Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 19.03.1998; Aktenzeichen L 4 V 49/96)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 19. März 1998 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Klägerin erstrebt eine Höherbewertung ihrer vom Beklagten zuletzt mit Bescheid vom 9. März 1993 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. November 1993) mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 30 bewerteten Behinderungen sowie einer weiteren Behinderung. Nach dem angefochtenen Urteil des Landessozialgerichts (LSG) hat der Beklagte ab November 1996 eine erstmals während des Berufungsverfahrens ermittelte „neurotische Störung” als weitere „Behinderung” festzustellen, im übrigen wurde das klageabweisende Urteil der Vorinstanz bestätigt und die Revision nicht zugelassen.

Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde macht die Klägerin eine Verletzung des rechtlichen Gehörs geltend und trägt dazu vor: Ihr Prozeßbevollmächtigter, Rechtsanwalt O, … sei mit Ladungsmitteilung des LSG vom 2. März 1998 zum Termin vom 19. März 1998, 9.35 Uhr, geladen worden. Am 11. März 1998 habe er die Vorsitzende des zuständigen Senats telefonisch um Vertagung gebeten. Dabei sei ihm eine Terminsverlegung auf den 28. April 1998 zugesagt worden. Einen entsprechenden Schriftsatz habe er noch am selben Tag per Telefax sowie per Post an das LSG abgesandt und sie, die Klägerin, von der Terminsverlegung telefonisch verständigt. Erst am Terminstag um 9.15 Uhr sei seine Kanzlei von der Geschäftsstelle des LSG angerufen und darauf hingewiesen worden, daß es bei dem festgelegten Termin bleibe. Darauf habe seine Mitarbeiterin kurzfristig Rechtsanwalt M … telefonisch verständigt und um Wahrnehmung des Termins gebeten. M sei zwar erst nach Schluß der mündlichen Verhandlung und der Beratung, aber noch vor Verkündung des Urteils bei Gericht eingetroffen. Er habe „sowohl aus zeitlichen” Gründen „wie auch aufgrund der unzureichenden Kenntnis der Sachmaterie nicht mehr in die Entscheidungsfindung eingreifen” können. Bei persönlicher Teilnahme der Klägerin bzw bei substantiiertem Sachvortrag eines mit der Materie vertrauten Rechtsanwaltes wäre mutmaßlich eine andere (günstigere) Entscheidung ergangen.

Die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 19. März 1998 enthält ua folgende Absätze:

„Die Vorsitzende schließt die mündliche Verhandlung. Das Gericht zieht sich zur Beratung zurück. Für RA O … erscheint RA M … – Untervollmacht nachzureichen versprechend –. Auf Befragen erklärt der Klägervertreter, ein Antrag auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung werde nicht gestellt.

Sodann verkündet die Vorsitzende nach geheimer Beratung des Senats durch Verlesen der Urteilsformel folgendes

U r t e i l

…”.

Am 1. April 1998 ging dem LSG die Fernkopie (das Fax) eines Schriftsatzes des Bevollmächtigten der Klägerin vom 31. März 1998 zu, worin es ua hieß: „in Sachen Q … ./. Land Rheinland-Pfalz – L 4 Vs 59/96 –, B … ./. Land Rheinland-Pfalz – L 4 Vs 61/96 – reiche ich die von Ihnen gewünschten Untervollmachten zu den Akten.” Zugleich übermittelte Rechtsanwalt O die Fernkopie einer auf Rechtsanwalt M lautenden Untervollmacht vom 19.3.1998 in der anhängigen Sache.

Auf Ersuchen des Senats hat die Vorsitzende des Berufungssenats wie folgt Stellung genommen:

„1. Nach meiner Erinnerung – die Prozeßakten mit einem entsprechenden Vermerk liegen Ihnen vor – teilte mir die Anwaltskanzlei O … nach Erhalt der Terminsmitteilung …. telefonisch mit, sie habe Schwierigkeiten, die beiden Termine am 19.3.1998 wahrzunehmen. Rein vorsorglich erkundigte ich mich, ob bei einer Terminsverlegung auf den nächsten Sitzungstag, den 28.4.1998, ebenfalls terminliche Probleme bestünden; diese Frage wurde verneint.

Zum Schluß des Telefonats bat ich, den Vertagungsantrag noch schriftlich anzubringen; denn erst danach würde über ihn entschieden. Ein solcher schriftlicher Antrag ging dann aber nicht beim Senat ein, so daß die Terminsbestimmung vom 19.3.1998 bestehen blieb.

2. Das Schreiben des Herrn Rechtsanwalts O … vom 11.3.1998, per Telefax übersandt, ist mir nicht bekannt. Es dürfte das Landessozialgericht auch nicht erreicht haben; denn die Telefaxnummer des Empfängers (06131/141567) bestand im März 1998 seit Monaten nicht mehr, auch wenn sie noch auf der Terminsmitteilung so angegeben ist.

3. Vor Beginn der Sitzung unterrichtete mich der Vertreter des beklagten Landes von einer telefonischen Benachrichtigung seiner Dienststelle durch die Prozeßbevollmächtigten der Klägerin, wonach die Termine in Sachen B … und Q … aufgehoben und auf den 28.4.1998 verlegt worden seien.”

Aus den Akten des LSG ergibt sich ebenfalls, daß ein Terminsverlegungsantrag vom 11. März 1998 weder als Fax noch als gewöhnliches Postschreiben zu den Akten des LSG gelangt ist.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Beschwerde ist unbegründet. Der von der Klägerin gerügte Verfahrensfehler des LSG liegt nicht vor.

Die Klägerin war zum Termin vom 19. März 1998 ordnungsgemäß geladen. Eine Terminsverlegung, die nach § 63 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu ihrer Wirksamkeit der Zustellung und damit der Schriftlichkeit bedurft hätte (vgl dazu Thomas/Putzo, Zivilprozeßordnung ≪ZPO≫ mit GVG, 19. Aufl, RdNr 17 zu § 227 ZPO), ist nicht erfolgt. Die Nichtverlegung eines Termins zur mündlichen Verhandlung trotz eines entsprechenden Grundes stellt zwar regelmäßig eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör dar (§ 62 SGG und Art 103 Abs 1 Grundgesetz ≪GG≫; Meyer-Ladewig, SGG, 6. Aufl, RdNr 4b zu § 110 und RdNr 6b zu § 62). Nach den Ermittlungen des Senats ist aber ein Vertagungsantrag bis zur Urteilsverkündung nicht beim LSG eingegangen. In dem am 11. März 1998 mit der Vorsitzenden des Berufungssenats, Vizepräsidentin D …, geführten Telefongespräch hat der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin nach der unwidersprochenen Darstellung von Frau D einen Vertagungsantrag noch nicht gestellt, sondern lediglich angekündigt. Ein Vertagungsantrag sei dann aber – wie Frau D weiter mitgeteilt hat – bei Gericht nicht eingegangen. Die dienstliche Äußerung steht mit den sonstigen vom Senat anhand der Akten getroffenen Feststellungen in Einklang. Ein Fax mit der auf der Ladungsmitteilung angegebenen – nicht mehr zutreffenden – Fax-Nummer hätte das Gericht wahrscheinlich nicht erreichen können. Dieser Umstand allein reicht aber nicht aus, um die Revision wegen eines Verfahrensfehlers zuzulassen. Denn das Ausbleiben der schriftlichen Neuterminierung in der Zeit zwischen dem 11. März 1998 und dem 19. März 1998 hätte den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin veranlassen müssen, sich beim LSG danach zu erkundigen, ob und gegebenenfalls wie über den Vertagungsantrag entschieden worden sei. Auch schriftsätzlich ist kein Vertagungsantrag zu den Akten des LSG gelangt, wie der auch insoweit unwidersprochenen dienstlichen Stellungnahme der Vorsitzenden D zu entnehmen ist.

Auch der für die Klägerin am 19. März 1998 erschienene Rechtsanwalt M hat – obwohl ihm hierzu vom LSG Gelegenheit gegeben worden ist – keinen Vertagungsantrag gestellt.

Der Umstand allein, daß die Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 19. März 1998 nicht erschienen war bzw – da Rechtsanwalt M keine Untervollmacht mitgebracht hatte – keinen ordnungsgemäß bevollmächtigten Vertreter entsandt hatte, bildet für sich genommen keinen Vertagungsgrund (Meyer-Ladewig, aaO, RdNr 6 zu § 110 SGG; § 227 Abs 1 Satz 2 Nr 1 ZPO). Daß dem LSG vor Verkündung des Urteils zusätzliche Umstände bekannt waren, die es zwingend zu einer Vertagung hätten veranlassen müssen, ist nicht zu erkennen. Nach allem verstieß die Nichtverlegung des Termins vom 19. März 1998 nicht gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs. Das LSG konnte davon ausgehen, daß die Klägerin Gelegenheit hatte, sich in der mündlichen Verhandlung vertreten zu lassen bzw selbst an ihr teilzunehmen.

Es kann daher offenbleiben, ob sich die Klägerin selbst im anderen Fall auf eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör hätte berufen können. Dagegen könnte das Auftreten des Rechtsanwalts M in der Sache am 19. März 1998 unter dem Gesichtspunkt des auch das Prozeßrecht beherrschenden Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 Bürgerliches Gesetzbuch ≪BGB≫ vgl Meyer-Ladewig, aaO, RdNr 14 vor § 60) sprechen. Zwar wurde für M auch nachträglich keine formgültige Prozeß(unter)vollmacht vorgelegt. Eine solche wäre bis zum Ende der mündlichen Verhandlung schriftlich zu den Prozeßakten einzureichen gewesen (§ 73 Abs 2 SGG). Selbst die erst nachträglich, nämlich am 1. April 1998 als Fax zugesandte Untervollmacht auf Rechtsanwalt M entsprach nicht der erforderlichen Schriftform (vgl Entscheidung des Senats SozR 3-1500 § 161 Nr 10; BGHZ 126, 266). Entscheidend fällt hier jedoch ins Gewicht: Die Klägerin hat sich im Beschwerdeverfahren nicht darauf berufen, daß das LSG Rechtsanwalt M trotz Fehlens einer schriftlichen Vollmacht als ihren Prozeßvertreter behandelt hat. Sie hat vielmehr – jedenfalls indirekt – zum Ausdruck gebracht, daß sie sich das Verhalten des Rechtsanwalts M zurechnen lassen will. In der Beschwerdebegründung wird nur bemängelt, daß Rechtsanwalt M „aus zeitlichen” Gründen und „aufgrund der unzureichenden Kenntnis von der Sachmaterie” nicht mehr habe in die Entscheidungsfindung eingreifen können. Das trifft indessen nicht zu. Wie sich aus dem Gerichtsprotokoll vom 19. März 1998 ergibt, hat das LSG Rechtsanwalt M ausdrücklich Gelegenheit gegeben, die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung zu beantragen. Von dieser Möglichkeit hat er keinen Gebrauch gemacht. In der wiedereröffneten Berufungsverhandlung hätte er dem Senat dann die für ihn bestehenden Schwierigkeiten einer ordnungsgemäßen Wahrnehmung des Termins darlegen und Vertagung beantragen können. Dies ist jedoch nicht geschehen.

Nach allem hat die Prüfung des Vorbringens der Klägerin ergeben, daß dem LSG kein mit der Beschwerde gerügter Verfahrensfehler unterlaufen ist, der die Zulassung der Revision rechtfertigte.

Im Kostenpunkt beruht die Entscheidung auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1175891

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