Verfahrensgang
SG München (Entscheidung vom 08.05.2018; Aktenzeichen - S 43 KA 206/16) |
SG München (Entscheidung vom 08.05.2018; Aktenzeichen L 12 KA 24/18) |
Bayerisches LSG (Urteil vom 03.03.2021; Aktenzeichen S 43 KA 1297/15) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 3. März 2021 wird als unzulässig verworfen.
Die Klägerin trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 22 000 Euro festgesetzt.
Gründe
I
Die Klägerin, eine Gemeinschaftspraxis (Berufsausübungsgemeinschaft) zweier Fachärzte für Allgemeinmedizin, einer Fachärztin für Innere Medizin und einer Praktischen Ärztin, die zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen sind, begehrt Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sowie eine Nachvergütung für Leistungen im ärztlichen Bereitschaftsdienst für die Quartale 3/2008, 4/2008, 4/2009 und 1/2010 bis 2/2014.
Die Regelungen des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä) sahen für die Zeit ab dem 1.1.2008 als Reaktion auf das Senatsurteil vom 17.9.2008 (B 6 KA 46/07 R - SozR 4-2500 § 75 Nr 8) für die Honorierung von Leistungen im Notfall und im organisierten Not(fall)dienst zunächst drei Teilelemente vor: eine "Notfallpauschale" (Gebührenordnungsposition ≪GOP≫ 01210 EBM-Ä 2008), eine nach dem Zeitpunkt der Inanspruchnahme differenzierte "Notfallkonsultationspauschale I bis III" (GOP 01214, 01216, 01218 EBM-Ä 2008) für jeden weiteren persönlichen oder anderen Arzt-Patienten-Kontakt sowie ergänzend Zusatzpauschalen für die "Besuchsbereitschaft im Notfall bzw im organisierten Not(-fall)dienst" (GOP 01211, 01215, 01217, 01219 EBM-Ä 2008).
Mit Urteil vom 12.12.2012 (B 6 KA 3/12 R - SozR 4-2500 § 75 Nr 13; Sprungrevision gegen ein Urteil des SG Magdeburg vom 2.11.2011 - S 1 KA 59/09) verpflichtete der Senat die im damaligen Revisionsverfahren beklagte Kassenärztliche Vereinigung (KÄV), über die Vergütung der in der Krankenhausambulanz der klagenden Krankenhausträgerin erbrachten ambulanten Notfallbehandlungen im Quartal 2/2008 - nach einer rückwirkenden Neuregelung der Notfallvergütung durch den Bewertungsausschuss (BewA) - neu zu entscheiden. Die Regelungen des EBM-Ä 2008 über die Vergütung der Notfallbehandlungen stünden mit höherrangigem Recht nicht im Einklang, weil die gesonderte Vergütung der Besuchsbereitschaft, von der Krankenhausambulanzen nicht profitieren könnten, eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung der von Vertragsärzten im organisierten Not(fall)dienst auf der einen und von Krankenhausambulanzen auf der anderen Seite erbrachten Notfallbehandlungen darstelle.
Der BewA setzte daraufhin rückwirkend zum 1.1.2008 Neuregelungen in Kraft (Beschlüsse vom 17.12.2014 ≪341. Sitzung≫, 19.1.2015 ≪schriftliche Beschlussfassung, 344. Sitzung≫ und 8.6.2015 ≪schriftliche Beschlussfassung, 354. Sitzung≫; EBM-Ä nF). Die im Senatsurteil beanstandeten Zusatzpauschalen für die Besuchsbereitschaft (GOP 01211, 01215, 01217 und 01219) wurden gestrichen. Die bisherige GOP 01210 EBM-Ä (Notfallpauschale) wurde geändert und mit der GOP 01212 EBM-Ä eine weitere Notfallpauschale eingefügt. Nunmehr sind Leistungsinhalt und Leistungsbewertung sowohl für die nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte, Institute und Krankenhäuser als auch für Vertragsärzte im organisierten Not(fall)dienst identisch (vgl hierzu im Einzelnen BSG Urteil vom 3.4.2019 - B 6 KA 67/17 R - SozR 4-2500 § 75 Nr 21 RdNr 18).
Die Klägerin legte mit Schreiben vom 2.3.2015 Widerspruch gegen den - hier nicht streitgegenständlichen - Honorarbescheid für das Quartal 3/2014 sowie gegen "die vorausgegangenen Honorarbescheide - soweit sie von der Rechtsprechung des BSG betroffen sind" ein. Die Widerspruchsfrist sei zwar abgelaufen. Es sei jedoch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, da die beklagte KÄV es versäumt hätte, sie über wichtige aktuelle Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit dem ärztlichen Bereitschaftsdienst zu informieren. Tatsächlich hatte die Klägerin gegen die Honorarbescheide betreffend die Quartale 4/2008, 2/2009 und 4/2009 sowie die Quartale 2/2010 bis 4/2010, 2/2011 und 2/2012 jeweils fristgerecht Widerspruch eingelegt, hatte diese aber mittlerweile wieder zurückgenommen oder gegen die ergangenen Widerspruchsbescheide keine Klage erhoben.
Der Beklagte wies die Widersprüche der Klägerin zurück (Widerspruchsbescheid vom 25.11.2015 betreffend die Quartale 3/2008, 4/2008, 2/2009 und 4/2009; Widerspruchsbescheid vom 3.2.2016 betreffend die Quartale 1/2010 bis 2/2014). Die Widersprüche seien, soweit diese erstmals erhoben wurden, verfristet und im Übrigen unstatthaft. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand komme nicht in Betracht. Insbesondere sei sie - die Beklagte - nicht verpflichtet gewesen, die Vertragsärzte über alle bundesweit laufenden Rechtsstreitigkeiten zu informieren.
Klage und Berufung sind erfolglos geblieben (SG-Urteile vom 8.5.2018; LSG-Urteil vom 3.3.2021). Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, die Honorarbescheide für die streitbefangenen Quartale seien bestandskräftig geworden. Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 67 SGG) lägen nicht vor. Für die Quartale bis einschließlich 2/2013 sei der Antrag auf Wiedereinsetzung schon wegen Versäumung der Jahresfrist des § 67 Abs 3 SGG nicht zulässig; höhere Gewalt habe nicht vorgelegen. Für die übrigen Quartale sei die Klägerin nicht ohne Verschulden verhindert gewesen, die Widerspruchsfrist einzuhalten. Zwar berate die Beklagte nach § 3 ihrer Satzung ihre Mitglieder im Rahmen ihrer gesetzlichen und satzungsmäßigen Aufgaben. Die individuelle Honoraroptimierung eines Vertragsarztes sei aber weder gesetzliche noch satzungsmäßige Aufgabe der Beklagten. Zudem sei auch nach Veröffentlichung des Urteils des BSG vom 12.12.2012 (B 6 KA 3/12 R - SozR 4-2500 § 75 Nr 13) im Mai 2013 für die Beklagte nicht ersichtlich gewesen, welche Konsequenzen der BewA aus dem Urteil ziehen würde. Da Hintergrund der Neuregelung durch den BewA eine Schlechterstellung der Krankenhäuser gegenüber den Vertragsärzten gewesen sei, habe sich auch aus diesem Grund keine Information der Klägerin als vertragsärztliche Praxis aufgedrängt. Außerdem habe die Klägerin mit der Veröffentlichung des BSG-Urteils im Mai 2013 Kenntnis von der Rechtswidrigkeit der alten EBM-Ä Regelungen erlangen können. Damit habe sie mit ihrem Wiedereinsetzungsantrag auch die Monatsfrist des § 67 Abs 2 Satz 1 SGG nicht eingehalten.
Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG macht die Klägerin die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG) geltend.
II
1. Die Beschwerde der Klägerin ist unzulässig, weil sie nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Darlegungsanforderungen entspricht.
Für die Geltendmachung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache muss in der Beschwerdebegründung eine konkrete Rechtsfrage in klarer Formulierung bezeichnet und zudem aufgezeigt werden, inwiefern diese in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich), klärungsbedürftig sowie über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (stRspr; zB BSG Beschluss vom 30.8.2004 - B 2 U 401/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 5 RdNr 2 ff; BSG Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 5; BSG Beschluss vom 12.9.2018 - B 6 KA 12/18 B - juris RdNr 5, jeweils mwN). Dem wird die Beschwerde der Klägerin nicht gerecht.
a) Die Klägerin formuliert bereits keine Rechtsfragen. Sie stellt vielmehr die Behauptungen auf:
"Die Beklagte wäre aufgrund ihrer speziellen Rechtsstellung zur Klägerpartei verpflichtet gewesen, diese sofort nach Kenntnis der Rechtsprobleme angemessen zu informieren und zumindest zu empfehlen, die Bescheide durch Rechtsmittel 'offenzuhalten'.
Die Beklagte wäre von Amts wegen verpflichtet gewesen, analog dem Finanzamt wegen streitiger Rechtsfragen diese Honorarpositionen von Amts wegen offen zu halten.
Es ist weiterhin festzustellen, dass die Klägerpartei unverschuldet nicht in der Lage gewesen war, form- und fristgerecht Widerspruch gegen die entsprechenden Honorarbescheide einzulegen, da ihr die entscheidenden Informationen von der Beklagten vorenthalten wurden."
Selbst wenn man diese Aussagen in Frageform kleidete (Ist die Beklagte … verpflichtet gewesen .... War die Klägerin unverschuldet nicht in der Lage …), würde es sich nicht um abstrakte Rechtsfragen, sondern um Fragen nach dem Ergebnis einer Subsumtion im konkreten Einzelfall handeln. Denn bei der Prüfung des Verschuldens iS des § 67 SGG - auf die die drei formulierten Behauptungen letztendlich abzielen - muss immer auf die Umstände des jeweiligen Falls abgestellt und die Person des Pflichtigen in den Blick genommen werden (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 67 RdNr 5). Auch die Klägerin selbst betont in ihrer Begründung unter Nr 1.3 im Übrigen, dass es sich hier um eine "spezielle rechtliche Konstellation" handele, die "in den letzten Jahren noch niemals im Sozialrecht so vorgekommen" sei.
b) Zudem setzt sich die Klägerin nicht in der gehörigen Weise mit der Entscheidungserheblichkeit der von ihr aufgeworfenen Fragen im Rahmen einer Wiedereinsetzung in die Widerspruchs- bzw - soweit in der Vergangenheit Widerspruchsverfahren durchgeführt wurden - Klagefrist und mit der hierzu ergangenen Rechtsprechung auseinander. Die im Wesentlichen in Form einer stichpunktartigen Aufzählung gehaltene Begründung (1. Vorbemerkungen ≪1.1 bis 1.6; Sachlage 2.2 bis 2.37) zitiert keine einzige Vorschrift und kein einziges Urteil. Sie setzt sich insbesondere nicht mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu den Anforderungen an eine unverschuldete Fristversäumnis im Rahmen der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (hier: § 67 iVm § 84 Abs 2 Satz 3 SGG) auseinander. So hätte es nahe gelegen, auf die höchstrichterliche Rechtsprechung einzugehen, dass zwar ein etwaiger Rechtsirrtum (hier: der Irrtum über die Erfolgsaussicht eines Widerspruchs gegen die Honorarbescheide) regelmäßig nicht unverschuldet ist (BSG Beschluss vom 18.11.2020 - B 1 KR 1/20 B - SozR 4-1500 § 65a Nr 6 RdNr 17 mwN), dass aber Wiedereinsetzung zu gewähren ist, wenn das Fristversäumnis auch auf Fehlern beruht, die im Verantwortungsbereich des Gerichts bei Wahrnehmung seiner Fürsorgepflicht liegen (vgl BSG Beschluss vom 18.11.2020 - B 1 KR 1/20 B - aaO RdNr 19 und zuletzt BSG Beschluss vom 10.11.2021 - B 1 KR 13/21 B - juris RdNr 12 mwN) sowie darauf, wie sich diese Rechtsprechung möglicherweise auf den vorliegenden Fall übertragen ließe. In diesem Zusammenhang hätte sich die Klägerin zudem mit den Ausführungen des LSG in seinen Entscheidungsgründen zum Fehlen einer Informationspflicht der Beklagten sowie damit befassen müssen, inwieweit der vom LSG angesprochene § 3 der Satzung der Beklagten revisibles Recht darstellt (vgl § 162 SGG).
In Bezug auf die erwähnte Praxis der Finanzämter, Steuerbescheide mit einem Vorläufigkeitsvermerk zu versehen, wäre zu erwarten gewesen, dass die Klägerin die zugrunde liegende Vorschrift des § 165 Abs 1 Abgabenordnung und deren Voraussetzungen zitiert, aber auch das Fehlen einer solchen Vorschrift im SGB X anspricht. Ferner hätte die Klägerin zumindest kurz auf die Rechtsprechung des Senats eingehen müssen, derzufolge es geboten ist, dass die KÄVen nach der Feststellung eines Gleichheitsverstoßes durch EBM-Ä-Regelungen jedenfalls durch den Senat die Honorarbescheide gegenüber der Gruppe der bislang rechtswidrig begünstigten Gruppe mit einem Vorbehalt versehen, der es ermöglicht, deren Vergütungsansprüche bis zur Neuregelung auf das Niveau abzusenken, dass sich (rückwirkend) nach Inkrafttreten der Neuregelung ergibt (BSG Urteil vom 3.4.2019 - B 6 KA 67/17 R - SozR 4-2500 § 75 Nr 21 RdNr 36). Nur ergänzend sei darauf hingewiesen, dass der von der Klägerin gewünschte Vorläufigkeitsvermerk letztlich auch dazu geführt hätte, dass der Vertrauensschutz der Klägerin in Bezug auf die mit den Honorarbescheiden gewährten Honorare entfallen wäre und diese damit ggf auch hätten abgesenkt werden können.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung der §§ 154 ff VwGO. Danach trägt die Klägerin die Kosten des von ihr erfolglos geführten Rechtsmittels (§ 154 Abs 2 VwGO).
3. Die Festsetzung des Streitwerts hat ihre Grundlage in § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 1, § 47 Abs 1 und 3 GKG. Sie entspricht der Festsetzung der Vorinstanz, die von keinem Beteiligten in Frage gestellt worden ist.
Wenner Loose Just
Fundstellen
Dokument-Index HI15148903 |