Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. Verfahrensmangel. Sachaufklärung. mehrere Gutachten. Ablehnung eines Beweisantrages
Orientierungssatz
1. Die Würdigung unterschiedlicher Gutachtenergebnisse oder unterschiedlicher ärztlicher Auffassungen zur Leistungsfähigkeit des Versicherten gehört wie die anderer sich widersprechender Beweisergebnisse zur Beweiswürdigung selbst. Eine Verpflichtung zu weiterer Beweiserhebung besteht auch bei einander widersprechenden Gutachtenergebnissen im allgemeinen nicht; vielmehr hat sich das Gericht im Rahmen der Beweiswürdigung mit den einander entgegenstehenden Ergebnissen auseinanderzusetzen. Hält das Gericht eines von mehreren Gutachten für überzeugend, darf es sich diesem anschließen, ohne eine weitere Sachaufklärung zu betreiben. Bei einer derartigen Fallkonstellation ist für eine weitere Beweiserhebung regelmäßig kein Raum.
2. Liegen bereits mehrere Gutachten vor, ist das Tatsachengericht nur dann zu weiteren Beweiserhebungen verpflichtet, wenn die vorhandenen Gutachten grobe Mängel oder unlösbare Widersprüche im Bereich der Befunderhebung enthalten und von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgehen oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde des Gutachters geben (vgl BSG vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B = SozR 4-1500 § 160a Nr 3).
Normenkette
SGG § 160a Abs. 2 S. 3, § 160 Abs. 2 Nr. 3 Hs. 2, § 103
Verfahrensgang
Gründe
Mit Urteil vom 19.2.2009 hat das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (LSG) die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 6.2.2007 zurückgewiesen, mit dem dieses einen Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit bejaht hat.
Gegen die Nichtzulassung der Revision im Berufungsurteil hat die Beklagte Beschwerde beim Bundessozialgericht (BSG) eingelegt. Sie beruft sich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache iS von § 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und das Vorliegen von Verfahrensfehlern iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG.
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht ordnungsgemäß dargetan worden sind (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) .
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss ein Beschwerdeführer mithin eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 mwN) . Diesen Anforderungen wird die vorliegende Beschwerdebegründung nicht gerecht.
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Die Beklagte misst folgender Frage grundsätzliche Bedeutung bei: |
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"Reicht es für die Zuerkennung das Facharbeiterstatus aus, dass ein Versicherter in der ehemaligen DDR den Beruf des 'Baufacharbeiters' erlernt hat und anschließend in irgendeinem in der Bundesrepublik Deutschland anerkannten Ausbildungsberuf im Baubereich tätig war oder muss der betreffende Versicherte den Nachweis erbringen, dass er über die wesentlichen theoretischen Kenntnisse und praktischen Fertigkeiten eines Versicherten verfügt, der diesen konkreten Ausbildungsberuf in der Bundesrepublik Deutschland gelernt hat und dass er zuletzt als Facharbeiter entlohnt worden ist?" |
Die Beklagte hat die Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Frage nicht dargetan.
Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage nicht, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist. Als höchstrichterlich geklärt muss eine Rechtsfrage auch dann angesehen werden, wenn das Revisionsgericht sie zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, jedoch schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8; s hierzu auch Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 1990, RdNr 117 mwN) .
Die Beklagte weist selbst auf die Entscheidung des BSG vom 7.8.1986 (4a RJ 73/84 - SozR 2200 § 1246 Nr 138) hin. In dieser ist nach der Beschwerdebegründung festgestellt, dass es sich bei "Baufacharbeitern" ua um Arbeitnehmer handele, die eine angelernte Spezialtätigkeit wie zB Putzer ausführten. In der Bauwirtschaft falle in die Gruppe mit dem Leitberuf des Gelernten (Facharbeiters) im Sinne des Vier-Stufen-Schemas nur, wer eine Vollausbildung von 33 Monaten absolviert oder ohne Ausbildung eine entsprechend qualifizierte Tätigkeit - zB nach langjähriger praktischer beruflicher Bewährung - vollwertig ausgeführt habe. Dass sich aus dieser Entscheidung keine Anhaltspunkte zur Beurteilung der aufgeworfenen Frage ergäben, hat die Beklagte nicht aufgezeigt. Vielmehr legt sie dar, dass die höchstrichterlichen Ausführungen dagegen sprächen, einen Versicherten, der in der DDR den Beruf des "Baufacharbeiters" erlernt und anschließend in der Bundesrepublik Deutschland in einem beliebigen anerkannten Ausbildungsberuf im Baubereich tätig gewesen sei, so zu stellen, als ob dieser zuletzt in seinem Ausbildungsberuf tätig gewesen sei und daher nicht mehr nachweisen müsse, dass er über die wesentlichen theoretischen Kenntnisse und praktischen Fertigkeiten eines Versicherten verfüge, der in der Bundesrepublik Deutschland die für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit vorgesehene Ausbildung erfolgreich absolviert habe. Nach dem eigenen Vorbringen der Beklagten lassen sich mithin aus der zitierten Entscheidung des BSG Erkenntnisse für die Beurteilung der hier aufgeworfenen Frage ableiten.
Ebenso wenig hat die Beklagte einen Verfahrensfehler ordnungsgemäß dargetan.
Wird mit einer Nichtzulassungsbeschwerde geltend gemacht, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) , so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Im Zusammenhang mit der von der Beklagten geltend gemachten Rüge einer Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG) ist der Darlegungspflicht nur genügt, wenn die Beschwerdebegründung folgende Punkte enthält: 1. Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, 2. Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, auf Grund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig erscheinen und zur weiteren Sachaufklärung hätten drängen müssen, 3. Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweiserhebung, 4. Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf der angeblich unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann (vgl BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 4, 5) . Diesen Erfordernissen wird die Beschwerdebegründung ebenfalls nicht gerecht.
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Die Beklagte hat ausgeführt, zuletzt in der mündlichen Verhandlung vom 19.2.2009 hilfsweise beantragt zu haben, |
"1. |
durch einen berufskundlichen Sachverständigen festzustellen zu lassen, ob der Kläger über die wesentlichen theoretischen Kenntnisse und praktischen Fertigkeiten eines gelernten Maurers verfügt und auf welche Tätigkeiten er ggf. subjektiv und objektiv zumutbar verweisbar wäre und |
2. |
Frau Dr. L. zu bitten, ihre im Gutachten vom 28.11.2008 abgegebene Leistungsbeurteilung unter Berücksichtigung der Stellungnahme des Herrn Dr. H. vom 21.01.2009 noch einmal zu überprüfen." |
Mit diesem Vorbringen ist ein Verfahrensmangel nicht ordnungsgemäß bezeichnet.
Nach den eigenen Darlegungen der Beklagten mussten die im ersten Teil des Antrags zu 1. aufgeführten Tatsachen dem LSG nicht als aufklärungsbedürftig erscheinen. Ausweislich der Beschwerdebegründung ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass der maßgebliche Beruf des Klägers für die Frage der Berufsunfähigkeit der des Maurers sei. Ferner habe das LSG den Kläger als Facharbeiter eingestuft, weil dieser einen (Bau-)Facharbeiterbrief besitze, der nach Art 37 Abs 3 des Einigungsvertrages vom 31.8.1990 als gleichwertiger Nachweis für eine bundesdeutsche Baufacharbeiterausbildung mit einer ggf längeren Lehrzeit anzusehen sei. Unter Zugrundelegung dieser Rechtsauffassung musste der Kläger nicht mit Sachverständigengutachten nachweisen, über die wesentlichen theoretischen und praktischen Fertigkeiten des gelernten Maurers zu verfügen. Diesen Nachweis hat er vielmehr mit Vorlage des Facharbeiterbriefs bereits erbracht.
Warum sich das LSG auch deswegen zur Erhebung des im ersten Teil des Antrags zu 1. angebotenen Beweises hätte gedrängt fühlen müssen, weil der Kläger nach dem Vortrag der Beklagten vor allem in den letzten Beschäftigungsverhältnissen zumindest auch Putzertätigkeiten ausgeübt habe, die als angelernte Tätigkeiten einzustufen seien, erschließt sich dem Senat nicht. Ausweislich der Beschwerdebegründung ist das LSG davon ausgegangen, dass der maßgebliche Beruf des Klägers der des Maurers und nicht der des Putzers gewesen sei. Ob diese Einschätzung zutreffend ist, ist im hier maßgeblichen Zusammenhang unerheblich.
Hinsichtlich des Beweisantrags zu 1. Teil 2 und des Beweisantrags zu 2. hat die Beklagte bereits nicht aufgezeigt, ordnungsgemäße Beweisanträge gestellt zu haben.
Zur Darlegung eines prozessordnungsgemäßen Beweisantrags muss nicht nur die Stellung des Antrags, sondern auch aufgezeigt werden, über welche im Einzelnen bezeichneten Punkte Beweis erhoben werden sollte. Denn Merkmal eines Beweisantrags ist eine bestimmte Tatsachenbehauptung und die Angabe des Beweismittels für diese Tatsache (BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 6 mwN) . Diesen Anforderungen genügt der laut der Beschwerdebegründung gestellte Antrag nicht.
Der Antrag, durch einen berufskundlichen Sachverständigen feststellen zu lassen, auf welche Tätigkeiten der Kläger ggf subjektiv und objektiv zumutbar verweisbar wäre, benennt keine konkreten Verweisungstätigkeiten, sondern dient vielmehr der Ausforschung, ob es solche geben könnte. Die im Schriftsatz der Beklagten vom 30.4.2007 benannten konkreten Verweisungstätigkeiten - Hauswart/Hausmeister, Zigarettenautomatenauffüller und Telefonist - hat die Beklagte gerade nicht in ihrem Antrag aufgeführt.
Der Beweisantrag zu 2. enthält keinerlei Tatsachenbehauptungen. Er zielt allein darauf ab, dass die Sachverständige Dr. L. ihre Leistungsbeurteilung ändert und derjenigen des Dr. H. anpasst.
Da die weitere Beweiserhebung lediglich dazu dienen sollte, die Schlussfolgerungen infrage zu stellen, die die Sachverständige Dr. L. als Gehilfin des Gerichts aus den erhobenen Befunden gezogen hatte, stellt sich die angebliche Aufklärungsrüge in Wirklichkeit als ein durch § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 Alt 1 SGG ausgeschlossener Angriff auf die Beweiswürdigung dar.
Die Würdigung unterschiedlicher Gutachtenergebnisse oder unterschiedlicher ärztlicher Auffassungen zur Leistungsfähigkeit des Versicherten gehört wie die anderer sich widersprechender Beweisergebnisse zur Beweiswürdigung selbst. Eine Verpflichtung zu weiterer Beweiserhebung besteht auch bei einander widersprechenden Gutachtenergebnissen im allgemeinen nicht; vielmehr hat sich das Gericht im Rahmen der Beweiswürdigung mit den einander entgegenstehenden Ergebnissen auseinanderzusetzen (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 128 RdNr 7e mwN) . Hält das Gericht eines von mehreren Gutachten für überzeugend, darf es sich diesem anschließen, ohne eine weitere Sachaufklärung zu betreiben. Bei einer derartigen Fallkonstellation ist für eine weitere Beweiserhebung regelmäßig kein Raum.
Gründe für eine Ausnahme sind hier nicht dargelegt. Liegen bereits mehrere Gutachten vor, ist das Tatsachengericht nur dann zu weiteren Beweiserhebungen verpflichtet, wenn die vorhandenen Gutachten grobe Mängel oder unlösbare Widersprüche im Bereich der Befunderhebung enthalten und von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgehen oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde des Gutachters geben (BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 9 mwN) . Derartige Umstände hat die Beklagte nicht dargelegt. Dass Dr. H. andere Befunde erhoben habe als Dr. L., hat sie nicht dargetan. Die in der Beschwerdebegründung wiedergegebenen Befunderhebungen des Herrn Dr. F. vom 25.8.2005 und der Rehabilitationsklinik L. vom 8.4.2005 vermögen schon deswegen keine Widersprüche zum Gutachten Dr. L. zu begründen, da zwischen beiden Befunderhebungen mehr als drei Jahre liegen, in denen eine Verschlimmerung eingetreten sein könnte.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, da sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 SGG) .
Die nicht formgerecht begründete Beschwerde ist gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen