Leitsatz (amtlich)
Bei Zurücknahme des Rechtsmittels kann ZPO § 515 Abs 3 nicht in Ergänzung des SGG § 156 Abs 2 entsprechend angewandt werden. Im sozialgerichtlichen Verfahren kann daher einem Antrage des Rechtsmittelgegners, den Rechtsmittelkläger des Rechtsmittels für verlustig zu erklären, nicht entsprochen werden.
Normenkette
SGG § 156 Abs. 2 Fassung: 1953-09-03, § 202 Fassung: 1953-09-03; ZPO § 515 Abs. 3
Tenor
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Der Antrag der Klägerin, die Beklagte des Rechtsmittels der Revision für verlustig zu erklären, wird abgelehnt.
Gründe
Die Beklagte hatte gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 24. November 1955 - 2/LSG/383/54 - Revision eingelegt, diese aber später rechtswirksam zurückgenommen. Die Klägerin hat nunmehr beantragt,
"die Revisionsklägerin des Rechtsmittels für verlustig zu erklären und ihr die Kosten des Verfahrens durch Beschluß aufzuerlegen (§ 193 SGG)".
Nach § 165 in Verb. mit § 156 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) hat das Gericht bei Zurücknahme des Rechtsmittels auf Antrag durch Beschluß über die Kosten zu entscheiden. Kosten sind nach § 193 Abs. 2 SGG die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten. Insoweit der Klägerin solche Kosten im Revisionsverfahren entstanden sind, erschien es wegen der Zurücknahme der Revision durch die Beklagte angemessen, sie der Beklagten aufzuerlegen.
Dagegen konnte der Antrag der Klägerin, die Beklagte des Rechtsmittels der Revision für verlustig zu erklären, keinen Erfolg haben. Im sozialgerichtlichen Verfahren ist ein derartiger Beschluß im Gegensatz zum Zivilprozeß nicht vorgesehen. Die nach § 566 der Zivilprozeßordnung (ZPO) auf die Revision entsprechend anzuwendende Vorschrift des § 515 Abs. 3 ZPO unterscheidet sich in verschiedener Hinsicht von dem § 156 Abs. 2 SGG, der nach § 165 SGG für die Revision entsprechend gilt. Nach § 156 Abs. 2 bewirkt zwar die Zurücknahme den Verlust des Rechtsmittels, jedoch hat das Gericht auf Antrag lediglich über die Kosten durch Beschluß zu entscheiden. Die Vorschrift, daß auch der Verlust des Rechtsmittels auf Antrag durch Beschluß auszusprechen ist, findet sich im Sozialgerichtsgesetz nicht. Sie kann auch nicht über § 202 SGG entsprechend angewandt werden, da diese Vorschrift die entsprechende Anwendung der Zivilprozeßordnung nur zuläßt, soweit das Sozialgerichtsgesetz "keine Bestimmungen über das Verfahren" enthält. Da das Sozialgerichtsgesetz aber in § 156 die Zurücknahme der Berufung und ihre Folgen abschließend geregelt hat, können die vom Gesetzgeber nicht in das Sozialgerichtsgesetz übernommenen Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Zurücknahme von Rechtsmitteln nicht zusätzlich zu den im Sozialgerichtsgesetz enthaltenen Vorschriften entsprechend angewandt werden. Die Verfahrensvorschriften des Sozialgerichtsgesetzes sind unter ständigem Hinblick auf die Vorschriften anderer Verfahrensordnungen zustandegekommen. Insbesondere gilt dies für die früheren §§ 1636 bis 1734 der Reichsversicherungsordnung und für die Zivilprozeßordnung. Es erscheint daher ausgeschlossen, daß der Gesetzgeber etwa versehentlich aus § 515 Abs. 3 ZPO nur einen Teil der dort normierten Folgen einer Zurücknahme der Berufung in das Sozialgerichtsgesetz übernommen hat. Vielmehr muß angenommen werden, daß der Feststellung einer ordnungsmäßigen Zurücknahme des Rechtsmittels und damit dem Ausschluß der Möglichkeit, die Rechtskraft des durch die Zurücknahme rechtskräftig gewordenen Urteils anzuzweifeln, in der Sozialgerichtsbarkeit geringere Bedeutung beigemessen wurde als im Zivilprozeß.
Es war daher wie geschehen zu entscheiden.
Fundstellen
Haufe-Index 2290867 |
NJW 1958, 40 |