Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 22.09.2016; Aktenzeichen L 6 SB 763/15) |
SG Heilbronn (Entscheidung vom 30.01.2015; Aktenzeichen S 13 SB 3658/12) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 22. September 2016 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I
Die Klägerin begehrt die Zuerkennung eines Grads der Behinderung (GdB) von mindestens 50.
Nachdem der Beklagte bei der Klägerin einen Gesamt-GdB von 30 festgestellt hatte (Bescheid vom 24.8.2012, Widerspruchsbescheid vom 15.10.2012), hat das SG ihn nach medizinischen Ermittlungen verurteilt, den Gesamt-GdB auf 40 zu erhöhen und die weitergehende Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 30.1.2015).
Die auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft gerichtete Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben. Das LSG hat ausgeführt, die Funktionseinbußen durch ihre im Vordergrund stehende mittelgradige depressive Episode erreichten allenfalls das Niveau einer wesentlichen Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit. In der dafür nach Teil B Nr 3.7 AnlVersMedV genannten Spanne von 30 - 40 seien die Beeinträchtigungen der Klägerin auf körperlicher, seelischer und vor allem sozialer Leidensebene (Teilhabe am Leben in der Gesellschaft) in einem unteren Bereich einzuordnen und deshalb für das seelische Leiden insgesamt ein GdB von 30 anzusetzen (wird ausgeführt). Aus diesem GdB-Wert von 30 für die Psyche und je weiteren 20 für die Wirbelsäule und die Knie habe das SG zutreffend einen Gesamt-GdB von 40 gebildet. Die Funktionsbehinderungen sowohl an der Lendenwirbelsäule als auch an den Kniegelenken bestünden jeweils überwiegend in der Schmerzentwicklung und überlappten sich daher stark mit den psychisch bedingten Einbußen, die ebenfalls im Wesentlichen eine Schmerzerkrankung beträfen. Dies rechtfertige es, zumindest einen der beiden zwanziger Grade bei der Bildung des Gesamt-GdB nicht erhöhend zu berücksichtigen (Urteil vom 22.9.2016).
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Klägerin Beschwerde zum BSG eingelegt. Das LSG habe die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache verkannt und sei von der Rechtsprechung des BSG abgewichen.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil weder die angebliche grundsätzliche Bedeutung (1.) noch die behauptete Divergenz (2.) ordnungsgemäß dargetan worden sind (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG).
1. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern die Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; s auch BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN). Der Beschwerdeführer muss dafür anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt.
Diese Darlegungen enthält die Beschwerde nicht. Soweit sie die Frage aufwirft,
ob ein erkennendes Gericht bei der Bildung des Gesamt-GdB alle Teil-GdB darauf überprüfen muss, ob sich die dort festgestellte Funktionsbehinderung erhöhend auf den Gesamt-GdB auswirkt oder ob das Gericht ohne nähere Begründung einen Teil-GdB als nicht erhöhend unberücksichtigt lassen darf,
legt sie nicht dar, warum sich diese Frage nicht bereits mithilfe des anwendbaren Rechts und der höchstrichterlichen Rechtsprechung beantworten lässt. Danach gilt Folgendes: Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der GdB gemäß § 69 Abs 3 S 1 SGB IX nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Zur Feststellung des GdB werden in einem ersten Schritt die einzelnen nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen im Sinne von regelwidrigen (von der Norm abweichenden) Zuständen (s § 2 Abs 1 SGB IX) und die sich daraus ableitenden, für eine Teilhabebeeinträchtigung bedeutsamen Umstände festgestellt. In einem zweiten Schritt sind diese dann den in der AnlVersMedV genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem Einzel-GdB zu bewerten. In einem dritten Schritt ist dann - in der Regel ausgehend von der Beeinträchtigung mit dem höchsten Einzel-GdB (Teil A Nr 3 Buchst a AnlVersMedV) - in einer Gesamtschau unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen der einzelnen Beeinträchtigungen der Gesamt-GdB zu bilden. Dabei können die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen ineinander aufgehen (sich decken), sich überschneiden, sich verstärken oder beziehungslos nebeneinander stehen. Außerdem sind bei der Gesamtwürdigung die Auswirkungen mit denjenigen zu vergleichen, für die in der GdB-Tabelle der AnlVersMedV feste Grade angegeben sind (vgl Teil A Nr 3 Buchst b AnlVersMedV sowie umfassend BSG Urteil vom 17.4.2013 - B 9 SB 3/12 R - Juris mwN).
Die Beschwerde legt nicht dar, warum diese Grundsätze nicht ausreichen sollten, die von ihr gestellte Frage zu beantworten. Indem die Klägerin darüber hinaus im Einzelnen zu belegen versucht, das LSG habe die Auswirkungen einzelner Funktionsbeeinträchtigungen auf den Gesamt-GdB nicht ausreichend berücksichtigt, kritisiert sie letztlich die Rechtsanwendung des LSG auf ihren Fall. Die inhaltliche Richtigkeit der Entscheidung des LSG im Einzelfall kann aber eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht begründen und daher der Nichtzulassungsbeschwerde nicht zum Erfolg verhelfen (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).
2. Ebenso wenig dargelegt hat die Beschwerde die behauptete Divergenz. Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG liegt vor, wenn die tragenden abstrakten Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zugrunde gelegt worden sind, nicht übereinstimmen. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat. Wer eine Rechtsprechungsdivergenz entsprechend den gesetzlichen Anforderungen darlegen will, muss entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze in der Entscheidung des Berufungsgerichts einerseits und in der herangezogenen höchstrichterlichen Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG andererseits gegenüberstellen und dazu ausführen, weshalb beide miteinander unvereinbar sein sollen (vgl zB BSG Beschluss vom 28.7.2009 - B 1 KR 31/09 B - RdNr 4; BSG Beschluss vom 28.6.2010 - B 1 KR 26/10 B - RdNr 4; BSG Beschluss vom 22.12.2010 - B 1 KR 100/10 B - Juris RdNr 4 mwN). Das LSG muss einen eigenen abweichenden Rechtssatz aufstellen; es genügt nicht, wenn es lediglich Rechtssätze der höchstrichterlichen Rechtsprechung missversteht oder unrichtig anwendet (vgl zB BSG Beschluss vom 15.1.2007 - B 1 KR 149/06 B - RdNr 4; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 26 S 44 f mwN).
Die Beschwerde legt keinen ausdrücklich aufgestellten Rechtssatz des LSG dar, sondern wirft ihm lediglich vor, es habe zu Unrecht auf die Berücksichtigung von Teil-GdB verzichtet. Damit wendet sie sich wiederum gegen die Rechtsanwendung des Berufungsgerichts im Einzelfall. Das kann aber der Nichtzulassungsbeschwerde nicht zum Erfolg verhelfen (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).
Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 SGG).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI10876546 |