Entscheidungsstichwort (Thema)

Revision. Nichtzulassungsbeschwerde. Begründung. Verfahrensmangel. Verletzung der Hinweispflicht nach § 407a Abs. 5 ZPO. Abfassung des Gutachtens durch Assistenzarzt. Grundsätzliche Bedeutung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine Nichtzulassungsbeschwerde kann nicht allein auf die Verletzung der Hinweispflicht in § 407a Abs. 5 ZPO gestützt werden, da es sich um eine reine Ordnungsvorschrift handelt.

2. Im Verhältnis zu den Verfahrensbeteiligten kann eine Entscheidung erst dann auf § 407a ZPO beruhen, wenn das Sachverständigengutachten selbst unter einem Mangel leidet.

3. Rügt der Beschwerdeführer, das Gutachten sei nicht vom beauftragten Sachverständigen, sondern von einem Assistenzarzt abgefasst worden, muss er darlegen, ob und in welchem Umfang die Abfassung selbst einen Einfluss auf die inhaltliche Aussage des Gutachtens hatte.

4. Die Frage, ob ein Verfahrensmangel vorliegt, wenn das Gericht seiner Entscheidung ein Sachverständigengutachten zu Grunde legt, das nicht von dem bestellten Sachverständigen erstellt ist, wurde vom Senat bereits entschieden und hat daher keine grundsätzliche Bedeutung mehr.

 

Normenkette

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3, § 160a Abs. 2 S. 3; ZPO § 407a

 

Verfahrensgang

LSG für das Land Brandenburg (Urteil vom 22.11.2002)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts für das Land Brandenburg vom 22. November 2002 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Der Rechtsstreit betrifft die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG) bzw (ab 1. Juli 2001) dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) sowie die Feststellung der gesundheitlichen Merkmale einer außergewöhnlichen Gehbehinderung (im Folgenden Merkzeichen “aG”).

Der Beklagte stellte durch Bescheid vom 6. August 1996 in Ausführung eines in dem Verfahren S 9 Vs 22/95 vor dem Sozialgericht Potsdam (SG) geschlossenen Vergleichs den Gesamt-GdB des Klägers mit 50 fest und erkannte das Vorliegen der gesundheitlichen Merkmale einer erheblichen Gehbehinderung (Merkzeichen “G”) an. Den vom Kläger im November 1997 gestellten Antrag auf Feststellung eines höheren Gesamt-GdB und Zuerkennung des Merkzeichens “aG”, lehnte der Beklagte ab (Bescheid vom 23. Januar 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. April 1998); die anschließende Klage blieb erfolglos (Urteil des SG vom 14. Oktober 1999). Nachdem der Beklagte einen GdB von 60 anerkannt hatte, ist die Berufung des Klägers vom Landessozialgericht für das Land Brandenburg (LSG) mit folgenden Erwägungen zurückgewiesen worden (Urteil vom 22. November 2002): Nach den medizinischen Ermittlungen in beiden Instanzen sei der Gesamt-GdB nicht auf 70 zu erhöhen; keiner der Sachverständigen habe eine derartige Erhöhung vorgeschlagen. Ein Anspruch auf die Feststellung des Merkzeichens “aG” bestehe ebenfalls nicht. Der Kläger gehöre nicht zu dem in der Verwaltungsvorschrift zu § 46 der Straßenverkehrsordnung (StVO) ausdrücklich benannten Personenkreis. Er bedürfe nach Auswertung insbesondere der Sachverständigengutachten auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet (Dres. L.… und M.…) nicht dauernder Hilfe zur Fortbewegung und könne sich nicht nur unter großen Anstrengungen außerhalb eines Kraftfahrzeuges bewegen.

Mit seiner gegen die Nichtzulassung der Revision gerichteten Beschwerde macht der Kläger einen Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG geltend.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Beschwerde ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen. Es ist kein Zulassungsgrund ordnungsgemäß dargetan worden (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).

Wegen eines Verfahrensmangels nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn die angefochtene Entscheidung auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 (Anhörung eines bestimmten Arztes) und 128 Abs 1 Satz 1 (freie richterliche Beweiswürdigung) SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

Der Kläger rügt einen Verstoß gegen § 202 SGG iVm § 407a Abs 5 Zivilprozessordnung (ZPO). Der Sachverständige Dr. M.… sei mit dem Beweisbeschluss des LSG vom 11. Februar 2002 nicht nach § 407a Abs 5 iVm Abs 2 ZPO darüber belehrt worden sei, dass er das Sachverständigengutachten persönlich zu erstatten habe und seinen Auftrag nicht auf einen anderen übertragen dürfe bzw sofern er sich anderer Personen bediene, diese namhaft zu machen und den Umfang ihrer Tätigkeit anzugeben habe. Damit bezeichnet der Kläger keinen Verfahrensmangel auf dem die Entscheidung des LSG beruhen kann. Bei § 407a Abs 5 ZPO handelt es sich um eine Ordnungsvorschrift, deren Verletzung als solche keine verfahrensrechtlichen Folgen für die Verfahrensbeteiligten hat (vgl Reichold in Thomas/Putzo, Zivilprozessordnung, 25. Aufl 2003, § 407a RdNr 1). Sie dient der Regelung des Verhältnisses zwischen dem Sachverständigen und dem Gericht, wobei ein Verstoß gegen die dort normierte Hinweispflicht uU eine Anordnung nach § 407a Abs 4 ZPO oder den Einsatz der Ordnungsmittel des § 409 ZPO unmöglich machen und ggf einen Amtshaftungsanspruch auslösen kann (Hartmann in Baumbach/Lauterbach, Zivilprozessordnung, 60. Auflage, 2002, § 407a RdNr 22). Im Verhältnis zu den Verfahrensbeteiligten kann eine Entscheidung erst dann auf § 407a ZPO beruhen, wenn das Sachverständigengutachten selbst unter einem Mangel leidet, etwa weil in Folge der unterbliebenen Hinweise § 118 SGG iVm § 407a Abs 2 ZPO verletzt worden ist (vgl Beschluss des Senates vom 18. September 2003 – B 9 VU 2/03 B –, JURIS – zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Einen derartigen Mangel hat der Kläger in der Beschwerdebegründung nicht dargelegt. Er führt lediglich an: Aus der Vorgangsnummer und der Erwähnung des Namens der Assistenzärztin Dr. Mo.… ergebe sich, dass diese den Text des Sachverständigengutachtens verfasst habe. Hierbei handelt es sich jedoch nicht von vornherein um einen verfahrensrechtlich beachtenswerten Mangel, zumindest nicht ohne nähere Darlegungen dazu, ob und in welchem Umfang die Abfassung selbst einen Einfluss auf die inhaltliche Aussage des Gutachtens hatte. Ein unzulässiger Einfluss wäre erst dann in Betracht zu ziehen, wenn gefolgert werden könnte, der beauftragte Sachverständige habe die – das Gutachten prägenden und regelmäßig in einem unverzichtbaren Kern von ihm selbst zu erbringenden – Zentralaufgaben delegiert (vgl BSG aaO). An Ausführungen hierzu fehlt es in der Beschwerdebegründung.

Die vom Kläger weiter geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die – über den Einzelfall hinaus – aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Ein Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und des Schrifttums angeben, welche Rechtsfragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss der Beschwerdeführer mithin Folgendes aufzeigen: (1) eine konkrete Rechtsfrage, (2) ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, (3) ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit sowie (4) die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung, also deren Breitenwirkung (BSG SozR 1500 § 160 Nr 17 und § 160a Nr 7, 11, 13, 31, 59, 65). Diesen Anforderungen genügt die vorliegende Beschwerdebegründung nicht.

Der Kläger trägt zwar vor, dass grundsätzliche Bedeutung den Fragen zukomme, inwieweit der Sachverständige über seine Pflichten im Rahmen der §§ 202 SGG iVm 407a Abs 1 bis 4 ZPO belehrt werden müsse; ob § 407a Abs 4 (gemeint ist wohl Abs 5) ZPO für das Gericht nur Appell-Charakter habe oder ob das Gericht verpflichtet sei, den Sachverständigen im Regelfall über § 407a Abs 1 bis 4 ZPO zu belehren und die Beteiligten hiervon in Kenntnis zu setzen. Er hat jedoch nicht hinreichend dargelegt, dass die von ihm aufgeworfenen Fragen der höchstrichterlichen Klärung bedürfen. Es fehlt an Ausführungen dazu, warum sich nicht aus der bisherigen Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes Anhaltspunkte für die Beantwortung der aufgeworfenen Frage ergeben, insbesondere aus der vom Kläger selbst zitierten Entscheidung des 8. Senats des BSG (vom 30. Juni 1998 – B 8 KN 17/97 B –, JURIS). Diese befasst sich nämlich nicht nur – wie der Kläger meint – mit dem Verlust des Rügerechts nach § 295 ZPO, sondern stellt auch klar, dass ein Verfahrensmangel vorliegt, wenn das Gericht seiner Entscheidung ein Sachverständigengutachten zu Grunde legt, welches nicht von dem bestellten Sachverständigen erstattet worden ist (vgl dazu Entscheidung des erkennenden Senats vom 18. September 2003 – B 9 VU 2/03 B –, JURIS, die sich insoweit mit der Entscheidung des 8. Senats auseinander setzt).

Die Verwerfung der nicht ordnungsgemäß begründeten und damit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 2 iVm § 169 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1328800

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