Entscheidungsstichwort (Thema)
Revisionsnichtzulassungsbeschwerde. Entscheidung ohne mündliche Verhandlung. Beschlussverfahren vor dem Berufungsgericht. Antrag auf Verlängerung der Äußerungsfrist. erheblicher Grund. Grundsätze des fairen Verfahrens. rechtliches Gehör
Leitsatz (redaktionell)
1. Als richterliche Frist kann die Äußerungsfrist nach §§ 65, 202 SGG i.V.m. § 224 Abs. 2 ZPO nur bei Vorliegen erheblicher Gründe verlängert werden. Jedoch ist zu beachten, dass die im Rahmen der Anhörung nach § 153 Abs. 4 SGG gesetzte Äußerungsfrist die sonst im Rahmen der mündlichen Verhandlung bestehende Möglichkeit ersetzt, auf den Gang des Verfahrens Einfluss zu nehmen. Ein erheblicher Grund muss daher regelmäßig zur völligen Reduzierung des Ermessens führen, mit der Folge, dass dem Verlängerungsgesuch stattgegeben werden muss, wenn sonst das rechtliche Gehör verletzt wäre.
2. Bei der Auslegung von Verfahrensvorschriften, die das subjektive Interesse der Rechtsuchenden an einem möglichst uneingeschränkten Rechtsschutz durch Gewährung rechtlichen Gehörs in der mündlichen Verhandlung einschränken, sind die vom BVerfG entwickelten Grundsätze zur Tragweite des Grundrechts auf wirkungsvollen Rechtsschutz sowie das Prozessgrundrecht auf ein faires Verfahren (Art. 19 Abs. 4 und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) zu beachten (st. Rspr.; vgl. BSG, Urteil vom 22.09.1999, Az. B 5 RJ 22/98 R; Urteile vom 05.06.1997, Az. 7 RAr 58/96, und vom 11.03.1998, Az. B 9 SB 5/97 R). Zu diesen Grundsätzen gehört, dass der Richter sich nicht widersprüchlich verhalten darf und zur Rücksichtnahme gegenüber den Verfahrensbeteiligten in ihrer konkreten Situation verpflichtet ist (BVerfGE 78, 123, 126 mwN; Kammerbeschluss vom 15.08.1996, Az. 2 BvR 2600/95, SGb 1997, 165) sowie bei der notwendigen Abwägung des allgemeinen Interesses an Rechtssicherheit und Verfahrensbeschleunigung mit dem subjektiven Interesse an einem möglichst uneingeschränkten Rechtsschutz die betroffenen Belange angemessen zu gewichten hat. Diese Grundsätze sind auch zu beachten, wenn darüber zu entscheiden ist, ob ein erheblicher Grund für eine Verlängerung der Äußerungsfrist gegeben ist.
3. Dabei reicht es im sozialgerichtlichen Verfahren aus, dass der vorgetragene Grund (hier: für eine Verlängerung der Äußerungsfrist) erheblicher Natur und glaubhaft ist. Eine Glaubhaftmachung i.S. des § 224 Abs. 2 ZPO ist nicht erforderlich.
Normenkette
SGG § 153 Abs. 4 S. 2, §§ 65, 202; ZPO § 224 Abs. 2; GG Art. 103 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4, Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision wird der Beschluss des Bayerischen Landessozialgerichts vom 28. Mai 2002 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der den Rechtsstreit abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Tatbestand
I
Die Klägerin begehrt Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Ihre gegen den ablehnenden Bescheid der Beklagten vom 7. Juli 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. September 1998 gerichtete Klage hat das Sozialgericht (SG) nach Einholung medizinischer Sachverständigengutachten von Amts wegen und auf den Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sowie nach Vorlage weiterer ärztlicher Unterlagen durch die Klägerin mit Urteil vom 22. Mai 2001 abgewiesen und sich dazu auf die Beurteilung der Sachverständigen bezogen; die nach ihrem Berufsbild auf alle Berufstätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts verweisbare Klägerin könne danach ohne rechtserhebliche qualitative Einschränkungen noch vollschichtig arbeiten. Im Berufungsverfahren hat die Klägerin ua eine Verschlechterung ihres Gesundheitszustands geltend gemacht und weitere medizinische Unterlagen vorgelegt, darunter einen Arztbrief des Klinikums L. … /Prof. Dr. T. … vom 31. Juli 2001 mit den Diagnosen „Iliopsoas-Parese unklarer Genese (G83.1L), Distale, nicht dislozierte Fibula-Fraktur links (S82.40), Myofasciales Schmerzsyndrom linker Oberschenkel (M62.89L), Verdacht auf lumbale Spinalkanalstenose (M48.05)” und eine Bescheinigung der behandelnden Orthopädin Dr. G. … vom 14. September 2001, in der ua ausgeführt ist, die von Prof. Dr. T. … diagnostizierte Iliopsoas-Parese sei als Folge eines im Januar 1998 erlittenen Unfalls anzusehen, da sie früher nicht bestanden habe.
Zu den Unterlagen hat das Landessozialgericht (LSG) ergänzende Stellungnahmen der vom SG gehörten gerichtlichen Sachverständigen, Facharzt für Orthopädie Dr. S. … und Arzt für Neurologie und Psychiatrie-Psychotherapie Dr. M. … vom 28. Februar bzw 22. April 2002 eingeholt. Dr. S. … hat sich dahin geäußert, auf Grund der vorgelegten Befunde ergäben sich keine wesentlichen langfristigen Leistungseinschränkungen, die eine Erwerbsminderung auf orthopädischem Fachgebiet begründen würden. Von orthopädischer Seite sei jedoch eine Stellungnahme von Dr. M. … und ggf erforderliche Untersuchung zu empfehlen. Dr. M. … hat ua ausgeführt, zu den Angaben der neurologischen Klinik L. … hinsichtlich des Befunds einer Iliopsoas-Parese sei kritisch anzumerken, dass es sich dabei offensichtlich nicht um einen gravierenden Befund gehandelt habe, da dieser im Rahmen der Klinik nicht weiter abgeklärt worden sei und sich ein pathologisch elektrophysiologischer Befund nicht habe bestätigen lassen. Es müsse nachdrücklich darauf hingewiesen werden, dass die Prüfung des Musculus iliopsoas (Hüftbeugung) eine Mitarbeit der Klägerin bei der Untersuchung erfordere, die möglicherweise schmerzbedingt bei der Untersuchung im Klinikum Landshut nicht ausreichend durchgeführt worden sei. Des Weiteren sei darauf hinzuweisen, dass zur Verursachung einer „möglichen bzw fraglichen” Iliopsoas-Parese die Klinik ausdrücklich auf eine weitere gynäkologische Diagnostik verweise; die diagnostische Zuordnung der behandelnden Orthopädin Dr. G. …, dass es sich hier mit Sicherheit um eine unfallbedingte Iliopsoas-Parese handele, sei nervenärztlicherseits nicht zu bestätigen. Seine Bewertung der neuen Befunde hat Dr. M. … dahin zusammengefasst, dass sich die Beweisfragen nicht abweichend beantworten ließen; falls sich der Verdacht zB einer gynäkologischen Raumforderung mit einer nachfolgenden Iliopsoas-Parese bestätige, sei dies bei einer neuerlichen Rentenantragstellung zu berücksichtigen.
Die Stellungnahmen des Dr. S. … ist den Beteiligten mit Schreiben vom 28. März, die des Dr. M. … mit Schreiben vom 26. April 2002 zugeleitet worden. Mit der Zuleitung der Stellungnahme des Dr. M. … ist den Beteiligten zugleich die Absicht des Gerichts, durch Beschluss nach § 153 Abs 4 SGG zu entscheiden, mitgeteilt und Gelegenheit zur Stellungnahme bis 13. Mai 2002 gegeben worden. Die Klägerin hat daraufhin mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 10. Mai 2002 den Beurteilungen von Dr. S. … und Dr. M. … widersprochen und eine erneute sachverständige Begutachtung beantragt, da die von Prof. Dr. T. … diagnostizierte Iliopsoas-Parese links Grad IV zu erheblichen Leistungseinschränkungen führe, was von den vom LSG gehörten Ärzten verkannt werde. Mit Schriftsatz vom 13. Mai 2002 hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin gebeten, die Äußerungsfrist bis 13. Juni 2002 zu verlängern; die Klägerin wolle die beiden gutachterlichen Stellungnahmen mit einem Facharzt besprechen, was bislang noch nicht möglich gewesen sei. Das LSG hat mit Schreiben vom 14. Mai 2002 geantwortet, die der Klägerin bereits am 28. März 2002 übersandte Äußerung des Dr. S. … könne kein Grund für eine Fristverlängerung sein. Mit einer Frist für die Stellungnahme zur Äußerung des Dr. M. … bis 27. Mai 2002 erhalte sie die übliche und grundsätzlich ausreichende Frist, die im Fall umfangreicher Gutachten gegeben werde. Es liege auf der Hand, dass sie bei einer relativ wenig umfangreichen ergänzenden medizinischen Äußerung ausreichen müsse. Wenn ihre Stellungnahme nicht am 27. Mai 2002 vorliege, werde das Gericht durch Beschluss nach § 153 Abs 4 SGG entscheiden.
Mit am 27. Mai 2002 eingegangenem weiteren Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten hat die Klägerin ihren Antrag auf Fristverlängerung erneuert; die gutachterlichen Stellungnahmen mit einem Facharzt zu besprechen, sei bislang nicht möglich gewesen, da der entsprechende Arzt urlaubsbedingt abwesend gewesen sei, jedoch sei bereits ein Termin vereinbart; innerhalb der vom LSG genannten Frist sei die erforderliche Auswertung der gesamten Unterlagen durch den Arzt aber nicht möglich. Ferner hat die Klägerin ihren Antrag, im Hinblick auf den Befundbericht des Prof. Dr. T. … ein weiteres neurologisches Gutachten einzuholen, erneuert und nochmals vorsorglich die Einholung eines neurologischen sowie eines orthopädischen Gutachtens nach § 109 SGG beantragt.
Mit Beschluss vom 28. Mai 2002 hat das LSG die Berufung unter Bezug auf die Gründe des erstinstanzlichen Urteils zurückgewiesen und ausgeführt, die von der Klägerin im Berufungsverfahren vorgelegten Unterlagen hätten keine neuen Erkenntnisse über ihren Gesundheitszustand und ihr berufliches Leistungsvermögen gebracht, wie die dazu befragten medizinischen Sachverständigen in ihren ergänzenden Stellungnahmen überzeugend dargetan hätten. Die Schreiben der Klägerin vom 10., 13. und 27. Mai 2002 enthielten gegenüber der Berufungsbegründung kein neues Vorbringen. Auch habe sie genügend Zeit gehabt, sich mit ihren Ärzten über die ergänzenden Stellungnahmen der Sachverständigen zu beraten. Es habe daher weder weiterer Ermittlungen von Amts wegen noch eines erneuten Hinweises auf die Absicht, durch Beschluss zu entscheiden, bedurft. Dem Recht auf eine Begutachtung nach § 109 SGG sei bereits vom SG entsprochen worden, es sei damit verbraucht.
Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde rügt die Klägerin eine unzureichende Sachverhaltsaufklärung und eine Verletzung des rechtlichen Gehörs. Das LSG habe ihre Beweisanträge nicht übergehen dürfen. Indem es trotz des erneuten Verlängerungsantrags durch Beschluss entschieden habe, sei ihr außerdem die Möglichkeit vorenthalten worden, die bei ihr vorliegenden Funktionseinschränkungen zu konkretisieren. Die Äußerung des von ihr angegangenen Facharztes hätte zu einer weiteren Sachverhaltsaufklärung mit einem für sie günstigen Ergebnis führen können.
Entscheidungsgründe
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist zulässig und begründet. Der ordnungsgemäß gerügte Verfahrensmangel einer Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 Grundgesetz ≪GG≫, §§ 62, 128 Abs 2 SGG iVm § 153 Abs 4 Satz 2 SGG) greift durch und führt nach § 160a Abs 5 iVm § 160 Abs 2 Nr 3 SGG zur Zurückverweisung der Sache an das LSG.
Nach § 153 Abs 4 Satz 1 SGG kann das LSG die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält, falls die mit dem Rechtsmittel angefochtene Entscheidung des SG kein Gerichtsbescheid (§ 105 Abs 2 Satz 1 SGG) ist. Nach § 153 Abs 4 Satz 2 SGG sind die Beteiligten vorher zu hören. Diese Anhörungspflicht ist Ausdruck des verfassungsrechtlichen Gebots rechtlichen Gehörs (Art 103 GG), das im Beschlussverfahren nicht verkürzt werden darf. Ihm ist nur Genüge getan, wenn den Beteiligten Gelegenheit sowohl zur Äußerung von etwaigen Bedenken, die sie gegen eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (und ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter) haben, als auch zur ausführlichen Stellungnahme in der Sache selbst eingeräumt wird. Daran fehlt es hier, weil das LSG der Klägerin die Frist zur Äußerung nicht, wie von ihr erbeten, verlängert hat.
Zwar besteht grundsätzlich kein Anspruch auf Fristverlängerung; als richterliche Frist kann die Äußerungsfrist nach §§ 65, 202 SGG iVm § 224 Abs 2 Zivilprozessordnung (ZPO) nur bei Vorliegen erheblicher Gründe verlängert werden. Jedoch ist zu beachten, dass die im Rahmen der Anhörung nach § 153 Abs 4 SGG gesetzte Äußerungsfrist die sonst im Rahmen der mündlichen Verhandlung bestehende Möglichkeit ersetzt, auf den Gang des Verfahrens Einfluss zu nehmen. Ein erheblicher Grund wird daher regelmäßig – wie bei einem Antrag auf Verlegung bzw Vertagung der mündlichen Verhandlung – (vgl dazu Senatsurteil vom 22. September 1999 – B 5 RJ 22/98 R – und BSG Urteil vom 30. Oktober 2001 – B 4 RA 49/01 R –, jeweils mwN und veröffentlicht in JURIS) zur völligen Reduzierung des Ermessens führen, mit der Folge, dass dem Verlängerungsgesuch stattgegeben werden muss, wenn sonst das rechtliche Gehör verletzt wäre.
Wie das Bundessozialgericht (BSG) schon mehrfach unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) herausgestellt hat, sind bei der Auslegung von Verfahrensvorschriften, die das subjektive Interesse der Rechtsuchenden an einem möglichst uneingeschränkten Rechtsschutz durch Gewährung rechtlichen Gehörs in der mündlichen Verhandlung einschränken, die vom BVerfG entwickelten Grundsätze zur Tragweite des Grundrechts auf wirkungsvollen Rechtsschutz sowie das Prozessgrundrecht auf ein faires Verfahren (Art 19 Abs 4 und Art 2 Abs 1 iVm Art 20 Abs 3 GG) zu beachten (Senatsurteil vom 22. September 1999 – B 5 RJ 22/98 R – sowie BSG Urteile vom 5. Juni 1997 – 7 RAr 58/96 – und vom 11. März 1998 – B 9 SB 5/97 R –, jeweils veröffentlicht in JURIS, mwN). Zu diesen Grundsätzen gehört, dass der Richter sich nicht widersprüchlich verhalten darf und zur Rücksichtnahme gegenüber den Verfahrensbeteiligten in ihrer konkreten Situation verpflichtet ist (BVerfG Beschluss vom 26. April 1988 – 1 BvR 669,686, 687/87 – BVerfGE 78, 123, 126 mwN; Kammerbeschluss vom 15. August 1996 – 2 BvR 2600/95 – SGb 1997, 165) sowie bei der notwendigen Abwägung des allgemeinen Interesses an Rechtssicherheit und Verfahrensbeschleunigung mit dem subjektiven Interesse an einem möglichst uneingeschränkten Rechtsschutz die betroffenen Belange angemessen zu gewichten hat. Diese Grundsätze sind auch zu beachten, wenn darüber zu entscheiden ist, ob ein erheblicher Grund für eine Verlängerung der Äußerungsfrist gegeben ist. Dabei reicht es im sozialgerichtlichen Verfahren aus, dass der vorgetragene Grund erheblicher Natur und glaubhaft ist. Eine Glaubhaftmachung iS des § 224 Abs 2 ZPO ist nicht erforderlich (hM vgl Meyer-Ladewig, SGG-Komm, 7. Aufl 2002, § 65 RdNr 3; Peters/Sautter/Wolff, SGG-Komm, 4. Aufl. 32. Nachtrag, § 65 Anm 2; Rohwer-Kahlmann, SGG-Komm, § 65 RdNr 7, Stand: April 1987).
Nach diesen Grundsätzen hätte das LSG – wenn es trotz neuen Tatsachenvorbringens und erneuter Beweisaufnahme durch Beschluss entscheidet – jedenfalls dem Gesuch der Klägerin, die Äußerungsfrist zu verlängern, entsprechen müssen. Den Ausführungen des LSG im angefochtenen Beschluss lässt sich nicht entnehmen, dass es sich wie nach der Rechtsprechung erforderlich mit der bei der erneuten Bitte um Fristverlängerung dargelegten veränderten konkreten Situation der Klägerin auseinander gesetzt hat. In diesem Fall hätte ihm aber klar sein müssen, dass die Klägerin mit der Gewährung einer Fristverlängerung auf ihren ersten Antrag davon ausgehen konnte, ihr sei die Möglichkeit eingeräumt, vor einer abschließenden Äußerung, dh in der nach dem 13. Mai 2002 noch verbleibenden Zeit, die beabsichtigte Konsultation durchzuführen, zumal das Vorliegen einer Iliopsoas-Parese auf Grund einer anderen als der von der behandelnden Ärztin gesehenen Ursache keineswegs – wie Dr. M. … meinte –, von vornherein erst bei einer neuerlichen Rentenantragstellung der Klägerin hätte Berücksichtigung finden können. Der im erneuten Verlängerungsgesuch vorgetragene Grund dafür, dass die abschließende Äußerung bis zum 27. Mai 2002 nicht möglich war, nämlich die urlaubsbedingte Abwesenheit des angegangenen Arztes, war – im Hinblick auf den verbleibenden Zeitraum von 14 Tagen für die Äußerung und den Feiertag am Montag, 20. Mai 2002 – durchaus glaubhaft; im Zweifelsfall wäre es Sache des Gerichts gewesen, dem ggf durch telefonische Rückfrage beim Prozessbevollmächtigten der Klägerin nachzugehen (vgl BSG Urteil vom 31. Juli 2002 – B 4 RA 28/02 R – veröffentlicht in JURIS). Aus dem Hinweis in der Mitteilung vom 14. Mai 2002, das Gericht werde durch Beschluss nach § 153 Abs 4 SGG entscheiden, wenn die Stellungnahme der Klägerin nicht am 27. Mai 2002 vorliege, musste diese daher nicht schließen, ihrer Bitte um weiteres Zuwarten werde nicht entsprochen. Gründe, aus denen hier dem allgemeinen Interesse an Rechtssicherheit und Verfahrensbeschleunigung Vorrang einzuräumen war, sind nicht ersichtlich.
Offen bleiben kann, ob mit der Verletzung des § 153 Abs 4 SGG zugleich die Besetzung des Berufungsgerichts nur mit Berufsrichtern und damit ein absoluter Revisionsgrund nach § 202 SGG iVm § 551 Nr 1 ZPO gerügt wird, bei dem unwiderleglich zu vermuten wäre, dass die angegriffene Entscheidung auf der Gesetzesverletzung beruht (offen gelassen in den Urteilen des BSG vom 22. April 1998 – B 9 SB 19/97 R – SozR 3-1500 § 153 Nr 7, S 18 und vom 21. Juni 2001 – B 7 AL 94/00 R – SozR 3-1500 § 153 Nr 14). Denn der hier angefochtene Beschluss kann jedenfalls auch auf dem ausdrücklich gerügten Verfahrensfehler mangelnden rechtlichen Gehörs beruhen. Es ist nicht auszuschließen, dass bei ordnungsgemäßer Anhörung von der Klägerin noch Gründe vorgetragen worden wären, die dem LSG zumindest Veranlassung für eine weitere Sachaufklärung gegeben hätten.
Offen bleiben kann ferner, ob sich dem Vorbringen der Klägerin die Rüge weiterer Verfahrensfehler entnehmen lässt und ob diese Verfahrensfehler vorliegen. Als Verfahrensfehler käme neben der Rüge eines übergangenen Beweisantrags (§ 160 Abs 2 Nr 3 iVm § 103 SGG) in Betracht, dass die Anhörungsmitteilung und der Antrag auf (erneute) Fristverlängerung nicht richterlich (vgl BSG Urteile vom 20. Oktober 1999 – B 9 SB 4/98 R – SozR 3-1500 § 153 Nr 8, vom 7. November 2000 – B 2 U 14/00 R – HVBG-INFO 2000, 3386 und vom 21. Juni 2001 – B 7 AL 94/00 R – SozR 3-1500 § 153 Nr 14) bzw nicht vorab (vgl BSG Urteil vom 31. Juli 2002 – B 4 RA 28/02 R – veröffentlicht in JURIS) vorbeschieden worden sind. Über den erneuten Antrag auf Verlängerung der Äußerungsfrist wurde (konkludent) erst im angefochtenen Beschluss entschieden. Im Übrigen ist in den entsprechenden Mitteilungsschreiben der Geschäftsstelle jeweils angegeben, sie erfolgten „auf richterliche Anordnung”; jedoch enthalten die Akten des LSG keine als solche erkennbare richterliche Verfügung.
Fundstellen