Verfahrensgang
SG Gotha (Entscheidung vom 01.12.2017; Aktenzeichen S 5 SO 1824/17) |
Thüringer LSG (Urteil vom 12.06.2019; Aktenzeichen L 8 SO 18/18) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 12. Juni 2019 wird als unzulässig verworfen.
Der Kläger trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert für das Beschwerdefahren wird auf 5000 Euro festgesetzt.
Gründe
I
Im Streit steht die Verpflichtung des Klägers, über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse Auskunft zu erteilen.
Die 1985 geborene Tochter erhält von der Beklagten seit 2011 Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII). Die Beklagte forderte den Kläger unter Androhung und Festsetzung von Zwangsgeld auf, Auskunft über seine wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse zu erteilen (Bescheide vom 11.7.2016 und 23.1.2017; Widerspruchsbescheid vom 25.4.2017, dem Kläger zugestellt am 28.4.2017). Die hiergegen am 30.5.2017 erhobene Klage ist wegen Verfristung als unzulässig abgewiesen worden (Gerichtsbescheid des Sozialgerichts ≪SG≫ Gotha vom 1.12.2017; Urteil des Thüringer Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 12.6.2019). Das LSG hat zur Begründung ausgeführt, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei dem Kläger auch unter Unterstellung seines Sachvortrags - Ausfall der heimischen PC- und Faxanlage am letzten Tag der Frist - als wahr nicht zu gewähren, da er nicht ohne eigenes Verschulden an der Einhaltung der Klagefrist verhindert gewesen sei, indem er kurz vor Mitternacht desselben Tages erst noch an einem anderen PC-/Faxgerät eine neue Klageschrift am PC erstellt habe, statt zeitsparend handschriftlich die Klage zu verfassen und zu faxen.
Dagegen wendet sich der Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde und macht die grundsätzliche Bedeutung der Sache (§ 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) zu der Frage geltend, unter welchen Voraussetzungen im Falle einer Fristversäumnis wegen Ausfall eines PC- und Faxgeräts am letzten Tag der Frist nach § 67 Abs 1 SGG Wiedereinsetzung zu gewähren ist. Außerdem macht er eine Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) der Entscheidung des LSG zu einer Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) zu § 67 Abs 1 SGG geltend und trägt sinngemäß Verfahrensmängel (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG), Prozessurteil statt Sachurteil und Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes, vor.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil weder der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) noch der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) und auch nicht die sinngemäß vorgebrachten Verfahrensmängel (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG) in der gebotenen Weise dargelegt bzw bezeichnet worden sind. Der Senat konnte deshalb über die Beschwerde ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter nach § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG entscheiden.
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Um der Darlegungspflicht zu genügen, muss eine konkrete Rechtsfrage formuliert, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihr angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) dargelegt werden (vgl nur BSG vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Zwar hat der Kläger im Ausgangspunkt eine Frage formuliert, aber die (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit nicht in der gebotenen Weise dargelegt, sondern vielmehr vorgebracht, die aus seiner Sicht erhebliche Frage sei bereits geklärt und vom BSG in seinem Sinne entschieden (BSG vom 31.3.1993 - 13 RJ 9/92 - BSGE 72, 158 = SozR 3-1500 § 67 Nr 7). Erforderlich wäre zudem eine eingehende Auseinandersetzung mit der übrigen Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte und des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu erhöhten Sorgfaltspflichten bei der Ausschöpfung der Rechtsmittelfrist bis zum letzten Tag (vgl BSG vom 31.3.1993 - 13 RJ 9/92 - BSGE 72, 158 = SozR 3-1500 § 67 Nr 7, juris RdNr 16 mwN; BSG vom 11.12.2008 - B 6 KA 34/08 B, juris RdNr 14; BSG vom 13.9.2016 - B 5 RS 30/16 B - SozR 4-1500 § 65a Nr 2 RdNr 4; Bundesgerichtshof ≪BGH≫ vom 8.5.2013 - XII ZB 396/12 - NJW 2013, 2035; BVerfG vom 23.12.2016 - 1 BvR 3511/13) und auftretenden technischen Störungen technischer Übermittlungsgeräte und den dann ggf zu ergreifenden Maßnahmen (vgl BSG vom 29.3.2010 - B 13 R 519/09 B, juris RdNr 8 f mit zahlreichen Nachweisen zur Rechtsprechung; vgl auch BSG vom 15.3.2018 - B 10 ÜG 30/17 C, für SozR 4-1500 § 67 Nr 16 vorgesehen, juris RdNr 8; BGH vom 12.4.2016 - VI ZB 7/15, juris RdNr 9; Bundesfinanzhof ≪BFH≫ vom 28.1.2010 - VIII B 88/09 - BFH/NV 2010, 919, juris RdNr 5 f; BVerfG vom 20.1.2006 - 1 BvR 2683/05 - NJW 2006, 1505, juris RdNr 7), zB die Verwendung handschriftlicher Ausführungen und den Verzicht auf weitere zeitraubende PC-Aktivitäten (vgl BGH vom 23.6.2004 - IV ZB 9/04 - NJW-RR 2004, 1502, juris RdNr 9) gewesen. Er hätte darlegen müssen, dass sich die aufgeworfene Frage anhand dieser Rechtsprechung nicht beantworten lässt. Hieran fehlt es gänzlich. Auch eine Divergenz wird nicht hinreichend bezeichnet.
Wer eine Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) entsprechend den gesetzlichen Anforderungen darlegen will, muss entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze in der Entscheidung des Berufungsgerichts einerseits und in der herangezogenen höchstrichterlichen Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG andererseits gegenüberstellen und dazu ausführen, weshalb beide miteinander unvereinbar sein sollen (vgl zB BSG vom 16.7.2013 - B 8 SO 14/13 B - RdNr 6; BSG vom 22.12.2010 - B 1 KR 100/10 B - juris RdNr 4 mwN). Erforderlich ist, dass das LSG bewusst einen abweichenden Rechtssatz aufgestellt und nicht etwa lediglich fehlerhaft das Recht angewendet hat (vgl zB BSG vom 16.7.2013 - B 8 SO 14/13 B - RdNr 6; BSG vom 27.1.1999 - B 4 RA 131/98 B - SozR 3-1500 § 160 Nr 26 S 44 f mwN). Für die Darlegung der Divergenz ist zudem erforderlich, dass die behauptete Abweichung entscheidungserheblich ist. Der Kläger benennt schon keinen konkreten vom LSG aufgestellten Rechtssatz, sondern behauptet die fehlerhafte Rechtsanwendung durch das Berufungsgericht, die nicht zur Zulassung der Revision führt (vgl BSG vom 26.9.2017 - B 14 AS 177/17 B mwN).
Soweit der Kläger sinngemäß Verfahrensmängel (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG) rügt, sind auch diese nicht in der gebotenen Weise bezeichnet. Die hinreichende Bezeichnung eines Verfahrensmangels erfordert die substantiierte Darstellung der ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen, sodass allein anhand der Beschwerdebegründung darüber entschieden werden kann, ob der Verfahrensmangel in Betracht kommt (vgl nur BSG vom 26.9.2017 - B 14 AS 177/17 B; BSG vom 29.9.1975 - 8 BU 64/75 - SozR 1500 § 160a Nr 14; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 160a RdNr 16 mwN). Soweit der Kläger den Verfahrensmangel "Prozessurteil statt Sachurteil" (vgl nur BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 272/07 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 19 RdNr 6 mwN) geltend macht, fehlt es an einer substantiierten Darlegung der Voraussetzungen des § 67 Abs 1 SGG, insbesondere dem tatsächlichen zeitlichen Ablauf. Es genügt nicht, lediglich mitzuteilen, dass (irgendwann) am letzten Tag der Frist die heimische PC-/Faxanlage ausgefallen ist; erforderlich wäre eine in zeitlicher Hinsicht nachvollziehbare Darlegung gewesen, wann genau das vorgesehene Übermittlungsgerät aus technischen Gründen versagt hatte, so stellt etwa die vom Kläger angeführte Rechtsprechung darauf ab, ob die Störung "kurz vor Fristablauf" (vgl BSG vom 31.3.1993 - 13 RJ 9/92 - BSGE 72, 158 = SozR 3-1500 § 67 Nr 7, juris RdNr 18, 20) war. Seinem Vortrag lässt sich deshalb auch nicht ansatzweise entnehmen, dass ihm eine rechtzeitige Übermittlung der Klageschrift bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt nicht mehr möglich war.
Soweit der Kläger darüber hinaus sinngemäß eine Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 103 SGG) rügt, fehlt es an der Darlegung eines prozessordnungsgemäßen Beweisantrags. Dazu muss nicht nur die Stellung eines Antrags selbst, sondern auch aufgezeigt werden, über welche im Einzelnen bezeichneten Punkte (vgl § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 403 bzw § 373 Zivilprozessordnung ≪ZPO≫) und mit welchem Ziel Beweis erhoben werden sollte und dass es sich damit seinem Inhalt nach nicht nur um eine Beweisanregung gehandelt hat (vgl BSG vom 26.11.2019 - B 13 R 159/18 B, juris RdNr 8; BSG vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 6 mwN).
Soweit der Kläger im Übrigen die Frage nach der Richtigkeit der Entscheidung des LSG aufwirft, vermag dies die Revisionsinstanz nicht zu eröffnen. Denn Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht, ob das Berufungsgericht in der Sache richtig entschieden hat (vgl nur BSG vom 26.6.1975 - 12 BJ 12/75 - SozR 1500 § 160a Nr 7).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 SGG iVm § 154 Abs 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO); die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm §§ 40, 47 Abs 1 Satz 1, Abs 3, § 52 Abs 2, § 63 Abs 2 Gerichtskostengesetz (GKG).
Fundstellen
Dokument-Index HI13703818 |