Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Bindung an Bestimmung des Gegenstandswertes durch Verwaltung im Rahmen einer Kostenfestsetzungsentscheidung. Ausschreibung über Nachfolgezulassung. erstrebter Kaufpreis des Praxisabgebers. Maßstab zur Gegenstandswertbestimmung
Orientierungssatz
1. Die im Rahmen einer Kostenfestsetzungsentscheidung der Verwaltung vorgenommene Bestimmung des Gegenstandswerts stellt lediglich einen Berechnungsfaktor für die Höhe des Kostenerstattungsanspruchs dar; sie enthält keine Regelung, die Bindungswirkung entfalten könnte. Eine gesonderte Festsetzung des Gegenstandswerts durch die Verwaltung ist im Gesetz nicht vorgesehen und wäre deshalb unzulässig (vgl BSG vom 11.6.1986 - 6 RKa 13/85 = SozR 1300 § 63 Nr 8). Die Anfechtung eines Kostenfestsetzungsbescheids kann mithin nicht auf die Höhe der anzuwendenden Rahmengebühren wirksam beschränkt werden.
2. Bei einer ausnahmsweise bewilligten vierten Ausschreibung eines Vertragsarztsitzes können nicht - wie im Falle einer Zulassungsentziehung oder einer abgelehnten Erstzulassung - entgangene Gewinne aus künftiger eigener vertragsärztlicher Tätigkeit zugrunde gelegt werden. Vielmehr ist in diesem Fall der vom Praxisabgeber erstrebte Kaufpreis für seine Praxis der einzig sachgerechte Maßstab zur Bestimmung des Gegenstandswerts.
Normenkette
SGG § 197a Abs. 1 S. 1 Hs. 1; GKG § 63 Abs. 2 S. 1, § 52 Abs. 3, § 47 Abs. 1, 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Streitig ist die Höhe der an einen in Zulassungsangelegenheiten erfolgreichen Widerspruchsführer zu erstattenden Aufwendungen.
Der Kläger war als Facharzt für Radiologie in einem für dieses Fachgebiet für Neuzulassungen gesperrten Planungsbereich zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Wegen schwerer Krankheit erklärte er im September 2002 den Verzicht auf seine Zulassung und beantragte die Ausschreibung seines Vertragsarztsitzes zur Nachbesetzung, wobei er angab, für seine Praxis einen Kaufpreis von ca 250.000 Euro realisieren zu wollen. Nachdem sich in drei Ausschreibungen keine übernahmebereiten Bewerber fanden und der seit Mitte 2002 nicht mehr praktizierende Kläger weggezogen war, stellte der Zulassungsausschuss im Juni 2003 die Beendigung von dessen Zulassung fest. Auf seinen Widerspruch hin hob der beklagte Berufungsausschuss mit bestandskräftigem Beschluss vom 22.10.2003 diesen Bescheid auf und sprach dem Kläger die Erstattung der Hälfte seiner zur Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen zu, wobei er die Zuziehung eines Rechtsanwalts für notwendig erklärte. Der Zulassungsausschuss lehnte daraufhin mit Beschluss vom 29.10.2003 die Zulassung der vom Kläger nachträglich präsentierten Bewerberin für eine Praxisnachfolge ab und stellte erneut die Beendigung seiner Zulassung fest. Der gegen diese Entscheidung gerichtete Widerspruch des Klägers war ebenfalls erfolgreich. Der Beklagte erteilte der Bewerberin die Zulassung, hob die Feststellung der Beendigung der Zulassung des Klägers auf und ordnete die Erstattung von dessen Aufwendungen an, wobei auch hier die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts für notwendig erklärt wurde (Beschluss vom 25.2.2004) .
Der Kläger machte für beide Verfahren auf der Grundlage eines Gegenstandswerts von 528.000 Euro und jeweils einer vollen (10/10) Geschäfts- bzw Besprechungsgebühr Rechtsanwaltskosten in Höhe von zusammen 12.807,56 Euro geltend. Der Beklagte setzte die zu erstattenden Kosten auf 1.380,11 Euro bzw 5.497,24 Euro - zusammen 6.877,35 Euro - fest (Beschluss vom 5.5.2004). Er legte seiner Berechnung ebenfalls einen Gegenstandswert von 528.000 Euro zugrunde, erkannte aber jeweils lediglich eine Mittelgebühr (7,5/10) an und ließ die vom Kläger für das Verfahren vor dem Zulassungsausschuss angesetzte Gebühr unberücksichtigt.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage auf Erstattung weiterer 2.280,85 Euro, die sich bei Anwendung der 10/10-Gebühr errechnen, abgewiesen. Es hat als Gegenstandswert lediglich den vom Kläger über die Nachfolgezulassung für seine Praxis erstrebten Kaufpreis von 250.000 Euro zugrunde gelegt, hiernach einen Kostenerstattungsanspruch für beide Widerspruchsverfahren selbst bei Zubilligung der vollen (10/10) Gebühren in Höhe von 5.985,60 Euro errechnet und wegen des Verböserungsverbots von einer Änderung des angefochtenen Bescheids zu Lasten des Klägers abgesehen (Gerichtsbescheid vom 10.3.2006). Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Das Landessozialgericht (LSG) ist seiner Ansicht, die Gerichte seien an den im Beschluss des Beklagten vom 5.5.2004 bestandskräftig festgesetzten Gegenstandswert von 528.000 Euro gebunden, nicht gefolgt. Es ist davon ausgegangen, dass die zur Bestimmung des wirtschaftlichen Interesses in Zulassungssachen regelmäßig herangezogenen Gewinnmöglichkeiten aus künftiger vertragsärztlicher Tätigkeit in einem Zeitraum von drei bzw fünf Jahren im Fall des Klägers keinen geeigneten Maßstab darstellten, weil diesem aufgrund seiner Erkrankung von vornherein eine Fortsetzung der vertragsärztlichen Tätigkeit nicht möglich gewesen sei. Unter diesen Umständen sei es gerechtfertigt, auf das wirtschaftliche Interesse an dem Praxisverkauf abzustellen, welches das SG entsprechend seinen Angaben auf 250.000 Euro beziffert habe (Urteil vom 29.11.2006 - juris) .
Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG macht der Kläger eine Abweichung von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sowie einen Verfahrensmangel geltend.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde des Klägers hat keinen Erfolg.
1. Soweit der Kläger eine Rechtsprechungsabweichung ( Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 2 SGG ) rügt, entsprechen seine Darlegungen nicht den in § 160a Abs 2 Satz 3 SGG normierten Anforderungen an die Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde. Der Rechtsbehelf ist insoweit unzulässig.
Wer den Zulassungsgrund der Divergenz geltend machen will, muss in der Beschwerdebegründung entscheidungstragende Rechtssätze im Berufungsurteil sowie in einer höchstrichterlichen Entscheidung einander gegenüberstellen und näher darlegen, weshalb sie nicht miteinander vereinbar sind und inwiefern die Entscheidung des LSG auf dieser Abweichung beruht (vgl BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 6 RdNr 18) . Dabei ist der jeweils aktuelle Stand der bundesgerichtlichen Rechtsprechung maßgebend (vgl dazu zB BSG SozR 1500 § 160 Nr 61; BSG, Beschlüsse vom 31.5.2006 - B 6 KA 44/05 B - MedR 2006, 672, und vom 19.7.2006 - B 6 KA 5/06 B - juris, jeweils mwN).
Das Vorbringen des Klägers erfüllt diese Anforderungen nicht. Seine Rüge, das LSG sei von der früheren Rechtsprechung des BSG zur Bestimmung des Gegenstandswertes in Zulassungsstreitigkeiten abgewichen (zur Änderung dieser Rechtsprechung, dh Bestimmung des wirtschaftlichen Interesses unter Zugrundelegung eines Zeitraums von drei statt bislang von fünf Jahren, vgl BSG, Beschluss vom 1.9.2005 - B 6 KA 41/04 R - SozR 4-1920 § 52 Nr 1) , bezeichnet keine Divergenz zur aktuellen Rechtsprechung des BSG. Sie bezieht sich vielmehr ausdrücklich auf die ältere Rechtsprechung des Senats, die in dem genannten Beschluss vom 1.9.2005 für Verfahren, die nach dem 1.1.2002 rechtshängig geworden sind, nicht fortgeführt worden ist. Um solche Verfahren handelt es sich vorliegend, da die eine Kostenerstattung auslösenden Widersprüche des Klägers im August bzw November 2003 erhoben wurden.
Darüber hinaus hat der Kläger auch nicht dargelegt, dass die Entscheidung des LSG auf einer Abweichung von der (früheren) Rechtsprechung des BSG beruht. Er hat insbesondere nicht berücksichtigt, dass das LSG seiner Entscheidung einen Gegenstandswert zugrunde gelegt hat, der sich - abweichend vom Regelfall der Maßgeblichkeit der Gewinnerzielungsmöglichkeiten in den nächsten drei bzw (früher) fünf Jahren - am wirtschaftlichen Interesse des Klägers an dem Praxisverkauf orientiert. Mithin war für die Entscheidung des LSG die Frage, ob in Zulassungssachen die Gewinnerzielungsmöglichkeiten aus vertragsärztlicher Tätigkeit in den kommenden drei oder fünf Jahren für die Bemessung des Gegenstandswerts zugrunde zu legen sind, nicht tragend.
2. Die Rüge eines Verfahrensmangels ist - ihre Zulässigkeit unterstellt - nicht begründet. Der Kläger macht insoweit mit seiner Beschwerde sinngemäß geltend, das Berufungsgericht habe missachtet, dass er den Kostenfestsetzungsbeschluss des Beklagten vom 5.5.2004 nur teilweise - hinsichtlich der Höhe der Rahmengebühr - angefochten habe und der Ausspruch über die Höhe des Gegenstandswerts deshalb bestandskräftig geworden sei (§ 77 SGG; zur Teilanfechtung s zB BSG SozR 4-1500 § 92 Nr 2 RdNr 7, mwN) . Es kann in diesem Zusammenhang dahinstehen, ob mit einem solchen Vorbringen tatsächlich ein Verfahrensmangel im Sinne von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG - also ein Verstoß des Gerichts gegen prozessrechtliche Vorschriften auf seinem Weg zur Urteilsfindung (sog "error in procedendo") - geltend gemacht oder ob vielmehr die inhaltliche Richtigkeit des Berufungsurteils selbst (sog "error in iudicando") - also die Fehlerhaftigkeit der Rechtsauffassung des LSG, dass Ausführungen in einem Kostenfestsetzungsbeschluss über die Höhe des Gegenstandswertes nur einen Berechnungsfaktor betreffen und nicht in Bestandskraft erwachsen - gerügt wird (zur mitunter schwierigen Abgrenzung vgl Krasney in Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 4. Aufl 2005, Kap IX RdNr 87). Denn auch dann, wenn bei Missachtung einer aufgrund Teilanfechtung eingetretenen teilweisen Bestandskraft des Kostenfestsetzungsbescheids durch das Berufungsgericht von einem Verfahrensmangel auszugehen wäre (vgl BSG, Urteil vom 26.2.1986 - 9a RV 36/84 - juris, dort RdNr 10, 13 f) , liegt ein solcher Fehler hier jedenfalls nicht vor.
In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass die im Rahmen einer Kostenfestsetzungsentscheidung der Verwaltung vorgenommene Bestimmung des Gegenstandswerts lediglich einen Berechnungsfaktor für die Höhe des Kostenerstattungsanspruchs darstellt; sie enthält keine Regelung, die Bindungswirkung entfalten könnte. Eine gesonderte Festsetzung des Gegenstandswerts durch die Verwaltung ist im Gesetz nicht vorgesehen und wäre deshalb unzulässig (BSG SozR 1300 § 63 Nr 8 S 25 ff; ebenso BVerwG NJW 1986, 2128; Hellstab in von Eiken/Hellstab/Lappe/Madert, Die Kostenfestsetzung, 18. Aufl 2003, RdNr D 212) . Die Anfechtung eines Kostenfestsetzungsbescheids kann mithin nicht auf die Höhe der anzuwendenden Rahmengebühren wirksam beschränkt werden. Die Gerichte sind vielmehr befugt, bei der Prüfung, ob dem Kläger ein Anspruch auf höhere Kostenerstattung zusteht, als die Behörde bislang bewilligt hat, den zugrunde zu legenden Gegenstandswert eigenständig nach Maßgabe der gesetzlichen Regelungen zu bestimmen. Der Kläger ist allerdings durch das prozessuale Verböserungsverbot vor einer im Ergebnis niedrigeren Kostenerstattung geschützt (anders § 107 Abs 1 ZPO, der die Durchbrechung der Rechtskraft eines Kostenfestsetzungsbeschlusses im Falle nachträglich abweichender gerichtlicher Entscheidung zur Höhe des Streitwerts auch zu Lasten eines Beteiligten ermöglicht) . Die diesen Grundsätzen entsprechende Entscheidung des LSG ist somit nicht zu beanstanden.
3. Soweit der Kläger im Zusammenhang mit seiner Divergenzrüge zusätzlich geltend macht, die im Beschluss des Senats vom 1.9.2005 (SozR 4-1920 § 52 Nr 1) angekündigte Änderung der bisherigen Rechtsprechung zum maßgeblichen Bezugszeitraum für die Bestimmung des wirtschaftlichen Interesses in Zulassungssachen für nach dem 1.1.2002 rechtshängig gewordene Streitigkeiten verstoße hinsichtlich zu diesem Zeitpunkt bereits abgeschlossener Verfahren wegen unzulässiger echter Rückwirkung gegen das Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes, kann dies auch unter dem Gesichtspunkt grundsätzlicher Bedeutung (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG) nicht zu einer Revisionszulassung führen. Die mit diesem Vorbringen angesprochene Rechtsfrage ist ungeachtet dessen, ob sie überhaupt über den Einzelfall des Klägers hinaus noch von allgemeiner Bedeutung wäre, im hier vorliegenden Rechtsstreit jedenfalls nicht klärungsfähig, weil es auf sie für dessen Entscheidung nicht ankommt. Denn das LSG hat im Berufungsurteil darauf abgestellt, dass das wirtschaftliche Interesse des Klägers an der Durchführung der beiden Widerspruchsverfahren nicht darauf gerichtet war, selbst jemals wieder Einnahmen aus vertragsärztlicher Tätigkeit zu erzielen, sondern ausschließlich darauf, seine in drei Ausschreibungsverfahren unverkäufliche Praxis nach einer ausnahmsweise bewilligten vierten Ausschreibung doch noch über eine Nachfolgezulassung (§ 103 Abs 4 SGB V) wirtschaftlich verwerten zu können (vgl Widerspruchsschreiben vom 26.8.2003 und vom 25.11.2003) . In einer solchen Konstellation können selbst dann, wenn von den Zulassungsgremien gleichzeitig mit der Ablehnung einer Nachfolgezulassung auch über die Beendigung der Zulassung des Praxisabgebers entschieden wurde, nicht - wie im Falle einer Zulassungsentziehung oder einer abgelehnten Erstzulassung - entgangene Gewinne aus künftiger eigener vertragsärztlicher Tätigkeit zugrunde gelegt werden. Vielmehr ist in diesem Fall der vom Praxisabgeber erstrebte Kaufpreis für seine Praxis der einzig sachgerechte Maßstab zur Bestimmung des Gegenstandswerts. Somit ist die Frage einer Rückwirkung der geänderten Rechtsprechung zum maßgeblichen Zeitraum in Zulassungssachen für die Entscheidung des Rechtsstreits ohne Belang.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG (in der ab 1.4.2008 geltenden Fassung) ab.
Die Kostenentscheidung hat ihre Grundlage in § 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 3 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung von § 154 Abs 2 und § 162 Abs 3 Verwaltungsgerichtsordnung. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 3, § 47 Abs 1 und 3 Gerichtskostengesetz und entspricht dem Betrag der vom Kläger zusätzlich geltend gemachten Kostenerstattung.
Fundstellen