Orientierungssatz
Mit der Berufung auf eine Rechtsfrage aus nicht mehr geltendem Recht wird den Anforderungen an die Darlegung eines Zulassungsgrundes iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG grundsätzlich nicht genügt; denn eine in einer außer Kraft getretenen Rechtsvorschrift enthaltene Rechtsfrage besitzt in der Regel nicht mehr grundsätzliche Bedeutung in dem Sinne, daß aus Gründen der Rechtssicherheit oder Rechtsfortbildung eine revisionsrichterliche Entscheidung dazu erforderlich ist. Etwas anderes kann nur ausnahmsweise der Fall sein, zB wenn noch eine erhebliche Zahl von Rechtsstreitigkeiten anhängig ist, in denen die außer Kraft getretene Rechtsvorschrift anzuwenden ist, oder die angestrebte Entscheidung aus anderen Gründen für die Zukunft noch richtungweisend sein wird.
Normenkette
SGG § 160 Abs 2 Nr 1, § 160a Abs 2 S 3
Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 28.11.1986; Aktenzeichen L 6 Ar 29/84) |
Gründe
Die Beschwerde der Beklagten ist unzulässig. Die Beklagte hat die als einzigen Zulassungsgrund geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-) nicht in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG erforderlichen Weise dargelegt.
Grundsätzliche Bedeutung iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG hat eine Rechtssache nur, wenn sie (mindestens) eine Rechtsfrage enthält, die klärungsbedürftig, klärungsfähig und entscheidungserheblich ist (ständige Rechtsprechung, vgl Hennig/Danckwerts/König, SGG, Erl 7 zu § 160 mwN). Eine Beschwerde nach § 160a SGG ist nur zulässig, wenn sie das Vorliegen dieser Umstände schlüssig aufzeigt. Daran fehlt es hier.
Als entscheidungserheblich bezeichnet die Beklagte in ihrer Beschwerdebegründung die Rechtsfrage, "ob vom Arbeitgeber ohne Rechtsgrund irrtümlich gewährte und dem Arbeitnehmer nur wegen Unwägbarkeiten einer zivilrechtlichen Rückforderung belassene Zahlungen Zuwendungen im Sinne des § 112 Abs 2 Sätze 3 und 4 AFG - in der ab 1. Januar 1981 gültigen Fassung - darstellen und deshalb bei der Bemessung des Alg außer Betracht bleiben." Sie erläutert dazu, sie vertrete die Rechtsauffassung, "daß die vom Arbeitgeber neben dem regelmäßigen Gehalt gewährten zusätzlichen Leistungen wiederkehrende Zuwendungen darstellen, die bei der Bemessung des Alg gem § 112 Abs 2 Sätzen 3 und 4 AFG aF nicht zu berücksichtigen sind".
Aus diesem Vorbringen der Beklagten ergibt sich, daß sie eine Rechtsfrage durch das Revisionsgericht entschieden haben möchte, die eine außer Kraft getretene Vorschrift betrifft. § 112 Abs 2 Sätze 3 und 4 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) erhielten ihre ab 1. Januar 1981 geltende Fassung durch Artikel II § 2 Nr 10 Buchst a des Sozialgesetzbuchs - Verwaltungsverfahren - (SGB 10) vom 18.August 1980 (BGBl I 1469). Durch Artikel 1 § 1 Nr 40 Buchst a, bb, cc des am 1. Januar 1982 in Kraft getretenen Gesetzes zur Konsolidierung der Arbeitsförderung (Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetz -AFKG-) vom 22. Dezember 1981 (BGBl I 1497) wurde § 112 Abs 2 Satz 3 aufgehoben und Satz 4 (nunmehr als Satz 3) neu gefaßt. Inzwischen gelten - was die Beschwerde allerdings noch nicht berücksichtigen konnte - § 112 Abs 1 bis 3 AFG in der Neufassung des Achten Gesetzes zur Änderung des AFG vom 14. Dezember 1987 (BGBl I 2602).
Mit der Berufung auf eine Rechtsfrage aus nicht mehr geltendem Recht wird den Anforderungen an die Darlegung eines Zulassungsgrundes iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG grundsätzlich nicht genügt; denn eine in einer außer Kraft getretenen Rechtsvorschrift enthaltene Rechtsfrage besitzt in der Regel nicht mehr grundsätzliche Bedeutung in dem Sinne, daß aus Gründen der Rechtssicherheit oder Rechtsfortbildung eine revisionsrichterliche Entscheidung dazu erforderlich ist (vgl Hennig/Danckwerts/König, SGG, Erl 7.2. zu § 160 und Erl 7.7.2. zu § 160a mwN). Etwas anderes kann nur ausnahmsweise der Fall sein, zB wenn noch eine erhebliche Zahl von Rechtsstreitigkeiten anhängig ist, in denen die außer Kraft getretene Rechtsvorschrift anzuwenden ist, oder die angestrebte Entscheidung aus anderen Gründen für die Zukunft noch richtungweisend sein wird. Eine zulässige Beschwerde erfordert die substantiierte Darlegung einer solchen Sachlage (vgl Hennig/ Danckwerts/König aaO). Daran fehlt es hier.
Zur Grundsätzlichkeit der Rechtsfrage beruft sich die Beklagte lediglich auf das Vorhandensein weiterer vergleichbarer Rechtsstreitigkeiten, so auf zwei vor dem Senat im Zeitpunkt der Beschwerdebegründung noch schwebende Verfahren (7 RAr 71/86 und 7 BAr 110/86), ferner auf ein beim Hessischen Landessozialgericht (LSG) anhängiges Verfahren sowie dem Arbeitsamt Kassel vorliegende "ca 20 Widersprüche". Dieses Vorbringen zeigt die Grundsätzlichkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage, wie sie sich aus der am 1. Januar 1982 außer Kraft getretenen Vorschrift des § 112 Abs 2 Sätze 3 und 4 AFG idF des SGB 10 ergibt, nicht in der erforderlichen Weise auf. Die Beklagte hat nämlich nicht dargelegt, daß die von ihr angeführten "Parallelverfahren" Rechtsstreitigkeiten betreffen, für die noch § 112 Abs 2 Sätze 3 und 4 AFG idF des SGB 10 maßgeblich ist. Dies ist hier deshalb nicht entbehrlich, weil angesichts der nur kurzen Geltungsdauer der gesetzlichen Regelung, um die es geht, nicht von vornherein klar ist, daß für lediglich mit Aktenzeichen oder mit "ca 20 Widersprüchen" bezeichnete Verfahren auch tatsächlich die streitige Rechtsvorschrift die maßgebliche Rechtsgrundlage darstellt. Beleg für die Berechtigung dieser Zweifel ist etwa, daß die von der Beklagten bezeichneten -inzwischen entschiedenen - Verfahren vor dem Bundessozialgericht (BSG) - 7 RAr 71/86 und 7 BAr 110/86 - Ansprüche auf Arbeitslosengeld (Alg) bzw Kurzarbeitergeld (Kug) betrafen, die erst im Jahr 1983 entstanden sind.
Weitere Gründe für die Grundsätzlichkeit der aus § 112 Abs 2 Sätze 3 und 4 AFG idF des SGB 10 folgenden Rechtsfrage hat die Beklagte nicht vorgebracht. Falls ihre Ausführungen dahin zu verstehen sein sollten, daß sie den Begriff der Zuwendung für klärungsbedürftig hält, wie er auch nach Änderung des § 112 AFG idF des SGB 10 in dieser Vorschrift noch enthalten ist, hätte sie aufzeigen müssen, daß und warum dieser Begriff durch nachfolgende rechtliche Umgestaltung des § 112 AFG in seiner Bedeutung und in seinem rechtlichen Gehalt unverändert geblieben ist, so daß eine Entscheidung des BSG zu diesem Begriff, wie er in §112 AFG idF des SGB 10 enthalten war, auch für spätere Fassungen des Gesetzes bedeutsam geblieben ist.
In diesem Fall hätte die Beklagte sich mit der inzwischen vorhandenen Rechtsprechung des Senats zu diesem Begriff auf der Grundlage von § 112 AFG idF des AFKG auseinandersetzen müssen, um darzulegen, daß die von ihr bezeichnete Rechtsfrage überhaupt noch klärungsbedürftig ist (vgl dazu Hennig/Danckwerts/König, SGG, Erl 7.4. zu § 160, Erl 7.7.7. zu § 160a mwN). Im Urteil vom 15. Mai 1985 - 7 RAr 3/84 - (BSG SozR 4100 § 112 Nr 25) hat der Senat ausgeführt, daß für die Abgrenzung der (einmaligen oder wiederkehrenden) Zuwendung iS von § 112 Abs 3 AFG idF des AFKG entscheidend die Art der Entgeltzahlung als nicht laufend sei. Laufendes Arbeitsentgelt, mit dem der Arbeitnehmer in jeder Lohnabrechnung rechnen könne, sei, soweit es im Bemessungszeitraum erzielt worden ist, der Bemessung des Alg zugrunde zu legen. Nach den Feststellungen des LSG, gegen die die Beklagte keine Verfahrensrüge vorgebracht hat, hat der Kläger während seiner letzten Beschäftigung bei der Fa. A (16. Juli 1979 bis 31. Dezember 1980) neben dem Monatsgehalt und freier Kost auch freie Unterkunft erhalten. Auf diese Feststellung gründet sich die Auffassung des LSG, daß der Wert dieser (laufend gewährten) freien Wohnung als Sachbezug dem Arbeitsentgelt, mithin der Bemessung des Alg, zugrunde zu legen sei. Für die Beklagte hat folglich Anlaß bestanden, sich mit der oa Rechtsprechung des BSG auseinanderzusetzen, um die weiterbestehende Klärungsbedürftigkeit der einer aufgehobenen Vorschrift entstammenden Rechtsfrage darzulegen.
Angesichts dieser Sachlage kommt es nicht mehr darauf an, ob die von der Beklagten aufgeworfene Rechtsfrage, wäre ihre Grundsätzlichkeit hinreichend dargetan, deshalb nicht zur Zulassung der Revision führen könnte, weil sie durch neuere Rechtsprechung des Senats bereits geklärt ist. In dem zur Veröffentlichung bestimmten Urteil vom 21. April 1988 - 7 RAr 71/86 - hat der Senat (erneut) entschieden, daß weder einmalige noch wiederkehrende Zuwendungen iS von § 112 Abs 2 AFG idF des AFKG vorliegen, wenn es sich um Bezüge handelt, die dem Arbeitnehmer normalerweise regelmäßig, nämlich - im entschiedenen Fall- monatlich, gewährt worden sind. Insoweit sei ausschließlich auf die Art der Entgeltzahlung in Form des regelmäßigen laufenden Entgelts abzustellen. Da das LSG seiner Entscheidung dieselbe Rechtsauffassung zugrunde gelegt hat, kommt auch eine Zulassung der Revision wegen Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) nicht in Betracht (vgl dazu Hennig/ Danckwerts/König, SGG, Erl 7.5. zu § 160).
Nach alledem ist die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Fundstellen