Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Kostenerstattung. Sonderrechtsnachfolge. laufende Geldleistung
Orientierungssatz
Bei dem 3. Senat des Bundessozialgerichts wird angefragt, ob er an seiner in dem Urteil vom 25.8.2009 - B 3 KR 25/08 R - vertretenen Rechtsauffassung festhält, dass bei Kostenerstattungsansprüchen nach § 13 Abs 3 SGB 5 eine Sonderrechtsnachfolge nach § 56 SGB 1 nicht stattfindet, weil keine "laufende Geldleistung" betroffen ist.
Normenkette
SGB 5 § 13 Abs. 3 S. 1; SGB 1 § 56 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
Tenor
Bei dem 3. Senat des Bundessozialgerichts wird angefragt, ob er an seiner in dem Urteil vom 25. August 2009 - B 3 KR 25/08 R - vertretenen Rechtsauffassung festhält, dass bei Kostenerstattungsansprüchen nach § 13 Abs 3 SGB V eine Sonderrechtsnachfolge nach § 56 SGB I nicht stattfindet, weil keine "laufende Geldleistung" betroffen ist.
Gründe
I. Der erkennende 1. Senat des BSG hat über zwei Revisionen zu entscheiden, die die beklagte Ersatzkasse und der Kläger erhoben haben. Sie streiten über die Zahlung von 77 700,92 Euro Kosten für ambulante transarterielle Chemoperfusionen und eine Laserinduzierte Interstitielle Thermotherapie (LITT) in der Zeit vom 21.6.2005 bis 8.11.2007 nebst Fahrkosten. Der Kläger war Ehemann und ist Erbe der 1927 geborenen und am 24.3.2008 verstorbenen Dr. K. M. (im Folgenden: Versicherte). Er lebte zur Zeit ihres Todes mit ihr in einem gemeinsamen Haushalt. Die Versicherte, eine ehemalige Zahnärztin, war als Bezieherin einer Regelaltersrente bei der beklagten Ersatzkasse freiwillig versichert. Sie erhielt die Behandlung infolge eines hepatisch, pulmonal und lymphatisch metastasierten, 2003 operierten Sigmakarzinoms, das im Juni 2005 einen hepatischen und lymphatischen Progress zeigte. Während Beklagte und SG eine Kostenerstattung abgelehnt haben, hat das LSG die Beklagte verurteilt, 18 708,87 Euro zu zahlen, die Berufung im Übrigen zurückgewiesen und die Revision zugelassen (Urteil vom 28.4.2011).
Beide Beteiligte haben die vom LSG zugelassene Revision eingelegt und rügen ua die Verletzung des § 13 Abs 3 SGB V.
II. Der erkennende Senat beabsichtigt, die Klagebefugnis des Klägers als Sonderrechtsnachfolger zu bejahen und nach § 193 SGG über die Kosten zu entscheiden. Daran sieht sich der Senat allerdings gehindert, weil er dabei in entscheidungstragender Weise von der Rechtsprechung des 3. Senats des BSG abweichen würde. Er legt dem 3. Senat daher die im Beschlusstenor enthaltene Frage zur Beantwortung vor (vgl § 41 Abs 2 und 3 SGG).
1. Der 3. Senat des BSG ist weiterhin für die Beantwortung der Anfrage zuständig, obwohl seit seinem Urteil vom 25.8.2009 (BSG SozR 4-2500 § 37 Nr 10) sich seine Zuständigkeit nach dem Geschäftsverteilungsplan teilweise geändert hat. Nach § 41 Abs 3 Satz 1 SGG ist eine Vorlage an den Großen Senat nur zulässig, wenn der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, auf Anfrage des erkennenden Senats erklärt hat, dass er an seiner Rechtsauffassung festhält. Der Senat, von dessen Entscheidung der 1. BSG-Senat abweichen will, ist der 3. BSG-Senat.
Eine Ausnahme von der Regel des § 41 Abs 3 Satz 1 SGG liegt nicht vor. § 41 Abs 3 Satz 2 SGG bestimmt: "Kann der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, wegen einer Änderung des Geschäftsverteilungsplanes mit der Rechtsfrage nicht mehr befasst werden, tritt der Senat an seine Stelle, der nach dem Geschäftsverteilungsplan für den Fall, in dem abweichend entschieden wurde, nunmehr zuständig wäre." Die Voraussetzungen dieser Regelung sind nicht erfüllt, weil der 3. Senat weiterhin mit der vom erkennenden Senat aufgeworfenen Rechtsfrage befasst werden kann. Er kann auch künftig über die Rechtsnachfolge bei Kostenerstattungsansprüchen im Rahmen von Revisionen entscheiden. In solchen Fällen verbleibt es bei der regelmäßigen Zuständigkeit gemäß § 41 Abs 3 Satz 1 SGG. Das entspricht bereits dem klaren Wortlaut, aber auch Entstehungsgeschichte, Systematik und Zweck der Regelung (vgl BSG Beschluss vom 16.12.2008 - B 1 KR 69/08 B - RdNr 6 mwN).
2. Der erkennende Senat geht davon aus, dass bei Kostenerstattungsansprüchen nach § 13 Abs 3 SGB V eine Sonderrechtsnachfolge nach § 56 SGB I stattfinden kann, weil eine "laufende Geldleistung" betroffen sein kann. Der Kläger ist danach Sonderrechtsnachfolger der Versicherten hinsichtlich des geltend gemachten Kostenerstattungsanspruchs aus § 13 Abs 3 Satz 1 SGB V. Das folgt aus § 56 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB I. Danach stehen beim Tode des Berechtigten fällige Ansprüche auf laufende Geldleistungen an erster Stelle dem Ehegatten zu, wenn dieser mit dem Berechtigten zur Zeit seines Todes in einem gemeinsamen Haushalt gelebt hat. So lag es beim Kläger. Zur Zeit des Todes der Versicherten lebte er als Ehegatte mit ihr in einem gemeinsamen Haushalt. Bei dem geltend gemachten Kostenerstattungsanspruch handelt es sich auch um einen fälligen Anspruch auf laufende Geldleistungen. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats ist der Kostenerstattungsanspruch auf Geldleistungen gerichtet (vgl BSGE 97, 6 = SozR 4-2500 § 13 Nr 9, RdNr 13 mwN). Bestand ein Kostenerstattungsanspruch, war er mit seinem Entstehen fällig (§ 41 SGB I).
Der Kostenerstattungsanspruch ist im Rechtssinne auf "laufende" Geldleistungen gerichtet. § 56 SGB I ist in diesem Sinne bei Todesfällen in der Zeit ab dem 2.1.2002 auszulegen. Die Regelung ist einer weiten Auslegung zugänglich. Sie kann sogar als Basis einer Analogie dienen (vgl dazu BSG SozR 1500 § 75 Nr 44 S 48 f). Den Begriff der laufenden Geldleistungen, dem der Begriff der "einmaligen" Geldleistung gegenübersteht, definiert das Gesetz nicht. Nach den Gesetzesmaterialien (Entwurf der Bundesregierung zum SGB I, BT-Drucks 7/868 S 31 zu § 48) handelt es sich um Leistungen, die regelmäßig wiederkehrend für bestimmte Zeitabschnitte gezahlt werden; sie verlieren ihren Charakter nicht dadurch, dass sie verspätet oder als zusammenfassende Zahlung für mehrere Zeitabschnitte geleistet werden. Das kommt auch für alle Kostenerstattungsansprüche nach dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) bei Systemmangel in Betracht (§ 13 Abs 3 Satz 1 SGB V; § 15 Abs 1 SGB IX). Sie knüpfen daran an, dass der Berechtigte regelmäßig zu einer Vorfinanzierung für mehrere Zeitabschnitte gezwungen ist (vgl BSGE 97, 112 = SozR 4-2500 § 31 Nr 5, RdNr 11). Dem Zweck der Sonderrechtsnachfolge in § 56 SGB I wird es in besonderem Maße gerecht, diesen Kostenerstattungsanspruch als einen Anspruch auf laufende Geldleistungen anzusehen. Es beschränkt in aller Regel die Lebensführung nicht nur des Leistungsberechtigten, sondern aller Familienangehörigen, die mit ihm in einem gemeinsamen Haushalt leben, wenn Ansprüche auf laufende Geldleistung nicht rechtzeitig erfüllt werden (vgl Entwurf der Bundesregierung, BT-Drucks 7/868 S 33 zu den §§ 56 bis 59). Das gilt in gleicher Weise regelmäßig für die Fälle, in denen die Krankenkasse ihre Pflicht zur Naturalleistungsgewährung (§ 2 Abs 2 und § 13 Abs 1 SGB V) nicht erfüllt, der Versicherte sich deshalb die zu beanspruchende Leistung selbst beschafft, vorfinanziert und später die Kostenerstattung von der Krankenkasse erstreitet. Um die dadurch entstandene Benachteiligung auszugleichen, sieht § 56 SGB I in Abweichung vom Erbrecht, aber in Übereinstimmung mit Vorschriften des bis zum Inkrafttreten des SGB I geltenden Rechts und mit der Funktion solcher Leistungen eine Sonderrechtsnachfolge vor. Der Schutzbedarf der durch die Vorschriften der Sonderrechtsnachfolge erfassten Personen hat zwischenzeitlich noch dadurch zugenommen, dass § 183 Satz 1 SGG (hier idF durch Art 1 Nr 61 des Sechsten SGG-Änderungsgesetzes ≪6. SGGÄndG≫ vom 17.8.2001, BGBl I 2144) seit dem 2.1.2002 allein Sonderrechtsnachfolger hinsichtlich der Gerichtskosten privilegiert, während sonstige Rechtsnachfolger nach § 183 Satz 2 SGG Kostenfreiheit nur in dem Rechtszug haben können, in dem sie das Verfahren aufnehmen.
Der Vorbehalt abweichender Regelungen (§ 37 SGB I; vgl dazu BSGE 97, 112 = SozR 4-2500 § 31 Nr 5, RdNr 12) steht dem Auslegungsergebnis nicht entgegen. Allerdings hatte das vor Inkrafttreten des SGB I geltende Recht der RVO für die GKV - anders als für das Recht der gesetzlichen Unfall- und Rentenversicherung (vgl hierzu § 630 und § 1288 RVO, dementsprechend § 65 Angestelltenversicherungsgesetz und § 88 Reichsknappschaftsgesetz) - keine Regelung zur Sonderrechtsnachfolge enthalten. Deshalb nahm auch die Rechtsprechung des BSG zum alten Rechtszustand an, der galt, wenn ein Sozialleistungsberechtigter vor dem Inkrafttreten des SGB (1.1.1976) gestorben war (vgl Art II § 19 SGB I idF vom 11.12.1975, BGBl I 3015), dass ein Erstattungsanspruch im Wege der Rechtsnachfolge auf die Erben übergeht (vgl BSG Urteil vom 10.10.1978 - 3 RK 11/78 - USK 78126). Die bewusst umfassend getroffene Regelung des § 56 SGB I erfasst dagegen auch das Recht der GKV. Die Besonderheiten dieses Rechtsgebiets erfordern es nicht, Kostenerstattungsansprüche von der Sonderrechtsnachfolge nach dem SGB I auszuschließen. Besondere Überlegungen, die im Recht der Sozialhilfe für den Ausschluss der Sonderrechtsnachfolge in Betracht kommen können (vgl dazu BVerwGE 96, 18, 22 ff = Buchholz 435.11 § 58 SGB I Nr 2), greifen insoweit für den Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs 3 Satz 1 SGB V und § 15 Abs 1 SGB IX nicht durch.
Der vorliegende Fall unterscheidet sich durch den Tod der Versicherten in der Zeit ab dem 2.1.2002, dem Tag des Inkrafttretens des 6. SGGÄndG, auch wesentlich von jenem, der dem Urteil des 9. Senats des BSG vom 10.12.2003 (vgl BSGE 92, 42 = SozR 4-3100 § 35 Nr 3) zugrunde lag. Jener Rechtsstreit betraf die Erstattung von bis zum Tode des Berechtigten im Jahr 1999 verauslagten Aufwendungen entsprechend § 18 Abs 3 und 4 Bundesversorgungsgesetz (BVG) mit Blick auf Heimpflege nach § 35 Abs 6 BVG. Er war schon vor Inkrafttreten des 6. SGGÄndG rechtshängig geworden, sodass nach dem Übergangsrecht (Art 17 Abs 1 Satz 2 6. SGGÄndG) noch altes Kostenrecht anzuwenden war.
3. Der erkennende Senat vermag sich der abweichenden Auffassung des 3. BSG-Senats nicht anzuschließen (vgl BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 10, RdNr 15; BSG SozR 4-2500 § 37 Nr 10 RdNr 11). Dieser stützt sich insbesondere darauf, der Kostenerstattungsanspruch sei nicht von vornherein auf eine wiederkehrende Zahlung gerichtet, sondern habe lediglich eine einmalige Geldleistung zum Gegenstand.
4. Diese Rechtsauffassung trägt nach Überzeugung des erkennenden Senats der gebotenen Auslegung der Regelungen über die Sonderrechtsnachfolge im Hinblick auf ihren Schutzzweck sowie der Funktion des betroffenen Kostenerstattungsanspruchs als Naturalleistungsersatz (vgl dazu auch BSGE 98, 257 = SozR 4-6928 Allg Nr 1, RdNr 23; BSGE 104, 1 = SozR 4-2500 § 13 Nr 23, RdNr 17 mwN) nicht hinreichend Rechnung. Sie sichert nicht ausreichend, dass die Inhaber des betroffenen sozialen Stammrechts als der Sache am nächsten Stehende das Gerichtsverfahren betreiben (vgl BSGE 97, 6 = SozR 4-2500 § 13 Nr 9, RdNr 13 ff).
Fundstellen