Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache. Bezeichnung der Divergenz. Berufsunfähigkeit
Orientierungssatz
1. Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gehört es, daß der Beschwerdeführer die Rechtsfrage, um die es nach seiner Auffassung geht, selbst formuliert und den nach seiner Meinung vom Revisionsgericht einzuschlagenden Weg der Nachprüfung des angefochtenen Urteils und dabei insbesondere den Schritt darstellt, der die Entscheidung der als grundsätzlich bezeichneten Rechtsfrage notwendig macht.
2. Zur Bezeichnung der Divergenz genügt es nicht, das Urteil mit Datum und Aktenzeichen zu benennen, sondern der Beschwerdeführer muß darlegen, zu welcher konkreten Rechtsfrage eine das Berufungsurteil tragende Abweichung in dessen rechtlichen Ausführungen enthalten ist bzw inwiefern das LSG-Urteil von der BSG-Entscheidung abweicht.
3. Bei einem ungelernten Versicherten bedarf es dann der konkreten Bezeichnung wenigstens einer Verweisungstätigkeit, wenn der Versicherte gesundheitlich stärker oder in spezifischer Weise eingeschränkt oder nur unter besonders unüblichen Arbeitsbedingungen tätig sein kann. Dies ist dann der Fall, wenn die Einschränkungen so erheblich sind, daß von vornherein ernste Zweifel daran aufkommen müssen, ob der Versicherte mit dem ihm verbliebenen Leistungsvermögen noch in einem Betrieb einsetzbar ist. Dies bedeutet: nur eine Summierung ungewöhnlicher Leistungsbeschränkung oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung zwingen zur konkreten Benennung der Verweisungstätigkeit.
Normenkette
SGG § 160 Abs 2 Nr 1; SGG § 160 Abs 2 Nr 2; RVO § 1246 Abs 2
Verfahrensgang
LSG Berlin (Entscheidung vom 15.01.1987; Aktenzeichen L 8/6 J 29/86) |
Gründe
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Berlin vom 15. Januar 1987 ist unzulässig, weil die Beschwerde der Klägerin nicht substantiiert begründet ist. Die Revision kann nur aus den in § 160 Abs 2 Nrn 1 bis 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) genannten Gründen - grundsätzliche Bedeutung, Divergenz oder Verfahrensfehler - zugelassen werden. Die Klägerin hat sich auf alle drei Zulassungsgründe berufen. In der Beschwerdebegründung muß jedoch die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil des LSG abweicht oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).
Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gehört es, daß der Beschwerdeführer die Rechtsfrage, um die es nach seiner Auffassung geht, selbst formuliert und den nach seiner Meinung vom Revisionsgericht einzuschlagenden Weg der Nachprüfung des angefochtenen Urteils und dabei insbesondere den Schritt darstellt, der die Entscheidung der als grundsätzlich bezeichneten Rechtsfrage notwendig macht (BSG SozR 1500 § 160a Nr 31). Das hat die Klägerin nicht getan. Sie hat lediglich ausgeführt, zu entscheiden sei "über die Voraussetzungen, unter denen eine Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit bei Arbeitnehmern ohne beruflichen Abschluß bei mehrjähriger Krankschreibung vorliege". Das ist keine einzelne Rechtsfrage, sondern die Umschreibung des gesamten im anhängigen Prozeß zu entscheidenden Falles.
Zur Bezeichnung der Divergenz genügt es nicht, das Urteil mit Datum und Aktenzeichen zu benennen, sondern der Beschwerdeführer muß darlegen, zu welcher konkreten Rechtsfrage eine das Berufungsurteil tragende Abweichung in dessen rechtlichen Ausführungen enthalten ist bzw inwiefern das LSG-Urteil von der Bundessozialgerichtsentscheidung abweicht (BSG SozR 1500 § 160a Nrn 14, 21, 29). Eine Abweichung liegt nicht schon in einer materiell-rechtlich unzutreffenden Subsumierung, sondern darin, daß das LSG von einer Rechtsmeinung ausgeht, die mit der des Revisionsgerichtes unvereinbar ist. Denn die Revisionszulassung dient der Rechtseinheit, nicht in erster Linie der Berichtigung materiell-rechtlich unrichtiger Urteile. Der Beschwerdeführer hat die mit einer Entscheidung des Revisionsgerichtes unvereinbare Rechtsmeinung des LSG zu bezeichnen. Daran fehlt es in der Beschwerde der Klägerin. Sie sieht eine Divergenz zu den Urteilen des Bundessozialgerichts (BSG) in SozR 2200 § 1246 Nrn 90, 104 und 117. In diesen Urteilen ist ausgeführt, daß es auch bei einem ungelernten Versicherten dann der konkreten Bezeichnung wenigstens einer Verweisungstätigkeit bedarf, wenn der Versicherte gesundheitlich stärker oder in spezifischer Weise eingeschränkt oder nur unter besonders unüblichen Arbeitsbedingungen tätig sein kann. Dies ist dann der Fall, wenn die Einschränkungen so erheblich sind, daß von vorneherein ernste Zweifel daran aufkommen müssen, ob der Versicherte mit dem ihm verbliebenen Leistungsvermögen noch in einem Betrieb einsetzbar ist. Dies bedeutet: nur eine Summierung ungewöhnlicher Leistungsbeschränkung oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung zwingen zur konkreten Benennung (BSG SozR 2200 § 1246 Nr 117). Der Umstand, daß das LSG diese Voraussetzungen nicht angenommen hat, stellt keine Divergenz zu den genannten Entscheidungen dar. Das LSG subsumiert insoweit lediglich den Sachverhalt anders als die Klägerin es tut. Mit dem Hinweis auf die Subsumtion des LSG ist die Divergenz nicht bezeichnet.
Auch den Verfahrensfehler hat die Klägerin nicht bezeichnet. Zur substantiierten Rüge, das LSG sei einem Beweisantrag zu Unrecht nicht gefolgt, gehört nicht nur der Vortrag, mit welchem Schriftsatz oder in welcher Sitzung der Antrag gestellt worden ist, sondern auch die Darlegung der Gründe, aus denen sich das LSG von seinem sachlich-rechtlichen Standpunkt aus hätte gedrängt fühlen müssen, den von ihm abgelehnten Beweis zu erheben (BSG SozR 1500 § 160a Nr 34). Es ist nicht Aufgabe des Beschwerdegerichtes, die ihm vorliegenden Akten daraufhin durchzuprüfen, ob, in welchem Punkt und aus welchen Gründen sich das LSG von seinem sachlich-rechtlichen Standpunkt aus zu weiterer Sachaufklärung hätte gedrängt fühlen müssen, wie die Beschwerde behauptet. Aufgabe des Beschwerdegerichtes ist es vielmehr allein, zu prüfen und zu entscheiden, ob die Gründe, die der Beschwerdeführer einerseits durch Angabe der sachlich-rechtlichen Auffassung des LSG und andererseits durch Darstellung des Beweisergebnisses zu dieser Auffassung konkret zu bezeichnen hat, das LSG bei Beachtung seiner Amtsermittlungspflicht zu weiterer Aufklärung hätten drängen müssen. Fehlt es an der genauen Angabe dieser Gründe, ist der Verfahrensmangel des Verstoßes gegen die Sachaufklärungspflicht nicht hinreichend bezeichnet. Das LSG hat im Urteil ausgeführt, eine arbeitsmedizinische Beurteilung, etwa im Hinblick auf die im Gutachten Dr. S aufgeführten Tätigkeiten sei nicht erforderlich, da die Klägerin auf das gesamte allgemeine Arbeitsfeld verweisbar sei und da die von Dr. S genannten Tätigkeiten nur eine beispielhafte Aufzählung darstellten, die keine Ausschließlichkeit beanspruche. Es wäre Aufgabe der Beschwerdeführerin gewesen, darzutun, wieso das LSG sich bei dieser Rechtsauffassung dennoch gedrängt fühlen mußte, weiteren Beweis zu erheben. Die Beschwerde sieht dagegen gerade eine Notwendigkeit zu weiterem Beweis darin, daß das Gutachten des Dr. S, auf welches sich das LSG stützt, wegen "rechtlicher Irrigkeit" unzureichend gewesen sei. Das ist eine Frage der Würdigung des Gutachtens, auf die die Nichtzulassungsbeschwerde nicht gestützt werden kann (§§ 128 Abs 1 Satz 1, 160 Abs 2 Nr 3 SGG).
Soweit die Klägerin sich darauf beruft, für sie gebe es tatsächlich überhaupt keine Einsatzfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt mehr, handelt es sich um einen Tatsachenvortrag, der unter dem Gesichtspunkt des "verschlossenen Arbeitsmarktes" rechtlich bedeutsam sein könnte und in der Tatsacheninstanz in dieser nunmehr geäußerten Form hätte unter Beweis gestellt werden können. Zur Zulassung der Revision kann er aber nicht führen, da es dem Revisionsgericht verwehrt ist, selbst Tatsachen festzustellen (§ 163 SGG).
Die Beschwerde der Klägerin ist damit unzulässig und durch Beschluß ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§§ 202 SGG iVm 574 der Zivilprozeßordnung und § 169 SGG analog; vgl BSG SozR 1500 § 160a Nrn 1, 5; BVerfG aaO Nr 30).
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen