Entscheidungsstichwort (Thema)
Verweisungstätigkeit. grundsätzliche Bedeutung. Abweichung
Orientierungssatz
1. Die Frage, ob bei der Verweisungstätigkeit iS des § 1246 Abs 2 RVO nicht auch die im bisher ausgeübten Beruf erzielten Einkünfte zu berücksichtigen sind und an denen sich die erzielbaren Einkünfte innerhalb der Tätigkeit, auf die der Rentenantragsteller verwiesen wird, messen lassen müssen, hat keine grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG.
2. Eine Abweichung liegt nicht schon in einer materiell-rechtlich unzutreffenden Subsumierung, sondern allein darin, daß das LSG von einer Rechtsmeinung ausgeht, die mit der des Revisionsgerichts unvereinbar ist.
Normenkette
SGG § 160 Abs 2 Nr 1; RVO § 1246 Abs 2; SGG § 160 Abs 2 Nr 2
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 25.09.1987; Aktenzeichen L 14 J 13/85) |
Gründe
Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht der gesetzlich vorgeschriebenen Form des § 160a Abs 2 Satz 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Die Revision kann nur aus den in § 160 Abs 2 SGG genannten Gründen - grundsätzliche Bedeutung, Abweichung, Verfahrensmangel - zugelassen werden. Der Kläger beruft sich auf alle drei Möglichkeiten. In keinem der Fälle kann er jedoch Erfolg haben.
Die vom Kläger geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG muß nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG in der Beschwerdebegründung "dargelegt" werden. Als grundsätzlich sieht der Kläger die Frage an, ob bei der Verweisungstätigkeit iS des § 1246 Abs 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) nicht auch die im bisher ausgeübten Beruf erzielten Einkünfte zu berücksichtigen sind und an denen sich die erzielbaren Einkünfte innerhalb der Tätigkeit, auf die der Rentenantragsteller verwiesen wird, messen lassen müssen. Für die Einordnung einer bisherigen beruflichen Tätigkeit in das von ihm in ständiger Rechtsprechung entwickelte Mehrstufenschema hat das Bundessozialgericht (BSG) stets auf den "qualitativen Wert" des bisherigen Berufes abgestellt (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 132, 140, 143, 149, 150). Dabei hat das BSG ebenfalls in ständiger Rechtsprechung ausgesprochen, daß sich aus der Entlohnung allein die Qualität und die betriebliche Bedeutung der von einem Versicherten ausgeübten Tätigkeit nicht einfach ableiten lasse (vgl zB BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 77, 103, 129, 140, 145, 150). Eine vom Revisionsgericht entschiedene Rechtsfrage ist aber nur dann klärungsbedürftig, wenn der Rechtsprechung des Revisionsgerichts in nicht geringfügigem Umfang (in der juristischen Literatur) widersprochen wird und gegen sie nicht von vornherein abwegige Einwendungen vorgebracht werden (BSG SozR 1500 § 160a Nr 13). Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung hätte es also gehört, daß der Kläger Literaturstimmen gegen die genannten Urteile zitiert und sich mit den Urteilen auseinandergesetzt hätte.
Die vom Kläger als zweiter Beschwerdegrund genannte Abweichung ist gemäß § 160a Abs 2 Satz 3 SGG in der Beschwerdebegründung zu "bezeichnen". Dazu ist nicht nur erforderlich, daß die Entscheidung des BSG, von der das Landessozialgericht (LSG) abgewichen sein soll, so genau bezeichnet wird, daß das Revisionsgericht sie ohne Schwierigkeiten heranziehen kann (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14). Es muß vielmehr auch dargetan werden, zu welcher spezifischen Rechtsfrage eine Abweichung vorliegt, dh in welchem abstrakt formulierten Rechtssatz sich das vorinstanzliche Urteil von welchem abstrakt formulierten Rechtssatz der abweichungsbegründenden BSG-Entscheidung unterscheidet (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nrn 14, 21, 29). Eine Abweichung liegt nicht schon in einer materiell-rechtlich unzutreffenden Subsumierung, sondern allein darin, daß das LSG von einer Rechtsmeinung ausgeht, die mit der des Revisionsgerichts unvereinbar ist. Das ist vom Kläger weder für die eine noch die andere von ihm vorgetragene Abweichung aufgezeigt worden. In dem von ihm zitierten Urteil des BSG vom 23. Oktober 1958 (SozR Nr 4 zu § 1246 RVO) wird die Tätigkeit des Eisenflechters in Übereinstimmung mit dem angefochtenen Urteil als Anlerntätigkeit eingestuft. Die Verweisung des Klägers durch das LSG auf einfache Bürotätigkeiten hat sachlich mit der Rechtsprechung des BSG zum praktisch verschlossenen Arbeitsmarkt, insbesondere bezüglich der sogenannten Schonarbeitsplätze, nichts zu tun und kann schon deshalb nicht davon abweichen.
Mit seiner Rüge hinsichtlich des Amtsermittlungsgrundsatzes aus § 103 SGG kann der Kläger keinen Erfolg haben, weil die Nichtzulassungsbeschwerde auf eine Verletzung des § 103 SGG bloß dann gestützt werden kann, wenn sich die Rüge auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Hierfür muß nicht nur vorgetragen sein, daß das LSG einen Beweisantrag abgelehnt hat, obwohl es sich zu einer Beweisaufnahme hätte gedrängt fühlen müssen; es muß vielmehr auch ein solcher Beweisantrag so genau bezeichnet werden, daß er für das BSG ohne weiteres auffindbar ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 10). In beiden Beziehungen genügt die Beschwerdebegründung nicht den gesetzlichen Anforderungen.
Die mit dem Hinweis darauf, daß der Kläger zur mündlichen Verhandlung beim LSG nicht geladen worden sei, erhobene Rüge einer Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 des Grundgesetzes -GG- und § 62 SGG) greift ebenfalls nicht durch. Wird das persönliche Erscheinen eines Beteiligten nach § 111 Abs 1 Satz 1 SGG angeordnet, so wird damit regelmäßig eine Aufklärung des Sachverhalts bezweckt. Ob der Vorsitzende eine derartige Anordnung trifft, steht in seinem Ermessen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör gewährt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) weder ein Recht auf ein bestimmtes Beweismittel noch auf bestimmte Arten von Beweismitteln (vgl BVerfGE 57, 250, 274; 62, 392, 396). Aus diesem Grundrecht ergibt sich auch keine allgemeine Aufklärungspflicht des Richters (vgl BVerfGE 66, 116, 147; 67, 90, 95 f). Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung hätte in der Beschwerdebegründung aufgezeigt werden müssen, wieso überhaupt hier ein Verfahrensmangel in Form einer Verletzung des rechtlichen Gehörs in Betracht kommen kann. Es ist nicht vorgetragen worden, daß der Kläger ohne die Anordnung des persönlichen Erscheinens nicht in der Lage gewesen sei, an der mündlichen Verhandlung vor dem LSG teilzunehmen. Gegebenenfalls hätte er beantragen müssen, sein persönliches Erscheinen anzuordnen. Auch dazu enthält die Beschwerdebegründung keine Angaben. Zudem war der Kläger in der mündlichen Verhandlung durch einen Rechtsanwalt vertreten, so daß sein Standpunkt hinreichend zur Geltung gebracht werden konnte. Mit Rücksicht hierauf ist auch der Vortrag des Klägers unsubstantiiert, er sei mit seinem Vortrag bezüglich seiner Stellung als Vorarbeiter innerhalb der Tätigkeit als Eisenflechter nicht mehr gehört worden.
Die Rüge des Klägers schließlich, das LSG habe ohne entsprechenden Hinweis den rechtlichen Gesichtspunkt für seine Beurteilung geändert, ist schon deshalb nicht in der erforderlichen Weise vorgetragen, weil der Kläger nicht dargelegt hat, inwiefern das angegriffene Urteil auf dem behaupteten Mangel beruhen kann.
Die somit nicht formgerecht begründete und damit unzulässige Beschwerde des Klägers mußte als unzulässig verworfen werden. Dies konnte gemäß § 202 SGG iVm § 574 der Zivilprozeßordnung und § 169 SGG analog auch ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter erfolgen (BSG SozR 1500 § 160a Nrn 1 und 5; BVerfG SozR 1500 § 160a Nr 30).
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen