht es nicht aus, dass die Beschäftigung in einem Ghetto aus eigenem Willensentschluss bzw freiwillig zustande gekommen ist. Zusätzlich muss diese auch noch gegen Entgelt ausgeübt worden sein. Nach dem Wortlaut des Gesetzes kommt es auf das Merkmal des eigenen Willensentschlusses bzw der Freiwilligkeit der Beschäftigung nicht mehr an, wenn die in Frage stehende Beschäftigung nicht gegen Entgelt ausgeübt wurde.

 

Normenkette

ZRBG § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Buchst. b; SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1, § 160a

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 16.01.2006; Aktenzeichen L 3 R 113/05)

SG Düsseldorf (Urteil vom 10.05.2005; Aktenzeichen S 12 RJ 136/04)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. Januar 2006 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten habe einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

 

Gründe

Mit Urteil vom 16. Januar 2006 hat das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG) einen Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Regelaltersrente (RAR) im Wesentlichen mit der Begründung verneint, die Klägerin habe keine auf die Wartezeit anrechenbaren Versicherungszeiten zurückgelegt. Sie habe nicht glaubhaft gemacht, im Ghetto Krakau versicherungspflichtig beschäftigt gewesen zu sein. Es sei nicht überwiegend wahrscheinlich, dass sie eine freiwillige Beschäftigung gegen Entgelt verrichtet habe.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin beim Bundessozialgericht (BSG) Beschwerde eingelegt. Sie beruft sich ausschließlich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache.

Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil keiner der in § 160 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) abschließend aufgeführten Zulassungsgründe ordnungsgemäß dargetan worden ist (vgl § 160a Abs 2 Satz 3 SGG ).

Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung, ggf sogar des Schrifttums, angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese Rechtsfragen noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss ein Beschwerdeführer mithin eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 mwN). Diesen Anforderungen wird die vorliegende Beschwerdebegründung nicht gerecht.

Die Klägerin sieht folgende Fragen als grundsätzlich bedeutsam an:

"1. Begründen die §§ 1, 2 ZRBG eine eigenständige fingierte Beitragsentrichtung (Beiträge sui generis) allein durch das Ausüben einer Beschäftigung in einem Ghetto in einem vom Deutschen Reich besetzten oder eingegliederten Gebiet oder müssen zusätzlich noch die sonstigen Voraussetzungen zur Anerkennung von Fremdbeitragszeiten (z.B. Vertriebeneneigenschaft oder dSK-Zugehörigkeit) erfüllt sein?

2. Kann die Beschäftigung "aus eigenem Willensentschluss" nach § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1a ZRGB mit einer "freiwilligen Beschäftigung" gleichgesetzt werden?

3. Verlangt "die Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss ... gegen Entgelt" nach § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1a ZRBG das freiwillige Zustandekommen eines an sich versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gegen Entgelt (§ 160 RVO a.F., § 14 SGB VI)?

4. Unter der Annahme, dass § 1 Abs. 1 S.1 ZRBG die Begründung eines an sich versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses verlangt:

a) Hat dazu eine Überprüfung nach deutschen/reichsrechtlichen Vorschriften zu erfolgen oder gilt das am Beschäftigungsort geltende fremdländische Versicherungsrecht im Generalgouvernement?

b) Verlangt die Begründung eines solchen Beschäftigungsverhältnisses eine zweiseitige Vereinbarung mit der Möglichkeit durch den Beschäftigten, das Beschäftigungsverhältnis inhaltlich mit zu gestalten oder ist es ausreichend, dass sich die Einflussmöglichkeit auf die Entscheidung reduziert, ob ein Beschäftigungsverhältnis begründet wird oder nicht?

5. Führt die subjektive Angabe eines Antragstellers im Entschädigungsverfahren und im sozialversicherungsrechtlichen Verwaltungsverfahren, Zwangsarbeiten ausgeübt zu haben, zwingend zur Ablehnung eines Beschäftigungsverhältnisses im Sinne von § 1 Abs. 1 S. 1 ZRBG?"

Bei der zuletzt aufgeworfenen Frage ist im Grunde schon zweifelhaft, ob es sich wirklich um eine Rechtsfrage oder um eine Frage der Beweiswürdigung im Einzelfall handelt, nachdem sich das LSG für die Bewertung der Tätigkeiten der Klägerin im Ghetto Krakau als Zwangsarbeiten und nicht als eine versicherungspflichtige Beschäftigung auf deren Angaben im Entschädigungsverfahren gestützt hat. Auch wenn für alle Fragen die hinreichend konkrete Formulierung als Rechtsfrage unterstellt wird, so hat die Klägerin jedenfalls deren Klärungsbedürftigkeit im Einzelnen nicht ausreichend dargelegt. Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage nicht, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist. Als höchstrichterlich geklärt muss eine Rechtsfrage auch dann angesehen werden, wenn das Revisionsgericht bzw das Bundesverfassungsgericht sie zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, zur Auslegung des anzuwendenden gesetzlichen Begriffs aber schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8; s hierzu auch Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 1990, RdNr 117 mwN). Die Beschwerdebegründung lässt nicht ausreichend erkennen, weshalb die aufgeworfenen Rechtsfragen jeweils noch einer weiteren Klärung bedürfen.

Mangels Zuordnung der umfangreichen rechtlichen Ausführungen zu den einzelnen Rechtsfragen bleibt unklar, mit welchen Begründungsteilen der Beschwerde die Klärungsbedürftigkeit der jeweiligen Rechtsfrage dargetan werden sollte. Im Wesentlichen legt die Klägerin ihre eigene Interpretation von Sinn und Zweck des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) dar. Dabei geht sie wiederholt auf die Entscheidung des 13. Senats des BSG vom 7. Oktober 2004 (BSGE 93, 214 = SozR 4-5050 § 15 Nr 1) und auch auf dessen frühere Entscheidung vom 23. August 2001 (SozR 3-2200 § 1248 Nr 17) ein, wonach für die Anerkennung von Tätigkeiten in einem Ghetto das Vorliegen von Versicherungspflicht verlangt werde. Im Wesentlichen wendet sich die Klägerin unter Berufung auf ihre eigene Rechtsauffassung gegen die Rechtsprechung des 13. Senats und wirft diesem im Ergebnis vor, das gesetzgeberische Ziel nicht umgesetzt bzw das ZRBG unverständlich restriktiv ausgelegt zu haben. Hierbei wird auch nicht deutlich, weshalb trotz der von der Klägerin zitierten Rechtsprechung des BSG ein weiterer bzw erneuter Klärungsbedarf hinsichtlich der aufgeworfenen Fragen besteht; Einwände aus Literatur oder Rechtsprechung gegen die genannten Urteile werden nicht erwähnt. Soweit sie dem LSG vorwirft, dem Urteil des BSG vom 7. Oktober 2004 gefolgt zu sein bzw die Bedeutung des Urteils vom 23. August 2001 verkannt zu haben, rügt sie letztlich die Unrichtigkeit des Berufungsurteils; auf diese Rüge kann eine Nichtzulassungsbeschwerde jedoch nicht gestützt werden.

Im Übrigen genügen auch die Ausführungen zur Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) der aufgeworfenen Rechtsfragen nicht den Anforderungen. Klärungsfähig ist eine Rechtsfrage nur, wenn sie für den zu entscheidenden Fall rechtserheblich ist. Über die bezeichnete Rechtsfrage müsste das Revisionsgericht im angestrebten Revisionsverfahren also konkret-individuell zu entscheiden haben. Auch dies ist in der Beschwerdebegründung des Näheren darzulegen (BSG SozR 1500 § 160 Nr 53 und § 160a Nr 31; vgl hierzu auch Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 4. Aufl, IX. Kap, RdNr 189). Ein Beschwerdeführer muss somit den nach seiner Auffassung vom Revisionsgericht einzuschlagenden Weg der Nachprüfung des angefochtenen Urteils und insbesondere den Schritt darstellen, der es notwendig macht, über die als rechtsgrundsätzlich bezeichnete Rechtsfrage zu entscheiden (BSG SozR 1500 § 160a Nr 31; vgl auch BSG SozR 1500 § 160a Nr 54; BSG vom 9. Juni 2004 - B 11 AL 275/03 B ).

Wie die Klägerin selbst in der Beschwerdebegründung ausführt, hat das LSG seine Entscheidung darauf gestützt, dass eine freiwillige Beschäftigung gegen Entgelt nicht glaubhaft gemacht worden sei, so dass die Voraussetzungen des § 1 Abs 1 Satz 1 ZRBG nicht erfüllt seien. Bei dieser Sachlage hätte die Klägerin zur ersten, von ihr aufgeworfenen Rechtsfrage den Weg aufzeigen müssen, der die Beantwortung der gestellten Rechtsfrage gleichwohl erforderlich macht. Daran fehlt es. Insbesondere hätte die Klägerin darlegen müssen, inwieweit es trotz der fehlenden Voraussetzungen des § 1 Abs 1 Satz 1 ZRBG auf die weiteren Voraussetzungen zur Anerkennung von Fremdbeitragszeiten ankommen kann.

Auch hinsichtlich der zweiten von der Klägerin aufgeworfenen Frage fehlt es an ausreichenden Darlegungen dazu, dass es auf diese Frage ankomme. Da nach § 1 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Buchstabe b ZRBG die Beschäftigung nicht nur aus eigenem Willensentschluss bzw freiwillig zustande gekommen, sondern auch gegen Entgelt ausgeübt worden sein muss, kommt es bereits nach dem Wortlaut des Gesetzes auf das Merkmal des eigenen Willensentschlusses bzw der Freiwilligkeit der Beschäftigung nicht mehr an, wenn die in Frage stehende Beschäftigung nicht gegen Entgelt ausgeübt wurde. Die Entgeltlichkeit hat das LSG jedoch gerade verneint. Dasselbe gilt auch hinsichtlich der dritten Frage, wobei hier schon nicht klar wird, welche eigenständige Bedeutung dieser Frage neben der zweiten aufgeworfenen Rechtsfrage zukommen soll. Ungeachtet dessen stellt sich auch diese Frage nur, wenn ein Entgelt festgestellt ist.

Der - in zwei Unterfragen gegliederten - vierten Frage fehlt es wiederum an der Darlegung des Weges, den das Revisionsgericht einschlagen müsste, um sie beantworten zu müssen. Die Klägerin hat mit ihren sehr pauschalen Ausführungen nicht aufgezeigt, dass die Anwendung polnischen Rechts die Einbeziehung von unfreiwilligen und unentgeltlichen Beschäftigungen in den Anwendungsbereich des § 1 Abs 1 ZRBG zur Folge habe. Auch in Bezug auf die fünfte Frage fehlen nähere Darlegungen zur Klärungsfähigkeit, weil ungeachtet der Bezeichnung der Tätigkeiten als Zwangsarbeiten das LSG sowohl die Freiwilligkeit als auch die Entgeltlichkeit der Tätigkeiten im Ghetto und damit das Vorliegen der Voraussetzungen des § 1 Abs 1 Satz 1 ZRBG verneint hat.

Die nicht formgerecht begründete Beschwerde ist gemäß § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 iVm § 169 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2391710

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