Verfahrensgang
SG Gotha (Entscheidung vom 21.11.2017; Aktenzeichen S 41 KR 950/17) |
Thüringer LSG (Urteil vom 27.02.2020; Aktenzeichen L 6 KR 1549/17) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 27. Februar 2020 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die bei der beklagten Krankenkasse versicherte Klägerin litt an einem im Februar 2016 diagnostizierten Tumorrezidiv der linken Brust, nachdem bereits im November 2014 ein Mammakarzinom der linken Brust operativ entfernt worden war. Zugleich bestand bei ihr eine ausgeprägte Furcht vor einer Krebserkrankung auch der rechten Brust. Deshalb beantragte das Universitätsklinikum Jena am 11.2.2016 für die Klägerin bei der Beklagten, die Kosten einer prophylaktischen Mastektomie der rechten Brust (≪Teil≫ Amputation der Brust, mit nachfolgender Rekonstruktion) zu übernehmen. Die Mastektomie der rechten Brust sollte zusammen mit der unstrittig indizierten Mastektomie der linken Brust durchgeführt werden. Zugleich verwies das Universitätsklinikum auf eine beabsichtigte humangenetische Untersuchung zum Ausschluss einer BRCA-Mutation (sog "Breast Cancer Gene" mit einem erhöhten Mammakarzinom-Risiko). Diese am 23.2.2016 durchgeführte Untersuchung erbrachte am 9.3.2016 ein negatives Ergebnis. Die Beklagte, die bereit war, bei einem positiven Ergebnis die Klägerin mit der beantragten Leistung zu versorgen, informierte währenddessen die Klägerin schriftlich über die Beauftragung des MDK (Schreiben vom 24.2.2016). Am 10.3.2016 ließ die Klägerin die beidseitige Mastektomie im Universitätsklinikum durchführen. Die prophylaktische Mastektomie der rechten Brust erfolgte auf eigene Kosten (6082,99 Euro). Die Beklagte teilte dem Ehemann der Klägerin am 11.3.2016 telefonisch und später ihr selbst auch schriftlich (Bescheid vom 21.3.2016; Widerspruchsbescheid vom 16.2.2017) die Ablehnung des Antrags mit. Die Klägerin ist mit ihrem Kostenerstattungsbegehren auch vor dem SG und LSG erfolglos geblieben. Das LSG hat zur Begründung - auch unter Bezugnahme auf die Gründe des Gerichtsbescheids des SG - ausgeführt, dass ein Anspruch aus § 13 Abs 3 Satz 1 SGB V nicht bestehe, weil die Klägerin keinen Sachleistungsanspruch auf die durchgeführte prophylaktische Mastektomie der rechten Brust gehabt habe. Ein Anspruch aus § 13 Abs 3a Satz 6 SGB V scheitere daran, dass die Klägerin innerhalb der Entscheidungsfrist den Antrag (fern-)mündlich abgelehnt habe. Im Übrigen habe die Klägerin den Beschaffungsweg nicht eingehalten. Sie habe die Entscheidung der Krankenkasse nicht abgewartet. Die Mastektomie der rechten Brust sei auch nicht unaufschiebbar gewesen (Urteil vom 27.2.2020).
Die Klägerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.
II
Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung des allein geltend gemachten Revisionszulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung.
1. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG vom 26.5.2020 - B 1 KR 14/19 B - juris RdNr 4 mwN; zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit dieses Maßstabs BVerfG vom 14.4.2010 - 1 BvR 2856/07 - SozR 4-1500 § 160a Nr 24 RdNr 5 f mwN). Dem wird das Beschwerdevorbringen nicht gerecht.
Die Klägerin formuliert als Rechtsfragen:
1. "Genügt eine fernmündliche Mitteilung des Sachbearbeiters der Krankenkassen, um die in § 13 Abs 3a SGB V normierte 5-Wochen-Frist der Genehmigungsfiktion einzuhalten?"
2. "Stellt der faktische Zwang einer gesetzlich versicherte ≪n≫ Person, DNA-Testergebnisse gegenüber den Krankenkassen im Rahmen einer Streitigkeit der Kostenerstattung zu offenbaren oder ansonsten auf die Kostenerstattung zu verzichten, einen Verstoß gegen die grundrechtlich geschützten Positionen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung dar? Ist ein solcher Verstoß geeignet, ein Beweisverwertungsverbot zu begründen?"
a) Die Klägerin zeigt die Klärungsbedürftigkeit dieser Rechtsfragen nicht auf.
Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn sie bereits höchstrichterlich entschieden ist. Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (vgl BSG vom 22.2.2017 - B 1 KR 73/16 B - juris RdNr 8 mwN; vgl zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit eines entsprechenden Maßstabs BVerfG ≪Kammer≫; vom 12.9.1991 - 1 BvR 765/91 - SozR 3-1500 § 160a Nr 6 S 10 f = juris RdNr 4). Eine Rechtsfrage, über die bereits höchstrichterlich entschieden worden ist, kann wieder klärungsbedürftig werden, wenn der Rechtsprechung in nicht geringfügigem Umfang widersprochen wird und gegen sie nicht von vornherein abwegige Einwendungen vorgebracht werden, was im Rahmen der Beschwerdebegründung ebenfalls darzulegen ist (vgl zB BSG vom 19.7.2012 - B 1 KR 65/11 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 32; BSG vom 22.12.2010 - B 1 KR 100/10 B - juris RdNr 7). Erneute Klärungsbedürftigkeit ist darüber hinaus auch gegeben, wenn neue erhebliche Gesichtspunkte gegen die bisherige Rechtsprechung vorgebracht werden, die zu einer über die bisherige Erörterung hinausgehenden Betrachtung der aufgeworfenen Fragestellung führen können und die Möglichkeit einer anderweitigen Entscheidung nicht offensichtlich ausschließen (vgl BSG vom 30.9.1992 - 11 BAr 47/92 - SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2; BSG vom 11.2.2020 - B 10 EG 14/19 B - juris RdNr 6, jeweils mwN). Diesen Anforderungen entspricht die Beschwerdebegründung nicht.
aa) Das BSG hat die erste Rechtsfrage bereits entschieden. Verwaltungsakte - wie die Entscheidung über einen Leistungsantrag - können gemäß § 33 Abs 2 Satz 1 SGB X grundsätzlich in jeder Form - also auch mündlich - erlassen werden. Abweichendes gilt nur dann, wenn eine bestimmte Form ausdrücklich vorgeschrieben ist (vgl zB BSG vom 20.3.2013 - B 6 KA 27/12 R - BSGE 113, 123 = SozR 4-2500 § 106 Nr 40, RdNr 20; BSG vom 17.2.2011 - B 10 KG 5/09 R - BSGE 107, 239 = SozR 4-5870 § 2 Nr 1, RdNr 16; BSG vom 10.12.2002 - B 9 VG 6/01 R - juris RdNr 17). Die Regelung des § 13 Abs 3a SGB V enthält kein solches Formerfordernis. Denn sie trifft keine Aussagen zur Form der Bewilligungsentscheidung bzw der Ablehnung des Antrags; geregelt ist insoweit allein, dass die Krankenkasse dann, wenn sie die (Entscheidungs-)Frist nicht einhalten kann, dies schriftlich mitzuteilen hat (vgl BSG vom 20.3.2013 - B 6 KA 27/12 R - BSGE 113, 123 = SozR 4-2500 § 106 Nr 40, RdNr 20-22). Mit dieser Rechtsprechung setzt sich die Klägerin nicht auseinander. Sie verweist vielmehr selbst auf das Urteil des erkennenden Senats vom 26.2.2019 (B 1 KR 24/18 R - BSGE 127, 240 = SozR 4-2500 § 13 Nr 46, RdNr 27), der es dort als selbstverständlich angesehen hat, dass eine ablehnende Entscheidung der Krankenkasse auch (fern-)mündlich erfolgen kann. Erneute oder weitergehende Klärungsbedürftigkeit legt die Klägerin nicht dar.
bb) Die beiden sich in einem Stufenverhältnis zueinander befindenden zwei Teilfragen der zweiten Rechtsfrage zielen darauf ab, ob das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art 2 Abs 1 iVm Art 1 Abs 1 GG verletzt ist, wenn der Nachweis der Voraussetzungen eines Sozialleistungsanspruchs vom Ergebnis einer DNS-Analyse abhängig gemacht wird (erste Teilfrage) und falls ja, inwieweit dies ein Beweisverwertungsverbot begründen kann (zweite Teilfrage). Die Klägerin legt deren Klärungsbedürftigkeit nicht dar. Sie hätte dazu ausführen müssen, weshalb die aufgeworfene Rechtsfrage nicht anhand der bereits vorliegenden höchstrichterlichen Rechtsprechung beantwortet werden kann.
In Bezug auf die erste Teilfrage setzt sie sich zwar mit Rechtsprechung des BVerfG zum Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung auseinander, nicht aber damit, ob ein (unterstellter) Eingriff in dieses Grundrecht nach höchstrichterlicher Rechtsprechung gerade im Hinblick auf die Geltendmachung von Sozialleistungsansprüchen verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein könnte.
Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG sind Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht durchweg unzulässig. Vielmehr kommt es auf eine Abwägung zwischen der behaupteten grundrechtlichen Beeinträchtigung einerseits und dem damit verfolgten Zweck andererseits an (vgl nur BVerfG vom 13.6.2007 - 1 BvR 1550/03 - BVerfGE 118, 168, 193 ff). Der Einzelne muss Beschränkungen seines Rechts hinnehmen, die durch überwiegendes Allgemeininteresse gerechtfertigt sind (vgl nur BVerfG vom 15.12.1983 - 1 BvR 209/83 - BVerfGE 65, 1, 43-44; BVerfG ≪Kammer≫; vom 25.2.2008 - 1 BvR 3255/07 - juris RdNr 21 mwN). Insoweit hat das BVerfG bereits entschieden, dass es sich bei der Überprüfung der Leistungsberechtigung von Sozialleistungen um die Verfolgung eines bedeutsamen Gemeinwohlbelangs handelt (vgl nur BVerfG vom 13.6.2007 - 1 BvR 1550/03 - BVerfGE 118, 168, 193 und 196; BVerfG ≪Kammer≫; vom 13.8.2009 - 1 BvR 1737/09 - juris RdNr 3). Hierauf geht die Klägerin nicht ein.
Da die Klärungsbedürftigkeit der ersten Teilfrage nicht dargelegt ist, fehlt es auch an der Klärungsbedürftigkeit der von ihr abhängigen zweiten Teilfrage. Zudem setzt sich die Klägerin nicht mit der zu Beweisverwertungsverboten ergangenen umfangreichen höchstrichterlichen Rechtsprechung auseinander. Danach führt nicht jeder Verstoß gegen ein Beweiserhebungs- zu einem Beweisverwertungsverbot, vielmehr sind ausgehend von der verletzten Rechtsnorm die Folgen des jeweiligen Verstoßes zu beurteilen und eine Abwägung der für und gegen die Beweisverwertung sprechenden Gesichtspunkte vorzunehmen (vgl zB BVerfG vom 7.12.2011 - 2 BvR 2500/09 - BVerfGE 130, 1, 28-29; BVerfG ≪Kammer≫; vom 2.7.2009 - 2 BvR 2225/08 - juris RdNr 16; BSG vom 7.5.2019 - B 2 U 25/17 R - BSGE 128, 78 = SozR 4-2700 § 200 Nr 5, RdNr 23 mwN).
b) Soweit die Klägerin darlegt, wie das LSG im Hinblick auf die aufgeworfenen Rechtsfragen aus ihrer Sicht hätte entscheiden müssen, behauptet sie nur eine fehlerhafte Rechtsanwendung durch das LSG, die nicht zur Zulassung der Revision führen kann. Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht, ob das Berufungsgericht in der Sache richtig entschieden hat (vgl nur BSG vom 26.6.1975 - 12 BJ 12/75 - SozR 1500 § 160a Nr 7).
2. Sofern die Klägerin mit ihren Ausführungen zur zweiten Rechtsfrage auch die Beweiserhebung und -verwertung des Ergebnisses der humangenetischen Untersuchung durch das LSG sinngemäß als Verfahrensfehler rügen wollte, entspricht ihre Begründung ebenfalls nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung des Revisionszulassungsgrundes des Verfahrensfehlers (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG).
Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Um einen Verfahrensmangel in diesem Sinne geltend zu machen, müssen Umstände bezeichnet werden, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (vgl zB BSG vom 18.2.1980 - 10 BV 109/79 - SozR 1500 § 160a Nr 36 mwN; BSG vom 17.12.2020 - B 1 KR 84/19 B - juris RdNr 4). Dem wird die Klägerin nicht gerecht.
Die Beweiswürdigung kann auch dann nicht mit der Nichtzulassungsbeschwerde gerügt werden, wenn die Rüge sich auf ein Beweisverwertungsverbot stützt (vgl zB BSG vom 13.8.2018 - B 13 R 397/16 B - juris RdNr 9; BSG vom 17.10.1980 - 8a BU 72/80 - juris RdNr 2). Die Klägerin legt nicht dar, dass das von ihr behauptete Beweiserhebungs- und -verwertungsverbot nicht lediglich die Beweiswürdigung des Gerichts nach § 128 Abs 1 Satz 1 SGG betrifft.
3. Die Ausführungen der Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 26.8.2020, mit denen sie die Begründung ihrer Nichtzulassungsbeschwerde ergänzt und vertieft hat, sind wegen Verfristung nicht berücksichtigungsfähig. Das LSG-Urteil ist dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 16.3.2020 zugestellt worden. Die zweimonatige Begründungsfrist (§ 160a Abs 2 Satz 1 SGG) endete am 18.5.2020. Die weitere Begründung ist jedoch - ohne dass Wiedereinsetzungsgründe ersichtlich sind - erst am 26.8.2020 beim BSG eingegangen.
4. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
5. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI14685254 |