Verfahrensgang
SG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 28.07.2017; Aktenzeichen S 16 AS 199/15) |
Hessisches LSG (Urteil vom 26.06.2020; Aktenzeichen L 7 AS 558/19 ZVW) |
Tenor
Die Beschwerden der Klägerinnen gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 26. Juni 2020 - L 7 AS 558/19 ZVW - werden als unzulässig verworfen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Beschwerden gegen die Nichtzulassung der Revision in der bezeichneten Entscheidung des LSG sind ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen, weil sie unzulässig sind (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG).
In ihrer Beschwerdebegründung tragen die Klägerinnen zum Sachverhalt vor, das LSG habe zum Aufhebungs- und Erstattungsbescheid des beklagten Jobcenters vom 14.5.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8.1.2015 für Dezember 2013 bis April 2014 entschieden und Einkommen der Klägerin zu 1 aus einer Jahressonderzahlung angerechnet. Die Erstattung von Leistungen von der Klägerin zu 2 fordere der Beklagte nicht mehr.
Die Klägerinnen machen im Rahmen der Divergenzrüge geltend, das LSG sei wegen der Einkommensanrechnung und des Bezugspunkts des Kennenmüssens der Rechtswidrigkeit der Bewilligungsbescheide von Entscheidungen des BSG abgewichen. Ihre Beschwerdebegründung genügt den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG nicht.
Nach § 160 Abs 2 Nr 2 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn die Entscheidung des LSG von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Für die Bezeichnung (vgl § 160a Abs 2 Satz 3 SGG) einer Abweichung (Divergenz) ist aufzuzeigen, mit welcher genau bezeichneten entscheidungserheblichen rechtlichen Aussage die angefochtene Entscheidung des LSG von welcher ebenfalls genau bezeichneten entscheidungserheblichen rechtlichen Aussage des BSG abweicht. Eine Abweichung liegt nicht schon vor, wenn die angefochtene Entscheidung nicht den Kriterien entsprechen sollte, die das BSG aufgestellt hat. Erforderlich ist vielmehr, dass das LSG diesen Kriterien widersprochen und über den Einzelfall hinausgehende andere rechtliche Maßstäbe zu derselben rechtlichen Aussage (Krasney in Krasney/Udsching, Hdb SGG, 7. Aufl 2016, IX. Kap, RdNr 79) entwickelt hat. Nicht die - behauptete - Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die fehlende Übereinstimmung im Grundsätzlichen vermag die Zulassung der Revision wegen Abweichung zu begründen. Die Beschwerdebegründung muss deshalb erkennen lassen, dass das LSG dem BSG widersprochen und von den bezeichneten rechtlichen Aussagen des BSG abweichende, dh mit diesen unvereinbare eigene rechtliche Maßstäbe entwickelt hat (vgl BSG vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34; Krasney in Krasney/Udsching, Hdb SGG, 7. Aufl 2016, IX. Kap, RdNr 196 mwN). Erforderlich ist grundsätzlich die genaue Bezeichnung der Fundstellen für die zwei Rechtssätze innerhalb der beiden Entscheidungen (BSG vom 5.5.2020 - B 14 AS 81/19 B - RdNr 6; Becker, SGb 2007, 261, 269).
Als entscheidungserheblich bezeichnen die Klägerinnen Rechtssätze aus Entscheidungen des BSG (Urteil vom 29.11.2012 - B 14 AS 33/12 R - RdNr 14 bzw Urteil vom 17.10.2013 - B 14 AS 38/12 R - RdNr 13) zum Verbrauch einmaliger Einnahmen, denen das LSG, dem SG folgend, widersprochen haben soll. Zugleich hält die Beschwerde fest, das LSG habe ausgeführt, das SG habe die Sonderzahlung trotz einer Abtretungserklärung zutreffend als Einkommen berücksichtigt. Als Rechtssatz des LSG formulieren sie: "Eine einmal zugeflossene Einnahme ist stets bedarfsmindernd zu berücksichtigen, auch wenn durch eine Schuldentilgung die Einnahme vorzeitig verbraucht wird". Dabei gibt die Beschwerdebegründung weder die Stelle der Entscheidung des LSG an, an der sich der von ihr formulierte Rechtssatz wiederfinden lassen soll, noch legt sie dar, an welcher Stelle dieser Rechtssatz entscheidungserheblich geworden sein könnte, wozu erforderlich wäre, dass das LSG bei seiner Entscheidung von einem Verbrauch der Einnahme ausgegangen ist. Die Ausführungen zu einem Verbrauch der Einnahme durch Weiterleitung nach Auszahlung beziehen sich indes auf Vortrag der Klägerinnen beim SG und LSG und können die Darlegung des vom LSG festgestellten und von ihm einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage zugrunde gelegten Sachverhalts nicht ersetzen.
Soweit die Klägerinnen rügen, das LSG weiche hinsichtlich des Bezugspunkts von Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit bei gebotener vorläufiger, aber dennoch abschließender Leistungsbewilligung von Entscheidungen des BSG (Urteil vom 8.2.2001 - B 11 AL 21/00 R - RdNr 23 bzw Urteil vom 21.6.2011 - B 4 AS 22/10 R - RdNr 28) ab, enthalten die zitierten Passagen der Entscheidungen des BSG die bezeichnete Aussage nicht zum SGB II (B 11 AL 21/00 R) oder nicht zu § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 3 SGB X (B 4 AS 22/10 R).
Im Übrigen fehlt es wegen beider behaupteter Abweichungen angesichts des angenommenen Teilanerkenntnisses zur Aufhebung der Erstattungsverfügung gegenüber der Klägerin zu 2 an Ausführungen zur Zulässigkeit einer Revision ihr gegenüber, was im Rahmen der Entscheidungserheblichkeit darzutun gewesen wäre.
Auch ein Verfahrensmangel ist in der Beschwerdebegründung nicht hinreichend bezeichnet, auf dem iS des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG die angefochtene Entscheidung des LSG beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der § 109 SGG (Anhörung eines bestimmten Arztes) und § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (freie richterliche Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG). Die schlüssige Bezeichnung eines Verfahrensmangels erfordert zumindest, dass in der Beschwerdebegründung die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden (vgl nur Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 160a RdNr 16).
Die von den Klägerinnen gerügte Verletzung rechtlichen Gehörs, weil das LSG eine Überraschungsentscheidung erlassen habe und weil es nicht auf ihren Vortrag eingegangen sei, ist nicht hinreichend bezeichnet.
Eine Überraschungsentscheidung liegt vor, wenn das Urteil auf Gesichtspunkte gestützt wird, die bisher nicht erörtert worden sind, und dadurch der Rechtsstreits eine unerwartete Wendung nimmt (vgl BSG vom 18.11.1997 - 2 RU 19/97 - juris RdNr 14). Dass das Urteil des LSG auf solche Gesichtspunkte gestützt worden ist, lässt sich der Beschwerdebegründung, nach der das LSG eine Überraschungsentscheidung getroffen haben soll, weil es aus den wenigen Ausführungen der Klägerin zu 1, die diese in der mündlichen Verhandlung vom 26.6.2020 gemacht habe, auf deren Verschulden geschlossen habe, nicht entnehmen. Ausweislich der Darstellung des Verfahrensablaufs hat das LSG bereits seine erste - vom Senat aufgehobene - Entscheidung in dieser Sache darauf gestützt, dass die Aufhebungsvoraussetzungen, "insbesondere des § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 SGB X vorlägen", da die Klägerinnen hinsichtlich der Sonderzahlung gewusst hätten oder hätten wissen müssen, dass der ihnen zuerkannte Anspruch teilweise weggefallen sei und damit nicht bestehe. In seinem Urteil vom 26.6.2020 stellt das LSG, wie die Beschwerde wiedergibt, darauf ab, dass die Klägerin zu 1 hätte bemerken müssen, dass sich die für November 2013 angegebene Sonderzahlung irgendwie auf die sonst gleichbleibende Leistungshöhe des Bescheides hätte auswirken müssen, "entweder in Form einer abweichenden Leistungshöhe für einen oder mehrere Monate oder in der Form, dass ein vorläufiger Bescheid ergehen muss, wenn die tatsächliche Höhe der Sonderleistung erst noch zu ermitteln ist". Soweit die Klägerinnen dazu meinen, das Verständnis der Klägerin zu 1 hinsichtlich der Voraussetzungen, wann ein vorläufiger Bescheid zu erlassen sei, sei vom LSG nicht erfragt worden, legen sie nicht dar, inwieweit das Urteil des LSG hierauf beruhen können soll, weil das LSG seine Annahme, Verschulden liege vor, auf zwei alternative Gesichtspunkte gestützt hat (vgl zum erforderlichen Vortrag nur BSG vom 2.9.2015 - B 11 AL 34/15 B). Soweit die Klägerinnen vorbringen lassen, vom Verständnis der Klägerin zu 1 habe es keinen Grund gegeben, annehmen zu müssen, die Sonderzahlung gebiete eine Berücksichtigung der Leistungserbringung durch eine abweichende Leistungshöhe für einen oder mehrere Monate, ist das Vorbringen unschlüssig. Denn nach der Beschwerdebegründung hat der Beklagte "auch zuvor eine Leistungskorrektur immer erst nachträglich vorgenommen" und war die Höhe der Sonderzahlung noch nicht bekannt, weshalb "also schwerlich eine korrekte Anrechnung hätte erfolgen können".
Soweit die Beschwerdebegründung ausführt, mit weiterem Vortrag zu einer Überraschungsentscheidung im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde nicht wegen § 128 Abs 2 SGG ausgeschlossen zu sein, bezieht sich § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 Variante 2 SGG nur auf § 128 Abs 1 Satz 1 SGG. Indes legen die Klägerinnen nicht dar, warum sie von einer unterbliebenen Anordnung des persönlichen Erscheinens des Beklagten darauf hätten schließen dürfen, dass der Befragung der Klägerin zu 1 keine wesentliche Bedeutung habe zukommen können und sich hierauf nicht der Beklagte, sondern sie berufen könnten. Wegen des Vorhalts, ihnen sei keine angemessene Frist zur Äußerung eingeräumt worden, fehlt es an Vorbringen dazu, dass infolge der Befragung der Klägerin zu 1 in der Verhandlung vom 26.6.2020 weiterer Vortrag habe erfolgen sollen.
Soweit die Klägerinnen rügen, ihr Anspruch auf rechtliches Gehör sei dadurch verletzt, dass sich das LSG in seiner Urteilsbegründung nicht mit der Weiterleitung der Sonderzahlung an einen Dritten aufgrund einer Abtretung auseinandergesetzt habe, genügt die Beschwerdebegründung nicht den Anforderungen an die Bezeichnung eines Verfahrensmangels durch Verstoß gegen das Berücksichtigungsgebot. Es fehlen Ausführungen dazu, dass die Weiterleitung - nachdem sich die Klägerinnen nach der Beschwerdebegründung erstmals in der mündlichen Verhandlung beim SG auf die Auszahlung an den Dritten berufen und zuvor die Abtretung der Sonderzahlung geltend gemacht hatten - wesentlicher, nach dem Rechtsstandpunkt des LSG nicht unerheblicher oder völlig unsubstantiierter, Kern ihres Tatsachenvortrags sein sollte (vgl BVerfG vom 19.5.1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 62 RdNr 7). Dass das LSG ihren Vortrag zur Weiterleitung der Sonderzahlung grundsätzlich zur Kenntnis genommen hat, ergibt sich aus den Passagen der Beschwerdebegründung, die das im Urteil des LSG festgehaltene Vorbringen der Klägerinnen wiedergeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI14685318 |