Orientierungssatz
Arbeitsunfähigkeit - Ausfallzeit:
Sowohl nach dem Gesetzeswortlaut als auch nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung muß eine Arbeitsunfähigkeit, um als Ausfallzeit anerkannt werden zu können, einer vorherigen versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit nachgefolgt sein.
Normenkette
AVG § 36 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; RVO § 1259 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 20.07.1988; Aktenzeichen L 4 An 15/88) |
Gründe
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts (LSG) vom 20. Juli 1988 ist unzulässig.
Auf die Beschwerde ist die Revision ua zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-). In der Begründung der Beschwerde muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt werden (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).
Diesem Formerfordernis genügt die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin nicht.
Die im September 1934 geborene Klägerin erkrankte als Schülerin an Lungentuberkulose und wurde deswegen letztmals im März 1954 stationär behandelt. Nach ihrer Eheschließung im selben Jahre und der nachfolgenden Geburt dreier Kinder in den Jahren 1955, 1958 und 1959 nahm sie erstmals zum 1. November 1970 eine angestelltenversicherungspflichtige Beschäftigung auf. Im Rahmen eines Kontenklärungsverfahrens teilte die Beklagte im Bescheid vom 20. Januar 1987 mit, sie habe nicht geprüft, ob die Zeit vom 1. September 1948 bis 31. Oktober 1970 eine Arbeitsunfähigkeit iS des § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) sei, weil dadurch eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit nicht unterbrochen worden sei.
Widerspruch, Klage und Berufung der Klägerin sind ohne Erfolg geblieben. Das LSG hat in seinem Urteil vom 20. Juli 1988, in welchem die Revision nicht zugelassen worden ist, im wesentlichen ausgeführt, die Klägerin könne unabhängig davon, ob sie tatsächlich während des gesamten Zeitraums vom 1. September 1948 bis in das Jahr 1970 hinein arbeitsunfähig krank gewesen sei, eine Anrechnung dieses Zeitraums als Ausfallzeit nicht beanspruchen, weil sie vor dessen Beginn keine versicherungspflichtige Tätigkeit ausgeübt habe und deswegen eine solche durch eine Ausfallzeit nicht "unterbrochen" worden sei. Eine ausfüllungsbedürftige Gesetzeslücke dergestalt, daß im Falle der Klägerin nicht als Voraussetzung einer Unterbrechung eine versicherungspflichtige Tätigkeit vor und nach dem Zeitraum des Ausfalltatbestandes ausgeübt worden sein müsse, bestehe nicht. Der Gesetzgeber habe bewußt auf einen Personenkreis abgezielt, der bereits versichert gewesen sei, und nicht etwa die Möglichkeit von Fällen wie denjenigen der Klägerin nicht gesehen. Das ergebe sich aus dem erst im Jahre 1986 aufgehobenen § 50 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG).
Die Klägerin meint, der Rechtsstreit habe grundsätzliche Bedeutung. Angesichts der Regelungen in § 36 Abs 1 Satz 1 Nrn 3a und 4 AVG sei die Annahme des LSG, es sei in jedem Fall eine "Unterbrechung" erforderlich, vom Ansatz her nicht richtig, so daß der hier maßgebliche Sachverhalt einer Verhinderung der Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung aus gesundheitlichen Gründen den Beispielen des § 36 AVG zuzuordnen sei, in denen ebenfalls nicht eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit, sondern andere Gründe wie zB ein Schulbesuch vorgelegen hätten. Motiv für die Institution der Ausfallzeit sei gewesen, Nachteile von denjenigen Personen abzuwenden, welche unverschuldet - schicksalhaft - eine wesentliche Verkürzung ihrer Versicherungsdauer durch längerwährende Krankheit oder Arbeitslosigkeit erlitten hätten. Gerade ein solcher Fall liege bei ihr (Klägerin) vor. Hinsichtlich der langen Dauer des Zeitraums handele es sich um einen Sonderfall, der erkennbar nicht geregelt worden sei. Der Hinweis des LSG auf die früheren Bestimmungen des BSHG sage über die hier zu entscheidende Frage nichts aus.
Mit diesem Vorbringen ist eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht dargelegt worden (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).
Eine der Voraussetzungen einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache ist die Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage. Eine solche Klärungsbedürftigkeit ist zu verneinen, wenn die Beantwortung der Rechtsfrage so gut wie unbestritten und insbesondere unmittelbar dem Gesetz zu entnehmen ist. In diesem Fall muß der Beschwerdeführer zur Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage im einzelnen darlegen, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Rechtsfrage umstritten ist (BSG SozR 1500 § 160 Nr 17; § 160a Nr 59; vgl ferner BSG SozR 1300 § 13 Nr 1). Dasselbe gilt, wenn die Rechtsfrage bereits vom Revisionsgericht entschieden und geklärt worden ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 13).
Die von der Klägerin aufgeworfene Rechtsfrage ist schon anhand des Gesetzes zu beantworten. Nach § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AVG setzt die Anerkennung einer infolge Krankheit bedingten Arbeitsunfähigkeit - trotz erheblicher Zweifel unterstellt, eine solche habe bei der Klägerin bis zum 31. Oktober 1970 überhaupt vorgelegen - als Ausfallzeit voraus, daß durch sie eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit unterbrochen worden ist. Unterbrechung bedeutet nach natürlichem Sprachgebrauch einen "Einschub" des Ausfalltatbestandes in die Zeit einer versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit, so daß diese grundsätzlich bis zum Beginn und ab Beendigung des Zeitraums des Ausfalltatbestandes ausgeübt worden sein muß. Dies entspricht auch der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG). Zwar sind danach Fallgestaltungen denkbar, in denen eine "Unterbrechung" einer versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit auch dann vorliegt, wenn die Zeit der Arbeitsunfähigkeit nicht von versicherungspflichtigen Beschäftigungen oder Tätigkeiten umrahmt ist, sondern diese der Arbeitsunfähigkeit lediglich vorausgegangen sind (so zuletzt BSGE 58, 94, 95 f = SozR 2200 § 1259 Nr 91 S 244 f mit umfangreichen Hinweisen). Letzteres ist jedoch zwingend erforderlich, auch wenn sich unter bestimmten Voraussetzungen (sogen "Überbrückungstatbestände"; vgl zB Urteil des beschließenden Senats in BSGE 52, 108, 115 f = SozR 2200 § 1259 Nr 54 S 146 f) die Arbeitsunfähigkeit nicht nahtlos und zeitlich unmittelbar an das Ende der versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit anzuschließen braucht. In jedem Fall aber muß sowohl nach dem Gesetzeswortlaut als auch nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung eine Arbeitsunfähigkeit, um als Ausfallzeit anerkannt werden zu können, einer vorherigen versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit nachgefolgt sein.
Daß, von welcher Seite und mit welcher Begründung die sich aus dem Gesetz und der Rechtsprechung ergebende Beantwortung der von der Klägerin aufgeworfenen Rechtsfrage in Zweifel gezogen oder bestritten wird, ist der Beschwerdebegründung nicht zu entnehmen. Daß die Klägerin meint, die Entscheidung des LSG trage den individuellen Besonderheiten ihres Falles nicht Rechnung, reicht zur Darlegung einer einzelfallübergreifenden Bedeutung des vorliegenden Rechtsstreits nicht aus. Überdies begehrt die Klägerin eine Auslegung des § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AVG gegen seinen Wortlaut, ohne im einzelnen darzulegen, welche Gründe eine derartige Auslegung contra legem zwingend gebieten (vgl dazu BSG SozR 1500 § 160a Nr 59 S 79).
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist somit mangels formgerechter Darlegung eines Zulassungsgrundes in entsprechender Anwendung des § 169 Satz 3 SGG als unzulässig zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen