Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 5. November 2020 wird als unzulässig verworfen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.
Gründe
I
Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Grundsicherungsleistungen) nach dem Vierten Kapitel des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) für die Zeit vom 1.3.2018 bis zum 30.11.2019 im Streit.
Der 1997 geborene Kläger ist schwerbehindert und hat vom 1.9.2017 an (gefördert durch eine Maßnahme der Bundesagentur für Arbeit ≪BA≫) in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) das Eingangsverfahren durchlaufen; seit dem 1.12.2019 ist er im Arbeitsbereich der WfbM tätig. Seinen Antrag auf Grundsicherungsleistungen für die Zeit ab 1.3.2018 lehnte die Beklagte ab, weil nach § 45 Satz 3 Nr 3 SGB XII weder ein Ersuchen zur Feststellung der vollen Erwerbsminderung beim Rentenversicherungsträger gestellt werden könne, noch eigene Ermittlungen des Trägers der Grundsicherung zur Feststellung der dauerhaften vollen Erwerbsminderung im Gesetz vorgesehen seien; der Kläger gehöre von vornherein nicht zum Kreis der dauerhaft voll erwerbsgeminderten Personen, weil über die Dauerhaftigkeit der Erwerbsminderung keine Aussage getroffen werden könne (Bescheid vom 17.7.2018; Widerspruchsbescheid vom 18.9.2018). Im hiergegen gerichteten Klageverfahren hat das Sozialgericht (SG) Köln die Beklagte zur Gewährung von Grundsicherungsleistungen ab dem 1.3.2018 verurteilt (Urteil vom 12.9.2019). Die Berufung der Beklagten (beschränkt auf die Zeit vom 1.3.2018 bis zum 30.11.2019) hat keinen Erfolg gehabt (Beschluss des Landessozialgerichts ≪LSG≫ Nordrhein-Westfalen vom 5.11.2020). Das LSG hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, eine Auslegung von § 45 Satz 3 Nr 3 SGB XII nach Sinn und Zweck der Norm ergebe, dass aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung bei allen Personen, die in einer WfbM tätig seien, von dauerhafter voller Erwerbsminderung auszugehen sei; dies erfasse auch den Eingangs- und den Berufsbildungsbereich.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dem bezeichneten Beschluss wendet sich die Beklagte mit ihrer Beschwerde und macht eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend.
II
Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung des allein geltend gemachten Revisionszulassungsgrunds der grundsätzlichen Bedeutung.
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung - ggf sogar des Schrifttums - angeben, welche Rechtsfrage sich stellt, dass diese noch nicht geklärt ist, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfrage aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt (Bundessozialgericht ≪BSG≫ vom 2.3.1976 - 12/11 BA 116/75 - SozR 1500 § 160 Nr 17 und BSG vom 26.6.1975 - 12 BJ 12/75 - SozR 1500 § 160a Nr 7; BSG vom 22.8.1975 - 11 BA 8/75 - BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11; BSG vom 25.9.1975 - 12 BJ 94/75 - SozR 1500 § 160a Nr 13; BSG vom 25.10.1978 - 8/3 BK 28/77 - SozR 1500 § 160a Nr 31; BSG vom 19.1.1981 - 7 BAr 69/80 - SozR 1500 § 160a Nr 39; BSG vom 9.10.1986 - 5b BJ 174/86 - SozR 1500 § 160a Nr 59 und BSG vom 22.7.1988 - 7 BAr 104/87 - SozR 1500 § 160a Nr 65). Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss der Beschwerdeführer eine konkrete Frage formulieren, deren (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit und (konkrete) Klärungsfähigkeit (= Entscheidungserheblichkeit) sowie deren über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung (Breitenwirkung) darlegen (vgl nur BSG vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN).
Die Beklagte misst trotz der zwischenzeitlichen Rechtsänderungen mit dem Gesetz zur Entlastung unterhaltsverpflichteter Angehöriger in der Sozialhilfe und in der Eingliederungshilfe (Angehörigen-Entlastungsgesetz) vom 10.12.2019 (BGBl I 2135) der (sinngemäß aufgeworfenen) Frage grundsätzliche Bedeutung zu, ob sich aus § 45 Satz 3 Nr 3 SGB XII in der bis zum 31.12.2019 geltenden Fassung (im Folgenden: alte Fassung ≪aF≫) iVm § 41 Abs 3 SGB XII in der bis 12.12.2019 geltenden aF eine Zuständigkeitsabgrenzung in der Weise ergab, dass Menschen mit Behinderungen, die im Eingangs- oder Berufsbildungsbereich einer WfbM tätig sind, nicht zum Kreis der dem Grunde nach leistungsberechtigten Personen nach dem Vierten Kapitel gehörten. Betrifft die vom Beschwerdeführer aufgeworfene Rechtsfrage aber ausgelaufenes oder auslaufendes Recht, besteht in aller Regel kein Bedürfnis mehr, diese Frage höchstrichterlich zu klären (vgl BSG vom 21.6.2011 - B 4 AS 14/11 B - juris RdNr 5; BSG vom 26.4.2007 - B 12 R 15/06 B - juris RdNr 9; BSG vom 28.11.1975 - 12 BJ 150/75 - SozR 1500 § 160a Nr 19). Im Falle ausgelaufenen bzw auslaufenden Rechts ist eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache allenfalls dann gegeben, wenn noch eine erhebliche Zahl von Fällen auf der Grundlage des alten Rechts zu entscheiden ist oder wenn die Überprüfung der Rechtsnorm bzw ihre Auslegung aus anderen Gründen fortwirkende allgemeine Bedeutung hat, namentlich wegen einer weitgehenden Übereinstimmung mit dem neuen Recht (BSG vom 17.3.2010 - B 6 KA 23/09 B - juris RdNr 32; BSG vom 16.12.2009 - B 6 KA 13/09 B - juris RdNr 7; BSG vom 22.3.2006 - B 6 KA 46/05 B - juris RdNr 7; BSG vom 20.6.2001 - B 10/14 KG 1/00 B - juris RdNr 1; BSG vom 31.3.1999 - B 7 AL 170/98 B - juris RdNr 8; BSG vom 17.6.2013 - B 10 EG 6/13 B - juris mwN). Diese Voraussetzungen hat die Beschwerde nicht hinreichend dargelegt.
Die Beklagte trägt lediglich vor, das Verfahren zur Feststellung der Leistungsvoraussetzungen in § 45 Satz 3 Nr 3 SGB XII, das nach wie vor ein Ersuchen an den Rentenversicherungsträger im Fall einer Tätigkeit in einer WfbM nicht vorsieht, habe sich durch zwischenzeitlich vorgenommenen Präzisierungen und Klarstellungen des Gesetzgebers - neben dem Angehörigen-Entlastungsgesetz durch das Gesetz zur Änderung des Neunten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch und anderer Rechtsvorschriften vom 30.11.2019 (BGBl I 1948) mit Wirkung vom 1.1.2020 - nicht wesentlich verändert. Sie führt jedoch nichts Näheres dazu aus, dass mit dem Angehörigen-Entlastungsgesetz der Kreis der Leistungsberechtigten in § 41 Abs 3a Nr 1 SGB XII mit Wirkung vom 13.12.2019 um diejenigen erweitert worden ist, die das Eingangsverfahren und den Berufsbildungsbereich in einer WfbM durchlaufen. Dieser Personenkreis erhält seither Grundsicherungsleistungen für die Dauer der Maßnahme unabhängig davon, ob eine dauerhafte volle Erwerbsminderung iS des § 41 Abs 3 SGB XII besteht. Vor dem Hintergrund dieser Rechtsänderung hätte die Beklagte aber im Einzelnen darstellen müssen, weshalb sich im Streit um Ansprüche des behinderten Menschen auf Grundsicherungsleistungen die von ihr aufgeworfenen Fragen noch stellen sollten. Nur über Ansprüche auf Grundsicherungsleistungen wäre in einem Revisionsverfahren zu entscheiden, nicht dagegen - abstrakt und lehrbuchartig - über Sinn und Zweck des Eingangsverfahrens in einer WfbM. Insoweit trägt sie nur vor, die alte Rechtslage betreffe noch eine hohe Zahl von anhängigen Verfahren; dies verdeutliche die grundsätzliche Bedeutung. Dies reicht für die Darstellung der Breitenwirkung einer Grundsatzrevision bei ausgelaufenem Recht gerade nicht. Es handelt sich nur um eine pauschale Behauptung der Beklagten.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI14755149 |